Tucholsky mal wieder nicht verstanden

Ein Gastbeitrag vom Sudelblog

Der "Spiegel" mokiert sich darüber, dass der Bundestag nicht die Bestechung von Abgeordneten unter Strafe stellen möchte. Anders als bei Beamten, heißt es in dem Artikel "Beeinflusst, nicht bestochen" (Heft 21, Seite 38), greife der einschlägige Paragraph 108e StGB1 bisher nur in ganz seltenen Fällen bei Parlamentariern. Am Endes des Textes heißt es spiegelhaft süffisant:

Die Abgeordenten stellen sich taub. Es scheint, als glaube das Berliner Parlament fest, was der Satiriker Kurt Tucholsky 1932 schrieb: "Ich höre immer: Korruption. In Deutschland wird nicht bestochen. In Deutschland wird beeinflusst."

Da sieh einer an. Da waren die Politiker 1932 schon genau so ehrlich wie heute und hatten es auch damals gar nicht nötig, ihr dickes Diätenkonto aufbessern zu müssen.

Aber Moment. Tucholskys Artikel "Zyniker", aus dem das Zitat entnommen ist, befasst sich ja gar nicht mit Politikern. Sondern – mit der Presse. Und warum erwähnt der "Spiegel" das nicht? Auch das hat sich seit 1932 nicht geändert. Tucholskys nächster Satz nach dem Zitat lautet:

Und was in der Zeitung steht, ist nicht halb so wichtig wie das, was nicht drin steht.

P.S.: Der frühere Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger (Grüne) hat die "Spiegel"-Geschichte in seinem Blog bei "Focus" (!) umgehend aufgegriffen und bewiesen, dass er Tucholsky-Zitate fehlerfrei abschreiben kann. Passend zu Thema Beeinflussung ein Kommentar des Nutzers Bernhard Meier:

Herr Metzger – sie schreiben den Blog hier doch auch nicht für lau. Die Inhalte erinnern mich irgendwie immer stark an ihre Mitgliedschaft bei der INSM. Die scheinen auch gut zu zahlen.
Mit Korruption möchte ich das nicht vergleichen wohl eher Beeinflussung.

PPS: "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust lässt sich von solch kleinen Aufmerksamkeiten deutscher Unternehmen sicherlich nicht beeinflussen.


1(1) Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach Absatz 1 kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen.

4 Gedanken zu „Tucholsky mal wieder nicht verstanden

  1. Chat Atkins

    Och nö – nech? Wenn die Wahrheit 500 Zeilen lang ist, und man nur 180 Zeilen zur Verfügung hat, dann muss auch schon mal was weglassen dürfen. Das ist zwar schade für die Wahrheit – aber was soll man machen?

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  3. Malek Nosghu

    @chat atkins:

    es geht nicht darum, dass “irgendetwas” von der Wahrheit “ausgelassen” wird, sondern darum, dass ganz bestimmte Dinge von fundamentaler Bedeutung ausgefiltert und umgedeutet werden…

  4. Johanna

    Wichtiger ist es wohl sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen und nicht “künstlich” davon abzulenken. Süffisant ist es nicht, denn seit dem es die Abgeordnetenbestechung in der jetzigen Form gilt, ist diese nur einmal angewendet worden. Warum?Weil sie sehr leicht umgeangen werden kann und auch der deutsche Parlamentarier das “Juristendeutsch “des § 108 e StGB versteht.
    Zudem ordnet der Artkel das Zitat doch überhaupt nicht ein, sondern verwertet es im Zusammenhang mit Politikern! Wo ist das Problem?

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