Die Tagesschow beim Spiegel (2): Kinder, Sex und Bischof Algermissen

Katholische Kirche und irgendwas mit Sex – das löst bei den meisten Journalisten einen Kolportage-Reflex aus. So entsteht ein Fluss von jedem beliebigen Ort der Welt über Nachrichtenagenturen und hoch-selektive Redaktionen bis hin zu jedem Zeitungsrohr und Laptop dieser Welt. Nach päpstlichen Überlegungen zur Verhütungsfreigabe, diversen Kinderfickern und einem schwulen Kurienprälaten haben wir aktuell mal wieder einen unerträglich verstaubten deutschen Bischof: Heinz Josef Algermissen, Fulda. Dem gefällt nämlich das Kinder-Aufklärungsstück “Nase, Bauch und Po” nicht, weshalb er “zum Boykott” aufrief bzw. den katholischen Kindergärten untersagte, die Aufführung zu besuchen, wie es in anderen Veröffentlichungen heißt.

Doch warum um alles in der Welt sollte das jemanden außerhalb von Fulda interessieren? Welche Relevanz hat die Nachricht, dass ein 64-jähriger katholischer Priester in leitender Funktion ein Kindertheaterstück missbilligt, das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gefördert wird? Keine natürlich, absolut keine – es sei denn, die Medien stricken sich selbst eine. Und das tun sie – mit den üblichen verheerenden Folgen.

Das Stück an sich ist immerhin so belanglos, dass es Spiegel(-Online) in den vier Jahren, die es bereits gespielt wird, keine einzige Erwähnung wert war. Keine große Feuilleton-Kritik, keine Panorama-Schote, kein Matussek-Kulturtipp. Und auch anlässlich der bundesweiten Bedeutung, die das Theater plötzlich von den Medien unisono zugewiesen bekommt, macht sich (bisher) niemand auf, das Stück selbst in Augenschein zu nehmen und dem entfernt wohnenden Publikum zu erläutern, um was es da eigentlich geht, wie es dargestellt wird etc. Eine Online-Redaktion behilft sich mit Online-Angeboten.

Und rührt sich dann ihr Nachrichtensüppchen zusammen, für das die Rezeptur nach dem Stichwort “Skandal” recht geläufig ist. Neben aufgebrachten Eltern und verständnislosen Fachleuten braucht es – Politiker. Denn die können immerhin zu allem etwas sagen und geben dem Ganzen Herrschaftsbedeutung.

Die Rolle übernehmen die hessischen Grünen. “Monsignore Algermissen ist offensichtlich noch nicht in der Gegenwart angekommen”, sagte Landeschefin Kordula Schulz-Asche.

Dieses Spiel läuft jedes Mal. Immer. Wir hatten es gerade zwischen der unsäglichen Claudia Roth (glaubt kein Mensch, dass die mal Ton Steine Scherben gemanagt hat) und dem vermutlich auch unsäglichen Walter Mixa. Simulacrum eben, wie van Rossum es nennt: eine einzige große Inszenierung.

Und es entsteht eben jene Medienirrealität, für die es einen eigenen Kosmos brauchte, wollten wir sie überleben. Stattdessen aber haut sie uns ihre Konstrukte vor die realen Füße.

Bischof Algermissen findet seit seiner Amtseinführung im Jahre 2001 bei Spiegel-Online fünf Erwähnungen: Es beginnt am 10. Juli 2002:

Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen bestätigte am Mittwoch, “dass die Bischofskonferenz über das katholische Büro in Berlin und ihr Sekretariat deutlich bei der CDU/CSU-Führung interveniert hat”. Die unverheiratete Mutter Reiche ist im Stoiber-Team für die Familienpolitik zuständig.

(Oh ja, erinnert sich noch jemand an Katherina Reiche, die damals zur Politikinszenierung gehörte und seit 1998 bis heute im Bundestag sitzt?)

Am 7. August 2003 gibt Algermissen das “Zitat des Tages”, weil er – offenbar zur großen Verwunderung der Redaktion – staatlichen Islamunterricht befürwortet. Am 13. April 2006 erfahren wir, dass er gegen “Popetown” ist, und dann kommt schon der 24. Oktober 2007 mit seinem Protest gegen das Aufklärungstheater und gestern wird die Story dann für die Weltöffentlichkeit auch noch ins Englische latriniert. Das war’s mit Algermissen bei SpOn (im Print-Spiegel findet sich bisher keine einzige Notiz).

Keine Erwähnung seiner aktuellen Halloween-Kritik, keine Erwähnung einer Predigt, nichts von dem, was er als Bischof so den lieben langen Tag tut, schon gar nichts, was im engeren Sinne kirchlich wäre und wofür er als Chef des Bistums stehen könnte – Gottesdienste, die Begleitung der Mitglieder von der Geburt bis zum Tod, Jugendarbeit, Kindergartenarbeit, Seniorenbetreuung, Bildungsangebote, weiß der Kuckuck was – nichts davon interessiert Spiegel-Online. Es interessiert einzig und allein, dass ein alter Mann irgendwas gegen Sexualaufklärung gesagt hat. Und genau damit entsteht die Medienirrealität.

Die grüne Kordula Schulz-Asche findet sich übrigens im gesamten Spiegel-Online-Archiv kein einziges Mal – bis auf ihren “Monsignore Algermissen”-Geistesblitz nun. Wir werden also nach publizistischen Maßstäben mit absolut irrelevanten Personen zu einem absolut irrelevanten Kindertheaterstück drangsaliert. Da darf man schon fragen: Wozu?

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