Fehlerliebe

Alice Schwarzer beruft sich auch in ihren aktuellen Kommentaren zum Amoklauf von Winnenden auf einen Professor, der womöglich gar kein Professor ist. Der Hinweis darauf von Marvin Oppong in Carta ist gut und wichtig. Nur seine Leitfrage dazu ist Banane:

“Gibt es in Deutschland noch Journalisten, die recherchieren? Oder ist die Zeit dafür zu knapp geworden?”

Ein Fall für die vorläufig abgeschlossene Liste der Immer-mehr-Phänomene: Immer mehr Journalisten recherchieren nicht. Man kann auch sagen: früher war alles besser, weil: es wird ja immer schlimmer.

Erst kürzlich wurde dies beim Karl-Theodor deutlich – auch von Oppong als Beispiel gewählt. Da wurde des neuen Wirtschaftsministers Vornamenswirrwarr immer mehr – und der Journalismus versagte (sich) auf langem Strich. Gut immerhin für die Watchblogs, die wegen des Immermehr an immer weniger Qualität Beschäftigung haben.

Wären sie nur nicht so besserwisserisch. So fürchterlich grantig. Mit dieser “Oh Gott, oh Gott, wie kann man nur”-Attitüde. Es ist doch schön, dass sich aufgrund der heutigen Technik- und Spaßfaktoren immer mehr Menschen kritisch mit journalistischen Leistungen befassen – und ihre Klickergebnisse veröffentlichen. Das sollten sie aber als eigene Profession begreifen – mithin als sinnvolle Ergänzung im Mediengeflecht. Es ist nicht nur albern, sondern kontraproduktiv, jeden kleinen journalistischen Fehler zum Drama aufzubauschen und seinetwegen eine Gretchenfrage zu stellen.

Literaturkritiker sind kein Außenlektorat der Verlage, Blogger kein Korrektorat. Es sind eigenständige Kommunikatoren – weshalb allerdings Literaturkritiker auch sehr ökonomisch auswählen, mit was sie sich beschäftigen. Der ökonomische Druck auf Blogger – vor allem in der Aufmerksamkeitswährung – führt, ganz nach der Erfolgsformel des Boulevards, zu Dramatisierungen und damit vor allem zu Relevanzverzerrungen. Jeder aufgespürte Pups wird zu einer bedrohlichen Giftgaswolke. Vor Erfindung der Google-Korrektur wurde dies in ähnlicher Weise von Pensionären mit dem Duden betrieben und fand sich auf den Leserbriefseiten der Zeitungen. Denn wer nämlich mit “h” schreibt ist dämlich.

Journalismus ist wie Wissenschaft eine ewige Suche nach Neuem. Mithin sind journalistische Erzeugnisse eben immer auch nur vorläufige Beschreibungen. Zum Journalismus gehört die Vermutung – anders ist Recherche gar nicht möglich – und er muss stets auch Vages und Unfertiges präsentieren. Im Rahmen der Möglichkeiten ist dies bekanntlich entsprechend zu kennzeichnen – Stichwort Verdachtsberichterstattung.

Vieles im Journalismus stimmt nicht. Im Lokaljournalismus ist etwa praktisch nichts, was zitiert wird, auch so gesagt worden. Das ist schlecht, richtig schlecht. Aber es wird nicht dadurch besser, dass man immer mehr Journalisten für immer unfähiger hält.

2 Gedanken zu „Fehlerliebe

  1. Marvin Oppong

    Was hat denn die Tatsache, dass Alice Schwarzer einen “Professor”, der gar keiner sein soll, Professor nennt, obwohl sie es besser wissen müsste, mit “Vermutungen” zu tun?

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