Falsch zitieren heißt jetzt “sponen”

Spiegel-Online (Veit Medick und Annett Meiritz) schreiben über Bundespräsident Christian Wulff:

Er wollte “neue Maßstäbe” setzen in Sachen Aufklärung, alle offenen Fragen in seiner Kredit- und Medienaffäre beantworten. Dieses Versprechen gab Christian Wulff in seinem Fernsehinterview.

Da setzt eher  Spiegel Online neue Maßstäbe bei der Sorgfalt des Zitierens.

Denn natürlich hatte Wulff nicht gesagt, er wolle alle offenen Fragen zu seiner “Affäre” beantworten. – Affäre, das ist ein Verkaufsetikett des Journalismus (und müsste doch, wenn schon, eigentlich eines der Journalismus-Vermarkter, also der Verlage und Sender sein). Wulff hatte gesagt:

Ich glaube, diese Erfahrung, dass man die Transparenz weitertreiben muss, die setzt auch neue Maßstäbe. Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger, jedes Details zu den Abläufen sehen und bewertet sie auch rechtlich. Und ich glaube nicht, dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat, und wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern.”

PS:

Es ist glücklicherweise auch schon fast alles an Medienkritik geäußert worden, was man in dieser Sache braucht. Unsere Zusammenfassung: Den Medien fehlt komplett das Gespür für wichtige und unwichtige Themen. In Deutschland tritt kein Politiker je zurück, weil er schlechte bzw. falsche Politik macht, weil er für unermessliche Schulden verantwortlich ist, weil er Menschen töten lässt oder sonst etwas, – sondern stets nur wegen Albernheiten oder wegen Fehlern, die irgendwo gemacht wurden und für die jemand seinen Kopf aufs Schafott legen muss (wobei die Auferstehung nach etwas mehr als 3 Tagen Karenzzeit zur Inszenierung gehört). Während die investigativsten Journalisten des Landes recherchieren, ob Christian Wulff auf der Party eines alten Schulfreundes auch brav die Getränke bezahlt hat, wie das jeder unbestechliche Journalist machen würde, rechnet Bernd Raffelhüschen mal wieder vor, dass die Verschuldung Deutschlands nicht bei 2, sondern in Wahrheit bei etwa 11 Billionen Euro liegen dürfte und damit bei korrekter Betrachtung dieses Land keineswegs Vorbild in Europa ist, sondern finanziell schlechter dasteht als etwa das gescholtene Italien. Wer müsste, wenn man das mal zur Affäre erklären würde, alles zurücktreten – im Medienbetrieb?

Wulff-Journalismus findet fast ausschließlich für Journalisten und Politiker statt. Der Rest der Republik ist von diesen  Erregungs-Häppchen völlig genervt. “Macht eure Arbeit, recherchiert, und dann präsentiert irgendwann nach Wochen oder Monaten völlig unaufgeregt und entspannt ein Ergebnis” möchte man den Kollegen zurufen, aber das wäre natürlich zwecklos. Denn Politikjournalisten leben vom Applaus der Kollegen – und intriganten Informanten im Politikbetrieb.

Dazu (kleine Auswahl):

stern-Saitre auf die “Wessi-Erregung” (Holger Witzel)

Medienberater Hasso Mansfeld: “Das muss einer mal sagen: Halt”

Niggemeier über die Redundanz des täglich Neuen

2 Gedanken zu „Falsch zitieren heißt jetzt “sponen”

  1. Bernd

    Soweit ich sehe, ist das Zitat NUR das in “”.

    Du magst in der Sache Recht haben, der Aufhänger ist dennoch falsch.

  2. Pingback: Die journalistische Leistung in der “Causa Wulff” « SpiegelKritik

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