Nach dem Ergebnis des Volksentscheids „Berlin 2030 klimaneutral“ ist allerorten vom Scheitern die Rede. Können Journalisten so sprachlich unsensibel sein?
Wie sollte ein „Entscheid“ scheitern? Indem eine (neuerliche) technische Panne ihn verhindert vielleicht, aber sicherlich nicht, indem Bürger abstimmen oder es bleiben lassen. Tatsächlich gescheitert ist das Bürgerbegehren, das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz vom 22. März 2016 per Volksgesetzgebung zu ändern. Gescheitert ist also wenn schon die Initiative „Klimaneustart“, die diese Gesetzesänderung vorgeschlagen hat. Wobei „scheitern“ auch hier im demokratischen Kontext reichlich absurd klingt.
Es ist die von Wahlen bekannte „Horse Race“-Berichterstattung, in der Journalisten stets die Kandidaten zu Akteuren machen statt korrekterweise die Wähler.
Die Süddeutsche Zeitung titelt:
Berliner Volksentscheid für strengere Klimaziele gescheitert
Und lässt dann im ersten dpa-Satz erzählen:
Berlin setzt sich vorerst keine ehrgeizigeren Klimaziele: Ein entsprechender Volksentscheid scheiterte, weil die nötige Mindestzahl an Ja-Stimmen nicht zusammenkam.<
Korrekt müsste es heißen: „Ein ensprechender Gesetzentwurf wurde im Volksentscheid nicht angenommen.“ Oder wie es selbst in der Wikipedia derzeit zutreffend heißt: „Die begehrte Gesetzesänderung ist in der Abstimmung unecht gescheitert und wurde aufgrund dessen nicht angenommen. Es stimmten zwar 50,9 Prozent der Abstimmungsteilnehmer mit Ja, jedoch wurde das Quorum von 25 Prozent aller Stimmberechtigten mit 18,2 Prozent deutlich verfehlt.“
Wer aber unbedingt ein Horse Racing inszenieren möchte, könnte im Sinne des viel gepriesenen „konstruktiven Journalismus“ eher formulieren: „Berliner Klimaschutzgesetz in Volksentscheid bestätigt.“ Denn das ist der tatsächliche Status quo: das derzeit gültige Gesetz ist nicht geändert worden.
Übrigens ist auch der weit verbreitete Verweis auf das nicht erreichte Quorum in dem Zusammenhang irreführend: So als sei die Gesetzesänderung eigentlich angenommen worden, aber aufgrund zu vieler Nichtwähler „gescheitert“. Das ist bei Parlamentswahlen schon falsch, weil auch dort die Wahlenthaltung eine legitime Ausübung des Wahlrechts ist. Beim Volksentscheid mit Quorum ist die Nicht-Teilnahme noch eher als Votum zu sehen, eben weil schon damit – deutlicher als bei Wahlen – politischer Einfluss ausgeübt wird (etwas ausführlicher erläutert in der aktuellen Ausgabe des Podcast ?Macht:Los!).
Ob ein Zustimmungsquorum von 25% sinnvoll ist, kann man natürlich diskutieren. Der Verein „Mehr Demokratie“ fordert immer wieder die Absenkung festgesetzter Quoren. Das ist allerdings eine andere Frage als die nach der konkret zur Abstimmung gestellten Gesetzesänderung.
Weitere Beispiele für die falsche Behauptung des gescheiterten Volksentscheids: