Politikjournalismus ist in Deutschland, ich habe es schon manches Mal beklagt, fast ausschließlich Parteipolitikgebläse: Journalisten berichten, was Politiker über Politiker sagen.
In anderen „Branchen“ nennt man das People-Journalismus oder Promi-Klatsch – womit in jedem Fall das Gegenteil der seriösen Politik-Berichterstattung gemeint sein soll.
Ein gutes Beispiel liefert Thomas Öchsner mit seinem Stück „Ein Wachhund, der in der Hütte bleiben muss“, einer „Analyse“ der Rolle des Bundeswirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg bei den Verhandlungen um Staatshilfen für Opel.
Einen Blick auf das parteipolitisch-journalistische Paralleluniversum gibt Öchsner mit folgendem Satz frei:
„Ein paar Minuten später, als der junge Konservative endlich an die Mikrophone darf, sagt er einen Satz, der für einen Moment das Wort „Rücktritt“ durch die Köpfe der Journalisten schwirren lässt.“
Der Satz lautet:
„Es ist eine schwierige Risikoabwägung gewesen, und eine, die mich zu einem anderen Schluss gebracht hat.“
Vielsagend ist auch Öchsners Bekenntnis:
„Voller Häme berichteten SPD-Einflüsterer den Journalisten über Pannen und Peinlichkeiten bei den Verhandlungen mit der Opel-Mutter General Motors und der amerikanischen Regierung.“
Politik-Journalisten wollen natürlich nichts von Risikoabwägungen in der Opel-Sache wissen, wo es um läppische 1,5 bis 4,5 Milliarden Euro Kredit und vieles mehr geht, ihnen geht es um das Risiko Politiker, um das Risiko, vor Mikrofone zu treten, um das Risiko, von dem man nicht nur angepeoplet, sondern vollpeoplet erzählen kann.
Nun ist er zwar leider nicht zurückgetreten, aber er hat „seine erste große Niederlage einstecken“ müssen, der zu Guttenberg, erfahren wir. Denn:
„In der Nacht zum Samstag überstimmten ihn seine Kollegen.“
Guttenbergs Problem: er hat eine Meinung, die er offenbar nicht stündlich ändert, sondern die er „in den vergangenen Tagen gebetsmühlenartig wiederholt hatte“ – vermutlich, weil ihm gebetsmühlenartig die gleichen Fragen gestellt wurden. Völlig unverständlich ist es Öchsner, dass zu Guttenberg auch nach der Entscheidung noch an seiner Position festhält und „am Morgen nach der langen Nacht in Berlin noch einmal eine persönliche Erklärung verlautbaren lässt“. Weil er sich mit seiner Position nicht durchgesetzt hat, gilt er bereits als (bald) „demontiert“, weshalb die Worte der Kanzlerin auf die Goldwaage müssen.
Und zum hunderttausendsten Mal in den letzten 100 Tagen muss der Vornamensalat samt seiner Adelung thematisiert und um eine eigene Lustigkeit bereichert werden – Öchsle entscheidet sich für die griffige Formulierung „Freiherr aus Bayern“.
Um das Oligarchische an der Politik-Inszenierung zu betonen, wird Guttenberg auch noch zum Enkel „des Wirtschaftswundervaters Ludwig Erhard“, wenn auch ein Mal in Anführungszeichen, um wenigstens keine Blutsverwandtschaft zu behaupten.
Was erregt nun so sehr meinen Unmut? Dass Thomas Öchsner ausschließlich aus der Sicht einiger Parteipolitiker schreibt – und nicht etwa aus der Sicht der Leser, also eines Teils des Souveräns. Kein Wort verliert er über den Ablauf der Verhandlungen, den Sinn der verschiedenen Vorschläge, die Risiken und den möglichen Nutzen für die Allgemeinheit. Stattdessen spielt er voll mit im politischen Kasperletheater. Das ist aber keine journalistische Leistung, und das können Parteipolitiker weit besser. Wenn Politik-Journalismus nur noch das Gehampel der Berufspolitiker nachzeichnen will, sollte er sich aufs Fullquote der reichlich vorhandenen Verlautbarungen wetteifernder Selbstdarsteller konzentrieren – jegliche Analyse ist dann obsolet.
So wie es Spiegel-Online macht. Dort zeigt Florian Gathmann auf, dass der SPD gar nichts anderes übrig bleibt, als die Wähler mit Guttenberg-Witzeleien zu ködern. Er prüft keine einzige Parole auf ihren Inhalt, er lässt sie stattdessen von Suggestions-Experten auf ihre Erfolgschancen prüfen. Wie kann man potentielle Wähler am besten verarschen? Egal wie, versuchen sollte man es, aber vorsichtig, weil: der Wähler könnte das auch doof finden.
Spiegel-Redakteur Gabor Steingart hat ein langweiliges Buch („Die Machtfrage“) geschrieben, in dem er begründet, warum er bei der nächsten Bundestagswahl nicht dabei sein wird. Für die Erkenntnis, dass Wählen wohl nichts bringt, muss man allerdings nicht Steingarts Buch lesen. Es reicht, mit wissbegierigem Vorsatz Politik-Journalismus zu konsumieren.