Das Berliner Abgeordnetenhaus hat den „Mietendeckel“ beschlossen – und wie schon in den letzten Monaten der Diskussion um das Gesetz äußern sich viele journalistische Kommentatoren kritisch. Eine gute Gelegenheit, mal wieder genauer hinzuschauen auf die Argumentations-Qualität. Um das Ergebnis soll es möglichst wenig gehen (wenngleich meine eigene Position kein Geheimnis ist), sondern um die journalistische Orientierungsleistung, die auch ein Kommentar zu erbringen hat. Das folgende Beispiel von Spiegel.de ist allerdings nicht als Kommentar ausgezeichnet, es ist ein Bericht – allerdings ein sehr einseitiger. Wie üblich und rechtlich geboten ist nur so viel Text aus dem Original zitiert, wie für die Analyse notwendig.
Aus dem Spiegel.de Beitrag „Der Mietendeckel hat eine deutliche soziale Unwucht“ |
Anmerkungen |
Der Berliner Senat hat den Mietendeckel verabschiedet. Das Gesetz werde die Probleme auf dem Wohnungsmarkt verschärfen, erwarten Experten – und nur Besserverdiener begünstigen. Das legt auch eine Studie nahe. | Schon der Teaser macht deutlich, dass hier keine ausgewogene Darstellung zu erwarten ist. Die im Beitrag zitierten „Experten“ sind allesamt wenigstens auch: Lobbyisten. |
Aus Sicht der Befürworter ist der Mietendeckel ein „mutiges Gesetz“ und ein unbedingter Grund zur Freude. | Wieso „unbedingt“? Bei Spiegel selbst kommentiert Robin Wille, wie unzufrieden Befürworter sein können. |
Fragt man dagegen Verfassungsexperten, Handwerks- und Immobilienverbände, so stellt sich die Sachlage ganz anders dar. Dass der Widerspruch von Immobilienlobbyisten kommt, überrascht wenig – zumindest auf den ersten Blick. Denn es sind auch Verbände gemeinnütziger Wohnungsbauunternehmen und Genossenschaften, die sich zu Wort melden. | Niemand lässt sich gerne seine Einnahmen beschränken – auch gemeinnützige Vereinigungen nicht. Schließlich arbeiten ab einer gewissen Größe auch im gemeinnützigen Sektor die meisten Menschen sehr eigennützig – nämlich schlicht für Gehalt (und ggf. weitere Annehmlichkeiten).
Weil die Gemeinnützigkeit von allgemeinem Wohnungsbau zumindest sehr fragwürdig ist, wurde das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz mit der Steuerreform 1990 auch aufgehoben. (Wissenschaftliche Dienste des Bundestags) |
Sie hatten ihre Mieten bislang so kalkuliert, dass nach den Kosten für Finanzierung und Instandhaltung noch Rücklagen für Modernisierungen und Neubau übrig bleiben. Wenn nun nach Verabschiedung des Gesetzes mit einigen Monaten Verzögerung die strengen Mietobergrenzen greifen, würden diese Mittel fehlen, | Das würde bedeuten, dass die festgesetzten Höchstmieten nicht reichen, Notwendiges noch zu finanzieren? Das müsste genauer ausgeführt werden.
Modernisierungen sind hingegen genau die Mietpreistreiber, die viele Mieterinnen nicht wollen, die aber vom Eigentümer auch gegen den Willen und auf Kosten der Mieter durchgeführt werden dürfen – weil sie nach Tilgung der tatsächlichen Kosten eine Erhöhung der Rendite bedeuten. |
erklärt eine Sprecherin des Dachverbands der Wohnungsbaugenossenschaften: | Es würde helfen, wenn die Sprecherin einen Namen hätte. Welcher Dachverband ist gemeint – GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.? Oder wbgd.de = Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland e.V., c/o Gilde Heimbau Wohnungsbaugesellschaft mbH, in deren Broschüre der nachfolgend zitierte Satz auch steht? |
„Der Mietendeckel ist ein Experiment, für das am Ende alle zahlen müssen: sowohl die Vermieter als auch Berlins Mieterinnen und Mieter.“ | Was genau müssen die Mieter zahlen, und was ist an dieser Zahlung dann schlechter als vor dem Mietendeckel? In der PR-Broschüre steht im Umfeld des Zitats ein fiktiver „Bericht einer Wohnungsbaugenossenschaft vom Juni 2025“, der noch mehr Fragen aufwirft, – aber die gehören nicht zum Spiegel-Text. |
Schon jetzt, vor der Verabschiedung des Mietendeckels, registrieren Handwerksbetriebe einen spürbaren Rückgang der Aufträge für Schönheitsreparaturen und Gebäudepflege. Investitionen also, die sich noch am ehesten aufschieben lassen. Speziell kleinere Malerbetriebe mit einzelnen Wohnungsgesellschaften als Großkunden hätten mit dem Umsatzrückgang zu kämpfen, heißt es bei der Berliner Handwerkskammer. | a) Nachprüfbare Daten wären hilfreicher. Denn was ist ein „spürbarer Rückgang“? Was hat sich tatsächlich verändert, und was davon hat mit dem angekündigten Gesetz zu tun?
b) Müssen die Mieter auf Schönheit verzichten, weil sich der Besitzer ihrer Immobilie diese nicht mehr leisten kann – oder nicht mehr leisten will? Und müssen die Mieter das tatenlos ansehen, oder können sie künftig Spenden sammeln, um ihrem Vermieter unter die Arme zu greifen, im Interesse der Gebäudepflege? |
Für Investitionen – etwa in eine schadstoffarme Heizungsanlage oder für Wärmedämmung – bleibt erst recht kein Geld übrig. Lediglich einen Euro Aufschlag pro Quadratmeter will der Senat künftig dafür noch gestatten, in Ausnahmefällen können zuständige Behörden einem kleinen Zuschlag zustimmen. Rechnet man die Kosten für die Bauarbeiten und die Arbeit für Planung und Bürokratie zusammen, dann geht die Rechnung für die Hausbesitzer nicht mehr auf. | Wenn sich Wärmedämmung für den Mieter nicht lohnt (und möglicherweise auch für die Umwelt nicht) ist am Konzept der Modernisierung möglicherweise etwas falsch (was ja nun die bekannte Klage vieler Mieter ist, die mit Sparmaßnahmen begründete Modernisierungen eben nicht positiv, sondern negativ auf ihrem Konto spüren, auch auf lange Sicht). |
Auch beim Wohnungsneubau ist der Einbruch bereits abzusehen. Privatinvestoren haben Projekte eingefroren oder wenden sich Gewerbeimmobilien zu, […] | Dieses oft zu hörende Argument müsste weiter erläutert werden. Bestands-Mieter sollen mehr zahlen (als nach dem Mietendeckel möglich ist), damit neue Wohnungen gebaut werden können? Wieso konnte vor zehn Jahren mit ungefähr halben Mieteinnahmen noch gebaut und erhalten werden? |
Und wie steht es um die angekündigten Erleichterungen für die gebeutelten Mieter? Von ihnen werden viele profitieren, so viel steht fest. Doch es sind ausgerechnet diejenigen, die die Hilfe des Staates am wenigsten benötigen – solche mit hohen Einkommen, deren Kaufkraft erst dazu geführt hat, dass die Mieten in den vergangenen Jahren in stark gefragten Stadtteilen wie Prenzlauer Berg, Mitte oder Kreuzberg so stark gestiegen sind.
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Hier schreibt der Autor, dass zahlungskräftige Nachfrage die Preise steigen lässt. Die Mietsteigerungen gründen also nicht in irgendwelchen höheren Kosten, sondern schlicht in der Aussicht auf mehr Profit. Genau das will der Mietendeckel doch begrenzen. Er greift in den Markt ein, der stets den maximalen Gewinn erzielen will, und das kann bei gegebenem Angebot nur heißen, dieses zu verteuern, und zwar genau so lange, wie sich noch Kunden dafür finden. |
Nach Berechnungen des Immobilienportals Immobilienscout24 liegen dort die Mieten im Durchschnitt mehr als zehn Euro über den künftig erlaubten Maximalwerten des Mietendeckels. | Die Mieten liegen demnach weit über dem, was zur Finanzierung der Immobilien nötig ist. |
Von den 60.000 Haushalten in Mitte verfügten laut Immobilienscout24 44 Prozent über ein Nettoeinkommen von mehr als 5000 Euro pro Monat. In einer Beispielrechnung, die Geschäftsführer Thomas Schroeter anhand der zur Verfügung stehenden Daten aufmacht, würde ein Doppelverdienerpaar in einer 95 Quadratmeter großen Altbauwohnung rund 450 Euro pro Monat sparen. Die Durchschnittsfamilie in Marzahn dagegen nur 150 Euro. „Der Mietendeckel soll Mieter entlasten und den Preisdruck reduzieren, aber seine Systematik hat eine deutliche soziale Unwucht“, resümiert Schroeter. | Eine soziale Unwucht wäre es wohl nur, wenn Mieten eine Steuer wären und der Allgemeinheit zukämen. Wer das will, kann sich für eine entsprechende neue Steuer stark machen.
Wer bisher in einer alten Wohnung mit Holzbrikettofen und Klo (am besten noch im Treppenhaus, außerhalb der Wohnung), ohne Bad, wohnt, wird mit dem neuen Höchstsatz von 3,92 EUR pro Quadratmeter wohl keine Mietsenkung erzwingen können – aber er darf sich erstmal weiter an seiner sehr günstigen und mutmaßlich selbst gewählten Wohnung erfreuen. Das reiche Pärchen aus Prenzlauer Berg wollte diese billige Wohnung nie haben – es möchte eine modern aufgepeppete Wohnung, die sich die derzeitigen Bewohner nicht leisten könnten. Genau das ist Gentrifizierung. |
Die Beobachtung bestätigte jüngst auch Robert Hannah, ein Abgeordneter der Liberalen im schwedischen Parlament, der „Berliner Morgenpost“. Aktuell betrage die Wartezeit auf eine Mietwohnung dort elf Jahre. „In den begehrten Innenstadtlagen sind auch 30 Jahre keine Ausnahme.“ Seiner Einschätzung nach werden rund die Hälfte aller Wohnungen unter Umgehung der Behörden vergeben. Hohe Abstandszahlungen seien die Regel. | Kriminelle Energie von Immobilienbesitzern spricht gegen eine gesetzliche Regelung? Es soll in Deutschland Firmen geben, die den Mindestlohn „umgehen“. Spricht das grundsätzlich gegen einen Mindestlohn? |
Speziell die Privatleute, die ihre Altersvorsorge durch den Kauf einer Immobilie absichern wollten, seien von dem Mietendeckel massiv betroffen. In Berlin entfallen laut Statistischem Bundesamt rund 24 Prozent des Wohnungsbestands auf solche Kleinvermieter. Viele von ihnen sind Durchschnittsverdiener, die eine Erbschaft als Startkapital eingesetzt haben. Wer den Schritt vor zwei, drei Jahren gewagt hat, kommt nun in arge Probleme, wenn er die Mieten künftig drastisch reduzieren muss. | Gemeint ist hier möglicherweise, dass ein Geschäftsmodell nicht aufgeht: sich Geld zu leihen und die Rückzahlung über Mieteinnahmen gerechnet zu haben, die „drastisch“ über dem liegen, was das Berliner Abgeordnetenhaus nun als Höchstgrenze festgelegt hat. Das wäre einmal exemplarisch vorzurechnen – und dann könnte man diskutieren, ob die festgelegten Mietsätze tatsächlich zu niedrig sind – oder die Erwartung der Vermieter zu hoch.
Das Ergebnis soll aber offenbar sein, dass Mieter eine Immobilie bezahlen, die ihnen niemals gehören wird. |
„Das sind ganz normale Menschen, die mit dem Kauf einer Eigentumswohnung nicht plötzlich zu Spekulanten mutieren“, wettert Schroeter. | Solche Wohnungsbesitzer spekulierten zumindest auf irgendwelche Mietpreise und Nachfragen am Immobilienmarkt. Für ein gemeinnütziges Projekt fehlt die Erläuterung. |
Frank Schrecker, Sprecher des Dachverbands der Wohnungsgenossenschaften, sieht es ähnlich: | bzw. Vorsitzender der Berolina eG |
„Der Senat hindert die engagierten Immobilienanbieter, auch weniger Begüterten eine lebenswerte Wohnung zur Verfügung zu stellen. Den Auswüchsen am Immobilienmarkt könnte man auch mit den bestehenden Gesetzen beikommen, wenn man sie nur anwenden würde.“ | Damit endet der Beitrag. Kein einziges Wort „pro Mietendeckel“, zu Wort kamen ausschließlich Vermarkter von und Dienstleister für Wohneigentum.
Die Bezeichnung „lebenswerte Wohnung“ wirft mehr Fragen auf, als sie Argumente gegen den beschlossenen Mietendeckel liefert. |