Unfassbare Ahnungslosigkeit

Zur Berichterstattung über eine kleine spontane Demonstration im Wendland, die nachfolgende Polizeiarbeit und das große Versagen des Journalismus.

Eine inzwischen lange Sammlung, die unten weiterhin ergänzt wird. 
Summary als Kommentar

1. Einleitung

Die professionellen Nachrichtenmedien Deutschlands haben über das Pfingstwochenende mal wieder einen Skandal inszeniert, der mehr als lehrbuchmäßig ein journalismusfreies Publikationsbusiness zeigt. Das Verhalten der Nachrichtendistributoren erinnert an die Bahnmitarbeiter, die einige Zeit an Fahrkartenautomaten postiert wurden, um dem willigen Transportgut dessen Bedienung zu erläutern und damit den eigenen Arbeitsplatz oder den der Kollegen am Schalter abzubauen.

Das Presse-Äquivalent: Landauf landab übernehmen Redaktionen ohne jede eigene Recherche eine Pressemitteilung der Polizei, skandalisieren sie und kolportieren die von ihnen so geschaffene, bis aufs Komma völlig vorhersehbare Erregung. Das lässt sich bequem mit dem Smartphone vom Grill aus erledigen. Es lässt sich allerdings auch komplett ohne Journalisten erledigen.

Erst kürzlich echauffierte sich eine Journalisten-Gewerkschaft (die sinnigerweise und zukunftsweisende auch PR-ler vertritt), die Polizei mache mit ihren Pressemitteilungen im Internet den Job der freien Presse. Rauszuhören war schon damals, dass es nicht darum geht, selbst zu recherchieren (denn dann störten behördlich verbreitete Statements ja nicht), sondern die „Bullenmeldungen“, wie das in der stahlarbeiterkampferprobten Ausbildungsredaktion am Niederrhein  hieß, von einem nicht-öffentlichen Kanal auf einen öffentlichen zu heben. Früher wurden dazu Faxe abgetippt (und prosaisch aufgehübscht), heute geht’s mit Copy&Paste (weshalb die Damen von der Texterfassung längst zum privaten Sicherheitsdienst oder der mobilen Altenpflege gewechselt sind).

Bislang klappt dieses gewerkschaftlich vertretene Geschäft noch ganz gut. Denn obwohl viele, vermutlich die meisten Pressemitteilungen nicht mehr exklusiv auf dem Redaktionsfax landen, sondern für jeden ohne Paywall im Internet stehen, braucht es für die Skandalisierung bisher noch die Redaktionen. Die versehen solche Meldungen z.B. mit wunderbaren Symbolbildern, weil: Bild klickt halt gut.

2. Die Version der Polizei

Die Behördenfassung des Skandals im Wendland klang so:

Lüneburg (ots) – ++ „neue Qualität der Gewalt“ gegenüber der Polizei ++ Einschüchterungsversuch zum Nachteil der Familie eines Polizeibeamten durch Gruppe von vermummten Personen ++ Polizei kann Personengruppe stellen ++ Strafverfahren u.a. wegen Landfriedensbruchs eingeleitet ++

Lüchow-Dannenberg/Hitzacker/Gorleben

Eine neue Qualität der Gewalt gegenüber der Polizei und ihren Angehörigen erlebten Einsatzkräfte in den Abendstunden des 18.05.18 im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Nach einer friedlich verlaufenden Veranstaltung/Demonstration in den Nachmittagsstunden in Gorleben hatten rund 60 zum Teil vermummte Personen gegen 20:00 Uhr gezielt das Grundstück und private Wohnhaus eines örtlichen Polizeibeamten in der Samtgemeinde Elbtalaue heimgesucht. Durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und ihre Vermummung versuchten die Personen die allein anwesende Familie des Polizeibeamten einzuschüchtern.

Nach Alarmierung von Polizeikräften konnten die Personen im weiteren Umfeld gestellt werden. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen. Die Polizei hielt die Personen aus der regionalen sowie überörtlichen „linken Szene“ bis zur Feststellung der Personalien vor Ort fest und leitete in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Lüneburg Strafverfahren u.a. wegen Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch, Bedrohung, Beleidigung, Diebstahl und Widerstand gegen Polizeivollzugbeamte ein. Einzelne Personen wurden aufgrund einer individuellen Gefahrenprognose parallel Ingewahrsam genommen. Alle weiteren Personen erhielten einen regionalen Platzverweis.

„Die Polizei in der Region verurteilt die Aggressionen und Einschüchterungsversuche zum Nachteil unserer Polizeibeamten und ihrer Familien auf das Schärfste. Mit dem gezielten „Angriff“ auf personifizierte Polizeibeamte als Privatpersonen und ihrer Familien wurde in der Region eine neue Dimension der Gewalt gegen Polizeibeamte erreicht. Dieser gilt es gesamtgesellschaftlich entgegenzutreten und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen.“

Welche Fragen sollten sich einem Journalisten zu dieser Pressemitteilung stellen?

a) Zunächst: Ist der Vorfall relevant für eine überregionale Berichterstattung? Die Antwort lautete in vielen Redaktionen offenbar ja, was in eine Zeit passt, da ein einziger falsch getippter Buchstabe des US-Präsidenten tagesschau.de zur Nachricht reicht.
Zu den Regeln der Kunst gehört allerdings, die Relevanz im Beitrag selbst deutlich zu machen, damit die Kunden die Entscheidung nachvollziehen und ggf. selbst bewerten können. Das Reizwort hat die Polizei selbst in die Überschrift ihrer Mitteilung gepackt: „Neue Qualität der Gewalt“
Nur: die Gewalt sucht man im Bericht vergeblich, und von welchem Bezugspunkt aus sich die „neue Qualität“, also wohl eine Steigerung gegenüber früherer Gewalt ergibt, bleibt auch im Dunkeln.

Die Gewalt der Kundgebung, die ja Anlass für die folgende Festnahme gewesen sein soll, wird im Polizeibericht nur mit Stichworten zu eingeleiteten Strafverfahren benannt. Die könnte man sich dann wenigstens einmal im Gesetz ansschauen. So sagt das Strafgesetzbuch etwa zur Bedrohung (§241):

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

Man muss gerade kein Jurist sein, um an dieser Stelle zu stutzen: Haben die Demonstranten mit Verbrechen gedroht? Und wenn ja: mit welchen? „Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.“ (§ 12 StGB)

b) Was könnte an der Pressemitteilung der Polizei anders sein, als es in einem journalistisch vorbildlichen Bericht der Fall sein sollte? Gibt es möglicherweise Einseitigkeiten, Verallgemeinerungen, Weglassungen? (Falschinformationen sollen nicht unterstellt werden, sind aber alleine deshalb jederzeit möglich, weil der Polizeipressesprecher zumeist nicht selbst vor Ort war, also gar nicht aus eigener Anschauung berichten kann; laut HAZ war Polizeisprecher Kai Richter allerdings – später – vor Ort.)
Da wäre zum Beispiel die sehr nüchterne Darstelllung, die Polizei habe die Demonstranten „bis zur Feststellung der Personalien vor Ort“ festgehalten. Wer auch nur einige Male entsprechende Polizeieinsätze beobachtet hat (sie also nicht nur aus Pressemitteilungen kennt) wird hier Routinerückfragen haben, deren Beantwortung den Polizeibericht ein wenig vielfältiger machen könnten.

c) Welche Passagen kann man als Journalist nicht ungeprüft aus der Polizeipressemitteilung übernehmen? Grundsätzlich alle, die streitig sein könnten, also Rechtmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit, Sachverhaltsinterpretationen etc. betreffen.
Denn wer sich bei der ersten Frage für eine so hohe Relevanz entschieden hat, dass eine bundesweite Verbreitung des Ereignisses notwendig, immerhin aber angemessen erscheint, muss sich schon die Arbeit machen, auch eine Nachricht entstehen zu lassen. Oder um mal wieder den Pressekodex zu zitieren:

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.

3. Was die Medien daraus machten

Die unabhängige Berichterstattung von Spiegel-Online sah dann so aus:

Vermummte bei Polizist zu Hause
„Unfassbare Aktion“
60 teils vermummte Personen haben das Privatgrundstück eines Polizisten bei Hitzacker aufgesucht,
um dessen Familie einzuschüchtern. Niedersachsens Innenminister zeigt sich schockiert: „Wir müssen reagieren.“

„Ich bin absolut davon entsetzt. Das ist eine unfassbare Grenzüberschreitung“: Mit diesen Worten reagiert Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei Facebook auf einen Vorfall vom Freitag.[1] In der Nähe von Hitzacker war eine Gruppe von 60 teils Vermummten vor dem Wohnhaus eines Polizisten aufmarschiert, um dessen Familie einzuschüchtern.[2] Nach Polizeiangaben handelte es sich um Angehörige der linken Szene.

„Wenn der Name und die Adresse dieses Beamten aus Hitzacker auf einschlägigen Seiten der linksautonomen Szene veröffentlicht werden und er dann zu Hause mit seiner Familie Opfer einer solchen Bedrohungslage wird, können wir das nicht hinnehmen und müssen reagieren“, so Pistorius weiter. [3]

Er habe inzwischen mit dem betroffenen Beamten gesprochen und sich den Fall aus dessen Sicht schildern lassen, sagte Pistorius und sprach von einer „unfassbaren Aktion“. Auch Politiker von CDU, FDP, der AfD und den Grünen verurteilten den Aufmarsch. [4]

„Dieser Angriff zeigt deutlich, dass es Gruppen in dieser Bevölkerung gibt, die überhaupt keine Skrupel mehr haben, gegen Polizisten auch persönlich vorzugehen“, sagte der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG, Alexander Zimbehl. Er forderte „eine eindeutige Reaktion seitens der Politik“. [5]

„Gezielt das Grundstück heimgesucht“

Nach einem Polizeibericht vom Samstag hatte die Gruppe „gezielt das Grundstück und private Wohnhaus eines örtlichen Polizeibeamten in der Samtgemeinde Elbtalaue heimgesucht“.[9] Durch lautstarke Stimmungsmache,[10] Anbringen von Bannern und durch ihre Vermummung hätten die Teilnehmer versucht, dessen Familie einzuschüchtern [2], die allein zu Hause war.

Nach dem Eintreffen von Polizeikräften soll es zu „Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen“ gekommen sein.[6] Die Polizei erteilte Platzverweise und nahm mutmaßliche Täter in Gewahrsam. Vorausgegangen sein soll dem am Nachmittag eine friedlich verlaufene Demonstration in Gorleben. Der Ort ist als Kulminationspunkt der Antiatomkraftproteste bekannt.

Polizeisprecher Kai Richter sprach von einem „gezielten Angriff“ auf Polizisten als Privatpersonen. [7] Laut der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ [8] gehören mehrere der Personen zum Umfeld eines linken Tagungshauses mit Gasthof in Meuchefitz. Dort hatte eine 80-köpfige Spezialeinheit der Polizei Mitte Februar ein prokurdisches Transparent beschlagnahmt. Der Polizist, der nun zu Hause aufgesucht wurde, soll an dem Einsatz beteiligt gewesen sein.
löw / dpa

Anmerkungen dazu:

[1] Die Nachricht mit einem Facebook-Statement des Innenminister zu eröffnen, zeigt die Selbstbezüglichkeit des Geschäfts: Wichtig ist, was ein Wichtiger in der Medienberichterstattung als wichtig ausgibt. Vielleicht um dem Facebook-Post mehr Gewicht zu geben, kommt ein Foto des Ministers dazu, das den Anschein erweckt, er habe sich gerade auf einer Pressekonferenz zu dem Vorgang geäußert.

[2] Diese Formulierung entstammt der Pressemitteilung (auch wenn SpOn als Quelle dpa verwendet) und hat in einer Nachricht nichts verloren. Nicht nur, dass die Polizei gar nicht wissen kann, was die Absicht der Demonstranten war: kommt es zu einem Prozess, ist die Aufklärung des Tatmotivs eine zentralen Aufgabe des Gerichts. Auch hierzu ist der Pressekodex eindeutig.

[3] Der von Pistorius dargestellte Zusammenhang ist nicht durch Fakten im Artikel gedeckt. Der betreffende Polizist ist in der Gegend offenbar gut bekannt.

[4] Die Frage ist, auf welcher Informationsgrundlage hier Politiker (und Gewerkschafter, also Leute, die immer dringend in den Medien präsent sein wollen) den „Aufmarsch“ verurteilen – und ob dieses „Verurteilen“ bereits das ganze Bild ist. Denn: weder Pistorius noch Spiegel-Online haben offenbar mit einem der Beschuldigten gesprochen – was im viel beschworenen Rechtsstaat doch wohl das Mindeste ist, bevor man sich zu einem Fall äußert (audiatur et altera pars).

[5] So nachrichtlich irrelevant wie Pistorius‘ Generallob der Polizei in seinem Facebook-Statement ist („Die niedersächsischen Polizistinnen und Polizisten sind jeden Tag für uns alle – übrigens auch für diejenigen, die für diese unfassbare Aktion verantwortlich sind – im Einsatz. Sie riskieren viel,…“), so vorhersehbar und damit nicht neu ist das Statement der Polizeigewerkschaft, – dem ansonsten wenigstens auch eines der Demonstranten bzw. ihnen nahestehenden Gruppen zur Seite gestellt werden müsste.

[6] Selbst nach Polizeidarstellung kam es dazu „im weiteren Umfeld“, also nicht am Demonstrationsort, nicht vor dem Haus des Polizisten. Auch hier fehlen eben alle Informationen zum tatsächlichen Geschehen.

[7] Ein Zitat stellt den Berichterstatter nicht von seiner Verantwortung frei – bei Journalisten sollte man dazu nicht auf die Verbreiterhaftung hinweisen müssen. Anstatt einen Angriff zu belegen, lässt Spiegel-Online die Polizei einen Angriff behaupten – und setzt die „Polizisten als Privatpersonen“ in den Plural, obwohl es doch nur um einen einzelnen ging.

[8] Spiegel-Online verzichtet wie so oft auf sinnvolle Verlinkungen – vielleicht, weil dpa den Link nicht mitgeliefert hat. Denn auch wenn der Redakteur der Elbe-Jeetzel-Zeitung ebenfalls nicht sehr nachrichtlich ans Werk geht (s.u.): er hat immerhin Bilder gemacht, die einen ersten Eindruck geben, und er könnte natürlich als „Kollege vor Ort“ mal detaillierter befragt werden.

[9] Das Verb „heimsuchen“ hätte redaktionell hinterfragt werden müssen. Spiegel.de hat es zwar nicht wie andere Medien frei in „stürmen“ übersetzt, aber bei Lesern kann es dennoch so ankommen, denn das ist laut Duden eine der Bedeutungen. (Siehe dazu auch unten bei den Updates, MoPo).

[10] Auch der Begriff „Stimmungsmache“ müsste von der Redaktion hinterfragt werden, anstatt ihn einfach als Zitat zu übernehmen. Wie soll das ausgesehen haben? In anderen Berichten ist von Sprechchören die Rede, zitiert wird u.a. der Spruch „Wir haben einen Spaten für den Garten“ – was vermutlich falsch ist (siehe unten Updates Bild.de).

4. Demonstranten haben ganz andere Version

Soweit zum Spiegel-Schnellschuss. Was zunächst bleibt ist eine völlig einseitige Darstellung eines Falls ausschließlich auf Grundlage von Polizeistatements ohne jedes Bemühen um eigene Aufklärung. Die nachrichtliche Adelung einer Polizeimeldung wurde natürlich sofort von vielen interessierten Kreisen aufgegriffen. Beispielhaft hier der medienaffine Kriminologe Thomas Feltes, der einen Zusammenhang zwischen der Forderung nach Kennzeichnung von Polizisten (= eindeutige Nummer auf der Uniform) mit der persönlichen Bedrohung am Gartenzaun durch „vermummte Idioten“ herbeiredet (Twitter).

Was mit einem weiteren Tag Abstand auffällt (die Demo war bereits am Freitagabend): selbst die inzwischen aktiv verbreitete „andere Sichtweise“ wird nicht als Update aufgenommen.

Es gibt eine Stellungnahme von Aktivisten des Tagungshauses „Gasthof Meuchefitz“ und eine der Musikgruppe „rotzfreche Asphaltkultur“, die vor Ort war.

Und es gibt ein Video, das selbstverständlich nicht „die ganze Wahrheit“ zeigt, aber doch wichtige Eindrücke gibt, unter anderem von der dargebotenen Musik, die als bedrohlich zu empfinden schon einiger Mühen bedarf. (Das darin zu hörende Lied „Drei rote Pfiffe“ (Text: Heinz Rudolf Unger) gibt’s in einer Studioversion von RAK hier zum kritischen Nachhören.)

Hitzacker 18.05.2018 – Was wirklich geschah from Medienkollektiv Wendland on Vimeo.

Spätestens daraus ergeben sich nun dringende Fragen, die zu klären sind, nachdem man mit seiner Veröffentlichung bereits zumindest unvollständige Informationen mit einseitiger Bewertung veröffentlicht und damit in einer journalistisch unverantwortlichen Weise zur Meinungsbildung beigetragen hat.
Da es hier nicht um den Fall selbst, sondern wie immer bei Spiegelkritik nur um die journalistische Arbeit geht, sei nur ganz kurz benannt:
+ Stundenlanges Festhalten der Demonstranten, um dann kurz ihren Personalausweis zu prüfen?
+ Der Polizist, dem die Demonstration galt, war selbst am Einsatz beteiligt? In welcher Form? Ermittelt er nun in eigener Sache?
+ Wird künftig jede ähnliche unangemeldete Versammlung zu einem bundesweiten Aufreger gemacht?

Beim Medienkontakt der Aktivisten hatten sich jedenfalls einen Tag nach Veröffentlichung der Pressemitteilung nur fünf Journalisten gemeldet, NDR (Screenshot oben) und RTL kamen mit Filmteams.

Spiegel-Online steht hier nur beispielhaft. Die Agenturmeldung wurde flächendeckend verbreitet, jeweils mit verschiedenen Ausschmückungen, aber stets ohne die beschuldigte Seite zu hören. Eine Ausnahme bildete am 21. Mai die taz, allerdings  blieb der Kommentar ihrer Parlamentskorrespondentin Anja Maier von dieser Ausgewogenheit unbeleckt und sie verkauft wie die BILD-Zeitung als Fakten („Nachrichtenlage“): „Sechzig vermummte Autonome belagern das Haus eines niedersächsischen Staatsschutzbeamten.“

Vor Ort war ein Redakteur der Elbe-Jeetzel-Zeitung (EJZ). Entsprechend erstaunlich ist es, wie wenig das Lokalblatt daraus macht, wo es doch einem bundesweit bedeutsamen Ereignis beiwohnte (zumindest – den Fotos nach – dem zweiten Teil davon). Die Ortskenntnis und -präsenz gereicht dem Redakteur aber leider nicht zu besserer Berichterstattung. Die Überschrift „Großeinsatz nach Angriff auf Polizisten“ ist nach allen dargebotenen Fakten nicht haltbar, ebenso wenig wie der erste Satz:

„Ein Angriff von rund 60 Vermummten auf das Haus eines Polizisten in Hitzacker hat am Freitagabend einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst.“

Zum kostenpflichtigen Folgebericht („Politik sieht rote Linie überschritten„) gibt es derzeit keinen Zugang, weil er einem ePaper vom 21. Mai zugeordnet wird, an diesem Pfingstmontag aber kein ePaper erscheint (und das für den 22. Mai nicht verfügbar ist).

Dass auch die Berücksichtigung von Informationen der anderen Seite noch nicht automatisch zu einer angemessenen Berichterstattung führt, zeigt ebenfalls lehrbuchmäßig die Welt:
Linksradikale beklagen nun einen ‚brutalen Polizeiübergriff‚“

„Dieser brutale Polizeieinsatz“, so wird einer der Teilnehmer des „Straßenmusikkonzerts“ in der Presseerklärung zitiert, „ist nicht zu rechtfertigen“.
Mit der Möglichkeit, dass das Einschüchtern von Polizisten und ihren Familien in deren Privathäusern möglicherweise erst recht nicht zu rechtfertigen sein könnte, beschäftigen sich die „Sänger*innen“ vorsichtshalber nicht. Das taten für sie dann die niedersächsische Politik und die Polizeigewerkschaften.

Das ist wie so oft Ideologie statt Journalismus. Wenn Berichterstatter nicht tatsächlich offen suchend an eine Sache herangehen, kommt eben Public Relations dabei heraus. Die Polizeigewerkschaft erklären zu lassen, was man die „Sänger*innen“ nicht zu fragen gewillt ist – eine eigentümliche Herangehensweise. Aber so bleiben die Veröffentlichungen wenigstens konsistent. Es begann mit
60 Vermummte stürmen Privatgrundstück eines Polizisten„, es folgte „‚Unfassbar‘ – Pistorius entsetzt über Angriff von Linksradikalen“ und dann eben „Linksradikale beklagen nun einen ‚brutalen Polizeiübergriff‘

5. Verwendung unzutreffender Fotos, die Stimmung machen

Ihren Informationsauftrag konterkariert haben viele Medien, die schon auf Recherche verzichtet haben, dann noch mit der Illustration, so wie hier die Welt zunächst (Bild von 2011 via Thorsten Breug)

Weit von der Wirklichkeit entfernt auch die Focus-Illustration, bei der auch noch eine neue Spielart der Irreführung in der Überschrift hinzukommt:

6. Presseaufgabe: Kontrolle der Mächtigen

Es hat übrigens nicht mit pauschalem Misstrauen zu tun, wenn gefordert wird, Journalisten sollten Polizeiberichte kritisch überprüfen – das ist schlicht ihre Aufgabe, gerne beschrieben mit dem großen Wort von der „Kontrolle der Mächtigen“. Weil die Polizei qua Amt (Staats)gewalt ausübt, die dem Bürger eben rechtlich (und technisch) nicht zusteht, muss die Presse in diesem Beziehungsgeflecht immer zunächst anwaltlich tätig sein: sie hat zu recherchieren, was möglicherweise falsch gelaufen ist, was man anders sehen  kann (und ggf. muss). Wo das von vornherein unterbleibt, trägt der Journalismus nichts zur Aufklärung bei.

Das heißt auch: Wenn Politiker in solchen kleinen Fällen (stets natürlich erst nach hinreichender Medienaufmerksamkeit) zur großen Machtdemonstration greifen, muss sich der journalistische Blick auf die richten, die von Politikern angegangen werden. Meistens wird man aber die (aufgrund der Gewaltenteilung ohnehin völlig belanglose) Forderung nach der „ganzen Härte des Gesetzes“ als Selbstvermarktung ignorieren dürfen.

 

7. Zusammenfassung

Weil das nun über die Stunden doch ein recht langer Beitrag geworden ist, nochmal die medienkritischen Knackpunkte:

+ Die Relevanz des Themas wird in den Berichten nicht deutlich (bzw. mit falschen/ irreführenden Behauptungen begründet). Bislang belegt ist eine Versammlung auf öffentlicher Straße, die möglicherweise als Demonstration anmeldepflichtig war. Und einzelne Personen haben wohl fremdes Eigentum betreten oder wenigstens berüht, um YPG-Wimpel am Carport aufzuhängen. Das sieht nicht nach einem so gravierenden Ereignis aus, das Recherche zugunsten der Eile entbehrlich macht. Die Relevanzfrage ist aber die alles entscheidende, denn der skandalisierenden Berichterstattung folgt konkrete Politik. Das ist nicht mehr nur theoretisch „Konstruktion von Wirklichkeit“.

+ Alle gefundenen Erstberichte waren einseitig. Damit  haben sie nicht der dem Journalismus zukommenden Orientierungsaufgabe gedient, sondern ausschließlich kommerziellen Interessen (wenn wir Propaganda mal ausschließen wollen). Wer sich die vielen, vielen darauf basierenden Meinungsbekundungen im Netz ansieht, kann das nicht als Lappalie abtun.

+ Selbst die Umformulierung der Polizeimeldung ist in vielen Fällen missglückt, oder deutlicher: es wurden Behauptungen aufgestellt,  die durch keine Quelle gedeckt sind und für die auch keine Quelle ersichtlich ist (kein Berichterstatter vor Ort, Information widerspricht der Darstellung sowohl von Polizei als auch von Demonstranten). So etwas wird derzeit Fakenews genannt.

+ Die in einigen Medien verwendeten Archivfotos können nicht mehr als Symbolbilder durchgehen (Pressekodex Richtlinie 2.2), auch wenn sie so gekennzeichnet wurden – sie haben schlicht falsche Nachrichten verbreitet.

8. Updates & Fundstücke

+ Siehe auch den Kommentar dazu: Wir Billigheimer

+ Der NDR setzt bei seinen Updates in der Berichterstattung übrigens auf die unschöne Methode, alte URL auf neue umzuleiten und den Veränderungsverlauf im Text nicht deutlich zu machen. Das führt dazu, dass Borsi Pistorius mit seinem Facebook-Post nun auf sich selbst verweist. Die ursprüngliche NDR-Meldung, die Pistorius verlinkt hatte und die natürlich noch ohne sein Statement war, lag unter der Adresse
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Wendland-Vermummte-belagern-Haus-von-Polizisten,wendland390.html
Diese wird nun umgleitet auf:
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Belagerung-von-Polizisten-Haus-Pistorius-entsetzt,wendland390.html

+ Die Nachrichten-Maschinerie:
*„JU-Chef“ fordert ….
*Polizeigewerkschaft fordert…. (obwohl die „privaten Daten“ eines Polizisten im vorliegenden Fall gar nicht per Gesetz geschützt werden können: man ist dort Nachbarschaft, man kennt sich (laut Sauerteig, s.u., seit 30 Jahren!) und weiß auch ohne Internet und Geheimakten, wo der andere wohnt… Aber wozu eine Gewerkschaftsforderung auf Plausibilität und Relevanz prüfen, wo die Nachrichtenmaschinerie doch gerade so schön läuft…)

+ Nochmal eine Darstellung von Hans-Erich Sauerteig, der bereits im NDR-Nachrichtenfilm vom 21. Mai zu sehen ist.

+ Weil der neue Nachrichtenaufhänger nun die Ermittlungen der Polizei/ Staatsanwaltschaft sind: es gilt hier nämliches, wie immer wieder zu Strafanzeigen gesagt, zumindest solange die Prüfung eines „Anfangsverdachts“ läuft. Natürlich ermittelt die Polizei jetzt irgendwas – sie kann ja schlecht sagen: Ha,  Freitagnacht, das war nur so ein Scherz… Es ist daher KEINE NEUE NACHRICHT. Journalisten dürfen weiterhin selbst arbeiten.

+ Deutschlandfunk (DLF) beginnt ein wenig mit der medienkritischen Aufarbeitung:

>Der eher abgelegene Ort des Geschehens sei am verkehrsreichen Pfingstwochenende eher schlecht zu erreichen gewesen, erklärte Stefan Schölermann. Gerade in einer solchen Situation müsse für Journalisten aber zum einen gelten: „Höre auch die andere Seite sobald wie möglich, ohne es zu werten.“ Und man habe „mit der Darstellung – Vermummte stürmen Privatgrundstück eines Poizeibeamten, garniert mit Bildern von einem Event, das mit diesem gar nichts zu tun hatte – eindeutig das Kino im Kopf angeheizt und einen ganz anderen Eindruck gegeben, als es möglicherweise konkret hatte.“<

Das gute Bemühen des Kollegen Schölermann wollen wir gar nicht bestreiten. Aber es war nun just der Deutschlandfunk, der für uns den Ausschlag gab, viel unvergütete Zeit in die Dokumentation des journalistischen Versagens zu stecken. Denn auch dort hatten wir eine völlig unkritische, einseitige Meldung vernommen, – und zu dieser Einseitigkeit befragt äußerte sich niemand.
Und auch das von DLF verwendete „Bild von einem Event, das mit diesem [in Hitzacker] nichts zu tun hatte“ sei hier nochmal zitiert: es ist so irreführend wie bei Welt, Focus und vielen anderen.

+ Im taz-Interview (23.05.2018) erzählt Hans-Erich Sauerteig eine interessante Anekdote, die wieder mal deutlich macht, wie sehr unsere Wahrnehmung davon geprägt wird, was die Medien in die Öffentlichkeit zerren und was nicht:

>Der Polizeichef von Lüchow-Dannenberg wollte ja auch mal bei uns hier in der Kneipe Bier trinken. Wir haben gesagt: Mensch, das geht doch nicht, jetzt gehen Sie doch raus, das ist doch Unsinn. Da hat der gesagt: Wieso? Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Da denke ich, nein, das kann man vielleicht nicht so trennen in so ganz exponierten Fällen.<

+ Auch nach vier Tagen hat die Welt (Axel-Springer-Verlag) ihre definitiv völlig falsche Behauptung noch nicht korrigiert:

 

Hier handelt es sich weder um eine Interpretationsfrage noch einen Flüchtigkeitsfehler: Das gerne zu den „Qualitätszeitungen“ gezählte Blatt hat die Behauptungen schlicht und ergreifend erfunden. Die Ressortleiterin hat auf Hinweise nicht reagiert (allerdings hat sie auf Twitter dem Überfliegen nach ohnehin noch nie auf Fragen geantwortet oder auf Kritik reagiert).

+ Zum behördlichen = staatlichen Spin der Geschichte gehört, die eigene Arbeit als traurige Konsequenz aus der unangemeldeten Demonstration darzustellen. So titelt das Hamburger Abendblatt: „Familie von bedrohtem Polizeibeamten wird betreut“

Ob Frau und Kinder tatsächlich in irgendeiner Weise von dem Gesangsprotest geschädigt wurden, wird damit geschickterweise nicht ausgesagt, aber wohl insinuiert, andernfalls ergäbe die Headline keinen Sinn.

 

+ Ein Beispiel polizeilicher Objektivität präsentiert die Polizeigewerkschaft mit folgendem Tweet:

+ Nun hat auch Bildblog berichtet (24.05., 20:21 Uhr) und sich die Mühe gemacht, viele weitere Beispiele für verkorkste „Symbolbilder“ zu sammeln. Wie schon beim Text handelt es sich also nicht um einzelne Ausreißer.

+ Die Musikgruppe RAK hat eine Online-Presseschau erstellt.

+ Die Hamburger Morgenpost (MoPo) spricht nun selbstkritisch von Alarmismus:

>Vermummte Chaoten greifen in Hitzacker das Wohnhaus eines Polizisten an! So berichteten über Pfingsten viele Medien (so auch die MOPO). Schilderungen, die in den Köpfen Bilder eines Schwarzen Blocks erzeugten, der nur im letzten Moment von der Polizei gestoppt werden konnte – und zu empörten Reaktionen führten. Doch dieses Bild hat mittlerweile tiefe Risse. Denn offenbar war der Vorfall deutlich weniger dramatisch – und wurde zudem von der Polizeigewerkschaft DPolG in ihrem Kampf für ein härteres Polizeigesetz instrumentalisiert.<

Für die womöglich falsche Dramatisierung macht die MoPo die Polizeigewerkschaft DPolG verantwortlich. In der offiziellen Polizeimeldung war demnach

>nie die Rede von einer ‚Attacke‘, einer ‚Stürmung‘ oder einem ‚Angriff‘. Geschildert wurde vom Polizeisprecher, dass am Freitagabend 60 teils vermummte Personen das Haus eines ‚örtlichen Polizisten heimsuchten und durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und durch ihre Vermummung‘ versuchten, die Frau und die Kinder des Polizisten einzuschüchtern.<

Das ist richtig, wie es die MoPo darstellt (und hier in der Dokumentation ja deutlich nachzulesen ist), allerdings muss man der Ehrlichkeit halber darauf hinweisen, dass „heimsuchen“ in dieser Verwendung schon verstanden werden kann als: „bei jemandem in einer ihn schädigenden oder für ihn unangenehmen, lästigen Weise eindringen“ (Duden). Eine solche gravierende Tat hätte natürlich weiter recherchiert werden müssen, aber schon die erste Meldung der Polizei war eben nicht rein Fakten-basiert, sondern stark gefärbt.

+ 10 Tage nach dem Vorfall schreibt die Lokalzeitung: „In Hitzacker geht die Angst um“. Aber Entwarnung (?): Angstmacher sind keine vermummten Linken, sondern die Politik

+ In zahlreichen Medien wurde verbreitet, die Demonstrationsgruppe habe vor dem Wohnhaus auch in Sprechchören gerufen, so mehrfach Bild.de:

Allerdings wird nirgends eine Quelle benannt, die etwa den Ruf „Wir haben einen Spaten für deinen Garten“ vor dem Haus vernommen haben will. Hans-Erich Sauerteig (Gasthof Meuchefitz) schreibt uns auf Anfrage dazu am 28. Mai:

>Vor dem Haus wurden außer den vier Liedern und der Parole „hupphupphurra“ keine weiteren Parolen gerufen. Der sogenannte Hassgesang, der eigentlich ein Spottgesang ist, ist erst in dem Polizeikessel kreiert und komponiert worden und hatte dort seine Welturaufführung.<<

+ Weiteres zum grundsätzlichen Thema
a) Recherche bei Polizeimeldungen (Pressemitteilungen von Behörden müssen auch als sog. „priviligierte Quellen“ geprüft werden
b) NDR ZAPP: Aufgeregte Berichterstattung: Der Fall Ellwangen
c) taz: Achtung, Behörden-PR (Medien und Polizei) (Der Beitrag war zunächst mit „Bullen-PR“ überschrieben, auf die Änderung weist die taz leider nicht hin)
d) taz: Polizei und Journalisten im Wendland – Presse auf die Fresse (Beitrag von 2011)
e) Telepolis: Journalismus im Pfingsturlaub (28.05.2018)

+ Übermedien zieht am 25. Mai mit einem Beitrag nach, verzichtet aber wieder auf einen Link zu Spiegelkritik.

+ ZAPP macht auch einen Beitrag („Medien erfinden Gewaltexzess„), zu dem es allerdings auch noch einiges zu sagen gäbe (etwa zur völlig haltlosen Fokussierung auf das „Privatfernsehen“), was Momentan aus Zeitgründen aber unterbleiben muss.

+ René Martens hat in seiner Altpapier-Kolumne (30.05.2018) dankenswerterweise auch auf das Problem hingewiesen: „bestenfalls hemdsärmelig„.

Korrektur:
Der Beitrag war versehentlich mit „Unfassbare Aktionslosigkeit“ überschrieben, die deshalb auch noch in der URL auftaucht.

12 Gedanken zu „Unfassbare Ahnungslosigkeit

  1. Pingback: Wir Billigheimer – SpiegelKritik

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  4. Anarchrist

    Naja, so sehr ich auch den auf Seite der oeffentlichen Hand vorliegenden Bruch mit dem Grundsatz der Verhaeltnismaessigkeit und die extrem an den Haaren herbeigezogenen Fakenews der ueblichen verdaechtigen Medienhaeuser und Polizeipressestellen etc. verurteile, die Aktion haette in der Naehe bzw. vor der Tuer bis hinein in die entsprechende Amtsstube stattfinden sollen (Geht mit Audio ja ganz ohne Hausfriedensbruch) und nicht an der Wohnstaette der Hupps.

    Ein „der ist fuer ‚Hausbesuche‘ bei uns verantwortlich, also duerfen wir ihn auch zu Hause besuchen“ ist ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘-Philosophie, welche fast schon wie von selbst (Human Condition) alle Eskalationsstufen in windeseile zu erklimmen vermag und daher nach meinem Dafuerhalten unter allen Umstaenden vermieden werden sollte. Ausserdem hat sie Unbeteiligte, naemlich Frau und Kinder, mit in die Affaere gezogen.


    Besonders laecherlich empfinde auch ich den Tatvorwurf „Landfriedensbruch“. Damit kommen die niemals durch vor einem ordentlichen Gericht, sofern dieses auch ordentlich arbeitet. Die Teilnehmer der Aktion haben schlichtweg keine

    §125 StGB „Gewalttaetigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, in einer die öffentliche Sicherheit gefaehrdenden Weise“

    begangen. Die oeffentliche Sicherheit war niemals in Gefahr. Welch Armutszeugnis sich da Polizei und Staatsanwaltschaft selbst ausgestellt haben, scheint niemand zu bemerken. 60 Leute, die einen Polizeibeamten besuchen, singen und tanzen, ein paar Wimpel an eine Holzwand tackern und sich nach ner halben Stunde wieder auf die Heimreise machen, sollen DORT also eine Gefahr der oeffentlichen Sicherheit gewesen sein, fuer welche ja Polizei und Staatsanwaltschaft verantwortlich sind? Ist wie bei AfD und PEGIDA & Co.: Auch die Polizei suhlt sich wie die Made im Speck munter quiekend und mit Wolllust in ziemlich muffiger Opferrollen-Suelze. Grunz.


    Ob die Demo haette angemeldet werden muessen, haengt uebrigens davon ab, ob dem Gericht plausibel gemacht werden kann, dass die Demo komplett spontan entstand und auch durchgefuehrt wurde. Das wird evtl. nicht leicht wegen der mitgebrachten YPG-Banner, welche normalerweise niemand einfach so mitfuehrt. Sollte die Idee dazu schon zum Protest in Gorleben mitgebracht worden sein, stehen die Chancen wahrscheinlich nicht gut.


    Ist sonst noch jemandem aufgefallen, dass auf breiter Front die Familie als „allein zu Hause“ dargestellt wurde?
    Ist offensichtlich der emotionale Aufhaenger, der den Verstand des Empfaengers ausschalten soll. Der „Aufmarsch von 60 Vermummten“ gegen ‚wehrlose Frau mit mehreren Kinder‘ ist natuerlich ein gefundenes Fressen fuer verkappte und sonstige Rechtsradikale. Weite Teile der Presse und auch diverse behoerdliche Pressestellen biedern sich seit einigen Jahren dem rechten Mob wesentlich offener an.

    Uuuund… Eigentlich war ja Herr Hopp alleine, und zwar ausser Haus, im Gegensatz zu Frau Hopp nebst Kindern. Das ‚allein zu Hause‘ – Geplaerre ist einerseits eine bodenlose Ueberspitzung und Manipulation aber erkennbar auch ein Automatismus, der wohl den immer noch vorhandenen partriarchalischen Mustern entsprungen ist, welche tief in den Hirnwindungen diverser Ewiggestriger wuchern. Jaja, ohne Macker daheim, ist eine Familie allein, vollkommen wehrlos, handlungsunfaehig und unter gar keinen Umstaenden vollzaehlig. Und das sage ich als Mann, der insgesamt wirklich kein Freund des modernen Extrem-Feminismus ist.


    Mein Dank fuer die emanzipatorischen Leistungen und Zivilcourage gilt allen Demoteilnehmern, den Leuten von RAK und allen Aufklaerern, Dokumentatoren und Unterstuetzern, insbesonder auch was das Nachspiel betrifft, welches noch ein ganzes Weilchen andauern wird, nehme ich an. Ob Joerg Bergstedt in dieser Sache ein guter Laienverteidiger waere, weiss ich nicht, wuerde aber empfehlen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, wenn tatsaechlich muendliche Verhandlungen kommen.

  5. Der Priester

    @Anarchist:
    Im Grunde gebe ich Dir recht. Jedoch war es offensichtlich besser, dass Herr Hopp NICHT zuhause war. Nicht auszudenken, wenn so ein Bullen-Rambo sich von Gesang und Tanz dermaßen bedroht fühlt und mal eben aus dem Fenster mit seiner Dienstknarre ballert; aus reiner „Notwehr“, versteht sich. Zuzutrauen wäre es ihm.

  6. SpKr Redaktion

    Da wir ein Medien-Watchblog sind und das Thema unserer langen Dokumentation auch ausschließlich der kritikwürdige Umgang der Presse mit den Vorfällen ist, bitten wir, hier nicht auch wie schon an so vielen Stellen über den Sinn der Protestaktion, Vergleiche mit anderen etc. zu diskutieren. Danke.

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