10 Jahre sinnloses PR-Verbot

„Journalisten machen keine PR“ – dieser dogmatische Satz ist seit 10 Jahren das einzige, was vom „Medienkodex“ des Netzwerk Recherche (nr) wahrgenommen wird.
Nun wurde er einer Überprüfung unterzogen – und von der Mitgliederversammlung am 8. Juli 2016 in Hamburg mit nur marginalen Änderungen bzw. Ergänzungen bestätigt. Doch der Satz scheidet weiterhin die Geister, – in diejenigen, die es sich leisten können niemals PR zu machen, und jene, die sich darauf angewiesen sehen, in diesem überjournalistisch bezahlten Publizitätsbereich ihre Fähigkeiten zu vermarkten.

Das wahre Problem mit diesem Satz ist seine Unbestimmtheit: Was soll mit „PR“ gemeint sein, die kein Journalist betreiben darf? Es war vor allem das Leidenschaftsthema von Thomas Leif, Vorsitzender von 2001 bis 2011, und er meinte damit alle Versuche der Einflussnahme auf journalistische Produkte, die verborgenen Spin-Doktoren ebenso wie die öffentliche INSM. Dabei ist PR, ist Öffentlichkeitsarbeit viel mehr – und in weiten Teilen für den Journalismus völlig unproblematisch.

Es beginnt damit, dass jeder Journalist PR macht – nämlich in eigener Sache. Dies zu fördern wird vor allem Freien seit Jahren gepredigt: Marke werden, wiedererkennbar sein, Stil entwickeln. „Klappern gehört zum Handwerk“, von der eigenen Website, den Social-Media-Accounts bis zur Teilnahme an einer Jahreskonferenz des nr, am besten auf und nicht vor dem Podium. Wer als Vorstand des nr irgendetwas für den Verein tut, macht PR: die Vielzahl von nr-Veranstaltungen und nr-Publikationen gehören zum Portfolio professioneller Öffentlichkeitsarbeit.Soll der Journalist, der für seinen Sportverein oder die Elterninitiative einen „Pressetext“ an seine Lokalzeitung gibt den Berufsstatus „Journalist“ verlieren? Und was soll der objektive Unterschied sein, ob ein Portrait oder Interview im Kundenmagazin der Deutschen Bahn oder im Handelsblatt veröffentlicht wird? Es ist schließlich keine Verschwörungstheorie, dass Verlage ihre ganz eigene Agenda haben und diese auch in der Öffentlichkeit setzen – sie gelten per Gesetz als „Tendenzbetriebe“.

Zweifellos gibt es Tätigkeiten, die sich mit Journalismus nicht zeitgleich vertragen. Aber es gibt eben auch Journalismus in der Öffentlichkeitsarbeit, Produkte, die sich an journalistischen Maßstäben messen lassen wollen bzw. müssen. Und es gibt PR im Journalismus. Bei einer Veranstaltung in Hamburg** blieb unwidersprochen, dass die gesamten Berichterstattungsfelder Auto & Reisen von Inhalten leben, die Unternehmen in Ertragsabsicht anreichen oder ermöglichen. Pointiert Tom Schimmeck**: „Das Frankfurter Börsenstudio der ARD ist eine Dauerwerbesendung für eine bestimmte Kapitalanlageform.“

Praktisch niemals thematisiert wird hingegen, dass auch die Politikberichterstattung ganz überwiegend PR ist: sie ist nichts anderes als Öffentlichkeitsarbeit für Parteien und ihre Protagonisten. Was als gesellschaftliches Thema kaschiert wird wie etwa die Auseinandersetzung mit der AfD ist schlicht Kampf um Ressourcen, um Aufmerksamkeit, Wähler, Geld, Einfluss. Das ganze Bohai um Jan Böhmermanns „Schmäkritik“ war Politik-PR und hatte mit einer sachlichen Auseinandersetzung um Kunstfreiheit überhaupt nichts zu tun. Überdeutlich wird die journalistische PR-Tätigkeit bei Wahlen: niemals geht es darum, was Wähler (und Nichtwähler!) wollen, es geht ausschließlich um die Wirtschaftsunternehmen CDU, SPD etc. Wie Aktien gewinnen oder verlieren diese Unternehmen am Wahlabend an Wert.

Mit dem Medienkodex wollte nr einst dem Pressekodex des Presserats etwas eigenes entgegensetzen, das war seinerzeit ein langes und intensiv bearbeitetes Thema. Dieses Anliegen ist weiterhin berechtigt, zumal es am Pressekodex und seiner Handhabung schon lange auch außerhalb des nr fundierte Kritik gibt.

Dabei hat der Medienkondex einen anderen Schwerpunkt als der Pressekodex und er vermag ihn nicht zu ersetzen, wohl aber im Hinbblick auf journalistische Arbeitsweisen zu ergänzen. Doch ausgerechnet das fünfte Gebot, das den mit Abstand geringsten Bezug zum Kernthema des Vereins hat, ist im Pressekodex viel besser formuliert. Besser, weil umfassender und praxisnäher. Dort heißt es in Ziffer 6:

„Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.“

Die zugehörige Richlinie führt aus:

„Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall.“

Das ist viel besser als das nr-Dogma, denn zu allen Interessenkonflikten außerhalb der PR steht im Medienkondex kein Wort. Kann, wer Mitglied im Netzwerk Recherche ist, gar in leitender Funktion, Berichte über eigene Veranstaltungen verfassen oder als Redakteur betreuen? Ist, wer sich in ehrenamtlicher Funktion für bestimmte Anliegen von Journalisten stark macht, noch frei und unbefangen in der Medienberichterstattung? Könnten nicht auch Tätigkeiten in Stiftungen, Jurys, Bildungseinrichtungen etc. zu einer Interessenkollision zwischen eigenen Anliegen und Informationsinteresse der Öffentlichkeit führen?

Die Kodex-Kritiker in Hamburg hatten zumeist sehr pragmatische Änderungsvorschläge: niemand dürfe im gleichen Themenbereich sowohl als Journalist als auch als Öffentlichkeitsarbeiter tätig sein. Oder: Jede PR-Tätigkeit wie auch jedes sonstige (ehrenamtliche) Engagement sollten Journalisten öffentlich bekannt geben, einschließlich der damit verbundenen Einnahmen. Schließlich fordern Journalisten diese Transparenz auch von vielen anderen Berufsgruppen, allen voran den Politikern.

Manch orthodoxer Netzwerkler scheint die PR-Arbeit ohnehin nur vom Hörensagen und allenfalls noch aus seinem Spam-Ordner zu kennen. Wenn Studierende nebenher im PR-Bereich jobben, dann verkaufen sie kaum in Hinterzimmern Werbetexte als redaktionelle Beiträge. Sie schreiben Pressemitteilungen für Buchnovitäten oder zu einem neuen Feature bei Xing, sie werten Medien aus und legen Archive an, sie stehen am Kopierer und manchmal decken sie den Konferenztisch mit Kaffeetassen und Keksen – jedenfalls sind sie von 300 Euro Stundensatz, den Klaus Kocks für PR-Arbeit als Maßstab ausgibt, weit entfernt – und daher wohl auch von Kock’schen Tätigkeiten, wohl nicht zuletzt, weil das Angebot den Preis regelt und die aller wenigsten Journalisten zum Kock taugen (oder in dessen Worten: „Master of Desaster: Journalisten können (!) ja auch kein PR. Das ist nur eine selbstverliebte Annahme.“

Volker Lilienthal schlug am Ende der von ihm moderierten Veranstaltung vor, den Paragraphen 5 ersatzlos zu streichen – schließlich werde stets nur über diesen geredet und nicht über die übrigen neun Regeln.

Dabei sind diese doch tatsächlich gut brauchbar:

1. Journalisten* recherchieren und berichten unabhängig, sorgfältig und umfassend. Sie achten die Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte.

2. Journalisten recherchieren, gewichten und veröffentlichen nach dem Grundsatz „Richtigkeit vor Schnelligkeit“.

3. Journalisten schützen ihre Informanten uneingeschränkt, vor und nach einer Berichterstattung. Sie klären auf über Risiken. Die Sicherheit des Informanten hat stets Priorität. Journalisten schützen ihre Kommunikation gegen unbefugten Zugriff und nutzen digitale Verschlüsselungstechniken.

4. Journalisten garantieren handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen.

6. Journalisten verzichten auf jegliche Vorteilsnahme und Vergünstigung.

7. Journalisten unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen.

8. Journalisten überprüfen ihre Arbeit und legen ihre Fehler und Korrekturen offen. Sofern es publizistisch sinnvoll ist, informieren sie über ihren Rechercheweg.

9. Journalisten ermöglichen und nutzen Fortbildung zur Verbesserung ihrer Arbeit.

10. Medienunternehmen sind in der Verantwortung, Journalisten bei der Umsetzung dieses Leitbildes zu unterstützen. Wichtige Funktionen haben dabei Redaktions- und Beschwerdeausschüsse sowie Ombudsstellen und eine kritische Medienberichterstattung.

* Es sind stets beide Geschlechter gemeint.

Ergänzungen:

** „Journalisten machen keine PR – 10 Jahre Medienkodex“, eine Veranstaltung bei der Jahrestagung des Netzwerk Recherche 2016 mit Daniela Friedrich (Studentin), Tom Schimmeck (Mitgründer der taz, freier Autor, Julia Stein (Vorsitzende nr), Klaus Kocks (Cato-Sozietät) und Moderator Volker Lilienthal (Journalistik-Professor)

Disclosure: Der Autor ist seit 14 Jahren nr-Mitglied und war unter anderem an mehreren Publikationen des Vereins beteiligt.

+Statements von Julia Stein, Klaus Kocks und Daniela Friedrich während der nr-Jahrestagung im Kurzvideo (NRD, Zapp)
+ Ebenalls sehr moderate Überarbeitungsvorschläge zum Medienkodex von Studenten aus Hamburg im „Nestbeschmutzer“ (der Tagungszeitung)
+ Kock’s schönen Satz von den in der PR schwarz arbeitenden Journalisten gibts wortgetreu auf Twitter.

Mehr zur nr-Jahrestagung: Cumhuriyet & Facebook – Was zu löschen ist

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