Ein Leserbrief von Richard Jecht
Möglich, daß sich nach den Jahren der „Reformwut“ auch beim SPIEGEL Ernüchterung breit macht; daß man jetzt erst mal durchatmet und in durchaus selbstkritischer Distanz registriert, was man in der Vergangenheit so alles an Umgestaltungen mitverursacht hat. Möglich aber auch, daß die Magazinverantwortlichen bereits jetzt die nächste interne „Reformrunde“ eingeläutet haben und die Redakteure und Autoren dazu anhalten, auch weiterhin und vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2009 noch mal so richtig Stim-mung zu machen.
Gegen notwendige Reformen ist ja auch gar nichts einzuwenden, solange sie von langer und berufener Hand geplant und umsichtig durchgeführt werden – doch genau das Gegenteil war und ist ja offenbar der Fall, wie man dem Artikel „Die Studenten-Fabrik“ im SPIEGEL Nr. 18 / 2008 mit Staunen und Unbehagen entnimmt. So hat die deutsche Bildungspolitik das Hochschulsystem gleichsam über Nacht „bachelorgerecht zusammengestaucht“ und überläßt es den Lehrenden und Studierenden, die daraus unweigerlich entstehenden Organisationsprobleme aufzufangen und zu meistern – wie schon bei der vorangegangenen Schulreform.
Daß man bei einer derart sensiblen Sache wie der Umgestaltung des Hochschulsystems derart brachial und schnell vorging, „… waren ja nicht zuletzt Wünsche aus der Industrie gewesen, die den Bologna-Reformern als Ansporn dienten: Zu alt und zu praxisfern seien die Uni-Absolventen, pflegten Personalchefs zu klagen. Der Wechsel zum Bachelor und Master müsse ‚so schnell wie möglich erfolgen‛, drängelten die Personal-vorstände von 22 großen deutschen Unternehmen in einer gemeinsamen Erklärung vor zwei Jahren.“ Zitat Ende.
Da man beim „Deutschen Nachrichtenmagazin“ besonders lautstark für Reformen Partei ergriffen hat und daher eine gewisse Mitverantwortung an den aktuellen Entwicklungen (nicht nur) im Hochschulsystem nicht leugnen kann: schon möglich, daß man sich deshalb mit Kritik vorerst zurückhält und das weitere Procedere erst mal abwartet, – aber mit Journalis-mus hat das alles halt schon gar nichts mehr oder genau so viel zu tun wie die Umgestaltung des Hochschulsystems mit der Förderung einer unabhängigen Forschung und Wissenschaft. Deutschland, das „Land der Dichter und Denker“? Der Begriff taugt jetzt nicht mal mehr für das Marketing der Hochschulen.