Ein Kommentar von Tilo Hartmann
Spiegel-Online schreibt im Beitrag Erpressung sorgt für Aufregung in Milliardärsfamilie Quandt unter anderem:
Aus Ermittlungsakten der italienischen Polizei, die mit deutschen Kollegen aus München kooperierte, geht demnach hervor, dass sich die Mutter dreier Kinder mit dem
Schweizer Helg Sgarbi, 41, regelmäßig in Luxushotels getroffen haben soll. […] Bis jetzt sei die Identität der betrogenen Unternehmerin von der Staatsanwaltschaft geschützt worden, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Aber in den vergangenen Tagen sind sowohl Ermittlungsergebnisse als auch Inhalte der Protokolle in der Öffentlichkeit aufgetaucht. […] Dass Susanne Klatten nun derart in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, dürfte für die Unternehmertochter einem demütigenden Alptraum gleichkommen.
Es stellt sich die Frage, warum SPIEGEL-Online (ebenso Sueddeutsche.de) einen großen Beitrag über den Fall publiziert und diesen auch prominent auf der Homepage verankert, wenn explizit im Artikel darauf eingegangen wird, dass die so enstehende Öffentlichkeit für Frau Klatten „einem demütigenden Alptraum gleichkommt“. Die Persönlichkeitsrechte von Frau Klatten sind von der Staatsanwatschaft in der Sache eigens geschützt worden. Wieso setzen sich nun Journalisten darüber hinweg? Ich sehe nicht, inwiefern die Berichterstattung dazu dient, ein „öffentliches Problem“ oder einen „öffentlichen Missstand“ zu erhellen – worin ja eine der Kernaufgaben journalistischer Tätigkeit liegt. Worin liegt also die moralische (oder gar rechtliche) Rechtfertigung, den Beitrag zu veröffentlichen? Frau Klatten ist sicher (als offensichtlich medienscheuer Mensch) nicht als eine Person des öffentlichen Interesses zu definieren (anders als Prominente, die auf die Medien selbst zum Aufbau und zum Erhalt ihres Prominenten-Status zurückgreifen müssen). Vielmehr drängt sich abermals das Bild des Medienprangers auf: Es macht Spaß zu sehen, wie ansonsten gut betuchte Menschen scheitern und erniedrigt werden. Das ist recht animalisch und sicher kulturlos, aber psychologisch durchaus nachzuvollziehen. Eine moralische Rechtfertigung ist es freilich nicht.
Offensichtlich werden dann also für die Veröffentlichung einer durchaus spannenden und unterhaltsamen Kriminalgeschichte, die sicher viele Leser (mich übrigens eingeschlossen) interessiert, konkrete psychische Verletzungen eines betroffenden Menschen (Scham- und Schuldgefühle, Reputationsverlust, Ehrverletzung, sozialer Ausschluss von Frau Klatten) in Kauf genommen. Die Auswirkungen auf die Kinder von Frau Klatten sind ebenfalls als Schaden zu verbuchen. Diese Verletzung geschieht durchaus als bewusstes journalistisches Handeln, wie der SPIEGEL-Online-Beitrag ja selbst zugibt. Aus den genannten Gründen ist die Veroeffentlichung meines Erachtens moralisch zu verurteilen; es handelt sich um ein Beispiel verfehlter journalistischer Praxis.
Ich persönlich kann das nur auf zweierlei Art deuten: Erstens sehe ich hier die aus Paparazzi-Gewerbe und BILD-Schlagzeilenmache bekannte billigende Inkaufnahme verletzter Persönlichkeitsrechte zum Zwecke der Aufmerksamkeitssteigerung bzw. eigenen Umsatzsteigerung (höhere Einnahmen); zweitens vermute ich eine unterentwicklte kritische Selbstreflexion der beteiligten Journalisten, die doch nach der notwendigen sorgfältigen Abwägung eigentlich nicht umhin könnten, den Erhalt der Würde der betroffenen Person einer (in diesem Fall ja unsinnigen) Unterrichtung der Öffentlichkeit vorzuziehen.
Was noch einmal zurück auf SPIEGEL-Online fuehrt: Wo kritisiert sich das Angebot denn eigentlich generell einmal selbst? Seine Aufgaben, seine Zwänge, seine erklärbaren Verfehlungen? Es folgt doch einem intuitiven moralischen Verständnis, dass der Kritisierende sich
auch selbst in seine Kritik einbezieht, um auf Dauer glaubwürdig zu bleiben. Bei Spiegel-Online muss man nach diesem Glaubwürdigkeitsbeweis mit der Lupe suchen (andere Organe, wie z. B. die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, betreiben die Selbstbeobachtung und Selbstkritik weitaus geübter und pflichtbewusster).
Tilo Hartmann
Assistant Professor
Department of Communication Science
Center for Advanced Media Research Amsterdam
VU – Free University Amsterdam
De Boelelaan 1081
1081 HV Amsterdam
Dann seid so nett und kürzt doch wenigstens in diesem Artikel den Nachnamen der Frau ab. Ansonsten ist das doch ein bisschen kurios.
„Frau Klatten ist sicher (als offensichtlich medienscheuer Mensch) nicht als eine Person des öffentlichen Interesses zu definieren…“
Na das ist aber eine sehr seltsame Definition. Also ob es davon abhinge ob jemand gerne in den Medien ist oder nicht. Frau Klatten ist die reichste Frau Deutschlands, kontrolliert ein Firmenimperium, hat eine eigene Stiftung und ist eine der größten Parteispenderinnen. Natürlich ist sie eine Person öffentlichen Interesses.
… der Autor schreibt allen Ernstes: “Frau Klatten ist sicher (als offensichtlich medienscheuer Mensch) nicht als eine Person des öffentlichen Interesses zu definieren”.
Was ist denn das für eine merkwürdige Auslegung des juristisch relevanten Begriffs? “Person des öffentlichen Interesses” ist man als BMW- und Altana-Hauptaktionär ganz automatisch, ob es einem nun paßt oder nicht. Und daß die Quants so öffentlichkeitsscheu sind, wird wohl nicht zuletzt auch an der Herkunft ihres Vermögens liegen, was erst jüngst durch die preisgekrönte ARD-Doku “Das Schweigen der Quants” enthüllt wurde.
Ich habe großen Respekt vor Susanne Klatten. Natürlich ist es tragisch, als reichste Frau Deutschlands in eine so unappetitliche Situation verwickelt zu werden. Doch sie hat Mut bewiesen, gerade weil ihr von Anfang an klar sein mußte, daß der Fall durch ihre Anzeige öffentlich wird. “Süddeutsche” und “Spiegel” waren in diesem Fall nur schneller als die meisten anderen Medien. Aber selbstverständlich hatten sie ein Recht darauf, darüber zu berichten – auch in dieser Form. Und das Verlangen, den Namen abzukürzen, ist lächerlich. Es wird ja auch nicht von den “Gebrüdern A.” geschrieben, wenn es um die Aldi-Inhaber geht, dabei sind diese bekanntlich noch viel öffentlichkeitsscheuer.
Wer hier vielleicht Sonderwürste für Milliardäre fordert, sollte das auch klar zum Ausdruck bringen und nicht um den heißen Brei herumreden. Nach wie vor tut es mir um jeden einfachen Bürger mehr leid, der von den Medien ohne Einwilligung in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Aber da Lieschen Müller und andere Opfer nun mal nicht über 13 Milliarden Privatvermögen verfügen, würde ihr Fall auch “Spiegelkritik” nur eine “Korinthe” wert sein, während man bei Frau Klatten gleich so tut, als hätte sich ein Abgrund aufgetan, was den Schutz der Privatsphäre betrifft.
Gruß Ben
… jetzt muß ich auch mal den Korinthen-Schieter geben *g*, erstaunt es mich doch, daß einen Tag nach meinem Beitrag plötzlich ein weiterer zu lesen ist, der exakt dasselbe Zitat moniert, aber offensichtlich vordatiert wurde, so daß es jetzt so wirkt, als hätte ich die Kritik von John Smith in bezug auf “Person des öffentlichen Interesses” einfach nur wiederholt, was nun gar nicht meine Art ist.
Zwar sehr merkwürdig, aber egal, Schwamm drüber. Immerhin: Wenn zwei Leuten, offenbar unabhängig voneinander, dasselbe auffällt, zeigt es einmal mehr, daß der Autor in diesem Punkt wohl falsch liegt.
Gruß Ben
Anmerkung der Redaktion: Nein, da wurde nichts vordatiert, „John Smith“ hatte vor dir kommentiert, aber erst später auf die Absenderprüfung (die wir bei Erst-Kommentaren durchführen) reagiert, so dass er erst nach dir freigeschaltet wurde. Du konntest demnach seinen Kommentar nicht lesen, als du deinen eingetragen hast.
Ich finde die Antworten gut, und moechte noch 2 Dinge ergaenzen oder differenzieren.
“Frau Klatten ist sicher (als offensichtlich medienscheuer Mensch) nicht als eine Person des öffentlichen Interesses zu definieren”. — Ich bin kein Medienjurist (sonder Medienpsychologe) und, ja, eingesehen, da bin ich wohl in der Defensive mit meinem Argument. Allerdings erscheint es mir schon etwas problematisch, dass man nicht kraft eigenen Willens zu einer Person des oeffentlichen Interesses wird, sondern in diese Rolle hineingeboren werden kann – oder durch andere Umstaende in die Rolle gebracht werden kann (gut erläutert findet sich das unter: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2001/723/pdf/muench.pdf).
Denn, wenn ich die Sache richtig sehe, verliert man als öffentliche Person, indem Medien ohne Einwilligung Details aus der Privatsphäre – im vorliegenden Fall wohl sogar aus der Intimsphäre – an die Öffentlichkeit geben dürfen, schon einen Schutz, den man als für die Öffentlichkeit uninteressante Person geniesst. Ob solche Veröffentlichungen stets im Interesse der Allgemeinheit erfolgen, möchte ich bezweifeln. Gerade im vorliegenden Fall fällt es mir schwer, zwischen dem Liebesleben von Frau Klatten und ihrer öffentlichen Rolle als Milliardärin oder Parteispenderin einen Zusammenhang zu sehen. Eine durch Medien erzwungene Preisgabe der Privatsphäre erscheint doch nur dann lauter, wenn sie den durch die Gesellschaft den Massenmedien zugewiesenen Aufgaben dient. Inwiefern kommen die Massenmedien mit dem Bericht über Frau Klatten aber ihrer Aufgabe nach, die Öffentlichkeit in die Rolle des kritischen Beobachters zu versetzen? Schaut man noch einmal in de Urteilsbegründungen zum Caroline-Urteil, insbesondere in die Begründung des EGMR (http://de.wikipedia.org/wiki/Caroline-Urteil bzw. http://www.echr.coe.int/eng/press/2004/june/chamberjudgmentvonh), dann findet sich eine ähnliches Argument: „The Court considered that the decisive factor in balancing the protection of private life against freedom of expression should lie in the contribution that the published photographs and articles made to a debate of general interest.“ Ich sehe im vorliegenden Fall nicht, welche öffentliche Debatte (debate of general interest) mit dem Bericht angestoßen werden sollte. Um es in den Worten des EGMR-Urteils zu sagen: „while the general public might have a right to information, including, in special circumstances, on the private life of public figures, they did not have such a right in this instance.“
Zudem scheint mir eine Erklaerungsalternative viel plausibler: Spiegel Online wollte mit dem Beitrag Quote machen, den Klatsch und Tratsch, insbesondere über prominente Figuren, erregen Aufmerksamkeit. Die vorgenommene Güterabwägung war dann letztlich, den Erfolg der eigenen Website höher zu stellen als den Schutz der Privatsphäre von Frau Klatten (und nicht etwa die Güterabwägung, den Schutz der Privatsphäre von Frau Klatten anzutasten um die Öffentlichkeit in die Rolle eines kritischen Beobachters zu versetzen und eine gesellschaftliche Debatte anzufachen).
„Aber da Lieschen Müller und andere Opfer nun mal nicht über 13 Milliarden Privatvermögen verfügen, würde ihr Fall auch “Spiegelkritik” nur eine “Korinthe” wert sein, während man bei Frau Klatten gleich so tut, als hätte sich ein Abgrund aufgetan, was den Schutz der Privatsphäre betrifft.“ — Hier möchte ich widersprechen; es geht ja nicht um Frau Klatten als Einzelfall, sondern um das offensichtlich noch immer nicht ganz geklärte generelle Prinzip, inwiefern die Öffentlichkeit in die Privatsphäre eines Menschen eindringen darf. Denn eines ist ja deutlich: es verletzt eine Person, wenn unangenehme oder sozial geächtete Details über sie an die Öffentlichkeit gelangen. Diese Schädigung mag dann gerechtfertigt sein, wenn sie für ein höheres Gut erfolgt (z. B., weil die Öffentlichkeit unterrichtet wird, und weil so ein Missstand behoben werden kann oder gar eine generelle Debatte angestossen werden kann). Aber wenn, wie im vorliegenden Fall, die Enthüllung über eine Person offensichtlich keinem höheren Gut dient, dann erscheint die Schädigung der Person moralisch unlauter. Ob das nun Frau Klatten ist oder Lieschen Müller. Es geht ums Prinzip, nicht um den Einzelfall.
Aus medienpsychologischer Sicht fehlt mir mitunter die Empathie mit den Betroffenen. Mir ist zu dem Thema keine systematische Forschung bekannt, aber aus mehreren anekdotischen Berichten (übrigens von Lieschen Müller) weiss ich, dass die ungewollte Öffentlichkeit einer Person durchaus längerfristig psychisch schaden kann, gerade wenn das Opfer davon ausgehen muss, dass ein Bericht soziale Ächtung oder Häme auslöst. Da das Leiden solcher „Medienopfer“ bislang noch ziemlich unterforscht und unbeleuchtet ist, scheint es mir ignoriert oder euphemistisch runtergespielt zu werden (nach dem Motto, so eine kleine Backpfeife tut doch der Frau Millardärin nicht weh). Meine Spekulation ist, dass Journalisten und Redaktionen nicht bei jedem Beitrag die richtige Güterabwägung treffen, wenn sie denn überhaupt jedes Mal eine Gütabwägung treffen. Die richtige Entscheidung dürfte insbesondere im Boulevardjournalismus, der nun einmal vom Bericht über die Einzelperson und ihren privaten Details lebt, seltener sein. Womit dann wieder Spiegel Online angesprochen ist.
Спасибо) есть что то интересное))
Я так и думал, автор спасибо)
Это все понятно, но лучше обсудить это в отдельной теме.
Одни комплементы, хоть бы кто чего умного написал…