Klimawandel stellt Demokratie-Fragen

“Zeit für eine Revolution” überschreibt der Spiegel 7/2007 (86 ff) seinen ersten Titel-Beitrag “Verheizte Energie – Das Mega-Kraftwerk zu Hause: sparen!”. Darin fassen die Autoren Philip Bethge und Christian Wüst recht knapp noch mal die viel diskutierte Dramatik des “Klimawandels” zusammen. Es geht um eine “Wegscheide”.

Vor über anderthalb Millionen Jahren startete der Mensch das energetische Großexperiment mit der Zähmung des Feuers. (…) Nun geht es wieder ums große Ganze: Will der Mensch seinen Siegeszug auf der Erde fortsetzen, steht die Abkehr von fossilen Energieträgern auf der Agenda.

Der Spiegel typische Sprachmumpitz ist hier weniger verzeihlich als sonst oft, weil im Sprachkleister das Wesentliche erstickt. Kein (und schon gar nicht der) Mensch startete damals ein Experiment (wer will es jemals für wen warum auswerten?), und wer einen Siegeszug beschreibt, sollte vor Augen haben, wer da über wen obsiegt. Es ist die übliche Verquastung recherchierbarer Fakten. 85 Milliarden Dollar könnte der Investitionsmarkt für regenerative Techniken “in einigen Jahren” erreichen, der Primärenergiebedarf ließe sich in Deutschland um 40% reduzieren, fast 15 Prozent legen die Contractoren jährlich zu, die Energieeffizienz gemessen als “Primärenergieverbrauch je einer Milliarde Dollar Bruttoinlandsprodukt in Millionen Tonnen Steinkohle-Einheiten” sieht in Russland besonders schlecht und in Brasilien recht gut aus, Häuser müssen nicht immens Energie verbrauchen, sie können sogar unterm Strich Energie gewinnen, “60 Prozent der Bürger ist gar nicht bewusst, dass ihre Öl- oder Gasheizungen überhaupt Strom verbrauchen”, 600 bis 700 Milliarden Euro jährlich ließen sich in Europa sparen, wenn die Baudezernate auf die richtigen Leuchtmittel setzten, Energiesparen spart immer auch Geld usw. Alles wichtig, alles berichtenswert.

Und doch bleibt die wirklich große Frage ungestellt: Wieso müssen wir uns heute mit dieser “längst überfällige(n) Energiewende” befassen? Wie kann es sein, dass uns in einem Revolutions-Artikel in Wort und Bild eine katastrophal Entwicklung aufgezeigt wird, die Schritt um Schritt politisch moderiert und journalistisch begleitet worden ist, ohne dass jemals nach Revolution gerufen wurde?

Vor allem der zweite Spiegel-Beitrag (“Die beste Energie: Sparen”) zeigt, dass nicht die viel beschworene Steinzeit neu aufleben muss, wenn Menschen ihren Planeten etwas weniger ruinieren. Schon heute liegen dafür, ohne große politische Aktivitäten, genügend taugliche Konzepte vor. Doch ebenso deutlich zeigt der Spiegel – wohl eher unbeabsichtigt: ob die Politik die nötigen Schritte geht, ist mindestens äußerst zweifelhaft, die Empirie spricht entschieden dagegen.

Die wirklich revolutionäre Frage wäre, klassisch formuliert: Wie konnte es überhaupt erst soweit kommen? Der Energieerhaltungssatz wurde erstmals 1842 formuliert, die erste Ölkrise gab es 1973 – es ist ja nicht so, als ob Umweltzerstörung eine brandneue Entdeckung wäre. Ganz offenbar haben wir heute ein massives Problem, über dessen Ausmaß zwar noch gestritten wird, aber das – auch für den Spiegel – evident ist. Folglich haben die “Regelungsmechanismen” in der Vergangenheit offenbar unzureichend funktioniert.

Wir hatten fast sämtliche Regierungskonstellationen und -formen in Deutschland, quasi alle Wettbewerber des politischen Machtkampfs hatten ihre Chance. Und der Politik ist alles angereicht worden, was sie brauchen könnte – von Industrie- und Naturschutzlobbyisten, von Wissenschaftlern, von den Medien, von den Bürgern. Das einzige, was fehlte, waren klare Entscheidungen – zukunftsfähige Entscheidungen.

“Der Klimawandel ist auch eine Chance”, zitiert der Spiegel Peter Hennicke, Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Wenn damit nicht die Binse gemeint ist, dass auch Gewinner sein müssen, wo Verlierer turnen, – dann kann es nur um die Chance einer grundlegend neuen Politik gehen. Da kein einziges Politik-Thema, über das der Spiegel aktuell berichtet, vom Himmel gefallen ist, sondern von der Politik selbst geschaffen, zumindest aber bearbeitet wird, die (Zwischen-) Ergebnisse aber Woche für Woche einen ganzen Spiegel mit kritischen Anmerkungen füllen, ist die Politik an sich das Thema. Auch dazu wurde schon viel geschrieben, geforscht, diskutiert: Welche Rahmenbedingungen es braucht, damit politisch Handelnde auch Verantwortung tragen, wie “der Bürger” zu Wort kommen kann, wie überhaupt Zukunftsentscheidungen für das Gemeinwohl getroffen werden können. Im Spiegel geschieht dies nicht, obwohl er gerade mit diesem Titelthema Pflichtblatt dafür gewesen wäre.