Radio star.fm 87,9 Berlin wirbt für das nächste Morgenprogramm: HörerInnen konnten anrufen und sagen, was sie von der Idee einer stärkeren Videoüberwachung halten. Genialer Aufhänger für diese pfiffige Frage war eine “tödliche Prügel-Attacke”. In der Bewerbung der Morgensendung kommen drei Anrufer in ganz kurzen Auszügen zu Wort. Alle drei sind für Videoüberwachung.
Haben solche Umfragen Informationsgehalt, ob nun rein quantitativ von sog. Meinungs- und Marktforschungsfirmen oder qualitativ wie in der Radio-Sendung?
Journalismus stellt Fragen, die Antworten geben Hinweise auf den “Nachrichtenwert” eines Themas, einer Information.
Was einzelne, sich zu einer Meinungsäußerung berufen fühlende Mitbürger von polizeilicher Kameraüberwachung des öffentlichen Raums halten, ist völlig unbedeutend, ja irreführend, solange nicht die notwendigsten Fakten dazu präsentiert werden, Informationen zu den naheliegenden Fragen: Was kann Videoüberwachung bringen? Wirkt sie präventiv? Wieviel wird das kosten? Gibt es Missbrauchsgefahren? Wer profitiert? usw.
Die Berliner rufen an unter dem Eindruck der regional natürlich sehr medienpräsenten Gewalttat. Doch anstatt genau in dieser Situation zu informieren, schmeißt der Sender nur den Verstärker an, fängt absolut erwartbare Statements ein und verbreitet sie weiter. Wie wären die Antworten ausgefallen, wenn man den Zuhörern erklärt hätte, dass noch so viele Kameras nicht einen einzigen Totschlag verhindern können, weil Täter in dieser Situation nicht abwägen, ob ihnen die Sache drei bis zehn Jahre Gefängnis wert ist und wie groß das Risiko wohl ist, erwischt zu werden, sondern schlicht und ergreifend ohne rationale Kontrolle drauflosprügeln?
Es ist wohl das Grundproblem, dass viele Journalisten völlig wertfrei durch die Öffentlichkeit stolpern, immer das von Hanns-Joachim Friedrichs adaptierte Credo im Kopf, ein Journalist mache sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.
Zu den Anliegen, mit denen sich Journalisten ohne Wenn und Aber gemein machen müssen, gehört die Aufklärung. Einfach (selbst generierte) Meinungen zu verbreiten, ist das Gegenteil (so wie ein Artikel auch nicht “ausgewogen” dadurch gerät, dass man zu jedem Statement noch eine abstruse “Gegenmeinung” einholt).
Hat sich eigentlich noch niemand gefragt, wieso solche Gewaltexzesse immer nur auf Bahnhöfen, in U-Bahn-Haltestellen oder an sonstigen kameraüberwachten Örtlichkeiten stattfinden? Ich habe den Verdacht, die Täter schlagen dort nicht trotz, sondern gerade wegen der Videoüberwachung zu! Spätestens zwei Tage nach einer solchen Tag sind die Überwachungsvideos nämlich auf den Online-Portalen der Zeitungen abrufbar, das ist für die jugendlichen Schläger nochmal ein Extrakick, wenn sie mit diesen Videos in der Clique angeben können…