Meinung muss auf Recherche gründen

Journalismus muss nicht neutral sein. Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, über Ereignisse, Entwicklungen und Zustände fair, sachgerecht und mit der nötigen Distanz zu berichten, aber das Berichtete auch zu interpretieren und zu kommentieren. Genau dazu wurden drei Typen von Darstellungsformen erfunden […]

Roger Blum, Ombudsmann des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz (SRF) und früher Professor für Medienwissenschaft in Bern, hat sich in der Aargauer Zeitung für Meinungsjournalismus ausgesprochen – und dafür in Journalistenkreisen erwartebaren Applaus bekommen.

Seine Darstellung der journalistischen Rolle ist präzise und in ihrer Kürze bestechend. Allerdings sollten seine Kernaussagen auch völlig unstrittig sein. Blum endet:

Radio und Fernsehen SRF wären aber gut beraten, Kommentare nicht nur dem «Wort zum Sonntag» und den Satirikern zu überlassen, sondern auch andere Formen auszuprobieren. Und zwar vor allem dann, wenn sich Umstürzendes ereignet oder wenn es aus moralischen Gründen untersagt ist zu schweigen.

Dass sich daran einzelne stören, wenn ihnen die kommentierte Meinung nicht passt, ist wohl unabänderlich – und politisch wie intellektuell breit gestreut, lassen wir mal die Erregungen über veröffentlichte Kommentare Revue passieren.

Das Problem ist doch ein anderes: nämlich dass viele Journalisten nicht (mehr) neugierig auf die Welt sind, auf andere Ansichten, Lebensweisen etc., kurz: nicht recherchieren, sondern mit ihrer Lebenssicht und Moral durch die Welt schreiten und alles daran messen. Das ist nicht nur wenig aufklärerisch, es interessiert die Kunden normalerweise auch nicht. Denn Meinungsträger findet jeder passende in seinem Umfeld.

Nehmen wir mal das Beispiel Jim Acosta und Donald Trump. Mir ist kein Beitrag begegnet, in dem sich die berichtenden Journalisten ernsthaft neugierig gezeigt hätten, was vorgefallen ist, wie die Rechtslage ist, ob diese Aktion ernsthaft die Welt interessieren muss etc. Stattdessen voreingenommene Parteinahme, Solidarisierung (“Angriff auf die Presse”), Bestätigung des vorhandenen Weltbilds, ein bisschen kollektives Wehklagen und natürlich sehr viel eigene Bedeutungszumessung (“ohne uns Journalisten keine Demokratie”).Nichts, was ich gelesen, gehört, gesehen habe ging nennenswert über den bekannten Videomitschnitt hinaus, die Szene wurde nur sehr einseitig interpretiert.

Jeder Journalist darf kommentieren, für welch einen Depp oder Autokraten er den US-Präsidenten hält. Einen Mehrwert hat das aber nur, wenn er dazu bei jedem Anlass objektiv recherchiert und bereit ist, seine Sicht der Dinge durch neue Erkenntnisse zu ändern. Und all diese Erkenntnisse auch mitzuteilen, bevor die einordnende Meinung kommt – die der Mediennutzer dann nachvollziehen oder auch ablehnen kann.

Auf  das Recherchieren, auf objektive Tatsachenfeststellungen, aufs Begründen verzichten aber viele Meinungsjournalisten. Und das nervt ihre Kunden. Nicht weil sie gerne anderer Meinung sind und bleiben wollen, sondern weil ihnen eben kein anspruchsvoller Journalismus geliefert wird, der tatsächlich bei der Orientierung in dieser Welt hilft.

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