Ein Gastbeitrag von Jan Assmann (Emeritus am Seminar für Ägyptologie, Uni Heidelberg)
Sehr geehrte SPIEGEL-Redaktion,
der Artikel von Matthias Schulz, „Das Testament des Pharao“ erweckt durch verschiedene Zitate und ein in seinen Zusammenhang gestelltes Interview den Eindruck, weitgehend auf meiner Sicht der biblischen Religionsgeschichte zu basieren. Das ist jedoch in keiner Weise der Fall. Vor allem von drei Punkten, die meiner Sichtweise besonders krass widersprechen, möchte ich mich in aller Schärfe distanzieren:
1. Die anachronistische Verwendung des Begriffs „Jude“. Die Bibel spricht nie von „Juden“, sondern von Israel oder den „Kindern Israel“, wenn es um die Trägergruppe der von Mose vermittelten Religion geht, und die Wissenschaft trägt dieser terminologischen Sorgfalt Rechnung, indem sie von Israeliten oder Hebräern spricht. Von „Juden“ kann erst ab der Periode des II. Tempels (5.Jh.v.Chr.) und vom „Judentum“ im Sinne einer Religion neben Christentum und Islam erst ab der Spätantike (2./3. Jh. n.Chr.) die Rede sein. Die Juden sind daher nicht für die Entstehung, sondern, genau wie die Christen, nur für den Umgang mit der hebräischen Bibel verantwortlich, und da ist zu sagen, daß gerade deren humanisierender und die Haßbotschaften marginalisierender Umgang mit den biblischen Texten den anderen Religionen ein Vorbild sein kann.
2. Der Vorwurf des Religionsplagiats: „die Juden kupferten ab“, „ihre religiöse Pionierstellung haben die Juden damit eingebüßt“ usw. Einerseits halte ich dieses Einfluß- und Originalitätsdenken in der Religionsgeschichte für abwegig, und andererseits habe ich immer betont, daß es in meinen Augen zwischen dem exklusiven Sonnenkult Echnatons und dem biblischen Eingottglauben keinerlei kausale Beziehung gibt. Der eine beruht auf einer kosmologischen These (alles Sein kommt von der Sonne), der andere auf der politisch-theologischen Entscheidung, mit Einem Gott allein ein Bündnis nach dem Vorbild der orientalischen Staats- und Vasallenverträge einzugehen. Die beiden Phänomene haben nur eine strukturelle Parallele in der Verwerfung der anderen Götter. Aufgrund dieser Gemeinsamkeit sind sie im Nachhinein, z.B. bei Manetho und Josephus Flavius, in Verbindung gebracht worden.
3.Der Vorwurf des Priesterbetrugs: „mit allen Tricks“ gingen die „biblischen Mahner“ vor, „die Jahwe-Priester nutzten die Mose-Figur als Rammbock, um ihre Kultpläne durchzusetzen“, die „Mär vom Sinai“ beruht „zum größten Teil auf Propaganda und Fälschung“, „dabei entstand eine Camouflage, ein Märchenbuch“ usw.: das ist die Sicht der radikalen Aufklärung, die religiöse Phänomene nicht anders als in der Sprache des Priesterbetrugs behandeln kann. Nichts könnte meiner Sicht der Dinge ferner liegen.
Ich benutze die Gelegenheit, zu betonen, daß ich mich weder Franz Maciejewskis Interpretation des „Beschneidungstraumas“, noch Bernd Jürgen Diebners extremer Spätdatierung der biblischen Schriften anschließen kann. Riten, die im kulturellen Diskurs nicht verdrängt, sondern thematisiert und gedeutet werden, können meiner Meinung nach nicht traumatisierend wirken.
Prof. Dr. Jan Assmann, Konstanz
(Dieser Leserbrief ist vom SPIEGEL bisher nicht veröffentlicht worden)
Nachtrag 13. Januar: Die Welt veröffentlicht nun ein Interview mit Assmann. Der Interviewer Hannes Stein hatte bereits an Heiligabend Position bezogen.
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“Dieser Leserbrief ist vom SPIEGEL bisher nicht veröffentlicht worden.”
So lautet die Anmerkung der Redaktion zu Jan Assmanns nicht nur sachlich berechtigter, sondern sogar notwendiger Abgrenzung gegen den verfälschenden Monotheismus-Artikel im SPIEGEL 52/Dezember 2006. Die Vereinnahmung des Ägyptologen, Religionshistorikers und Kulturwissenschafters Assmann für populärwissenschaftliche und sensationsjournalistische Zusammenhänge hält seit seinem kontrovers diskutierten Buch “Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus” (2003) ungebrochen an. Seine präzisen Differenzierungen und profunden historischen Analysen werden allzu oft ins Banale und Eindimensionale heruntergezogen, ja ins Falsche verkehrt, ohne daß man ihrem Autor die Möglichkeit einer gedruckten Gegendarstellung einräumte.
Natürlich ließe sich nun einwenden, daß schon Freud mit seiner späten Schrift “Der Mann Moses und die monotheistische Religion” (1937-39) die alte “Wunde Moses” aufgerissen hat, an der wir noch lange zu laborieren haben werden. Allein die von Yerushalmi, Derrida, Bernstein und Maciejewski geführte Diskussion, zu der auch Assmann mit einem Buch und zahlreichen Aufsätzen sowie Rezensionen maßgeblich beigetragen hat, führt uns die eigentliche Komplexität des Monotheismus-Problems vor Augen. Dem sollte man allerdings gerecht werden – und die SPIEGEL-Abonnenten nicht unterschätzen!
Jan Assmann spricht/schreibt eine sehr klare Sprache. Und ich geniesse es von Herzen, ihm zuzuhøren/ ihn zu lesen… und zu versuchen ihn zu verstehen… mit den positiven aufklärerischen Lebensmotiven… die er offensichtlich zu haben scheint*
Und es tut wohl, zu bemerken wie im zivilen Raum eine Debatte entbrennt weil einige einseitige Geister nicht aufmerksam zuhøren und falschen Deutungen aufsitzen. Die Ereignisse in der Welt erzählen mir… dass Jan Assmann einem neuen Verständnishorizont dient (evtl ohne es selber zu wissen???) um die Welt toleranter, friedlicher und solidarischer zu machen..
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Zu Punkt 1. von Assmann: Die hebräische Bibel ist die Heilige Schrift der Judenheit. Juden haben sie als Geschichte des alten Israel geschrieben, die sich über weite Strecken nach Meinung der kritischen Forschung als Fiktion erweist. Das Verständnis der Judäer bzw. der Juden als „Volk Israel“ ist Teil dieser Fiktion. Die hebräische Bibel ist ganz überwiegend aus der Sicht Jerusalems und Judas verfasst und zusammengestellt worden. Ich halte die Einteilung, ab wann von Juden gesprochen werden kann, für Wortklauberei.
Die Bezeichnung leitet sich immerhin von Juda ab, welches mindestens seit dem 9. vorchristlichen Jahrhundert als selbstständiger Kleinstaat existierte. Daneben gab es bis 722 v. Chr. das bedeutendere Israel (Nordreich) mit einem Volk Israel. Erst mit dem Untergang des Nordreichs begann sich Juda als Nachfolger Israels zu betrachten, wobei dies zunächst nur theologisch gestützte politische Propaganda der Davididen war und realpolitisch nie verwirklicht werden konnte. Was übrig blieb und nach dem Untergang Judas in die Perserzeit gerettet werden konnte, war die theologische Seite dieses Anspruchs.
zu 3. Ich halte es für gut, dass auch im erfrischenden Stil heutiger Journalistik über dieses „große Thema“ geschrieben wird, selbst wenn über das Ziel hinaus geschossen wird und nicht die Fachtermini Verwendung finden, mit denen Theologen Lügen, Verfälschungen, prophetischen Betrug, Schreiben unter falschem Namen, Schuldzuweisungen, ethnozentrische Ausrichtung und religiöse Intoleranz bis zu Vernichtung verbrämen. Die andere Darstellung kennen wir seit 2500 Jahren, die Erklärungen der kirchentreuen Theologen seit vielen Hunderten von Jahren. Die Aufklärung ist schon längst Vergangenheit, und trotzdem muss man noch immer Mut aufbringen, eine Lüge als Lüge bezeichnen zu können, auch wenn sie in der Bibel steht.
Herr Assmann, der mich seit Jahrzehnten kennt, sollte wissen, dass ich nicht mit zweitem Vornamen „Jürgen“ heisse. – Meine „Spätdatierungen“ der TaNaKh-Schriften (Biblia Hebraica et Aramaica) sind nicht „extrem“, sondern äusserst vorsichtig. Weithin unkritisch sind die mehr oder weniger von der vorkritischen Tradition der AT-Forschung abhängigen und ziemlich haltlosen „Frühdatierungen“ des AT-Forschungs-Mainstreams, der sich erst seit den späten 60er Jahren des 20.Jh.s chronologisch etwas differenziert hat und dessen Spektrum heute in etwa die Breite des Nildeltas erreicht hat.
Heidelberg, 09.01.08
sehr geehrter herr gersthofer,
offenkundig haben Sie die theorie vom kulturellen gedächtnis nicht verinnerlicht, sonst wüssten Sie, dass herr assmann bzgl. seines dritten punktes überhaupt gar keine andere wahl hat.
insofern journalismus und medien dafür verantwortlich sind, wissenschaftliche erkenntnisse so zu gestalten, dass sie ins kulturelle gedächtnis unserer gesellschaft eingang finden können, plädiere ich sehr stark dafür, was herr assmann sagt. denn in diesem fall haben medien eine aufgabe. so erklärt sich u.a. auch die der aufklärung.
wenn Sie bei ihrer meinung bleiben, muss man Sie wohl zu den „radikalen aufklärern“ zählen, von denen herr assmann spricht. in diesem falle sind Sie mir jedoch – offen gestanden – genauso unlieb wie die priester, die das volk über jahrhunderte betrogen.
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