Pressemitteilungen abzutippen ist kein Journalismus. Pressemitteilungen bei einer Tasse Kaffee weiterzuspinnen auch nicht. Geeignete Pressemitteilungen aus dem großen Angebot der PR auszuwählen, das könnte schon etwas mit Journalismus zu tun haben: wenn das Wichtige aus der Masse des Unwichtigen gefischt wird, wenn Fakten gegenüber Spekulationen und Forderungen bevorzugt werden, wenn durch Publikation eines Fertigtextes die Kunden immerhin etwas “orientierter” sein könnten also ohne.
Wir alle wissen: das schnelle Blabla steht in den Medien vor der Information, oder anders gesagt: es werden Ereignisse so inszeniert, dass man Berichte über sie als Information deklarieren kann. Blabla ist dabei sehr einfach zu entlarven: Alles, was ohne Mangel auch hätte unveröffentlicht bzw. (heute treffender) unkolportiert bleiben können, steht unter Blub-Verdacht. Tratsch halt.
“Hast du schon gehört, der Gabor Steingart soll ja gefeuert werden, weil er so einen bösen Text über diesen Martin Schulz geschrieben hat.” Sinngemäß so kolportieren es heute alle Medien, die sich offenbar für nachrichtenrelevant halten. Wenn der Spiegel das doch so sagt…
Dabei ist diese Spekulation doch völlig irrelevant. Wen interessiert, was der Spiegel zu wissen glaubt, der kaufe sich diese Illustrierte oder lese auf der zugehörigen Website. Wer sich hingegen als Journalist (m/w) mit eigenem Kopf versteht, der hinterfragt die Spiegel-PR und deren Thema: Kann das sein? Soll es möglich sein, dass ein Herausgeber und Geschäftsführer gefeuert wird, weil seinem Verleger die Wortwahl in einem Newsletter nicht gefällt? Soll es möglich sein, dass ein Spitzenpolitiker, um den es in dem Text geht, einen solchen Kotau annimmt, anstatt empört aufzuschreien, er wolle mit einem solch eklatanten Eingriff in die (innere) Pressefreiheit nichts zu tun haben? Und ist es möglich, dass vom Medienmainstream Totgesagte sterben (müssen), eben weil sie von allen bereits für tot erklärt worden sind?
Um zu prüfen, bei wem welche Tassen aus dem Schrank gefallen sind, sollte man den Text von Gabor Steingart mal lesen. Wegen der Bedeutung (und dem unterlassenen Zitieren in den meisten “Berichten” zur “Causa Steingart”) hier komplett (Hervorhebungen von SpKr, Hervorhebungen des Originals nicht übernommen):
Innerhalb der SPD hat ein bizarrer Machtkampf begonnen. Der mittlerweile ungeliebte Parteichef Martin Schulz will den derzeit beliebtesten SPD-Politiker, Außenminister Sigmar Gabriel, zur Strecke bringen und an dessen Stelle im Ministerium Quartier beziehen. Das Duell wird nach den Regeln des Parteienkampfes ausgetragen, also im Verborgenen. Besondere Raffinesse wird dabei vor allem von Schulz verlangt, da er sich nicht beim Mord an jenem Mann erwischen lassen darf, dem er das höchste Parteiamt erst verdankt.
Der Tathergang wird in diesen Tagen minutiös geplant. Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen. Die Tränen der Schlussszene sind dabei die größte Herausforderung für jeden Schauspieler und so auch für Schulz, der nichts Geringeres plant als den perfekten Mord.
Einzig sein Angstschweiß verrät ihn. Noch zaudert er. Wird das Publikum sein Alibi überhaupt akzeptieren? In ruhigen Minuten kommen dem ehemaligen Buchhändler, ohne dass er sich dagegen wehren kann, wahrscheinlich die mahnenden Worte des Schriftstellers Franz Grillparzer in den Sinn: „Allen Sündern wird vergeben“, schrieb der einst, „nur dem Vatermörder nicht“.
Spiegelkritik ist mal als “SPIEGEL-Watchblog” gestartet. Das wurde recht schnell eintönig, weil die Kritik an der Hamburger Illustrierten immer wieder aufs Gleiche zielen muss: Meinungsmache statt Information. Nicht nur mit Titeln und Themen, die ganze berümt-berüchtigte “SPIEGEL-Sprache” ist davon durchdrungen. Und der kurze Artikel auf Spiegel.de, der nun von allen journalismusbefreiten Medien nachgebetet wird, ist ein Paradebeispiel dafür. Dass Steingart mal eine große Nummer beim SPIEGEL war – geschenkt, es braucht für eine launige Story keine Verschwörungstheorie.
Vier Autoren werden für den kurzen Text benannt. Und dann dies:
+ Keine akzeptable Quelle für die Informationen, die hier gerade über die Reputation eines Kollegen entscheiden dürften. “Dem Vernehmen nach”…
+ Fertige Meinung statt Einladung zur Meinungsbildung über den kritisierten Steingart-Text. Von diesem werden nur Schlagworte wiedergegeben, aber natürlich wertend eingeordnet:
“Steingart fabulierte vom ‘perfekten Mord’. Der ‘Tathergang’ werde minutiös geplant.”
+ Keine Quelle für den (angeblichen) Brief von Steingarts Verleger an Martin Schulz, nur ein sehr kurzes Zitat. Was steht noch in dem Brief? Liegt er den Autoren vor? Warum wurde er durchgestochen?
+ Keine Stellungnahme von Schulz. Das ist doch das eigentliche Thema (Querelen in einer Firma gibt es überall, ob die nun Handelsblatt heißt oder “Roberts Rohrreinigung”). Schulz würde doch eine solche Entschuldigung angeekelt zurückweisen – andernfalls wäre DAS die Story.
+ Warum kein Statement von Steingart, sondern nur/ direkt von seinem Anwalt (der nichts sagt)?
+ Steingarts “Kampagne gegen den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz” sei “umstritten” – welche Kampagne, mit welchen Argumenten von wem wo umstritten?
Ganz ernsthaft: Den Steingart-Text kann man zu blumig oder “drastisch” finden (der SPIEGEL als Oberschwadronaut darf dies allerdings gerade nicht siehe auch Update unten), aber das ist Geschmacksfrage. Wenn ein Journalist (egal welcher Hierarchiestufe) einen Text wie diesen nicht mehr schreiben darf und wenn Politiker für einen solch harmlosen, jedenfalls unter allen Aspekten zulässigen Kommentar eine Entschuldigung akzeptieren, dann kann man sich nur angewidert abwenden.
Ganz ernsthaft: Steingart soll gefeuert werden, weil er das Politiktheater mit einem Theater vergleicht und weil er in seinem Stück einen Parteisoldaten töten lässt?
Ganz ernsthaft: #nichtdafür
+ Quelle Focus.de-Screenshot
+ turi2 dazu mit etwas Hintergrund
+ Google-News-Feed:
+ Deutschlandfunk hat nach eigenen Angaben immerhin versucht, von der SPD ein Statement zu bekommen. (Aber Parteien sind als Wirtschaftsunternehmen leider nichts auskunftspflichtig.)
Update ab 9.02.2018:
+ Die Spiegel-Informationen waren offenbar richtig, Gabor Steingart soll seinen Geschäftsführer- und Herausgeberposten aufgeben müssen, wie viele Medien berichten, u.a. mit Verweis auf eine (vor lauter Transparenz nicht auf der Handelsblatt-Seite sichbare) Pressemitteilung und mit Verweis auf einen Bericht von “Meedia”, dem Branchendienst, der ein “Tochterunternehmen der Handelsblatt Media Group” ist. Dabei trieft die PM vor Schleim & Glibber und darf einmal mehr als Beleg herhalten, warum solcher Schmonses kaum zitierfähig ist.
+ Mit der Berichterstattung in Journalismussachen tun sich dabei weiterhin viele schwer. Allein der Artikel auf Sueddeutsche.de schreit nach einer gründliche Autopsie – hier jedoch nur einige wenige Anmerkungen dazu.
Ein häufig anzutreffendes Qualitätsdefizit auch dort: Wertungen sind nicht mit Fakten untermauert, so dass sich die Kunden kein eigenes Urteil bilden können.
Schon in der Überschrift wird eine sehr gewagte Einschätzung zum Faktum erhoben: “Beleidigung gegen Martin Schulz”. Für eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinn fehlt jeder Beleg, aber auch für eine umgangssprachliche Verwendung wäre eine Interpretation der Textzitate und deren Einordnung bzw. Vergleich mit anderen Kommentaren notwendig (siehe unten aktuelles SPIEGEL-Cover).
Es folgt als erster Satz im Teaser:
Steingart vergreift sich verbal in seinem Newsletter zur Causa Martin Schulz und entwirft eine krude Mordfantasie.
Was Steingarts Text mit einer “kruden Mordfantasie” zu tun haben soll, erläutern die beiden Autoren nicht. Steingart hat in einer Theaterparabel skizziert, wie nach seiner Ansicht Martin Schulz versucht, das bisher von Sigmar Gabriel geleitete Außenministerium zu übernehmen. Steingarts kurzer Kommentar wird als “irritierende Morgenschrift” tituliert – ohne zu erläutern, wer davon wie irritiert wurde.
Sueddeutsche.de schreibt:
Bemerkenswerterweise erfuhr Martin Schulz direkt, was Verleger Dieter von Holtzbrinck davon hielt, denn der entschuldigte sich umgehend per Brief für all das Morgengrauen, wie Spiegel Online zuerst berichtete. Er sei “schockiert”, schrieb der so zurückhaltende Verleger, Inhalt und Stil des Textes entsprächen nicht seinen Qualitäts- und Wertevorstellungen und auch nicht denen der Handelsblatt-Redaktion. Mehr Distanz geht nicht.
Dabei wird nicht klar, ob die SZ den (angeblichen) Brief von Holtzbrinck an Schulz kennt, denn es wird nur das zitiert, was schon Spiegel.de veröffentlicht hatte, gleichwohl aber wird eine Gesamtwertung abgegeben und Dieter von Holtzbrinck als der (sonst?) “so zurückhaltende Verleger” etikettiert.
Und es folgt eine im Journalismus ebenfalls weit verbreitete Floskel, die sich zu Nutze macht, etwas anderes zu vermitteln als sicherheitshalber gesagt wird:
Es ist nicht das erste Mal, dass Steingart Seltsames zu Martin Schulz einfiel.
Es folgt ein (sattsam bekanntes) Beispiel für einen ebenfalls diskutierten Kommentar von Gabor Steingart. Ein Beispiel. Natürlich wäre damit der vorliegende Fall tatsächlich nicht der erste, sondern der zweite – aber die Formulierung legt nahe, dass es mehrere, gar viele Fälle gab. Aber da es nur um “Seltsames” geht, kann jeder (und vor allem jede Redaktion) natürlich beliebig viele neue Fälle schaffen, einfach indem er/ sie/ es selbst etwas als seltsam bezeichnet. Ob das allerdings zur Nachricht taugt?
Von den vielen Kleinigkeiten, die an dem Artikel noch zu diskutieren wären, nur ein Beispiel für fehlende Exaktheit:
“Dieter von Holtzbrinck ist ein wunderbarer Mensch und erfahrener Verleger, dessen Geduld ich über so viele Jahre nicht nur strapaziert, sondern oft genug auch überstrapaziert habe”, teilte Steingart per Pressemitteilung mit. “Unsere Freundschaft und meine Wertschätzung ihm gegenüber bestehen unvermindert fort.”
Diese Sätze stehen in einer Pressemitteilung des Verlags. Dass Steingart dies mitteilt, ist daher nicht richtig. Es wären ja auch zu viele Fragen an Steingart zu stellen: wie kann man so devot dankbar sein für seinen Rauswurf? Der Wahrheit näher kommen dürfte, was Karl-Hinrich Renner in einem Nebensatz erwähnt: dass bereits die Abfindung für den Rausschmiss besprochen wurde – und zu der dürfte nicht nur die Abonennten-Datei zu Steingarts “Morning Briefing” zählen, sondern auch ein wohlklingendes Abschlussstatement, das der Verlag verbreiten darf. Steingart selbst teilt dabei gar nichts mit.
+ Spiegel.de thematisiert in einem Nachklapp nun die Frage innerer Pressefreiheit. Auf die Idee hätte man – siehe oben – auch gleich kommen können, doch es brauchte dafür erst einen Protestbrief anderer Handelsblatt-Mitarbeiter. Und mit der neuen Print-Ausgabe setzt die SPIEGEL-Zeitschrift einen Benchmark, welche Form journalistischer Kritik preis- statt kündigungswürdig ist:
Während sich die Spiegel-Leute darüber mokierten, Gabor “Steingart fabulierte vom ‘perfekten Mord'”, zeigt die Hamburger Illustrierte gleich, wie so ein Mord aussieht: Merkel in der Mause-Schlagfalle.
Das ist natürlich hohe Kunst, ebenso wie ein Schulz, der mit seiner SPD Merkel sämtliche Kleider vom Leib reißt wie ein (fabulierter) Straßenräuber des Neuen Testaments. Und ebenso wie das Fabulieren von einer Angela Merkel, die sich heimlich ins schon gut belegte Bett der SPD schleicht.
+ Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppen nimmt kurz Stellung zur plötzlichen Abberufung Steingarts. Der Artikel zu dem Vorgang selbst ist hingegen sehr distanziert und zitiert ausschließlich die Pressemitteilung des Verlags.
+ Kommentar Daniel Häuser, CLAP
+ Kommentar Jens Berger, Nachdenkseiten
+ Kai-Hinrich Renner schreibt auf Twitter: “Erst nach Redaktionsschluss erfuhr ich, dass Dieter von Holtzbrinck auf einer Betriebsversammlung gesagt haben soll, das entscheidende Gespräch in dieser Causa hätte er mit Steingart Montagnachmittag geführt […]” Wie wahr das ist, spielt für den Eingriff in die Pressefreiheit keine Rolle, denn Holtzbrinck hätte sich dazu jederzeit deutlich erklären können. Und eine solch überhastete Aktion wie Steingarts Rausschmiss braucht eine gute Erklärung, wenn es nicht einfach Ärger gewesen sein soll.
+ Steingart soll froh gewesen sein, “endlich aus dem Hamsterrad rauszukommen”, erzählte Verleger DvH laut Bülend Ürük (Kress). Es sollten vermutlich überhaupt viel mehr Leute überraschend gefeuert werden, um ihnen auf die Sprünge zu mehr Wohlbefinden zu helfen…
4 Autoren für einen 40-Zeiler. Schon das fand ich auf Anhieb bemerkenswert. Im Schnitt hat also jeder 10 Zeilen beigsteuert. Wow.
Um dem Ganzen gleich noch meine VT beizufügen:
Mir war Steingart ja lange gar nicht bekannt, bis mir im ICE vor vielleicht 4 Jahren mal ein Handelsblatt wegen einer sehr ungewöhnlichen Headline zu einem seiner Artikel aufgefallen ist. Seiner radikal-neoliberalen Position stehe ich ja an sich sehr ablehnend gegenüber. Aber das, was er da vertreten hat, empfand ich als ungeheuer exotisch in der deutschen Presselandschaft. Und ich habe mich seitdem ziemlich darüber gewundert, dass er in der selben diese Meinung wiederholt bekräftigen konnte.
Ach ja: Es war ein Kommentar, in dem er dazu aufgerufen hat, die überzogene Putin-Dämonisierung auf ein realistischeres Niveau zurückzufahren.
Wie z.B. hier: http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/krim-krise-entpoert-euch/9616684.html
Was z.B. in der Taz entsprechend angegangen wurde
“Im Kollegenkreis war in letzter Zeit bereits aufgefallen, dass Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart in seinen Kommentaren eine zunehmend Putin-freundliche Position vertritt. Auf Twitter machte die launige Frage des stellvertretenden Zeit-Chefredakteurs Bernd Ulrich die Runde: „Russische Soldaten in der Ukraine, in zwei Wochen kann er Kiew erobern, Novorossija – wie hält Schröder das nur alles aus?“. Der Chefredakteur des Tagesspiegels, Lorenz Maroldt, twitterte zurück: „Er liest Gabor Steingart.“” http://www.taz.de/!5033776/
Ob wohl nicht doch einige wie Veit Medick seit längerem verzweifelt darauf warten, endlich einen Aufhänger für so was zu finden, egal wie schwach der auch ist?
Jetzt bin ich mal gespannt, ob GS wirklich fliegt, oder Spon einfach nur mal so die erst beste Gelegenheit genutzt hat, ihn zumindest mal anzuschiessen.
Ganz ernsthaft: Vielleicht war das nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Erinnert sei an den November 2016, als Steingart Schulz auf persönlicher Ebene angegriffen hat: “Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser, auf vielen Titelseiten wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der von Brüssel nach Berlin umziehen will, heute wie ein Erlöser gefeiert. Dass viele Medien diesem im Volk weithin unbekannten Mann — der die Zulassung zum Abitur nicht schaffte, wenig später zum Trinker wurde, bevor er als grantelnder Abstinenzler für 22 Jahre im Brüsseler Europaparlament verschwand — plötzlich die Befähigung zur Kanzlerschaft zutrauen, ist nur mit journalistischer Telepathie zu erklären.