Medienereignis Özil – Le fait est moi

Das Sommerloch wird mal wieder mit Fußball gefüllt. Allerdings nicht dem Spiel an sich, sondern dem Drumrum, Stichwort: Mesut Özils Rückzug aus der Fußballnationalmannschaft, begründet u.a. mit Rassismuserfahrungen.
Zu einem solchen Thema kann jeder etwas sagen, ohne große Mühe. Der Journalismus sollte, wenn er sich dessen annimmt und nicht davon ausgeht, dass auch ohne ihn alle hinreichend vom Ereignis und diversen Kommentierungen erfahren, etwas Ordnung in die Publikationsflut bringen, Wichtiges von Unwichtigem scheiden, Fakten zur Verfügung stellen. Doch das misslingt oft. Einige Spotlights:

1. BildBLOG bezeichnet einen Tweet von Julian Reichelt als “so einen Scheiß”. Auf einen Leser-Hinweis, BildBLOG habe den Zusammenhang  nicht korrekt dargestellt, antwortet dieser:

In Reichelts Tweet wäre noch locker Platz gewesen für ein “in den Medien” hinter “Rassismus-Opfer”. Er hat es nicht konkretisiert. Und wir können uns kaum vorstellen, dass er es einfach nur vergessen hat. Julian Reichelt weiß sehr genau, wen er bei Twitter wie bedienen muss.

Ohne hier auf die Details der Diskussion einzugehen, sind die beiden Begründungen in den letzten beiden Sätzen eben keine Fakten, sondern mutige Meinungen.
a) Was “wir uns vorstellen können” ist wohl kaum geeignet, einen Sachverhalt zu begründen.
b) Was Reichelt weiß, weiß ausschließlich er selbst. Auf diese weit verbreitete Fehlinterpretation weisen wir immer wieder hin (siehe z.B. hier 1. Punkt “Fakten statt Fiktionen“, mit Verweis auf Wolf Schneider; oder “Ich sag dir, was du gesagt hast“).

Eine “User”-Entgegnung lautete:

Naja, wenn man Reichelts Tweets konsequent liest und versteht, dann ergibt sich schon, was Bildblog schreibt. Reichelt inszeniert sich immer wieder als Sprachrohr des Rechtspopulismus. Das ist nichts Neues.

Auch sie enthält nur Interpretationen = Meinungen, und zwar ohne nachvollziehbare Argumentation.

2. Medienkritiker Stefan Niggemeier findet eine Äußerung von Heiko Maas “zum Schämen”.

Der geteilte O-Ton von Maas:

Ich glaube nicht, dass ich als Außenminister den Rücktritt von Fußball-Nationalspielern kommentieren muss.
Ich glaube auch nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland.
Und ansonsten liegt die Wahrheit auf dem Platz: Dass die Deutschen so früh ausgeschieden sind hat wenig damit zu tun, dass Herr Özil sich mit Herrn Erdogan hat fotografieren lassen. Und ich glaube alle Beteiligten in der Causa sollten einmal in sich gehen. Ich sehe wenige, die nach meiner Wahrnehmung sich dort einigermaßen richtig verhalten haben.

Niggemeier kommentiert:

Der Außenminister schafft es nicht, die Causa #Özil nicht zu kommentieren. Und spricht ihm ab, sich über Rassismus beklagen zu können, weil er viel verdient und ja gar nicht in Deutschland lebt. Zum Schämen.

Daran ist vieles falsch. Außenminister Maas hat sich überhaupt nicht dazu geäußert, über was Özil sich beklagen könne, und er begründet dies auch nicht  mit  Reichtum und Auslandswohnsitz. In anderen  Fällen würde Niggemeier eine solche Verballhornung der tatsächlichen Aussage zurecht in seinem Blog ausschlachten. Auf Kritik und Rückfragen reagierte er bei Twitter hingegen bisher nicht.
Was seine Einleitung – u.a. vom Fachblatt “HuffPo” zur zentralen Aussage erhoben – angeht, ist anzumerken, dass Maas sich keineswegs von sich aus geäußert  hat, sondern auf eine wohl mehr oder weniger  unpassende Frage bei einer Pressekonferenz geantwortet hat. Die Journalisten-Frage ist leider in allen bislang gefundenen Audio- und Videoschnipseln ausgespart. Maas hat jedenfalls nicht gesagt: “Ich kommentiere das nicht” und dann doch kommentiert – er hat – möglicherweise sehr höflich – gesagt, dass er in seiner Funktion als Außenminister den Rücktritt Özils nicht kommentieren muss.

3. Süddeutsche Zeitung und Gerhard Schröder

>Heiko Maas (SPD) für Äußerungen zum Fall Mesut Özil scharf kritisiert. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte Schröder, dass sich ein Außenminister im Rahmen der Debatte über einen deutschen Fußballspieler mit türkischen Wurzeln so einlasse, wie Maas das getan habe, sei “schlicht und einfach unerträglich”. […]  Der Außenminister mache dem Fußballspieler nicht nur indirekt zum Vorwurf, dass er viel Geld verdiene und seinen Lebensmittelpunkt derzeit nicht in Deutschland habe. Er zweifle in gewisser Weise auch an, “dass Özil hier so richtig dazugehört”.< (sueddeutsche.de)

Es gehört nicht zur journalistischen Aufgabe bei der Sicherung von Meinungsvielfalt, jeden Quatsch zu kolporiteren (zumal wenn man ihn quasi mittels Interview selbst erzeugt). Auch Schröders Interpretation, so in der SZ-Meldung richtig wiedergegeben, ist schlicht falsch. Maas hat weder das Einkommen noch den Wohn- und Arbeitsort Özils irgendwie kritisiert. Er hat – und nun muss man mal sagen: völlig zurecht, geradezu banal – festgestellt, dass Özils Rücktritt und Begründung nicht für eine Integrationsdebatte taugt.

(Und eine andere, ebenso grundsätzliche Frage ist, warum Medien, die Journalismus verkaufen, nicht endlich Wichtiges von Unwichtigem scheiden. Es ist immer der gleiche Skandalisierungsablauf: ein Zitat, am besten noch selbst generiert, wird ohne Kontext verbreitet, wie bei jedem Klatsch und Tratsch bei jeder Weitererzählung frei interpretiert, zum Aufhänger für neue Statements genommen etc. Das ist so furchtbar billig.)

+ Bei der Ordnung der vielen, vielen Kommentare nun zu Özils Statements (und den Reaktionen darauf) würde sich übrigens anbieten, den Maßstab für die Bewertungen herauszuarbeiten: der scheint nämlich in den meisten Fällen ausschließlich der Kommentator selbst zu sein. Der Mainstream-Klassiker derzeit: Foto mit türkischem Präsidenten war falsch (einfach weil ICH es falsch finde, Punkt), aber alle aktuelle Kritik an Özil ist Rassismus, Nachtreten, Ablenkung (Stichwort: der verurteilte Steuerhinterzieher meldet sich zu Wort – dabei hat der doch bis ans Lebensende im Büßergewand herumzulaufen, während wir von anderen Straftätern nichtmals einen Namen nennen, um ihre “Resozialisierung” nicht zu gefährden; z.B. Spiegel-Mitarbeiter von Rohr, der Spiegel-Online-Kolumnist Sascha Lobo). Lassen wir mal kurz die großen Schlagworte weg, geht es jeweils nur darum, wer sich anders verhält, als man selbst es erwartet, und man selbst ist da natürlich sinnigerweise nicht allein, sondern bildet einen Gefühlsclub.

+ Im Hinblick auf den aktuellen Aufhänger dürfte auch die Frage gestellt werden, welchen Sinn (bzw. welchen Besetzungsmodus) eigentlich eine “Nationalmannschaft” hat. Und  dazu sollten gerade nicht nur die “Weißdeutschen” und “Kartoffeln” etwas beitragen  können. Ausgerechnet bei Özil wird ja gerade einer Pass-Nationalität gehuldigt.

+ Trotz hunderter Veröffentlichungen gibt es keine einzige plausible Argumentation, warum die Medien überhaupt das Foto mit Mesut Özil, Ilkay Gündogan und Recep Tayyip Erdogan thematisiert haben. Alles, was wir seitdem zur “Causa Özil” geliefert bekommen bis hin zu seinem nun erklärten Rücktritt, gründet allein im Urteil der Medien (und vieler Politiker und Bürger, aber das kam logischerweise erst nach der Medialisierung), dass es die Begegnung und die Veröffentlichung des Fotos nicht hätte geben dürfen. Dabei ist das nun wirklich Populismus – bzw. in der Wirkung: Mob.

+ Sehr interessant ist in dem Zusammenhang die Medienkritik von Brüssel-Korrespondent Peter Kapern im Deutschlandfunk.

 

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