Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie schreibt die Süddeutsche Zeitung über eine Konferenz der Landesgesundheitsminister mit dem Bundesgesundheitsminister:
„Dass gerade jetzt, wo viele Bundesländer Rekord-Inzidenzwerte verzeichnen, wo wieder mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen liegen, alle Beschränkungen wegfallen sollen, stößt bei vielen Landesregierungen auf Unverständnis. Auch die Hotspot-Regelung, die jedes Bundesland selbstständig umsetzen soll, halten einige Ministerpräsidenten für nicht durchdacht. Denn viele Fragen blieben bisher offen: Wann wird ein Ort zum Hotspot? Wann ist das Gesundheitssystem am Limit? Und kann ein ganzes Bundesland zum Hotspot erklärt werden oder nur einzelne Regionen?“
Es mag sein, dass Minister als Leiter sehr großer Behörden diese drei Fragen gestellt haben. Aber ist es zu viel verlangt, dass eine Berichterstattung das einordnet? Die erste und zweite Frage beantworten sich aus dem Text des Infektionsschutzgesetzes. Was da nicht steht, existiert auch nicht (auch wenn es etwas später im Text heißt, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe vier Kriterien benannt, die „den Landesregierungen demnach dabei helfen, einen Hotspot zu bestimmen“). Die journalistische Unverschämtheit ist aber die zweite Frage: Wann ist das Gesundheitssystem am Limit?
Seit zwei Jahren geht es in erster Linie oder zumindest vordergründig darum, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen; massive Grundrechtseinschränkungen basieren auf der Behauptung, ohne diese bräche das System zusammen und drohe damit großes Leid. Doch wann diese Überlastung erreicht ist (und entsprechend: wann sie nicht erreicht ist, wann sie nicht droht, wann alles noch im grünen oder wenigstens gelben Bereich ist), das soll heute noch eine offene Frage sein? Journalisten der SZ haben das nicht bereits vor zwei Jahren geklärt? Wie recherchieren sie denn dann bis heute, wie groß die Notlage tatsächlich ist? Sie werden ja wohl kaum für bare Münze nehmen, was vertrauenswürdige öffentliche Stellen verlautbaren?
Auch wenn die Süddeutsche Zeitung die ganze Zeit eher zu den Radikalinskis beim Corona-Management gehört: die Basisfakten sollten ein Narrativ nicht kaputt machen können, und wenn sie es täten, sollte auch ein Tendenzbetrieb seine Positionierung ändern.
Und wenn wir schon dabei sind:
„Dass gerade jetzt, wo viele Bundesländer Rekord-Inzidenzwerte verzeichnen, wo wieder mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen liegen, alle Beschränkungen wegfallen sollen, stößt bei vielen Landesregierungen auf Unverständnis.“
Darf man daran erinnern, dass die Infektions-Inzidenz aus gutem Grunde keine große Rolle mehr spielen sollte? Gehört es nicht zur Vollständigkeit, dass die Hospitalisierungsrate sinkt? Und dass zahlreiche Kliniken sagen, dass die meisten Patienten wegen eines ganz anderen Leidens im Krankenhaus sind und der positive Corona-Test nur ein Nebenbefund ist (weil eben jeder getestet wird)? (Helios-Kliniken: zwei Drittel der Corona-positiven keine Covid-19-Patienten; Uniklinik Frankfurt, Schätzwert: 90%, was bedeutet, dass der in den RKI- und DIVI-Daten ausgewiesene Wert an Covid-19-Patienten auf Normal- wie Intensivstation etwa um den Faktor zehn zu hoch angegeben ist.)