Korinthe (87): Eingebung statt Einblick

>>Ein Narrativ ist eine „sinnstiftende Erzählung“, so betörend, dass sie unsere Wahrnehmung der Realität verändert. […] Solche Meistererzählungen steuern, wie wir unsere Welt sehen und uns verhalten. […] Es sind Rechtfertigungen für unser Handeln und Politik.<<

So erläutert Roland Tichy, was es mit Narrativen auf sich hat, bei denen “die exakten Grenzen zwischen Tatsachen, Erfindung und Hoffnung” verschwinden.

Bei seinen Beispielen bleibt Tichy überwiegend vage. Sein Bezug zur Relotius-Debatte ist grobschlächtig:

>>DER SPIEGEL ist dafür bekannt geworden, dass er Storys publizierte, die solche Narrative emotional aufladen und ausschmücken. Mit der Realität haben sie nichts zu tun. Es geht um die Bestätigung dessen, was wir glauben sollen. Journalismus wird dafür nur mißbraucht.<<

Bei diesem Pauschalvorwurf (einzelne Spiegel-Artikel haben mit der Realität nichts zu tun) wie bei all seinen Einzelstichworten verzichtet Tichy auf jeglichen Beleg: er behauptet einfach, irgendetwas sei ein Narrativ, also eine mehr geglaubte als faktenbasierte Erzählung. Es sind natürlich die üblichen Stichworte, weil es zu ihnen eben ein eigenes einfältiges Narrativ gibt:

>>Was des Einen Glaube, das des anderen Spott. So geht es auch mit dem Klimawandel; hier vermischen sich Modell und Glaube, Eifer, Geschäftemacherei und Ignoranz; wer dem Narrativ nicht folgt, gilt als „Klimaleugner“.<<

Sein einziger, durchgängig zwischen den Zeilen genutzter Beleg, ist offenbar das Dogma: die Lüge ist immer die Lüge des anderen. Bei einem Riesenthema wie dem anthropogenen Klimawandel kann man das wunderbar betreiben: immer behaupten, eine Gegenseite lüge, manipuliere und man selbst habe die Wahrheit gefunden.

Bei kleineren Themen geht das nicht – und darin verheddert sich Roland Tichy mal wieder und offenbart, dass auch er Narrativen folgt, statt zu recherchieren bzw. das Recherchierte zu verstehen.

>>[Narrative] sind Erfindungen oder zumindest Übertreibungen, die mehr verbergen als offenbaren, etwa wenn vom „Bienensterben“ die Rede ist, obwohl die Zahl der Völker zunimmt. Narrative werden gerne von Lobbyisten erfunden […]<<

Seine Behauptung: der Begriff “Bienensterben” sei  eine Erfindung oder zumindest Übertreibung, weil in Wahrheit die Zahl der Bienenvölker zunehme. Tichys Problem: er hat gar nicht verstanden, über was da die ganze Zeit mit dem Rubrum “Bienensterben” diskutiert wird, obwohl die Sache ist ganz einfach: es betrifft die natürlicherweise vorkommenden Bienen, die sogenannten Wildbienen, nicht die von  Imkern gehaltenen Nutztiere (die ihre ganz eigenen Probleme haben). Das biologisch Alarmierende ist der starke Bestandsrückgang dieser Wildbienen, die überwiegend keine Staaten bilden, anders als die Dunkle Europäische Biene (und alle Honigbienen). Dieses Bienensterben ist völlig unstrittig. So schreibt bspw. das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit:

>>Über 60 % der ca. 560 Wildbienenarten sind in Deutschland bedroht und dies seit Jahrzehnten – und nicht erst seit kurzem. An erster Stelle ist dafür der Lebensraumverlust ursächlich. Hierzu zählen u.a. die Versiegelung von Landschaftsräumen durch Ausweitung von Wohn- und Gewerbegebieten, Verbreiterung von Straßen, monotone Gartengestaltung und vieles mehr. Fehlt es an den spezifischen Nährpflanzen, können sich die Wildbienen nicht ernähren. Sind Pflanzen auf sehr spezifische Bestäuberbienenarten angewiesen und fehlt es an diesen, können sich ggf. auch die Pflanzen nicht vermehren.<<

Dass die von Imkern gehaltenen Bienenvölker zunehmen, weil es mehr (Hobby-)Imker gibt, steht dem Bienensterben nun überhaupt nicht entgegen, so wie etwa Unfalltod und Geburtenrate nichts miteinander zu tun haben.

Und so tradiert Tichy in einem Beitrag über die Gefahr von Narrativen und den Missbrauch des Journalismus ein beliebtes Narrativ der Faktenignorierer.

 

 

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