Wenn Anti-Corona-Eifer auf Satire trifft und Journalismus sein will

Journalisten sollten die Leser ihrer Artikeln endlich mit Twitter verschonen. Ja, Journalisten lieben das Medium, weil man sich auf Augenhöhe mit den politisch Mächtigen fühlen kann, weil es Trends generiert, – vor allem aber, weil Twitter so schön kurz ist und sich damit perfekt zum Zitieren eignet. Nie waren schneller und einfacher Statements in Artikel gekloppt.

Gegen die Nutzung von Twitter als Statement-Quelle spricht u.a., dass es für nichts repräsentativ ist, dass der Erfolg eines Tweets maßgeblich von der Software abhängt – und dass Journalisten immer wieder auf Fakes reinfallen. Oder schlichte Zusammenhänge übersehen. So wie gerade Mirko Schmid in und mit der Frankfurter Rundschau.

Offenbar war der Autor so gut in Fahrt beim Framing einer Belanglosigkeit, dass er den Spott vor lauter Geifer nicht mehr sah. In seinem Stück mit dem Titel

Markus Lanz und Richard David Precht: „Querdenkern“ nach dem Mund geredet sorgt für Aufregung

beginnt die unvermeitliche Twitter-Passage wie folgt:

Auf Twitter lösen die Aussagen von Precht und Lanz gemischte Reaktionen aus. Zustimmung gibt es vor allem aus dem Lager der „Querdenker“ und Impfgegner:innen. Dafür herrscht Befremdung bis Entsetzen aus Reihen weniger für Verschwörungstheorien offener Menschen. Einer schreibt: „Es tut mir sehr leid, aber wir haben #Lanz und #Precht ab Minute 20 für die gute Sache verloren.“

Der „einer“ kam so daher, was die FR-Leser zumindst nicht erfahren, dem Kontext nach aber auch Autor Mirko Schmid nicht bis ins Denkzentrum geraten ist:

Ein Tweet vom Parodie-Account „Dr. Lockdown Viehler„.

Auch sonst bietet der Artikel sprachlich und argumentativ viel Schauderhaftes. Was bedeutet nochmal „jemandem nach dem Mund reden“? Und wie heißt das Verb, wenn sich ein Gespräch zwischen zwei Menschen entwickelt – entspannen oder entspinnen?

Der Beitrag ist  ein Musterbeispiel für den Corona-Journalismus.
1. Aufhänger ist allein, dass jemand (hier: ein bis zwei Personen) dem politischen Corona-Mainstream in einem Punkt widerspricht. (Anlass hier: Große öffentliche Debatte um den Impfstatus des Fußballprofis Joshua Kimmich mit allerlei Belehrung von Politikprofis.)
2. Nacherzählung des Vorgangs, wobei die inkriminierte Position als kontrafaktisch dargestellt wird. Unerlässliche Signalwörter sind dabei „Querdenker“ und „Verschwörungstheorie/ -theoretiker“
3. Zumindest  die Relevanzbegründung, gerne auch die Recherche erschöpft sich in Twitter.

Was ist eigentlich der Aufreger, das Thema, der Eklat, für den es „Kritik hagelt“?

Schon der Einstieg in die neunte Folge des neuen Podcasts Lanz&Precht spart nicht mit einer klaren Aussage. Vorangestellt werden dieser Folge nämlich drei Statements, welche die Stoßrichtung des Gesprächs vorwegnehmen. Philosoph Richard David Precht: „Es ist nicht die Aufgabe des Staates, jedermanns Krankheitsrisiko nach allen Regeln der Form auszuschließen oder zu verunmöglichen.“

Diese Aussage von Precht ist doch eine Selbstverständlickeit. Natürlich läuft die Verfassungsrechtsdebatte über die exakten Grenzen permanent, aber der Grundsatz ist völlig klar: Freiheit verlangt individuelle Risiken, und der Nanny-Staat ist keine Demokratie mehr. Wenn Schmid da Anrüchiges sieht, sollte er es benennen. Ansonsten ist es „Corona-Geschwurbel“ oder „-Geraune“ der Hardliner.

Anschließend wieder Precht, der die Argumente der Impfgegner:innen und der Anhängerschaft der „Querdenken“-Szene de facto gleichsetzt mit den vielen Stimmen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, die zum Impfen aufrufen: „Es gibt Leute, die hören das Wort Impfen und denken sofort: ‚Das ist der Teufel.‘ Und es gibt Leute, die hören das Wort Impfen und sagen sofort: ‚Alles unbedenklich.‘ Ja, und beide Pole sind totaler Quatsch“.

Schmids Behauptung einer de-facto-Gleichsetzung ist Quatsch, denn das würde bedeuten, die „vielen Stimmen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ würden, sobald sie das Wort Impfen hören, sofort sagen: „Alles unbedenklich“. Das wird aber zumindest aus der Wissenschaft niemand tun, es wäre ja auch absurd.

Nun entspannt sich eine Debatte, in der Precht zunächst daran erinnert, in einem seiner Bücher die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gutgeheißen zu haben – um genau diese anschließend in vielen Punkten zu kritisieren.

Falsch. Bzw. unbelegt. Precht erläutert viel mehr, dass es eben um ganz verschiedene Dinge geht. Die Pflicht zum Masketragen sei nicht mit einer Pflicht zum Impfen zu vergleichen. Wenn Schmid da tatsächlich Widersprüche gefunden haben sollte (die „Kritiker“ werfen Precht ja eine Kehrtwende vor), sollte er sie benennen. Aus dem Podcast ergibt sich das jedenfalls nicht.

Und so geht es in einer Tour weiter.

Daraufhin nimmt Precht Impfgegner:innen in Schutz, auf die „Druck aufgebaut“ werde […]

schreibt Schmid, obwohl Precht in dem Zusammenhang natürlich nicht von „Impfgegner:innen“ spricht. Es ist hoffnungslos, über Qualität im Journalismus sprechen zu wollen, wenn die darin Werktätigen nicht in der Lage sind, einfache Meldungen zu schreiben, weil sie erfinden, verfremden, und – das war ja der Einstiegs-Clou – , ihr Sujet gar nicht verstehen.

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