Das Foto mit dem Mann mit der Maske auf dem Kopf und den Drähten in der Hand, der auf einer Box steht, wurde zum Symbol für die Folterungen von Angehörigen des US-Militärs an irakischen Gefangenen im Abu-Ghuraib-Gefängnis. Am 26 September 2005 erschien ab Seite 98 des Spiegels der Artikel “Der Kapuzenmann”, darin portraitieren Anita und Marian Blasberg Ali Shalal Qaissi, auch genannt Hadschi Ali, er soll das auf dem Foto gezeigte Opfer sein. Der Artikel liest sich so, als seien die Autoren selbst dabeigewesen, hier ein Auszug aus dem mehrere Seiten langen Text:
Einer der Wachsoldaten streift ihm die Kapuze ab und zeigt ihm ein paar Kabelstränge, die oben von der Decke baumeln, rote Kabel, blaue, an den Enden schimmern Kupferringe. Dann schleift er ihn einige Schritte Richtung Wand, wo eine Essenskiste auf dem Boden steht, ein Pappkarton, den Hadschi Ali manchmal tragen musste. Schließlich löst der Wachmann seine Handschellen und legt ihm die Kupferringe um die Finger. Dann setzt er die Kapuze wieder auf, und jemand sagt: “Du musst jetzt auf die Kiste steigen. Bleib da oben. Wenn du fällst, dann gibt es Strom.”
Hadschi Ali klettert auf die Kiste, mühsam, tastend. Als er auf ihr steht, hebt er die Arme, um in der Balance zu bleiben, er rudert mit den Armen, schwankt und fühlt, wie diese Kiste nachgibt unter seinem schweren Körper. Stille nun.
“Kralle, wenn du sprechen möchtest, dann sprich jetzt.”
Er steht eine Minute, er steht zwei Minuten, drei, er schweigt und sieht durch die Kapuze, wie die Blitze der Kameras zucken; dann spürt er, wie der Strom durch seine Adern schießt, es ist, als ob die Augen aus den Höhlen sprängen, seine Zähne knirschen, alles bebt und zittert, er fällt, auf seine linke Seite, auf seine verletzte Hand.
Mitte März erschien auch in der New York Times ein Portrait, das Qaissi ebenfalls als den Mann beschrieb, der mit Maske, auf einer Box stehend und mit Drähten an der Hand fotografiert worden sei. Kurz darauf zweifelte das Online-Magazin salon.com dies an. Aus einem militärischen Bericht, der die Vorgänge um das Foltergefängnis aufklären soll und salon.com vorliege, ergebe sich: Ein Mann, auf den Qaissis Beschreibung passe und der den Spitznamen “The Claw” trug, sei tatsächlich in dem Gefängnis gewesen und fotografiert worden. Er sei jedoch nicht der gewesen, der auf einer Box stand und Stromdrähte in der Hand hatte: Alle fünf Fotos mit diesem Mann zeigten einen anderen Gefangenen, “Gilligan”.
Daraufhin korrigierte die New York Times sich an diesem Samstag:
Ein Artikel auf der Titelseite vom vergangenen Samstag portraitierte Ali Shalal Qaissi als den Mann mit der Kapuze, der gezwungen wird, auf einer Box zu stehen und mit Drähten verbunden ist. (…) Herr Qaissi war nicht dieser Mann.
Die Times schrieb weiter, sie habe nicht ausreichend Qaissis Behauptung überprüft, dass er der Mann auf dem Foto sei. Ausdrücklich berief die Times sich darauf, dass der Fall bereits von anderen Medien aufgegriffen worden sei, und es bislang keinen Zweifel an der Geschichte von Qaissis gegeben habe: “Herr Qaissi gab mehrere Interviews als der Mann auf der Box, unter anderem für die Sendung “Now” auf PBS, für Vanity Fair, Der Spiegel und für italienische Medien.”
In einem Gespräch mit der New York Times habe Qaissi jetzt zugegeben, nicht der Mann auf dem Foto zu sein, dass er zur Illustration des Artikels in die Kamera gehalten habe. Doch er und seine Anwälte beharren darauf, dass er in dem Gefängnis war und in vergleichbarer Pose fotografiert worden sei. Die Armee dementierte das: Nur ein Gefangener sei in dieser Art behandelt worden. Die Times schreibt: “Ob Qaissi gezwungen wurde, auf einer Box zu stehen und dort fotografiert wurde, ist nicht ganz klar. Jedoch die Belege deuten darauf hin, dass er die Identität des Mannes auf der Box angeeignet hat, nachdem er das Gefängnis verlassen hatte.” Und selbstkritisch heißt es:
Ungeachtet der früheren Artikel über Qaissi hätte die Times beharrlicher versuchen müssen, eine Stellungnahme des Militärs zu erhalten. Eine sorgfältigerere Recherche in früheren Artikeln der Times und anderen Zeitungen hätte gezeigt, dass im Jahr 2004 Ermittler einen anderen Mann auf dem Foto identifizierten, was zu Zweifeln über Herr Qaissis Behauptungen geführt hätte. Genauso hat die Times die Aussagen von Vertretern von Human Rights Watch und Amnesty International überbewertet. Die sagten zwar, dass er der dieser Mann sein könnte, doch sie sagten nicht, dass sie davon überzeugt seien.
Der heutige Tagesspiegel gibt den Fall kurz wieder und schreibt:
Der Zweifel daran, ob Qaissi tatsächlich der Mann mit den Elektrokabeln aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis ist, wiegt besonders schwer, da die Geschichte für den renommiertesten deutschen Reportagepreis, den Egon-Erwin-Kisch-Preis, nominiert worden ist.
Der Tagesspiegel hat auch eine Reaktion des Spiegel eingeholt:
Der „Spiegel“-Ressortleiter für den Bereich Gesellschaft, Cordt Schnibben, erklärt, er gehe davon aus, dass es mehrere Fotos von unterschiedlichen Gefangenen gebe, die auf dieselbe Art und Weise gefoltert worden seien. Zur Bebilderung der Geschichte hätten ihm auch mehrere Fotos vorgelegen. Am heutigen Montag wolle er klären, ob bei der Auswahl ein Fehler unterlaufen sei.
Damit widerspricht Schnibben den Angaben auf salon.com, wo man davon ausgeht, dass alle fünf Fotografien des Kapuzenmannes einen anderen Gefangenen zeigen. Die Times hat am Ende eingestanden, dass salon.com richtig lag – mal schauen, wie es im Falle des Spiegels ausgeht.
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