Absurde Verdrehungen in der heute-Show

Abstract: Die Darstellung von Till Reiners ist in wesentlichen Punkten unvollständig und verzerrend und damit irreführend. An einer juristischen Falschbehauptung halten er und sein Sender unvermindert fest. Der ZDF-Intendant hat die Redaktion bereits „für eine bessere Detailtreue sensibilisiert“. Eine Falschinformation zur Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs wurde vom ZDF erst nach Eingabe einer formalen Programmbeschwerde korrigiert – teilweise. Der Begleittext zur Sendung („Dossier“ „What the Fakt!?“) war mit einem falschen Datum ausgewiesen: tatsächlich entstand er erst deutlich nach der Veröffentlichung des Videos. Letztes Update: 24.04.2023

„So viele absurde Sonderrechte haben christliche Kirchen in Deutschland“ betitelt die ZDF heute-Show ihren ersten Filmbeitrag von Comedian Till Reiners in der Sommerreihe „Till to Go„. Das journalistische Problem daran: Keines der von Reiners und seinem Co-Autor Stefan Stuckmann enthüllten „absurden Sonderrechte“ ist ein Sonderrecht der christlichen Kirchen. Und eigentlich sollte das auch alles längst bekannt sein, es ist zumindest sehr leicht herauszufinden. Reiners Behauptung zur Verjährung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist grob falsch und wurde trotz vielfacher Hinweise nicht korrigiert.

1. Die Kirchensteuer wird vom Staat eingezogen, ja. Dafür wird er aber auch bezahlt, aktuell gibt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für ihren Mitgliederbeitragseinzug die Vergütung mit 185 Millionen Euro an, was etwa 5% der Kirchensteuer macht. Sollte das die tatsächlichen Kosten der Finanzämter nicht decken, müsste der Beitrag eben erhöht werden. Der Aufwand dürfte aber übersichtlich sein. Dieses staatliche Inkasso ist kein absurdes Sonderrecht der christlichen Kirchen – es steht allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Und so nutzen es beispielsweise auch die meisten jüdischen Gemeinden in Deutschland (bei ihnen Kultussteuer genannt). Also auch ein absurdes Sonderrecht des Judentums? Das würde die heute-Show sicherlich nicht behaupten.
Der Kirchensteuereinzug durch die Finanzämter spart damit nicht nur viel Bürokratie, die mit einem eigenen kirchlichen Verfahren entstünde – er ist auch aus Datenschutzgründen eine gute Idee. Denn so erfahren die Kirchengemeinden nicht, wie hoch die Einkommen ihrer Mitglieder sind. Ein Aspekt, der kaum je angesprochen wird.

2. Die Sache mit den andauernden Staatsleistungen als Entschädigung für frühere Enteignungen kann man nur ungerecht finden, wenn man Grund und Boden für ein beliebig herstell- und verbrauchbares Gut hält – wie eben ein Auto, mit dem Reiners das auch völlig falsch vergleicht. Wie an anderer Stelle ausgeführt:

>Nehmen wir an, [ein] Grundstück sei so groß, um eine Mehr-Generationen-Familie mit Ackerbau und Viehzucht zu ernähren. Wie viel ist dann dieses Grundstück wert? – Die verblüffende Antwort zeigt die ganze Verrücktheit der Idee vom Eigentum. Denn der Boden ist entweder völlig wertlos … oder unbezahlbar!
Stehen alternative Felder zur Verfügung, gibt es keine Notwendigkeit, auch nur eine Ähre an irgendwen als Pacht, Rente, Miete oder Zins zu zahlen. Dem entspricht die Situation der Erstbesiedler: Sie nehmen sich ein Stück Boden, bauen in die Mitte ihr Haus, bewirtschaften den Rest für ihre Ernährung und ein wenig Tauschhandel – und gedenken, dies bis ans Ende aller Tage so zu halten. Wieviel aber ist das Grundstück wert, wenn kein anderes mehr frei ist und jemand es kaufen möchte? Ohne ihren Boden haben die bisherigen Benutzer nichts zu essen, nichts zum Wohnen, nichts zum Handeln. Sie müssten sich also vom Erlös alles Lebensnotwendige kaufen – und zwar bis ans Ende aller Tage. Der Wert eines Grundstückes ist in diesem Fall unermesslich: Er ist nicht zu bezahlen.
Dies ist übrigens keineswegs nur ein philosophisches Gedankenspiel. Es ist die zentrale Gedankenfigur bei der sogenannten „Ablösung aller Staatsleistungen“ an die Kirchen. Bislang erhalten sie jährlich – und wegen der Unbezahlbarkeit des Bodens auch potenziell bis in alle Ewigkeit – Entschädigungszahlungen für erfolgte Enteignungen unter Napoleon. Man könnte argumentieren, die Kirchen hätten längst genug erhalten. Doch welcher Bauer kann so gegenüber demjenigen auftreten, dem er jedes Jahr aufs Neue eine Pacht für seine Wiesen und Felder zu überweisen hat?<

Reiners erwähnt wiederum nicht, dass auch jüdische Gemeinden ‚Staatsleistungen‘ erhalten (die aus rechtsdogmatischen Gründen allerdings meist „Landesleistungen“ heißen, aber bspw. spricht  das Land Niedersachsen in diesem Zusammenhang von „vergleichbaren Staatsleistungen„). Die Deutsche Welle erläuterte dazu einmal:

Über die Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens hinaus wurde auch das jüdische Gemeindeleben und dessen Infrastruktur im Nationalsozialismus völlig zerstört. Auch Mittel, die Eigentum der Gemeinden oder in Stiftungen eingebunden waren, wurden vom Nazi-Staat konfisziert – oder besser gesagt: geraubt. Aus diesem Grund sieht Stephan Kramer [damals Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland] in der staatlichen Unterstützung eine moralisch-ethische Verpflichtung, die zu recht erfolgt und „zumindest einen Beitrag dazu leistet, um jüdisches Leben wieder zu ermöglichen.“

Beispiel: In NRW erhalten die jüdischen Landesverbände mit ihren weniger als 30.000 Mitgliedern mit 23,5 Mio Euro etwa genau so hohe Staatsleistungen  (im Vertrag „Landesleistungen“ genannt) wie die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen auf dem Gebiet (24 Mio Euro) mit ihren etwa 10 Millionen Mitgliedern (also ca 783 Euro pro Kopf versus 2 Euro pro Kopf). (Zum Hintergrund sowie weiteren Zahlungen, u.a. für „die Errichtung und den Erhalt von Räumlichkeiten und Anlagen, die den Kultus-, Seelsorge- und Sozialaufgaben der jüdischen Vertragspartner beziehungsweise ihrer Mitgliedsgemeinden dienen, soweit sie nicht genügend Eigenmittel zur Verfügung haben“ siehe Vertragstext.)

3. Die Finanzierung karitativer kirchlicher Angebote durch Staat, Kommunen und Sozialversicherungen ist ebenfalls kein Privileg. Alle Aufgaben, die „der Staat“ für „die Gesellschaft“ erledigt bekommen möchte, werden bezahlt (es ist anzunehmen, dass auch Till Reiners für seine Beiträge in der heute Show bezahlt wird, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk politisch gewollt ist und deshalb die Allgemeinheit für ihn aufkommen muss, unabhängig vom individuellen Interesse und Nutzen). Deshalb werden Pflegedienste, Schulen, Krankenhäuser etc. aus den allgemeinen Kassen bezahlt, ganz gleich, wer sie betreibt. Eigentlich sollte es auch einen Comedian eher stutzig machen, wenn jemand zu seiner Arbeit auch noch selbst Geld mitbringt. Genau das aber machen die Kirchen, vor allem bei den von ihnen betriebenen Kindergärten, deren Kosten sie im Schnitt zu 10% selbst tragen (während jeder andere Anbieter einschließlich freier Elterninitiativen zurecht die volle Übernahme der nicht von Elternbeiträgen gedeckten Kosten von den Kommunen verlangt). Hinzu kommt i.d.R. die unentgeltliche Verwaltung der Kindergärten, bei Kitas auf Gemeindeebene in weiten Teilen von Ehrenamtlichen erbracht. Die kirchliche Trägerschaft erspart damit der nicht christlichen Bevölkerung erhebliche Kosten. Der Witz liegt also darin, dass Till Reiners weniger zur sozialen Daseinsvorsorge beiträgt als ein gleichviel verdienendes Kirchenmitglied. Wer ist da privilegiert?
Völlig hanebüchen ist die Schlussfolgerung, die Kirchensteuer werde nicht für karitative Zwecke verwendet, weil eben Diakonie, Caritas & Co für ihre Arbeit von der Allgemeinheit vergütet werden. Mal abgesehen davon, dass Religionsgemeinschaften vielleicht auch etwas Geld in ihre Religionsausübung stecken dürfen, bieten Kirchengemeinden doch eine breite Angebotspalette, von Jugendarbeit über Familienbildung bis zu Seniorenprogrammen, von Musik bis Sport, von Nachhilfe bis zur Flüchtlingsbetreuung (die gelegentlich bis zur rechtlichen Grauzone des Kirchenasyls reicht, in dem aktuell etwa 600 Menschen leben und so vor Abschiebung geschützt werden, ein Knallerthema für Comedians).
Die meisten dieser gemeinnützigen Angebote kommen dabei wieder von Ehrenamtlichen, mit der Kirchensteuer werden u.a. die benötigen Räume, Materialien und Fortbildungen finanziert.

4. Die kirchliche Selbstorganisation, die zur Verwunderung von Till Reiners sogar in eigenen Kirchengesetzen gipfelt, ist ebenfalls kein „absurdes Sonderrecht“. Auch Sportverbände oder Parteien haben ihre eigene Gerichtsbarkeit. Das entzieht sie natürlich nicht dem für alle geltenden Recht, aber Verbände und insbesondere Körperschaften haben eben vieles für sich selbst zu regeln. Dass die Kirchen beim Arbeitsrecht einen eigenen (sogenannten dritten) Weg gehen, ist in der Tat ein Punkt dauernder Auseinandersetzung. Eine Anpassung würde allerdings nichts daran ändern, dass die Kirchen natürlich für spezielle Aufgaben auch spezielle Anforderungen an ihr Personal stellen. Reiners wird sich wohl auch nicht darüber wundern, dass Greenpeace nur Menschen beschäftigen möchte, die sich dem Umweltschutz verpflichtet sehen, und dass die Linke vielleicht kein aktives Mitglied der AfD beschäftigen möchte wird man ihr auch zugestehen. Zeitungsverlage etwa können ihren Journalisten vorgeben, in welche politische Richtung sie zu kommentieren haben. „Tendenzbetriebe“ haben eben eine Tendenz.

5. Was der sexuelle Missbrauch unter dem Rubrum der absurden Privilegien macht, verrät der Beitrag nicht. Aber auch hier haben Reiners und Stuckmann schlecht recherchiert. Reiners behauptet:

Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt in vielen Fällen bereits nach fünf Jahren. Fünf!

Das ist falsch. Zwar verjähren alle Straftaten, die mit höchstens fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt sind, nach 5 Jahren (§ 78 StGB). Aber die Verjährung beginnt beim Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers (§ 78b StGB). Da Reiners von Minderjährigen spricht, ist die früheste Verjährung also knapp 18 Jahre nach der Tat (wenn das Opfer gerade noch 17 war).

Also, dieser „Till to Go“ war leider nichts. Autor Stuckmann hat auf die Kritik nicht reagiert.

PS: Siehe zum journalistischen Unverständnis bei Kirchenthemen auch einen groben Zahlenpatzer bei ZDF-Zoom.

Updates

4. August 2022: Das ZDF (Pressestelle) hat bisher binnen 48 Stunden nicht auf  eine kurze Anfrage reagiert. Sowohl die Katholische als auch die Evangelische Kirche haben (inzwischen) über Sprecher oder Vertreter Kontakt mit dem ZDF aufgenommen, weil sie ebenfalls „Verkürzungen und Falschaussagen“ bemängeln.

8. August 2022: Auf der Mediathekseite findet sich inzwischen ein Erläuterungstext. Ausgewiesen ist er mit dem Datum 22.07.2022. Allerdings ist dieser Text damals weder uns aufgefallen, noch ist er bis Ende Juli auf einer Archivseite zu sehen. Der Text räumt keine Fehler ein und macht auch keine Korrekturen, erwähnt nun aber, dass der Kirchensteuereinzug dem Staat vergütet wird. Ferner heißt es in diesem  „What the Fakt!“:

„Auch die jüdischen Gemeinden finanzieren sich über eine vom Staat eingezogene Steuer.“

Das ist in dieser Pauschalität wieder falsch, da es zahlreiche jüdische Gemeinden gibt, die ihre Mitgliedsbeiträge nicht über die Finanzämter einziehen lassen (können). Die staatlichen Leistungen für jüdische Religionsgemeinschaften werden weiterhin nicht erwähnt.

Die ZDF-Pressestelle hat uns trotz Erinnerung bisher weiterhin nicht geantwortet. Auch Till Reiners (angeschrieben via Instagram) hat nicht reagiert.

Unter der Youtube-Version weist ein Zuschauer darauf hin, dass Reiners das katholische Kirchenrecht „codex loris [mit L gesprochen] canonici“ nennt statt korrekt „codex iuris canonici„, weil es eben ums Recht geht (und es im klassischen Latei den  Buchstaben „j“ nicht gab).

Update 25. Oktober 2022

Till Reiners hatte auf Anfragen via Instagram und Management auch nicht reagiert. Das ZDF reagierte auch auf eine zweite Mailanfrage nicht und ließ dann die per Einschreiben gesetzte Frist auch verstreichen. Nun kam aber doch noch eine Reaktion zu einem Aspekt, aber die ist so hanebüchen, dass sie zitiert werden muss. Roman Beuler, „Leiter des Teams ‚Comedy und Kabarett‘„, schreibt heute:

Till Reiners kritisiert in dem satirischen „heute-show“-Video die Privilegien, die Kirchen (und auch andere religiöse und konfessionelle Gruppen) in Deutschland genießen. In diesem Zusammenhang thematisiert er auch die aus seiner Sicht mangelnde Aufklärungsbereitschaft beim Themenkomplex „sexueller Missbrauch“.
Die Verjährungsfrist hängt im deutschen Recht an der potentiellen Höhe der Strafe für ein Delikt. Für die Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs beträgt diese 5 Jahre. Darauf bezog sich der Text. Satirisch zugespitzt weitet Reiners den Tatbestand „sexueller Missbrauch“ auch auf dessen Vorbereitung aus, was angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung und der notwendigen Debatte darüber, im Rahmen eines Satireformats zulässig ist. Ich räume aber ein, dass man den Kontext und die Unterscheidung zwischen den Delikten noch deutlicher hätte machen können.<

Zunächst: Reiners erwähnt gerade nicht, dass die von ihm kritisierten „Privilegien“ „auch andere religiöse und konfessionelle Gruppen“ haben. Das war ja genau das Thema unserer Medienkritik hier. Entsprechende Erläuterungen hat das ZDF hinterher geschoben. Aber zu unserem fünften Punkt:
Wie und wo auch immer  Reiners die „Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs“ erwähnt haben soll – sie ist nach §176b StGB genauso strafbar wie der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen (von denen Reiners tatsächlich sprach) – und die Verjährung ruht gleichfalls „bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers„. Da die Strafbarkeit der Vorbereitung des Missbrauchs nur bei kindlichen Opfern extra sanktioniert ist (der Versuch ist ohnehin strafbar), ist die früheste Verjährung aber nochmal vier Jahre später, beträgt also statt der behaupteten fünf Jahre 22 Jahre (bei der Annahme: Opfer war 13 Jahre alt, Verjährung ruht bis 30, also 17 Jahre lang, ab dann fünf Jahre, ergibt zusammen 22).

Dass weder ZDF-Pressestelle noch eine verantwortliche Redaktion im Hause trotz unserer expliziten Hinweises die Rechtslage während der vergangenen drei Monate zur Kenntnis nehmen konnten, sondern an der Falschbehauptung festhalten, wirft kein gutes Licht auf die journalistische Leistungsfähigkeit des Senders. Aber es passt zur Arroganz, mit der unsere Presseanfragen ignoriert wurden (dazu wird mal ein eigener Beitrag folgen, denn die „Schwarze Liste“ ist lang).

Auf die falsche Angabe einer Verjährungsfrist von fünf Jahren kommt man in der Tat bei einem sehr flüchtigen Blick auf Google oder Bing (dort wird ein sehr veralteter Text angeboten) – allerdings nur, wenn man auch nach dem von Till Reiners thematisierten „Missbrauch von Schutzbefohlenen“ sucht. Bei der Verjährung einer Vorbereitungstat sind sich die Suchmaschinen nicht so sicher und bieten nur eine Liste umfangreicherer Texte.
So oder so gilt der alte Juristenaphorismus: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Und weil „das Gesetz“ etwas umfangreich ist, kann man auch mal jemanden fragen, der Ahnung hat. Vorausgesetz, es sind nicht alle so zugeknöpft wie Till Reiners, seine Redaktion und sein Sender.

Update 26. Oktober 2022

Die ZDF Pressestelle meldet sich doch noch. Barbara Matiaske schreibt:

> Sie hatten sich per Einschreiben an die ZDF-Kommunikation gewandt und um Antwort auf ihre Mail vom 2. bzw. 4. August gebeten. Roman Beuler als verantwortlicher Redakteur hat Ihnen die Antworten gestern geschickt. Ihre weiteren Fragen würden wir gern zusammenfassend beantworten:<

Also klamüsern wir sie wieder auseinander und gesellen sie zu den gestellten Fragen.

  1. Gibt es beim ZDF Regeln für die Nicht-Beantwortung von Journalistenanfragen, oder ist die Chance auf Kommunikation von zeitlichen, personellen oder sonstigen Zufällen abhängig?

Antwort:

>Regeln für die Nicht-Beantwortung von Journalistenanfragen gibt es im ZDF nicht.<

  1. Der erläuternde Text „Hintergründe zum Beitrag ‚Till to Go – Kirche‘ vom 22.07.2022“ ist selbst ebenfalls auf den 22. Juli datiert. Ist dies das tatsächliche Datum seiner Erstveröffentlichung? Und ist dies das Datum der letzten Bearbeitung?

[Zu Link und Hintergrund siehe oben Update vom 8. August: Der Erläuterungstext relativiert einiges aus Reiners Beitrag und geht auf die Kritik ein, die wir hier formuliert haben (und die sich später auch in zahlreichen Social-Media-Kommentaren findet). Es spricht vieles gegen die Darstellung, der Erläuterungstext sei zeitgleich mit dem Video erschienen.]

Antwort:

>Das im Rahmen der „heute-show“ veröffentlichte Video „Till to go – Kirche“ ist eine satirisch zugespitzte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland. Der Satiriker Till Reiners greift darin eine Reihe von Privilegien und Rechte der beiden großen christlichen Kirchen auf und stellt diese mit ironischer Überhöhung in Frage. Aufgrund des großen Interesses veröffentlichte das ZDF am 22.07.2022 in der ZDFmediathek in der „heute-show“-Rubrik „What the Fakt!?“ ein Dossier mit weiterführenden Informationen und Links.<

  1. Da Sie an Reiners Behauptung festhalten, „Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt in vielen Fällen bereits nach fünf Jahren. Fünf!“, hätte ich dafür gerne einen Beleg, da dies nach der von mir referierten Gesetzeslage falsch ist.

Antwort:

>Roman Beuler als verantwortlicher Redakteur hat Ihnen die Antworten gestern geschickt.<

Dessen Antwort war (Update 25. Oktober 2022):

>Die Verjährungsfrist hängt im deutschen Recht an der potentiellen Höhe der Strafe für ein Delikt. Für die Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs beträgt diese 5 Jahre.<

Das ist nur im Zusammenhang mit dem Ruhen der Verjährung formal richtig, in der dargestellten Form irreführend und in der von Reiners verbreiteten Fassung schlicht falsch. Reiners Satz hätte lauten müssen:

„Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt im schlimmsten Fall bereits nach 18 Jahren. Achtzehn!“

Oder mit der von Beuler behaupteten Intention (und zur Verdeutlichung der damit versauten Pointe mal ergänzt um das, was Reiners danach sagte, ab Minute 9:00):

„Die Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern verjährt in vielen Fällen bereits nach 22 Jahren. Zweiundzwanzig! Wer Steuern hinterzieht, muss die nach zehn Jahren noch zurückzahlen. Warum hat die Kirche in der Politik so ’ne krasse Lobby?“

Der ZDF-Fernsehrat als gesellschaftliches Kontrollgremium hat sich bereits mit drei förmlichen Programmbeschwerden zum ersten „Till to go“ beschäftigt. Ein Beschwerdeführer fühlte sich in seinem religiösen Befinden verletzt. Zwei weitere beklagen Faktenuntreue, unter anderem bei der Darstellung des Kirchensteuereinzugs (siehe oben Punkt 1) und bei den sozialen Leistungen (s.o. Punkt 3). Die Stellungnahme des Intendanten fokussiert nach Darstellung des Beschwerdeausschusses auf die etwas holzschnittartige Darstellung von „Kirche“ ohne Differenzierungen (etwa in die Katholische Kirche und die einzelnen evangelischen Landeskirchen). Im Bericht (pdf) heißt es dazu u.a.:

Er [Intendant Norbert Himmler] konzediere allerdings, dass die gewählte Darstellung Anlass zum Anstoß und zu berechtigter Kritik geben könne. Er habe daher mit der ZDF-Programmdirektorin und der zuständigen Redaktion über diese Frage intensiv gesprochen. Till Reiners führe Einzelbeispiele an, die aus seiner Sicht als Satiriker eine mangelnde Distanz zwischen Kirche und Staat belegten. Die gerügte mangelnde Differenzierung zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen könne er nachvollziehen, hier hätten die Unterschiede stärker herausgearbeitet werden können. Auch hierüber habe er sich mit der zuständigen Redaktion ausgetauscht und diese für eine bessere Detailtreue sensibilisiert.

Update 25.11.2022

Nachdem über Redaktion und ZDF-Pressestelle keine Korrektur des Till-to-Go-Beitrags im Punkt der Verjährungsfrist zu erreichen war und die Behauptung, der Begleittext in der Mediathek sei zeitgleich mit dem Video erschienen weiterhin faktisch zu bestreiten ist, haben wir formale Programmbeschwerde eingelegt. Nach den Regeln des ZDF hat dann der Intendant einen Monat Zeit zu antworten – und dabei ggf. „Abhilfe“ zu schaffen, also einen Fehler einzugestehen und in geeigneter Weise für Besserung zu sorgen. Erst wenn man mit dieser Reaktion nicht einverstanden ist, kann man durch Aufrechterhalten der Programmbeschwerde eine Beschäftigung des ZDF-Fernsehrats mit der  Thematik verlangen. Für den Journalismus ist das selbstverständlich nicht der präferierte Weg, aber hier ging es um einen Test, ob das „scharfe Schwert“ der Programmbeschwerde zu einem anderen Ergebnis führt als die übliche Kommunikation. Erstes Ergebnis: Ja. Zweites Ergebnis: Es ändert sich dennoch nicht viel.

ZDF-Intendant Dr. Norbert Himmler schreibt, nach den üblichen Floskeln und einer Belehrung über Satire-Formate, zu Reiners Behauptung – „Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt in vielen Fällen bereits nach fünf Jahren. Fünf!“ – (oben Punkt 5):

Konkret kritisieren Sie die Formulierung, dass Missbrauchsstraftagen bereits nach fünf Jahren verjähren könnten. Tatsächlich liegen die Verjährungsfristen bei Missbrauchstagen zwischen fünf und dreißig Jahren, je anch Schwere der Tat. Die Verjährung ruht aber bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers. Wir haben Ihre Kritik zum Anlass genommen, die Redaktion dafür zu sensibilisieren, dass auch bei satirischer Zuspitzung die nötige Präzision natürlich beachtet werden muss. Anlässlich Ihres Schreibens haben wir den Sachverhalt außerdem ins „Waht the Fakt!?“-Dossier aufgenommen und dort richtiggestellt.<

Auf der Mediathek-Seite heißt es nun (mit Änderungsdatum 22.11.2022):

Die strafrechtliche Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen beträgt fünf bis dreißig Jahre, je nach Schwere der Tat. In den meisten Fällen sind es zehn bis zwanzig Jahre. Allerdings beginnt die Verjährungsfrist seit einer Neufassung im Jahr 2015 frühestens mit dem 30. Geburtstag des Opfers.

Zum bis dahin angegebenen Publikationsdatum der Mediathek-Seite hatten wir zahlreiche Hinweise geliefert, die für die Unrichtigkeit der Angabe sprechen. Intendant Himmler räumt auch hier tatsächlich einen Fehler ein:

Sie weisen zu Recht darauf hin, dass das Veröffentlichungsdatum dieses Dossiers mit weiterführenden Informationen und Links in der ZDFmediathek falsch ist. In der Tat wurde das Dossier erst einige Tage später veröffentlicht. Das Datum wurde in der falschen Annahme gesetzt, dass es einfacher ersichtlich ist, dass das Dossier das Video „till to go“ ergänzt. Unsere Pressestelle wiederum hat die Information der Mediathek genutzt, um Ihnen zu antworten. Sowohl das Team der ZDFmediathek als auch unsere Pressestelle sind darüber informiert. Das Publikationsdatum in der ZDFmediathek ist inzwischen korrigiert worden.

Das Publikationsdatum ist nun mit 08.08.2022 (statt zuvor 22.07.2022) angegeben. Die „einigen Tage später“ waren demnach 17 Tage nach Ausstrahlung.

Abschließend schreibt der Indendant (bzw. ließ schreiben):

Wir danken Ihnen […] für die kritische Begleitung unseres Programms, die in diesem konkreten Fall zu einer spürbaren Verbesserung des Inhalts geführt hat.

Eine Korrektur der falschen Tatsachenbehauptung zur Verjährung von Straftaten im Filmbeitrag erfolgt nicht. Auf der Mediathek-Seite „What the Fakt!?“ werden die beiden Korrekturen nicht eigens ausgewiesen. Auf der expliziten Korrektur-Seite des ZDF (Einleitungstext: „Wer 24 Stunden am Tag sendet, online wie im TV, dem unterlaufen trotz aller Anstrengungen von Redaktion und Korrespondenten auch Fehler. Hier stellen wir sie richtig.“), die man wohl für ein vollständiges Protokoll der Richtigstellungen und notwendigen Ergänzungen ansehen darf, ist jedoch bisher kein Eintrag zur Sendung zu finden. Am 03.04.2023 teilte Christina Betke, Hauptabteilung Kommunikation, dazu mit: „Ihre Anmerkung zu ‚Till to Go‘ auf unserer Korrekturen-Seite gebe ich an meine Kollegin, bzw. die zuständige Redaktion weiter.“ Passiert ist bis jetzt 20 Tage lang nichts.

Fazit

Der ZDF heute-Show Filmbeitrag von Till Reiners enthält zahlreiche Fehler und Verzerrungen. Programmbeschwerden dazu waren – bis auf unsere – wirkungslos. Aber auch, nachdem „höchstinstanzlich“ zwei Fehler eingeräumt wurden, erfolgte keine transparente Korrektur, schon gar keine aktive (die verlangen würde, das (mutmaßliche) ursprüngliche Publikum über die Fehler zu informieren, um Falschbehauptungen aus der öffentlichen Diskussion zurückzuholen.

Dass die ZDF-Pressestelle auf Presseanfragen zum Programm erst gar nicht und später dann inhaltlich völlig unzureichend antwortet, ist inakzeptabel, auch wenn es keinen rechtlichen Auskunftsanspruch gibt (da der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht als Behörde gewertet wird).

Unter dem  Gesichtspunkt journalistischer Qualität kommt zur ursprünglichen Frage, wie es zu all den Fehlern im Beitrag kommen konnte, die Frage, warum auch nach expliziten Hinweisen keine Recherche erfolgt ist. Die Verjährungsfrist bei der Strafbarkeit sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener war nun wirklich einfach zu prüfen. Dennoch brauchte es eine formale Programmbeschwerde, damit sich irgendjemand um eine ernsthafte Prüfung bemüht.

Ebenso ist das Festhalten an einem falschen Publikationsdatum ein Hinweis auf strukturelle Defizite im Sender. Denn dass eine Pressestelle auf den Vorwurf, das Datum könne nicht stimmen, nur mit einem Blick auf genau dieses Datum reagiert und dies wiederum als Wahrheit ausgibt, ließe man hoffentlich in der journalistischen  Ausbildung keinem Praktikanten durchgehen. Das falsche Datum beim Dossier ist mehr als eine Stilfrage. Wie wir in unserer Programmbeschwerde schrieben:

„Sollte sich aber herausstellen, dass die Behauptung falsch ist, das Dossier sei zeitgleich mit dem Filmbeitrag erschienen, ist eine öffentliche Richtigstellung und Entschuldigung notwendig. Schließlich wäre der Beitrag dann u.a. ein Versuch, die bereits vorhandene Kritik als gegenstandslos darzustellen, weil man selbst diese angeblich bereits berücksichtigt habe.“

Unterm Strich bleibt, dass dieser kleine Fall zwar erhebliche Qualitätsprobleme beim ZDF dokumentiert hat, eine Verbesserung für die Zukunft aber durch nichts angedeutet wird. Dagegen sprechen schon die intransparenten Korrekturen, die wohl kaum noch jemand zur Kenntnis genommen haben wird. Und eine Entschuldigung sucht man vergeblich.

 

 

Siehe zu diesem Thema auch:
# „Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit“ (Telepolis)
# Mehr Intransparenz bei ZDF-Programmbeschwerden
# Medien: Lästige Korrekturen bei Falschaussagen?

4 Gedanken zu „Absurde Verdrehungen in der heute-Show

  1. Moritz Fan

    In Wikipedia steht dass die meisten Deutschen gegen den Kirchensteuereinzug durch die Finanzämter sind. Das liegt sicher auch daran dass ständig falsch darüber informiert wird wie hier von der HeuteShow. Hat für mich alles von einer Neiddebatte.

  2. CD

    „Der Kirchensteuereinzug durch die Finanzämter (…) ist auch aus Datenschutzgründen eine gute Idee. Denn so erfahren die Kirchengemeinden nicht, wie hoch die Einkommen ihrer Mitglieder sind.“

    Dafür erfahren Arbeitgeber, Steuerberater, Bankangestellte usw. welcher Religionsgemeinschaft man angehört. Soviel zum Thema Datenschutz.

    Der restliche Beitrag ist genauso dämlich.

    [Red: Kommentar freigeschaltet trotz fiktiver E-Mail-Adresse]

  3. SpKr

    Nun ist der Sinn einer Konfession – nicht nur vom Namen her – das Bekenntnis. Der Glaube bleibt ja Privatsache. Deshalb kann bspw. der Arbeitgeber aus der steuerlichen Konfessionslosigkeit nicht ersehen, ob es sich um einen Atheisten, Agnostiker, Muslim, Freikirchler oder sonstwas handelt. Aber Sie haben natürlich den Punkt, dass durch den Kirchensteuereinzug gegenüber dem Arbeitgeber und den Banken offenbar wird, wer keiner dieser Gemeinschaften angehört.

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