Wozu Recherche, wenn man von Verschwörung schwurbeln kann?

Nein, “die Medien” machen in der Berichterstattung über Fynn Kliemann und den “Masken-Skandal” nichts falsch. Wie sie auch sonst stets akkurat arbeiten (von der Bild abgesehen), weshalb man nichts so schwer in den Medien findet wie Medienkritik. Als Attest für die journalistische Akkuratesse darf u.a. gelten, dass die Kollegen von Übermedien nichts an den Medien, aber viel an Fynn Kliemann zu beanstanden haben. So wie auch unser Lieblingsmedium Spiegel, das gerade nochmal für seinen Podcast “Stimmenfang” recherchiert hat:

“Das Ehrlichste, was sich Fynn Kliemann eingestehen müsste, ist, dass er selbst sein größter Feind ist, nicht die Medien, nicht die woke linke Szene, nicht irgendwelche wild gewordenen Reporter. Es ist Fynn Kliemann selbst, der sich immer wieder in irgendwelche Schwierigkeiten bringt, weil er eine fast schon verzerrte Wahrnehmung von sich selbst und dem, das er da tut, hat.”

Die Stimmenfang-Folge trägt den Titel: “Fynn Kliemann – vom Influencer zum Schwurbler?” Um zu dieser Möglichkeit zu kommen, schwurbeln die Spiegel-Leute sehr investigativ vor sich hin. Attila Hildmann und Xavier Neidoo sind schließlich auch abgedriftet. Na herzlich Willkommen, “Fynni” (Böhmermann), in der neuen Ecke, die die unwilden Spiegel-Leute für Sie ausgeguckt haben.

“Wir würden hier nicht über Fynn Kliemann sprechen, wenn der nicht am Sonntag dieses Video veröffentlicht hätte”,

heißt es zum Einstieg in den Podcast, der verspricht, sich das “ganz in Ruhe” anzuschauen. Nun gibt es bei dem vierminütigen Kliemann-Statement halt nicht so viel zu sehen, aber es reicht für allerlei Meinung, womit wir bei dem sind, was hier auf SpKr regelmäßig als Hauptproblem im Journalismus bearbeitet wird, die meisten Kollegen aber nicht die Bohne interessiert: Meinungen für Tatsachen zu halten. Die Spiegel-Leute meinen, das Kliemannsland sei ein “Abenteuerspielplatz”, sie meinen, von der Kliemann zunächst attestierten Reue sei nicht mehr viel übrig, sie meinen, Kliemann sei sein größter Feind, sie meinen, Kliemann verorte seine Kritiker überwiegend in der “woken linken Szene” und sie meinen, die Kritik in den Sozialen Medien käme nicht aus dieser (sondern eher von Trollen), sie meinen, Kliemann wittere eine Verschwörung gegen sich und sie meinen, damit sei er auf dem Weg jemand zu werden, den sie für einen Schwurbler halten.

Das Praktische am Meinen ist: es ist niemals falsch.
Das Unpraktisch am Meinen: es ist dem Verstehen im Weg. Im Journalismus heißt dieser Verstehensprozess ‘Recherche‘ und bedeutet keinesfalls “Enthüllung”, sondern schlicht: zu fragen. Für das Thema der Stimmenfang-Sendung lautete die Leitfrage: Was hat Fynn Kliemann in seinem Instagram-Statement gesagt? Und nicht: “Was meine ich wird Kliemann mit seinem Rant gemeint haben?”

Ein recht großer Teil seines Statement bezieht sich auf etwas, das der Spiegel (und wohl die meisten anderen Medien*) komplett unbeachtet lässt, überhört oder weg-meint; Auszug:

“Die ganze Böhmannsland-Scheiße geht mir persönlich komplett am Arsch vorbei. Aber hier stellen sich Menschen einfach über andere Menschen und entscheiden, wie sie zu sein haben. Ich habe das Gefühl die Redaktion glaubt, sie sei etwas Besseres und sie darf entscheiden, wie andere Leute ihr Leben leben.”

Was ist dieser “ganze Böhmannsland-Scheiß”? Schon in den Monaten vor der “Masken-Enthüllung” parodierte das Böhmermann-Team das Projekt Kliemannsland. Natürlich spielt Jan Böhmermann selbst die Kliemann-Karikatur.

Und Kliemann signalisierte, es mit Humor zu nehmen, kommentierte z.B. einen “Böhmannsland”-Post vom 23. Februar mit “Endlich normale Leute 😂”

Zwei Tage vor Kliemanns Instagram-Statement veröffentlichte das ZDF einen “Böhmannsland Supercut“, eine halbe Stunde lang Veralberung des Kliemannsland, nicht auf Instagram, sondern in der ZDF-Mediathek.

Bevor man Verschwörungs-Geschwurbel herbeimeint, könnte man seine Kunden darüber informieren, dass Fynn Kliemann sich mit seiner Wutrede konkret und wörtlich auf “Böhmannsland” und die ZDF Magazin Royale-Redaktion bezieht. Aber was braucht es Fakten, wenn man eine Meinung hat.

Kliemanns Statement beginnt mit den Worten:

“So, es ist doch jetzt gut. Da haben ziemlich viele Leute ziemlich viel durcheinandergebracht, dann haben es alle abgeschrieben, es hat sich super geklickt, mein gesamtes Leben zerstört, zehn Jahre non-stop Arbeit, alles ist kaputt, können wir jetzt bitte weitermachen.”

* Beispiele für andere Berichte ohne Verweis auf das Video “Böhmannsland”:
BZ (der Text schreit förmlich nach Autopsie, allein die Zeit fehlt uns…)
Welt
dpa (hier via Süddeutsche Zeitung)
FAZ
Zeit

Ein Gedanke zu „Wozu Recherche, wenn man von Verschwörung schwurbeln kann?

  1. Jochen2

    interessant wusste ich nicht. der böhmermann fährt also seit fünef monaten ein kampagne gegen fynn, aber der darf sich nich angepisst fühlen von diesem diss mit gebührengeld?

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