Die Suche nach der Suche

Ein zentrales Problem der Gegenwart ist die mit der Digitalisierung einhergehende Macht der Programmierer (oder Entwickler). Wir können keine Spülmaschine starten, keine Steuererklärung abgeben, keinen GKV-versicherten Arztbesuch machen, ohne von Launen, Hybris und Spieltrieb der Programmierer abhängig zu sein. Am simplen Beispiel Spülmaschine verdeutlicht: so ein Ding ist an Primitivität kaum zu überbieten. Es propellert Wasser durch den Spülraum, das dabei mehrmals gewechselt, erhitzt und mit Geschirrreiniger versehen werden kann. Am Ende können die für die Wassererwärmung vorgesehenen Heizstäbe noch für die Trocknung genutzt werden. Was also will der Spülmaschinenbesitzer steuern? Genau diese Parameter: Länge des Reinigungsvorgangs, Anzahl der Wasserwechsel und Temperatur des Spülwassers. Dafür kann man drei oder vier Schalter anbieten, und es ist jede Kombination möglich. Sobald aber ein Programmierer seine Finger anlegt, ist es damit vorbei. Nun werden Programme ersonnen, die bestimmte Einstellungen festgelegt und unabänderlich kombinieren. Darin besteht nun absolut kein Vorteil, es ist ausschließlich eine Reduktion von Möglichkeiten. Auf eine Frage nach solch speziellen Kombinationsmöglichkeiten bei der Heizung sagte der Heizungsfachmann wörtlich: „Das geht nicht, Sie sollen da auch gar nichts dran machen, das ist eine intelligente Heizungsanlage, die macht das schon alles optimal.“ Wer noch einen Rest Würde besitzt verbittet sich natürlich, eine Heizung „intelligent“ zu nennen.

Programmierer verschlechtern, was sie anfassen, weil sie stets, immer und unaufhörlich Entscheidungsfreiheit einschränken. SIE entscheiden, was gut, schön, richtig und weise ist. Jeder kennt es, wenn ein Programmupdate (inzwischen ja meist ungefragt) auf dem Gerät erscheint: es ist stets, immer und ohne Ausnahme schlechter als die Vorgängerversion.

Medienseiten wie unser geliebter Spiegel haben so bei einem Update beispielsweise die Drucken-Funktion abgeschafft. Das Internet wird schließlich nicht (mehr) ausgedruckt, spricht der vollweise Programmierer daraus. Wer es dann mit den Bordmitteln seines Browsers versucht, wird mit Grafikchaos gestraft (die Lösung heißt übrigens: „Fireshot“).

Der von uns zunehmend mehr geliebte Tagesspiegel beschäftigt eindeutig noch weisere Programmierer. Denn die haben die Such-Funktion getilgt. Wozu sollte der Kunde irgendetwas suchen (gar noch Inhalte, die er bezahlt hat), wenn es doch intelligente Software gibt, die eigenmächtig errechnet, was angezeigt werden soll. Da Programmierer – wie gesagt – aber stets, immer und unaufhörlich Entscheidungsfreiheit einschränken, dürfen wir gespannt sein, wie es weiter geht. Denn der Kundensupport des Tagesspiegel schreibt dazu:

Vielen Dank für Ihr Feedback bezüglich der Suchfunktion . Wir bedauern, dass diese aktuell nicht angeboten wird. Unsere Entwickler suchen bereits nach Optimierungsmöglichkeiten der Anzeige in der Tagesspiegel-App und auf der Tagesspiegel Seite.
Bezüglich der Suchfunktion im Onlinebereich haben wir verstanden, dass viele Abonnenten und Leser sich die Funktion zurückwünschen. Deshalb prüfen unsere Entwickler, wie die Funktion in die aktualisierte Tagesspiegel-App mit einem späterem Update technisch integrierbar ist. Bis zur Wiedereinführung, deren Zeitpunkt noch nicht feststeht, können Sie natürlich als unmittelbare, wenn auch etwas umständliche Lösung in einer Suchmaschine ihrer Wahl eine Stichwortsuche mit Tagesspiegel + XXX nutzen.

Der Kundensupport macht natürlich gemeinsame Sache mit den Programmierern. Denn die Stichwortsuche sollte nicht „Tagesspiegel“, sondern „site:www.tagesspiegel.de“ enthalten. Doch damit nicht genug bekommen die weisen Programmierer Unterstützung von offenkundig ebenfalls nicht unweisen Redakteuren. Denn die Suche über Google, Bing o.ä. wäre natürlich ein Lifehack, der die Programmierkünste etwas unterminieren könnte, gäbe er doch bewusst wegprogrammierte Autonomie zurück. Deshalb benennen Redakteure die Beiträge in der gedruckten (und z.B. über Blendle digital vermarkteten) Ausgabe anders als in der Online-Version. So erhält man bei „einer Suchmaschine ihrer Wahl“ je nach Präzision der Anfrage entweder eine lange Liste Schmonses oder zutreffend: nichts. Denn der Artikel „Rechtsprechung nach Feierabend“ beispielsweise wird auf Tagesspiegel.de mit der Überschrift „Inside Berliner Verfassungsgericht“ vermarktet. Da lacht der Programmierer und der Redakteur feixt sich einen.

Wir dürfen zuversichtlich sein, dass die Tagesspiegel-Programmierer diesen redaktionellen Aufwand wegprogrammieren und dafür sorgen werden, dass wir auch ohne Redakteursleistung mit eigenmächtigen Suchbemühungen scheitern werden. Schließlich sollen wir lernen: das Problem sitzt vor, die Intelligenz in der Maschine.

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