“Das vielleicht spannendste neue Projekt dieser Art in Österreich ist der Wohnrechtskonvent 2019”,
schreibt Walter Osztovics in der Österreich-Ausgabe der ZEIT (34/2019). “Bürger an die Macht” heißt sein Stück, das verschiedene Bürgerkonsultationen in Europa kurz vorstellt. Neben dem spannenden Wohnrechtskonvent erwähnt der Autor noch eine prophetische “Arena Analyse 2019”, “eine Studie, die auf Expertenbefragungen beruht” und “jährlich vom Wiener Beratungsunternehmen Kovar & Partners in Zusammenarbeit mit der ZEIT und dem Standard durchgeführt” wird. Und eine “relativ neue Software” findet Platz, “eComitee”, denn:
“Die Digitalisierung liefert das Werkzeug, um [Bürgerbeteiligung] auch im großen Maßstab umsetzen zu können”
– beim “Wohnrechtskonvent” etwa wird “eComitee” eingesetzt.
“Die Entwicklung von eComitee ist ein Joint Venture von Kovar & Partners und Univ.-Prof. Dr. Peter Reichl, Professor an der Fakultät für Informatik der Universität Wien”,
womit der Kreis innovativer “Bürger an die Macht”-Projekte geschlossen ist, wenn wir noch irgendwoher erfahren, dass Autor Walter Osztovics Co-Geschäftsführer von “Kovar & Partner” ist.
Der ZEIT-Autor, zu dem es weder in der gedruckten Ausgabe noch online einen biografischen Hinweis gibt, schreibt also über seine eigenen Projekte und wertet munter drauf los, ohne dass diese Betroffenheit erwähnt wird.
Johanna Schacht, Pressesprecherin der Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co KG, schreibt uns auf Anfrage heute Nachmittag:
“Nach Rücksprache mit den verantwortlichen Redakteuren möchte ich Ihnen mitteilen, dass wir den fehlenden Transparenzhinweis zu dem von Ihnen zitierten Artikel bedauern. Wir werden ihn online nachträglich ergänzen.”
Diese Ergänzung ist heute noch nicht geschehen. Und es ist fraglich, ob es mit einer Autoreninformation getan ist, oder ob – zumal unter dem schönen Titel “Bürger an die Macht” – nicht einfach ein PR-Stück erschienen ist.
PS: Wenn man schon mal einen Beitrag sehr genau anschaut, dann fallen einem natürlich immer einige Merkwürdigkeiten auf. Bei diesem kommt hinzu, dass ich die Bürgerbeteiligungs- und Demokratiereformszene recht intensiv beobachte und selbst ein kleiner Akteur in ihr bin:
* Hauptzitatgeber im Beitrag ist Edward Strasser, den Osztovics schlicht als “Politikexperten” einführt. Das mag korrekt sein, viele Menschen sind Politikexperten. Passend wäre aber auch die Bezeichnung “PR-ler”, denn laut seiner Vita war Strasser von 2000 bis 2014 Geschäftsführer und Managing Partner von The Skills Group, seit Mai 2014 ist er dort Partner. Von 2007 bis 2009 war Strasser außerdem Generalsekretär des Public Relations Verbandes Austria (PRVA).
* Der Texte wurde nicht oder schlecht redigiert. Bei keinem Zitat gibt Osztovics an, in welchem Zusammenhang es gefallen ist (zugegeben eine verbreitete Unsitte im Journalismus). So findet sich dann folgende Passage:
“Wir brauchen eine möglichst breite Einbindung der in Österreich lebenden Menschen in den politischen Prozess“, fordert auch die in Wien lehrende Politikwissenschafterin.
Leider ist diese lehrende Politikwissenschaftlerin bis zu diesem Punkt noch gar nicht erwähnt worden. Gemeint sein dürfte Stefanie Wöhl, die vier Absätze später auftaucht und die im Standard am 14. Juli 2019 geschrieben hat, allerdings gemeinsam mit ihrer Kollegin Birgit Sauer:
Die jetzige Phase einer “Expertenregierung” gibt aber Zeit, darüber nachzudenken, wie eine möglichst breite Einbindung der in Österreich lebenden Menschen in den politischen Prozess möglich ist […]
* Es ist bezeichnend für einen Beitrag über “Bürger an die Macht”, dass Bürger allein in ihrer Bürgerrolle gar nicht zu Wort kommen. Zu Wort kommen Menschen, die mit Bürgerbeteiligung in der einen oder anderen Form Geld verdienen und die sich mit der Ermöglichung von Bürgerbeteiligung profilieren. Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass PR-Profi Strasser mit den Worten zitiert wird:
“Rechtzeitiges Einbinden der Bürger ist ein hervorragendes Instrument, um Konsens oder zumindest Akzeptanz herzustellen. Wo Politiker so vorgehen, sind sie durchwegs erfolgreicher.”
Das ist exakt die Sicht von Politikern auf Bürgerbeteiligung – aber nicht der Anspruch der Bürger selbst.
* Und schließlich sei korrigiert, dass es die Bürgerräte in Vorarlberg nicht erst seit 2012 gibt, sondern bereits seit 2006. Seit 2013 stehen sie in der Landesverfassung.