Das Szenario um die nichtexplodierten Kofferbomben muss dramatisch gewesen sein – jedenfalls scheint der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe so gut informiert, eine fiktive „Augenzeugenschilderung“ zu geben. Tatsächlich aber bleiben zumindest um den Fund der Kofferbombe im Zug nach Hamm Unklarheiten.
In dem Artikel „Die Jagd auf Deutschlands Bahn-Bomber“ (Spiegel Nr. 34/06) schildern die Autoren das Szenario wie folgt:
„Auch potentielle Massenmörder achten auf Sauberkeit. Geradezu vorbildlich warf der junge Mann auf dem Kölner Hauptbahnhof seinen Abfall in den nach Wertstoffgruppen unterteilten Mülleimer – bevor er und sein Komplize ihre tödliche Fracht vom Bahnsteig in zwei Regionalzüge wuchteten.
Das war gegen Mittag, am Montag, dem 31. Juli. Um 14.40 Uhr sollten die beiden Regionalzüge ihr Ziel erreichen. Um 14.30 Uhr machte es klick. Niemand hörte es, und nichts geschah. Fast nichts. Außer dass Wecker in den Koffern schalteten, die Sprengsätze daneben aber nicht zündeten. In Sekundenbruchteilen hätten die Waggons sonst in Flamen gestanden. Zahlreiche Fahrgäste haben ihr Leben einem Konstruktionsfehler der Bomben zu verdanken.“
Nun lässt sich dieses Szenario recht einfach rekonstruieren aus den Angaben des Bundeskriminalamts (BKA), die auf der Pressekonferenz zum Thema gemacht wurden. Auch gab es dort die Video-Aufnahmen vom Kölner Hauptbahnhof zu sehen. Die Aussagen von BKA-Präsident Ziercke zum Tathergang sind zudem auf den Internetseiten des BKA abrufbar. Allerdings weist Ziercke dort auch auf den merkwürdigen Umstand hin, dass die Attentäter „eher schwach besetzte Züge“ auswählten und die „beabsichtigte(n) Explosionen und Brandausbrüche auf freier Strecke, jedenfalls nicht in den Endbahnhöfen Dortmund oder Koblenz“ geplant waren. Der Spiegel spekuliert:
„Dass die Brandsätze auf freier Strecke und nicht in einem Bahnhof gezündet wurden, kann heißen: Die Täter wollten größeren Schaden vermeiden – oder ganz im Gegenteil verhindern, dass Rettungskräfte schnell zu den Opfern gelangen könnten.“
In der Tat wäre aber zumindest die Kofferbombe im NRW-Express von Aachen nach Hamm laut Fahrplan ganz in der Nähe des Bahnhofs von Kamen explodiert. Dort hätte der Zug um 14.30 Uhr eintreffen sollen. Nur wo stand oder fuhr der Zug um 14.30 Uhr wirklich? Und wie wurde der Koffer mit der Bombe gefunden und gelangte dann in das Fundbüro im Dortmunder Hauptbahnhof?
Beim Spiegel heißt es verdächtig schwammig: „Um 14.40 Uhr sollten die beiden Regionalzüge ihr Ziel erreichen.“ Beim BKA liest man zum Auffinden des Bombenkoffers:
„Im Regionalexpress 10121 (Aachen-Hamm), wurde am 31.07.2006, gegen 14:45 ein Koffer/Trolley der Marke „e-go“ entdeckt.“
Tatsächlich ist der Koffer noch „vor Hamm entdeckt worden“ wie das BKA auf Nachfrage mitteilte. Der Zug hatte demnach also Verspätung und konnte nie um 14.40 sein Ziel erreichen. Wo aber war der Zug um 14.30 Uhr, als es „klick“ machte? Noch im Dortmunder Hauptbahnhof? Und wie kam der Bombenkoffer dann nach seinem Auffinden wieder nach Dortmund zurück? Der Sprecher des BKA wollte hierzu nichts weiter sagen mit dem Hinweis auf angebliche ermittlungstaktische Gründe.
Im Spiegel-Artikel heißt es bequem:
„Nach den Fehlzündungen landeten die beiden herrenlosen Koffer in der Gepäckaufbewahrung im Dortmunder und Koblenzer Hauptbahnhof.“
Immerhin erfahren wir aus einer Pressemitteilung des Generalbundesanwalts schon vom 1. August:
„Am 31. Juli 2006 wurde im Fundbüro des Hauptbahnhofes Dortmund ein herrenloser Koffer mit Sprengstoff abgegeben; ein Zugbegleiter hatte ihn in einem nach Hamm fahrenden Regionalexpress gefunden und zum Fundbüro des Hauptbahnhofs Dortmund gebracht.“
Es könnte also sein, dass der entsprechende Zugbegleiter einfach mit der nicht explodierten Kofferbombe in einem Zug in Gegenrichtung nach Dortmund zurückgefahren ist und dann den Koffer im Fundbüro abgegeben hat – was dann allerdings in einem gewissen Widerspruch zu den Aussagen eines Zugbegleiters steht, die Spiegel Online bereits in einem früheren Beitrag (2. August) zum Thema indirekt wiedergibt:
„Auch der Zugbegleiter ist nach dem Vorfall alarmiert. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung sehen, schließlich seien die Chefs ziemlich nervös. Gleichwohl beschreibt er offen, dass die Bahnmitarbeiter in einem Regionalexpress nicht sofort Alarm schlagen, wenn sie einen herrenlosen Koffer sehen. Man wisse doch nie, ob nicht jemand auf der Toilette sei. Erst wenn man mehrmals auf der Tour von vorne nach hinten einen Koffer sehe, melde man den Fund am nächsten Bahnhof.“
Nervös scheinen die „Chefs“ tatsächlich zu sein. Zumindest wollte die zuständige Kommunikationsstelle der Deutschen Bahn für Nordrhein-Westfalen auf Anfrage nichts zu dem Fund der Kofferbomben sagen. Es lägen auch keine Informationen dazu vor – was aus Sicht der Bahn doch etwas seltsam anmutet. Immerhin geht es ja auch um die Frage, wie künftig mit herrenlosen Fundstücken umgegangen werden muss. Im Artikel des Spiegels ist das Problem ebenfalls Thema:
„Außerdem fordert der Christdemokrat [Clemens Binninger] den schnellen Einsatz intelligenter Technik. So gebe es schon Kameras, die Gepäckstücke etwa auf Bahnsteigen automatisch identifizieren und Alarm schlagen, wenn diese längere Zeit nicht bewegt werden.“
Angesichts der vermutlichen Irrfahrt des Dortmunder Bombenkoffers eine ins Absurde gehende Forderung.
Fazit: Der Hergang des Geschehens um die Fahrt und den Fund der Kofferbomben ist noch nicht geklärt – auch weil das BKA ermittlungstaktische Gründe vorschiebt. Dennoch entwirft der Spiegel ein Szenario des Hergangs – aufgrund der Angaben des BKA.
Sorgen und Vorwürfe wegen der Bombenkoffer machen sich sicher alle diensthabenden Bahnmitarbeiter nebst ihren Chefs. Gehen wir als Optimisten einfach mal davon aus, daß es nette Menschen waren, die nichts Böses vermuteten, als sie die Koffer zur Fundstelle brachten. Das Glück war wohl am 31. Juli vielen Menschen hold!
Clemens Binninger hat sicher Recht mit dem schnellen Einsatz von Intelligenz. Nur muss es nicht gleich intelligente Technik sein. Es würde schon genügen, wenn ein Team von Sicherheitsexperten sämtliche Bahnmitarbeiter aus den betroffenen Bundesländern schult. Das Know How aus der Flugsicherung läßt sich sicher teilweise auch auf die Bahnsicherheit übertragen. Experten der Terrorismusbekämpfung sollten sich an einem solchen Schulungstag beteiligen. Zum krönenden Abschluß darf Herr Binninger dann seine intelligente Technik vorführen, austesten und zur Diskussion stellen. Das alles läßt sich in Universitäts – Hörsälen oder in einem Theatersaal in den betroffenen Bundesländern veranstalten, an einem Wochenende.
Hinterher sind alle schlauer, jeder hat neue, wichtige Kontakte für etwaige Rückfragen und weiß wie er sich verhalten muss.
Obendrein wurde erst mal viel Geld gespart für neue Technik. Die elektronische Kommunikation (Videoaufzeichnungen) haben sich ja bewährt; die internationale Kommunikation mit dem Libanon hat auch prima funktioniert. Jetzt kann die Kommunikation zwischen BKA, Sicherheitsbeauf-tragten, den Bahn- und ggf. Busmitarbeitern noch optimiert werden.
Auch kann das BKA eine Anlaufstelle für Bürger einrichten. Wohin soll sich ein Informatiker z. B. wenden, wenn ihm auffällt, daß sein Chef, Auftraggeber oder seine Kollegen regelmäßig radikale Videos und Propagandamaterial erstellen. Wohin kann ein besorgter Lehrer sich wenden, dem auffällt, daß ein friedlicher Muslim sich plötzlich zu einem radikal denkenden Menschen entwickelt, der nur noch Religion und Beten im Kopf hat. Das nächtelange Beten gehört zur Vorbereitung von Attentaten. Das tun z. B. die Selbstmordattentäter alle. Sie beten exzessive und bereiten sich innerlich auf die Tat vor. In den letzten Tagen vor der Tat werden sie auch von ihren „Kumpels“ nicht mehr aus den Augen gelassen. Es gibt typische Treffpunkte, an denen solche Attentäter „rekrutiert werden“, etc., etc., etc., kurz, die Bevölkerung sollte aufgeklärt werden. Seit Jahren haben Frankreich, England, USA und die Niederlanden Informationen gesammelt. Es ist längst möglich, eine Art Täterprofil an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Auch weiß man längst, daß Muslime, die einen herben Schock hinnehmen mußten (Bruder, Frau im Krieg verloren etc.) oder selbst gekämpft haben, für radikale Bewegungen besonders empfänglich sind, bzw. gefährdet sind.
Kein Staat muß sich „ahnungslos“ geben. Blindwütig jedem die Tür zu öffnen hat sich noch nie als sinnvoll erwiesen. Fragt nur die Alten und die Frauen!
Was die Presse angeht, auch Spiegel, sie haben alle ihre eigene Stilrichtung und politische Ausrichtung. Deshalb erwarte ich keinen Perfektionismus von einer Zeitschrift, sondern lese viele verschiedene Quellen, auch internatio-nale. Erst die vielen Einzelperspektiven ergeben ein ganzes Mosaik, meist erst, wenn die Ereignisse eine Zeit lang zurückliegen.
Gruß aus unserem schönen Vielgrenzenland
gibbs so wenig am spiegel zu kritisieren, oder warum passier hier nüschte mehr? hahahaha
Na, da muss wohl jemand dem Clemens Binninger mal sagen, dass solche Sachen sich auch bewegen können bzw. bewegt werden…
Der ganze Artikel war so mies und spekulativ, das man denken könnte George W. persönlich habe ihn geschrieben. Ich vermute mal, die beiden Bomben waren stümperhafte Knallchargen von zwei verwirrten Typen, und uns wird es so dargestellt als sei Deutschland in akuter Gefahr! Da ist es weitaus gefährlicher sich ins Auto zu setzen, jetzt mal ehrlich.
Eine sehr gute Kritik.
Die Bomben war extem gefährlich. Das hat die probeweise Zündung gezeigt. Es gab einen Riesenfeuerball. Die Bomben hätten die Züge während der Fahrt zum Entgleisen gebracht.
Offensichtlich gibt es im öffentlichen Personenverkehr a) keine Kontrollen b) ein völlig unkritisches Personal.
Grüsse, Simplicius
PS Über den Zug nach Koblenz habe ich bis heute keine genauen Angaben gefunden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Versuchte_Bombenanschl%C3%A4ge_vom_31._Juli_2006
Manchmal darf man auch laut fantasieren:
mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass diese ganze Story aus dem Drehbuch unserer freundlichen Regierung stammt (unterzeichnet bzw. genehmigt von W. Schäuble?).
Wieso lässt man Kofferbomben in halbleeren Zügen außerhalb von Bahnhöfen explodieren? Wieso nimmt man überhaupt Gasflaschen? Wieso macht man bautechnisch zweimal den selben Fehler?
Ok, es kann ein Hirngespinst sein. Die Täter können meinetwegen echte „Schläfer“ sein. Ebenso wäre aber auch denkbar, dass sich unsere Regierung eine nette Geschichte als Begründung für eine Anti-Terror-Datei oder eine bessere Überwachung ausgedacht hat. Möglich ist alles. Leider.
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