Rigide redigierende Redakteure

Sie sind die besten im Text, die Popstars der Sprache: Redakteure (m/w). “Wenn ein unfertiger Text ein Kind ist, das sich noch entwickeln muss, dann sind gute Redakteure ein wenig wie Eltern, die ein Manuskript das werden lassen, was es eigentlich sein könnte.” Da japst der Autor nach Luft und der freie Journalist erbricht sich vor Schreck. Als unfertiges Menschenkind mit Adoptiveltern hatte er (m/w) sich bislang nicht gesehen. Doch die das sagen, sind so unschlagbar vom Fach, dass Welten kleiner Journalisten-i-Dötzkes zusammengebrochen sein müssen, als am 5. August das Zeit-Magazin zum Thema Redigieren erschien: “Ein Heft, wo wir Ihnen alles verschönern tun” stand rot unterringelt auf dem ersten Umschlag, und dann folgte die vor Selbstsicherheit strotzende Ankündigung: “Wir machen das Beste aus Ihren Texten”.

Bei meiner Suche nach den Katastrophengebieten, die ich vor allem in den Journalisten-Slums von Hamburg und Berlin wähnte, wurde ich heulend zähneklappernder, depressiver oder gar suizidaler Kolleginnen und Kollegen allerdings nicht gewahr – zumindest war das Redigier-Heft der Zeit nicht ursächlich dafür. Zu vertraut ist den meisten Freien die Fehlübersetzung von Redigieren als “Texte verschönern” – wie im Zeit-Magazin, das in dieser künstlerischen Tätigkeit die Berufung fest angestellter Journalisten sieht:  “Redigieren ist, was Redakteure tun”.

Unbestritten: Viele der im Zeit-Magazin Nr. 32 redigiert veröffentlichten Texte haben gegenüber ihren Originalen gewonnen, vor allem die von Harald Martenstein überarbeitete Kurzgeschichte “Unser Sommer mit Kecki”. Aber ist das die Aufgabe von Redakteuren (die als Kolumnisten arbeiten): Unterhaltungsliteratur aufzuhübschen?

Was bei Lyrik und Prosa ohne Rücksprache mit dem Autor gelingen kann, muss bei journalistischen Texten schief gehen. Kaum ein Autor wird etwas dagegen haben, wenn die Redaktion seine Rechtschreibung updatet (es sei denn man ist Titanic-Satiriker und orthographisch mit voller Absicht im letzten Jahrhundert stehen geblieben). Doch schon der Ersatz einer drögen Wortwiederholung durch ein passend erscheinendes Synonym kann zum Desaster geraten, und verschwurbelte Sätze aufzubohren wird auch dem “guten Redakteur” nicht ohne Dialog mit dem Urheber gelingen. Alles andere ist nicht nur Hybris, sondern journalistischer Unverstand, der einen Beitrag als abgeschlossenes Ergebnis von Recherchen und Meinungsbildung sieht, statt richtigerweise als ein Konstrukt selektierter Aussagen – ein Konstrukt, das immer auch hätte ganz anders aussehen können. Das Wesentliche ist für den Redakteur unsichtbar – so überspitzt wäre es vielleicht wirklich Hinweis auf einen schlechten Text, auf eine ausgeuferte Recherche oder auf Mängel in der Themenabsprache, aber zumindest vieles wird dem Redakteur wie jedem anderen Leser immer verborgen bleiben, weil es zurecht oder unrecht eben gar nicht in dem gelieferten Beitrag steckt, sehr wohl aber im Kopf von Frau oder Herrn Journalist. Wer da mehr oder anderes will, braucht diesen Kopf.

Da die guten, weil stets eifrig redigierenden Redakteure des “journalist” mit meiner Beauftragung für dieses Stück sicherlich einen kleinen Meilenstein ihrer Kritikfähigkeit setzen wollten, will ich beim Fundamentlegen gerne helfen, der Leser wegen begnüge ich mich mit einem einzigen, klitzekleinen aber um so beispielhafteren Beispiel.

In einem Manuskript über die neue Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schrieb ich: “Stattdessen gibt es Gutachten, Prognosen und etwas Kaffeesatzlesen.”
Im “journalist” 10/2010 stand dann auf Seite 74: “So werden Gutachten geschrieben und Prognosen abgegeben. Dabei gleicht vieles dem Kaffeesatzlesen.” Was leider eine ganz andere Aussage ist. Mit der Reihung “Gutachten, Prognosen, Kaffeesatzlesen” hatte ich angedeutet, dass die Grundlagen für die Beratung ins Spekulative gehen; die satirische Behauptung (meinetwegen auch: Lüge), es gebe sowohl Gutachten als auch Kaffeesatzlesen, darf als kritische Würdigung des politischen Diskurses verstanden werden. Dass irgendein Gutachten dem Lesen eines Kaffeesatzes gleiche, habe ich nie behauptet – es wäre mir auch stilistisch zu platt.

Allerdings schickt die “journalist”-Redaktion ihren Autoren stets eine Korrekturfahne vor Drucklegung – was im Hinblick auf das Urheberpersönlichkeitsrecht eine gute, doch längst nicht selbstverständliche Praxis ist. So ist es vor allem eine Frage von Zeit (Bearbeitungsfrist: bis Sonnenuntergang) und Kraft, wie viel Redigierkunst man wieder wettmacht und wie viel man großmütig erträgt. Gerade bei tages- und wochenaktuellen Publikationen freut man sich als Autor, wenn es wenigstens noch eine kurze telefonische Rückfrage gibt, bevor der gelieferte Beitrag umgebaut wird – weil mal wieder weniger Platz zur Verfügung steht als vereinbart, weil Gepflogenheiten des Hauses ihren lesbaren Niederschlag finden sollten oder weil schlicht der Geschmack des bearbeitenden Redakteurs ein anderer ist als der des Autors.

Als ich noch überwiegend naturwissenschaftliche Themen bearbeitet habe, begannen Gespräche über gelieferte Texte regelmäßig so: “Ich verstehe von dem Thema ja gar nichts, darum habe ich da noch ein paar Fragen…” Den redigiert veröffentlichten Artikel nach zu urteilen sind längst nicht alle Redakteure gute Berichterstatter.

Was die Auffassungsgabe eines Redakteurs übersteigt, geht für den zahlenden Leser schon drei Mal nicht. Es ist die schönste Textkritik überhaupt: “Das verstehen unsere Leser so nicht.” (Gerne eingeleitet mit der Höflichkeitsfloskel: “Es mag ja alles stimmen, was Sie da schreiben, aber …..”) Jeder Redakteur kennt seine Leser – was ihre intellektuelle Begrenztheit betrifft. Das habe ich wahrlich von der Pike auf gelernt. Als Oberstufenschüler bei einer winzigen Lokalzeitung, die nur drei Mal die Woche erschien – mit zugekauftem Mantel -, als Volontär im WAZ-Imperium, später als Freier für Agenturen, Fachblätter und überregionale Tagszeitungen, immer und überall sind die Kunden weit weniger verständig als die Redakteure, welche für sie Themen “herunterbrechen” und so schweren Herzens aber leichter Hand aus vermeintlichen Kunststücken ihrer freien Autoren gut verdauliche Gebrauchstexte zimmern. “Die Welt ist schon kompliziert genug, da muss wenigstens die Presse einfach sein” scheint die Aufklärungs-Doktrin in vielen Häusern zu sein. Ob jemand Gesamtverbandsvorsitzender, Vorstandsvorsitzender, Generaldirektor oder Präses ist –  gute Redakteure machen ihn schlicht zum Chef (Kommentaralternative mit negativerem Touch: Boss). Ministerpräsidenten, Regierender Bürgermeister, Senatspräsident – im guten Journalismus sind sie alle schlicht “Länderchefs”. Redakteuren haben wir es zu verdanken, dass es in Deutschland mittlerweile Kreis- und Stadtparlamente gibt, obwohl die Verfassung für die kommunale Ebene gar keine Legislativorgane kennt. Aber das verstehen die Leser eben nicht.

Redakteure sind die besseren Texter? Ganz sicher nicht. Medienblogs und Hohlspiegel laben sich an Redakteursleistungen, an Überschriften, Teasern und Bildunterschriften, an missglückten Kürzungen und peinlichen Ergänzungen. Lange habe ich in den 1980er Jahren den Kopf geschüttelt über die verquasten Texte des Spiegel-Hauskommentators, dessen Schreibberechtigung ich gerne investigativ als öffentlich-unauffällig gezahltes Schweige- oder Unterhaltsgeld entlarvt hätte, bis mir klar wurde: da haut der ehemalige Chefredakteur und amtierende Herausgeber in die Tasten seiner Eigentums-Publiziermaschine. Lesbar war Augstein selten.

Leichtes Amüsement bereitet mir immer wieder, wenn Redakteure auf ihre Regeln pochen, deren Nichteinhaltung oder gar Unkenntnis den freien Proleten vom gehobenen Stand der Lohnnebenkostenverursacher scheidet, stets mit der ausführlichen Begründung erinnert: “Das macht man eben so!” Journalisten – nein: gute Redakteure – setzen zum Beispiel niemals ein Fragezeichen ans Ende einer Überschrift. Für meinen stahlarbeiterkampferprobten Ausbilder in Duisburg-Rheinhausen war dies nicht nur ein Dogma, sondern journalistische Grundhaltung: “Wir stellen unseren Lesern keine Fragen, wir geben Antworten!” Wenn ich die Toleranz von Redakteuren bei der ersten Zusammenarbeit austesten will, spiele ich gerne mit der Interpunktion und setze etwa Fragezeichen, Gedankenstrich und Komma hintereinander. Überlebt hat dieser Dreierverbund noch nie.

Natürlich haben wir Freien Verständnis für solche Kleinkariertheit, für das Bemühen um formale Ordnung in Texten über diese vollkommen unordentliche Welt. Nicht auszudenken welche Laune ich hätte, müsste ich früh morgens für den ersten Check von News und Mails geduscht und rasiert Auto oder U-Bahn besteigen und in einem Großraumbüro landen, anstatt mich – luftig bekleidet – direkt vom Bett an den Schreibtisch zu begeben und in dieser Fasson durchaus die ersten Telefonate zu führen; wir Autoren müssen keinen Arzt besuchen, sondern können einfach liegen bleiben, wenn wir uns noch nicht fit genug fühlen für den Kampf an der demokratischen Aufklärungsfront. Wie soll ein Mensch ausgeglichen bleiben, wenn er nach dem furchterregenden Telefonat mit einem Ministeriumssprechervorzimmerpraktikanten seine Wut nicht beim Schlagzeugspielen der Welt um die Ohren hauen kann wie unsereiner, sondern nur zwischen dem Gang zum Kaffeeautomaten oder zur 11:30-Konferenz wählen kann? Wie sehr kann es Menschen wohl verbittern, sich mittags nicht von ihren prä- und post-pubertären Sprösslingen einer laxen Lebensführung bezichtigen zu lassen (“Als ich heute morgen Mathe geschrieben habe hast du ja wohl noch in den Federn gelegen!?” – “Dafür gibt’s jetzt aber auch selbstgemachtes Kartoffelpüree.”), weil sie stattdessen mit ihren Vor-, Neben- und Untergesetzten auch noch bei der Mittagspause in der Betriebskantine oder der einzigen Kneipe am Ort über ihren Job reden müssen, und denen selbstredend das Verdauungsschläfchen verwehrt bleibt (obwohl dies doch für alle Säugetiere – vielleicht mit Ausnahme der Bartenwale – der schönste Teil des Tagesgeschäfts ist)?

“Das macht man eben so!”?  Nein, nichts macht man eben so, nicht zwingend zumindest. Texte, die einer Wolf-Schneider-Kernsanierung unterzogen wurden, wirken aseptisch und sind frei von individueller Note, was am meisten nervt an dem, was laut Zeit gute Redakteure tun: nämlich in Texten mit Autorenflair solange herumzupfuschen, bis sie auf Linie sind, bis nicht mehr erkennbar ist, ob der Autor einen guten oder schlechten Tag hatte, mit Freude oder Argwohn sein Stück vollendet hat, ob er eine Meinung zu diesem oder jenem hat oder wenigstens eine Haltung.

“Wenn ein unfertiger Text ein Kind ist, das sich noch entwickeln muss, dann sind gute Redakteure ein wenig wie Eltern, die ein Manuskript das werden lassen, was es eigentlich sein könnte.” Dieser Satz aus dem Zeit-Magazin ist nicht redigierbar, ohne Antwort auf ein Dutzend Fragen zu bekommen. Da geht es nicht um Sprache, sondern um Humanethologie, um Pädagogik, um Philosophie, um berufliches Selbstverständnis und vieles mehr.

Ich unterstelle: Wer diesen Satz geschrieben hat, hat lange darüber nachgedacht. Und könnte Stunden lang erklären, was er von Texten freier Autoren hält, worin er als Redakteur (m/w) seine Aufgabe sieht. Dafür ließen sich dann vielleicht andere Worte finden, aber vielleicht ist es auch schon perfekt artikuliert – kurz, prägnant und Widerspruch provozierend. Dann sage ich: wunderbar! Aber ich sage auch: Scheißsatz! Lasst bitte noch andere Autoren zu Wort kommen – unredigiert – die erklären, dass Kinder keine unvollständigen Menschen sind und Eltern nicht Gott ebenbildlich Menschen formen; dass es Interesse verlangt, anderen Menschen zuzuhören – anstatt für sie zu sprechen; und dass man einen unfertig erscheinenden journalistischen Text niemals mit noch so großen Sprachwundertüten journalistisch verbessern kann.

Warum beauftragen Redakteure eigentlich freie Journalisten? Weil sie selbst keine Zeit haben? Weil ihnen das Thema zu langweilig oder mühselig oder widerspenstig erscheint? Ein gutes Motiv wäre: Weil sie interessiert daran sind, was der Freie an Fragen entwickelt und an Antworten findet, wie er Fakten einordnet und kommentiert, wie er das Ergebnis für die Leserschaft aufbereitet. Wenn Redakteure ihre Autoren ernst nehmen, müssen sie ihnen Raum geben – mindestens für die journalistische Darstellung, aber eigentlich auch für Themen: Warum entscheidet über jeden Themenvorschlag die Redaktion, anstatt zu sagen: “Hier, Kollegin X, dieses Mal bist du dran, fünf Seiten zur freien Verfügung, wir sind wahnsinnig gespannt, was du ins Heft bringen wirst!”

Das verlangte allerdings ein hierarchieärmeres Berufsverständnis: Redakteure erziehen ihre Autoren nicht so zu schreiben, wie sie selbst schrieben, wenn sie könnten, wollten,  müssten – sondern sie suchen Autoren, die eigene, andere Themen, Sichtweisen und Darstellungen ins Blatt bringen.

Jeder Text sollte von möglicht vielen Menschen vor Veröffentlichung gegengelesen werden? Na sicher doch, d’accord – das haben wir schon bei der Schülerzeitung so gemacht. Für die “Verbesserung” bleibt dann aber immer der Autor zuständig, Redakteure geben Anregungen mit Fragen, Dokumenten, Ideen. Das brachiale Gegenprogramm haben die Menschen vom Zeit-Magazin als Credo erkoren: “Und wenn alles nichts hilft? Schreiben wir einfach um.”

Im Januar startet in den Kinos der Dokumentarfilm “7 – oder Warum ich auf der Welt bin“.  Eine große journalistische Leistung, kluge Fragen, gute Komposition – und völlig unredigiert. Der Film wird getragen von dem, was sieben Kinder aus fünf Ländern über den Sinn des Lebens denken. Die Redakteure haben einfach nur sehr gut zugehört.

Timo Rieg, Diplom-Journalist und Diplom-Biologe, ist “Freier” in Bochum und schreibt seit 1996 für den “journalist”. Er hat bisher 16 Bücher (mit-)verfasst und weitere herausgegeben, u.a. fünf Bände eines Jugend-Literaturprojekts mit mehreren hundert Autoren. Timo Rieg ist Medienblogger und Herausgeber des Satiremagazins “Helgoländer Vorbote“. Die autobiografischen Einsprengsel in diesem Essay entsprechen der Wahrheit – sagt er.

(So erschienen im Medienmagazin “journalist” 12/2010, pdf-Version der Online-Ausgabe hier: journalist_-timo-rieg-zur-redigierwut-von-redakteuren)

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