Wer nicht ankommt, menschenraubt

Psychoanalyse ist ein altes Hobby der Spiegel-Gerichtsreporterinnen. Gegen persönliche Standpunkte zu Anstand und Moral ist dabei nichts einzuwenden, wenn man sie erkennen kann. Aber was Barbara Hardinghaus unter dem Titel “Der Fremde” im SPIEGEL (34/2007) abgeliefert hat, ist Hamsterkacke.

Ihre Karriere lässt vermuten, dass es sich um eine Reportage handeln sollte. Aber eben nicht so eine im alten Stil: ich gehe hin und schaue und erlebe – sondern: ich frage Leute, lausche einer Gerichtsverhandlung, lese Dokumente, und dann stelle ich das alles lebensecht dar.

“Um 10.16 Uhr, kurze Zeit später, viereinhalb Stunden nachdem die Familie die kleine Siedlung verlassen hatte, stand die Polizei vor der Tür. ‘Nicht böse reden, nicht schlagen, nicht schimpfen’, sagt Muharrem E.”

Worum es geht? Ein Vater ist mit der Liaison seiner Tochter nicht einverstanden. Da sie bereits ausezogen ist, greift er sich, unterstützt von seinem Sohn, ihren Geliebten. Der jedoch entkommt – und Vater, Sohn und Mutter stehen vor Gericht und werden wegen “Erpresserischem Menschenraub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung” verurteilt, zu 3,5 und 3,25 und 1,5 Jahren.

Aber darum geht es kaum. Es geht um die Psychoanalyse des Vaters. Schon im Vorspann erfahren wir, dass “der Türke Muharrem E. wie ein besserer Deutscher in München” gelebt hat, 34 Jahre lang. Was man hier noch für einen Patzer des Spiegel-Prozesses halten mag, entpuppt sich aber über die nächsten vier Seiten als zentrale Aussage: der Täter war nicht deutsch genug, um kein Täter zu werden.

Muharrem hat lange alles richtig gemacht, war freundlich, witzig, er hat – wie Hardinghaus sagt – “lange in diesem Land funktioniert”. Doch dann eben plötzlich nicht mehr. Nicht etwa, weil er einen normalen Schuss hatte, wie das bei Deutschen angenommen werden darf, die ihre Kinder aus dem Fenster werfen, Ziegen fickenoder bekloppte Mitmenschen aufessen, sondern weil er sich erfolglos bemüht hat, “in Deutschland anzukommen”. Doch das hat nicht geklappt. Obwohl er “nicht ein einziges Mal bei Rot über die Ampel gefahren” ist.

Damals, so Hardinghaus, galt er noch “als der gute Ausländer”. Doch dann bricht alles zusammen. “Der bessere Deutsche wird zum gescheiterten Ausländer.”

Dazwischen stehen Sätze, die man für Bullshit halten oder mit dem nächsten Theodor-Wolff-Preis auszeichnen mag, wie etwa:

“Sascha sagt, es gehe ihm gut jetzt, auch Fatma sagt, es gehe ihr gut jetzt und dass sie ihren Vater sehr liebe, trotz allem.”

Aber es bleibt die Psychoanalyse:

“Wenn er [der ehemals bessere Deutsche] in drei Jahren das Gefängnis verlässt, wird er da stehen, wo er stand, als er nach Deutschland kam, am Anfang.”

5 Gedanken zu „Wer nicht ankommt, menschenraubt

  1. Duden

    Mag eine Korinthe sein – aber am Münchner Landgericht, also im Strafjustizzentrum an der Nymphenburgerstraße, wo der Prozess stattgefunden hat, gibt es keinen Gerichtssaal B 309. Die Gerichtssäle sind im ersten und zweiten Stock und entsprechend nummeriert. “B 309” müsste also ein Büro im dritten Stock sein.

    [SpKr zur Erklärung: Im SPIEGEL-Artikel heißt es: “Es sind nur eineinhalb Meter, die jetzt in Raum B 309 des Münchner Landgerichts zwischen dem Vater und seiner Tochter liegen, äußerlich sind sie getrennt …]

  2. Manuela

    Das Deutschtum ist inzwischen Programm beim Spiegel. Aktueller Titel: “Die gelben Spione”. Die ham doch einfach einen Knall, oder?

  3. zororoaster

    Diese Kritik ist totaler Unsinn und wird dem Text in keiner Weise gerecht. Der hat überhaupt nichts von Deutschtum (wie absurd, das hineinzulesen!). Das ist eine hervorragende, einfühlsame Geschichte. (Übrigens auch keine Gerichtsreportage, denn die Autorin hat offensichtlich nicht nur Akten studiert, sondern sowohl mit dem Opfer, als auch mit zwei der Schwestern gesprochen.)

    Wenn man die Geschichte gelesen hat und dann diese “Kritik” sieht, kann man wirklich nur Böswilligkeit unterstellen.

    Darin wird die Geschichte einer Tat erzählt, die in München für Aufregung gesorgt hat – bayrische Politiker und Medien nahmen sie als Beleg für eine missglückte Integration.
    Die Autorin streicht nun aber heraus, dass es so einfach nicht ist, weil der Haupttäter 34 Jahre lang scheinbar gut integriert hier gelebt hat, zuverlässig, immer pünktlich bei der Arbeit, wie es die Deutschen mögen. “Ein besserer Deutscher”, so sahen seine Arbeitskollegen ihn.
    Und wie dieser Mann dann, wo es um seine Tocher geht, die einen Deutschen heiraten will, in die archaische, patriarchalische Welt seines Dorfes zurückfällt und den Deutschen entführt und bedroht und wie dadurch die ganze Welt dieser heilen Familie plötzlich zusammenbricht. Wie dieser Mann in der Fremde plötzlich scheitert, nachdem er doch geschafft zu haben schien. Wie er das alles mit einem Schlag zerstört. Jetzt ist er für die Außenwelt plötzlich nicht mehr “der gute Ausländer” – jetzt ist er plötzlich “der gescheiterte Ausländer”.

    Dieser Text stellt in allen Einzelheiten dar, wie dieses Familiendrama sich abspielte. Sie stellt einen Vater und seinen Sohn dar, die hin- und hergerissen sind zwischen den Werten ihrer neuen und ihrer alten Heimat. Eine tolle Reportage.

    Und wenn etwas Hamsterkacke ist, dann diese ideologisch verblendete und intellektuell unterbelichtete Keiferei. Oder besser: pawlowsche Beißerei.

  4. anonym

    schön das alle wieder in einen topf geworfen werden. rastet ein deutscher aus dann is das ne ausnahme machts ein türke oder besser gesagt moßlem dann sind gleich alle menschen so. ich bin selbst türke und bestreite gar nicht das so was passiert. aber nich jede türkische familie würde sowas machen. meine eltern leben seit 37 jahren in deutschland und wir sind 6 geschwister. alle von uns gehn arbeiten und haben einen festen platz in der gesellschaft.ich gehe noch zur schule. bei uns in der familie würde sowas niemals passieren auch wenn meine eltern religiös sind ist ihnen das wort menschenrechte bekannt. nicht jede türkische familie würde so etwas machen. ich habe jetzt eine neue freundin und liebe sie wirklich. ihre mutter hab ich schon kennengelernt und sie war bis jetzt immer nett. ihren vater konnte ich leider noch nich kennen lernen und trotzdem binich etwas enttäuscht von ihm, denn er hat diesen artikel in seiner tochter in die hand gedrückt und und gemeint sie solle es lesen. als ich dann das letzte mal da war sah sie sehr bedrückt aus als ich sie fragte was los sei wollte sie es mir erst nicht sagen. später gab sie mir den ausschnitt und sagte das ihr vater es ihr gegeben hätte. ich brauchte es nichma ganz zulesen um zu begreifen was der vater ihr damit sagen wollte. ich brach in gelächter aus und erklärte meiner freundin das ioch nich so erzogen bin und das so etwas sicher nich passieren wird. ich bin enttäuscht das ich von ihrem vater von anfang an als “der fremde” gelte und das er sich kein eigenes bild von mir gemacht hat. ich freue mich schon ihn kennen zu lernen um ihm zu zeigen das man nicht alle in einen topf werfen kann.

  5. Thorsten

    Kann mich nur Zororoaster anschließen – der Artikel hat mit Deutschtümelei nichts zu tun, und dieser Kommentar hier erscheint mir auch als eine durch und durch böswillige Mißinterpretation (von dem Link auf diesen verqueren Halte-nicht-bei-Rot-Artikel ganz zu schweigen).

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