Dass sich in den Sozialen Medien Leute reflexartig mit Juhu und Bäh profilieren wollen, mit Begeisterung und Verachtung, mit dem lukeschnell aus der Hüfte geschossenen Totalverriss tagelanger journalistischer Arbeit, gehört zur digitalen Ökologie – und die ist wertfrei. Es ist, wie es ist – der Journalismus muss sich des Phänomens nicht groß annehmen.
Wenn aber Journalisten selbst in dieser Art Journalismus infrage stellen, haben wir ein Problem. Denn wenn schon Journalisten mit einem Federstreich Journalismus aus markenstarker Quelle für Bullshit erklären, besteht wohl grundsätzlich Anlass, dieser angeblichen Info-Profession zu misstrauen.
Dass Journalisten so wie jeder Mensch ihre Meinung zu allem und jedem kund tun dürfen, ist unbestritten – wenn auch allein dies in vielen Zusammenhängen das Vertrauen in objektive Berichterstattung trüben kann.
Wenn sich Journalisten oder ihre Medien allerdings gegenseitig vorwerfen, Propaganda statt Aufklärung zu betreiben, hat sich das Business tatsächlich erledigt. (Den Verlagen und Sendern wird das wenig ausmachen, sie verkaufen dann eben nur noch Kochtöpfe und Unterhaltung, Journalisten braucht es dafür allerdings nicht, allenfalls zum Päckchenpacken und Durchfeudeln.)
Nur weil Mario Sixtus auf Twitter (über einhunderttausend Follower) im Cover der aktuellen „FAZ Woche“ eine Wiederkehr des „Stürmers“ sieht, habe ich mir das Heft gekauft (von dessen Verzichtbarkeit in meinem Medienplan ich mich schon vor einiger Zeit überzeugt hatte).
Aber Sixtus‘ kleine Notiz war zu provozierend:
Oh, das ist eine hübsche Idee: Die FAZ hat ihre Grafikdesigner eine Ausgabe des „Stürmer“ modern gestalten lassen. pic.twitter.com/OLqxwwqUjV
— Mario Sixtus 馬六 (@sixtus) 6. Mai 2017
Er konnte zu seinem Geistesblitz ja nur nach Lektüre des Artikels gekommen sein, schließlich gab das von ihm zitierte Cover zu einer Stürmer-Analogie nun überhaupt keinen Anlass.
Doch der Text tut dies noch weniger. Von Propaganda nicht die Spur! Die Redakteure Philip Eppelsheim und Andreas Nefzger erläutern völlig unaufgeregt Zahlen aus der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) und lassen Fachleute zu Wort kommen. Ein ganz normales Stück.
Sollte die Kritik ernsthaft an einer stinknormalen Frage festgemacht sein? „Wie kriminell sind Ausländer?“ steht klein auf dem Umschlag. Oder gar an der Silhouette dreier Personen, eine davon mit bekanntem Sportgerät in der Hand? Sixtus schreibt dazu in einem weiteren Post: „Es ist dabei völlig egal, was in dem Artikel steht. Umpfzigtausend Menschen sehen im Netz und am Kiosk nur den Titel, und der bleibt hängen.“
Doch was soll da hängenbleiben? Eine Schlagzeile „Tatort Deutschland“ und drei nicht erkennbare Personen, aus der Nähe betrachtet wohl ohne Frauenquote?
Was erstaunlich viele Journalisten, die sich lautstark auslassen, nicht verstehen, ist ihr Job. Journalismus soll Fragen stellen, Antworten darauf suchen, diese aufbereiten, gewichten und als Informationsangebot zur Verfügung stellen, zur Orientierung, zur gesellschaftlichen Diskussion, und aus dem, was damit geschieht, sollen sie ggf. weitere Fragen entwickeln, Antworten suchen …
Aber es ist absolut nicht die Aufgabe des Journalismus, Menschen von bestimmten Positionen zu überzeugen, sie Glaubensbekenntnisse nachbeten zu lassen, ihr Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das ist gemeinhin die Profession der vom Journalismus so sehr (m.E. zu Unrecht) verachteten PR (m.E. konkreter: der Werbung).
Am Beispiel Ausländerkriminalität: Vielen Journalisten erscheint schon jeder Blick auf Zahlen und Fälle verboten, solange sie sich im Gefühl wiegen, es gebe da keine eklatanten Auffälligkeiten, gerne beschrieben mit dem Satz: „Ausländer sind nicht krimineller als Deutsche.“
Wenn dem so ist, ist dies die Information, die Journalismus zur Verfügung stellen muss – mit Quelle und ein paar mehr Details. Journalismus kann aber aus sich heraus gar nicht taxieren, ob das nun eine gute oder schlechte Nachricht ist, ein Langweiler oder ein Aufreger. Es ist legitim zu erwarten, dass sich Ausländer in dieser oder jener Weise in ihrem Gastland verhalten und mithin nicht strafrechtlich auffällig werden. Es ist ebenso legitim zu erwarten, dass Ausländer weit überdurchschnittlich kriminell sind, weil sie aus bestimmten Verhältnissen kommen, traumatische Erlebnisse haben, nur wegen finanzieller Erfolgsaussichten im kriminellen Business einreisen oder sonst etwas. Journalisten sollten ihre Ohren aufsperren und diese unterschiedlichen Positionen wahrnehmen, dazu wiederum Fragen stellen…
Der Artikel in der FAZ-Woche macht das recht lehrbuchhaft: er dröselt die Zahlen auf, er trägt Interpretationsmöglichkeiten vor, er stellt Beziehungen her, lässt diese von anderen bewerten. Aber der Artikel gibt nicht die einzig zulässige Befindensmöglichkeit vor: Es ist Sache jedes einzelnen Bürgers, die dargestellten Ermittlungszahlen groß oder klein zu finden, bedrohlich oder beruhigend oder belanglos.
Zum Titelthema veröffentlicht die FAZ-Woche auch eine zwei Seiten umfassende Vertiefung zum speziellen Segment „Drogenkriminalität“. Auch das recht nüchtern. Die Interpretation bleibt wieder dem mündigen Bürger überlassen. Ich kann das ganze Thema z.B. vom Tisch wischen, wenn Politik und Wähler von Bevormundung und Besserwisserei abrücken und alle Drogen freigeben: freier Konsum für freie Bürger. Aber auch zu Drogen liefern viele Journalisten lieber Benimmunterricht als Fakten. Das zum FAZ-Artikel „Kampf gegen die Hydra“ veröffentlichte Foto z.B. zeigt eines der vielen Informationsdefizite: Wo sind die unabhängigen, sprich verdeckten Beobachtungen polizeilicher Arbeit? Mir persönlich wird schlecht wenn ich sehe, wie Polizisten intim befingern, wen sie und wo sie jemanden für interessant halten, minderjährige Bleichgesichter natürlich eingeschlossen. „Alltägliche Szene: Die Polizei kontrolliert mutmaßliche Dealer im Frankfurter Bahnhofsviertel“ steht bei dem Bild; von dem, was da tatsächlich passiert, gibt es nichtmals eine Ahnung. Mehr Infos bitte! Dann kann sich mit mir erbrechen, wem danach ist, oder sich daran ergötzen und mehr Härte fordern – das liegt nicht im Zuständigkeitsbereich des Journalismus. Seine Aufgabe ist es, wissbegierig und wachen Verstandes hinzuschauen – und die recherchierten Informationen bereitzustellen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann, darf und soll das selbst dann tun, wenn sich überhaupt niemand dafür interessiert. Der kundenfinanzierte Journalismus kann sich das nicht leisten und muss auch noch für die Aufmerksamkeit sorgen. Die FAZ-Woche hat dabei sicherlich nicht gegen Qualitätsstandards verstoßen.
Wenn jetzt Journalismus nicht mehr nur von denjenigen diskreditiert wird, die in seinen Produkten vorkommen, sondern direkt von denen, die ihn produzieren, hat er sich schlicht erledigt.
Das mit dem „in eine bestimmte Richtung lenken“ hat der Safranzki auch gerade gesagt: Journalismus ist keine Pädagogik, das triffts wohl. Und den völlig unterbliebenen Journalismus in der „Flüchtlingskrise“ hat der Haller herausgearbeitet.
https://www.nzz.ch/feuilleton/boerne-preis-traeger-ruediger-safranski-die-angst-vor-dem-politischen-islam-ist-da-doch-singt-man-laut-im-walde-ld.1290527
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