Fehler können und dürfen passieren – auch dem SPIEGEL. Doch wer sich nicht nur immer wieder seiner Dokumentationsabteilung rühmt, die jedes Wort prüfe, sondern wer auch bei der Beurteilung anderer gerne auf Fehlergnade verzichtet, sollte dann doch in entsprechendem Zusammenhang erwähnen, selbst einen Fauxpas begangen zu haben.
>Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke muss wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabular vor Gericht. Das Landgericht Halle in Sachsen-Anhalt ließ die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zur Hauptverhandlung zu, wie das Gericht mitteilte.<
So beginnt Spiegel.de eine Meldung (13.09.2023), die gerade durch alle Medien geistert. Höcke und Nazi-Vokabular, da kann der Journalismus nicht widerstehen.
Etwas später heißt es im SPIEGEL-Text:
>Konkret geht es um Äußerungen Höckes auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung vor zwei Jahren in Merseburg. Höcke soll dort vor rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern die Worte »Alles für Deutschland« benutzt haben, die verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der nationalsozialistischen NSDAP. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wusste Höcke um die Herkunft und Bedeutung dieses Ausdrucks.<
Es fehlt eine Wissens-Begründung, die sich in anderen Texten findet, z.B.: „Höcke war vor seiner politischen Karriere Geschichtslehrer in Hessen.“ (SZ)
Für die Einordnung (Vollständigkeit) wäre nun hilfreich zu erfahren, wie verbreitet das Wissen um die NS-Parole „alles für Deutschland“ tatsächlich in Deutschland ist. Und zur Transparenz gehört, dass der SPIEGEL selbst da Wissenslücken hat oder zumindest im Einzelfall auf sein kollektives Wissen nicht zurückgreift – obwohl, wie Redakteure immer wieder betonen, gerade beim SPIEGEL kein Beitrag eines Autors einfach so ins Heft gelangt (siehe ausführlich die „SPIEGEL-Standards„, pdf).
Denn wie ist just in der Ausgabe dieser Woche (37/2023) ein Kommentar von Stefan Kuzmany auf Seite 122 überschrieben? Richtig: „Alles für Deutschland“
Zwar hat die Redaktion den Titel alsbald online wie auch im E-Paper (Abbildung unten) geändert und um folgenden Hinweis ergänzt:
>Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version des Artikels war mit einer Zeile überschrieben, die von der SA als Losung verwendet wurde. Das war von
Autor und Redaktion nicht beabsichtigt und wurde nun geändert.<
Doch mit der gedruckten Ausgabe (Verkauf im 2. Quartal 2023: 700.000 Exemplare) ist die Parole in der Welt. Deshalb würde man in der aktuellen Meldung zur Anklage gegen Björn Höcke gerne irgendwie lesen, dass auch vom SPIEGEL mutmaßlich wohl überlegt die Wörter „alles für Deutschland“ einem (zudem deutlich größeren) Publikum dargeboten wurden. Und wie es dazu kam bzw. warum man dies im Nachhinein unpassend fand.
Übrigens steht „alles für Deutschland“ nicht zum ersten Mal im SPIEGEL. Die Überschrift gab es auch in Heft 42/1952. Damals gab es zwar den § 86a StGB noch nicht (siehe Historie bei den wissenschaftlichen Diensten des Bundestags, pdf), dafür dürfte die Parole noch eher aus nationalsozialistischem Gebrauch im Gedächtnis gewesen sein als heute.
Urheberrechtshinweis: Da der SPIEGEL es bisher bei dem oben genannten kurzen Korrekturhinweis belassen hat, dürfte zur eigenständigen Beurteilung, wie nahe- oder fernliegend die gewählte Überschrift war, die vollständige Wiedergabe des Kommentars zum Tagesgeschehen in der Heftfassung mit geänderter Überschrift gestattet sein.
Anhang: Google-Suchergebnisse vom 13.09.2023
PS: Sicherlich findet sich auch in anderen Medien die Kurzform „Alles für Deutschland“ in Überschriften und ohne Zusätze wie „Ich will alles für Deutschland geben“. So etwa in der WELT vom 31. Mai 2006 auf Seite 26.
idioten alles…. gibt es keine anderen Probleme?
Naja, wenn man nun wegen dieses SpKr-Beitrags oder der Ausgangskolumne im SPIEGEL ein „Idiot“ ist, spricht das vielleicht doch für eine gewisse Relevanz. Schließlich haben wir doch wohl die meisten „anderen Probleme“ – Idioten zu verdanken.
Pingback: Medienkritik zur Berichterstattung über Aiwangers Flugblatt aus Jugendtagen | SpiegelKritik
1. Zum bezweifeln ist, dass „Alles für Deutschland“ den objektiven Tatbestand des § 86 StGB erfüllt. Wenn dem Beschuldigten eine als „Parole“ verwendete Äußerung vorgeworfen wird, muss deren Strafbarkeit in Hinsicht auf die von Art 5 GG geschützte Meinungsfreiheit sowie die Betätigungs- und Äußerungsfreiheit der Parteien gemäß Art 21 GG überprüft werden. Um diesen Kernbereich zu schützen, muss geprüft werden, ob die Äußerung per se ns-belastet ist, wie etwa „Heil Hitler“. Und wenn nicht, ist zu prüfen, ob aus dem Kontext der Äußerung folgt, dass diese dem nationalsozialistischen Gedankengut zuzuordnen ist, also die unbelastete Äußerung durch Handlungen oder Erklärungen mit der nationalsozialistischen Herkunft verknüpft und damit „vergiftet“ wird, etwa, indem der Redner auf die SA Bezug nimmt und damit den Zusammenhang mit der NS-Bewegung verdeutlicht. Diese Prüfung führt zu folgendem Ergebnis:
2. Alles für Deutschland“ ist als Äußerung nicht eindeutig nationalsozialistisch, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie nationalsozialistischer Herkunft ist oder nur mit der NS-Bewegung in Verbindung gebracht wird. Historisch ist die Parole nicht ausschließlich von Nazis verwendet worden; schon vor Gründung der NSDAP und erst recht vor Gründung der SA hat die Parole bei politischen Auseinandersetzungen eine Rolle gespielt; sei es im Wettbewerb der Parteien, etwa der „Alldeutschen Fraktion“, sei es in der völkischen Literatur. Politisch war die Äußerung schon vor Gründung der SA ein „Allgemeinplatz“ der Rechtsausleger. Dieser Allgemeinplatz war als Schlagwort von der NS-Bewegung aufgegriffen und ab Anfang der 20er Jahre von der SA propagandistisch verwendet worden; freilich nicht exklusiv, jedenfalls nicht in der Weise, dass anderen Gliederungen oder Personen die Parole davon Abstand genommen hätten, die Parole zu verwenden. Dies belegenen Internetrecherchen zum Parteienspektrum der 20er Jahre. Auch die Entwicklung von 1933 – 1945 führte nicht dazu, dass aus dem Allgemeinplatz eine Parole wurde, die ausschließlich als Gedankengut der NS-Bewegung oder der SA betrachtet wurde. Mit Gründung der Länder und der Bundesrepublik nach 1945 änderte sich hieran nichts. Zwar griffen rechtsextreme Bewegungen, wie die DRP, die Parole wieder auf, verwendeten diese aber im Rahmen ihres Parteiprogramms und nicht in Bezug auf die SA oder die NS-Bewegung. Gegenwärtig wird „Alles für Deutschland“ gedanklich nicht zwingend der NS-Bewegung oder der SA zugeordnet. Dies belegen Zeitungsartikel, in denen unverfänglich die Parole verwendet wird.
Man sollte das mal im Ausland erzählen. Amerika kann man sich sparen, wie wäre es mal mit Japan, und Brasilen: Japan bzw. Brasilien zuerst, da kommt in BRD-Land der Staatsschutzwaldi, weil es mal ein SA-Mann vor 100 Jahren gesagt hat. Und dann bitte die Reaktionen schildern!
Kein Schreiberling wagt es so etwas im Ausland zu erwähnen, aber dackeln sie bei diesem abstrusen Mist mit, denn es gibt keinerlei Kritik daran.
Dieses Verbot kann man nur noch als schon pathologisch zu nennenden Bewältigungswahn bezeichnen. Da lacht der Orwell! In keinem anderen Land der sog. „Freien Welt“ ist Orwells 1984 so weit verwirklicht wie in der BRD.
Interessanterweise gibt es eine Broschüer, 86 Seiten stark, herausgegeben vom Verfassungsschutz über verbotene Symbole und Parolen. Dort ist „Alles für Deutschland“ nicht enthalten.
Das stimmt: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/rechtsextremismus/2022-02-rechtsextremismus-symbole-zeichen-organisationen.html
Mag sein, dass die SA diese banale und nicht besonders schöpferische verwendet hat. Aber von wann bis wann? In welchem Umfang? Und wie bekannt ist das geworden? Ich habe bis zu diesem „Skandal“ nie von dieser Parole gehört. Ich wage zu behaupten, dass es der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen in diesem Land ebenso geht. Und ich wage noch mehr: Ich behaupte, dass selbst der überwiegende Anteil der Geschichtslehrer (und weiterer, „richtiger“ Historiker) von dieser Parole noch nie etwas gehört oder sie jedenfalls nicht in seinem Gedächtnis gespeichert hat.
Mag sein, dass Herr Höcke da besser belesen gewesen ist als der Rest der Bevölkerung. Dessen Sonderwissen aber schon mit seiner früheren Tätigkeit als Geschichtslehrer begründen zu wollen, halte ich aus dem oben genannten Grund für zu dünn. Wenn gemäß meiner Vermutung noch nicht einmal die Hälfte der Geschichtslehrer das entsprechende Spezialwissen präsent gehabt hätte, dann wird man wohl nicht so einfach bei einem einzelnen Geschichtslehrer „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und ohne begründeten Zweifel“ eben doch dieses Spezialwissen annehmen können.
Auch der Hinweis auf deine angebliche NS-Sympathie des Herrn Höcke geht an der Sache vorbei. Eine solche Sympathie könnte allenfalls ein Motiv für die Verwendung von NS-Parolen erklären. Aber ein Motiv für die Verwendung von NS-Parolen begründet kein Spezialwissen darüber, welche Ausrufe alles (vermeintliche) NS-Parolen gewesen sind.
Ich würde sogar meinen, dass diese Parole kein „Kennzeichen“ im strafrechtlichen Sinne der SA gewesen sein kann. Ein Kennzeichen setzt meinem Verständnis voraus, dass es auch als solches erkannt wird und mit einem bestimmten Träger verbunden wird. Es muss also anhand des Kennzeichens die SA erkannt werden können. Und ob diese geistige Assoziation wirklich einem erstzunehmend großen Anteil des Publikums gelungen sein könnte?
Wie hier doch schön aufgezeigt wurde, hat sich zumindest bei der Spiegel-Redaktion und deren Mehraugenprinzip diese Assoziation nicht eingestellt. Bei mir auch nicht. Und wer weiß, wer allein schon in der Politik noch so alles diese Parole verwendet hat, ohne dass eine böse Absicht bestand oder es auch nur irgendwem aufgefallen wäre. Eigentlich scheint mir diese Formulierung viel zu banal, naheliegend und alltäglich zu sein, um als Parole und Kennzeichen herhalten zu können. Von Eltern erwartet man wie selbstverständlich, dass die „alle für ihre Kinder“ tun. Von einem Zweitligisten erwartet man wie selbstverständlich, dass er „alles für den Aufstieg“ tun wird. Da kann man von einem deuschen Politiker durchaus erwarten, dass er „alles für Deutschland“ tun wird.
Allgemein halte ich nicht viel davon, irgendetwas zu einem Kennzeichen einer Organisation zu erklären, nur weil auch (!) Vertreter dieser Organisation dieses Zeichen irgendwie, irgendwo und irgendwann einmal benutzt hat. Etwas polemisch formuliert: Hochrangie NS-Funktionäre haben sich sicherlich auch regelmäßig einen „Guten Morgen“ gewünscht. Und doch käme niemand auf die Idee, das für eine NS-Parole zu halten. Und zwar aus denselben guten Gründen, die sich auf „Alles für Deutschland“ übertragen lassen: Die Formulierung war schon vor dem NS weit verbreitet, sie wurde auch nach dem NS noch bedenkenlos verwendet, sie hat hat keinen relevanten ideologischen Gehalt, sie wurde nicht auf charakteristische Weise durch den NS verwendet, sie wurde nicht irgendwie durch den NS neu erfunden, sie ist eine beliebige und nicht wegzudenkende Aneinandereihung von Wörtern … und so weiter. Das ist bei „Heil Hitler“ oder dem „Hakenkreuz“
Es gibt ein ganz anderes Rechtsgebiet, das sich jeden Tag mit Kennzeichen befasst: Das Markenrecht. Würde jemand die angebliche Parole als Marke für seine parteieigene Schlägertruppe eintragen lassen wollen, dann würde das Markenamt das vermutlich mit einer ganz langweiligen Begründung ablehnen: Zum Beispiel weil der Formulierung jede Unterscheidungskraft fehlt oder wie zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört (§ 8 MarkenG).
Die auf die Schnelle mit einer Internetsuche zugänglichen Quellen scheinen alle auf dieselbe Ursprungsquelle zurückzugehen: Ein Beschluss eines aus drei Richtern bestehenden Revisionssenates des OLG Hamm aus dem Jahr 2005. Dieser Beschluss ist ohne mündliche Verhandlung ergangen. Und dieser Beschluss ist nicht weiter begründet. Zu der so wichtigen Frage, inwiefern diese Parole denn nun durch die SA als Kennzeichen genutzt wurde und inwiefern sie auch heute noch dazu taugt, wurde in dem gesamten Strafverfahren keine Beweisaufnahme durchgeführt. Eine solche Beweisaufnahme hielten die Richter vom Oberlandesgericht offenbar nicht für notwendig, da die Antwort auf diese wichtige Frage „jedermann bekannt“ sei. Naja.
Jedenfalls wird man den jeweiligen Zusammenhang berücksichtigen müssen. Wenn der Spiegel einen ganz unideologischen Artikel mit „Alles für Deutschland“ übertitelt, dann scheint mir das auch weiterhin dessen gutes Recht zu sein und nicht ansatzweise eine Gefahr dafür zu begründen, der NS-Ideologie oder dem Andenken an diese irgendwie Vorschub zu leisten. In dem Strafverfahren aus Hamm war das wohl etwas anders. Dort hat der Angeklagte sich offen zur NS-Ideologie bekannt und bei einer Rede auf einer NS-Veranstaltung gegenüber einem NS-Publikum insgesamt versucht, an eine frühere NS-Figur zu erinnern. Dann kommt es jetzt wohl im Einzelfall darauf an, ob man eher harmlos wie der Spiegel schreibt oder ob man eher offensichtlich ein NS-Erscheinungsbild konturiert. Letzteres dürfte mit der Formulierung „alles für Deutschland“ allein wohl kaum jemandem gelingen.
Anmerkung SpKr: Kommentar trotz ungültiger E-Mail-Adresse freigeschaltet, da sachlicher Beitrag.
In der 2. Ausgabe des SED-Zentralorgans “ Neues Deutschland“ von 24.(?) April 1946 steht ein Grußwort von Wilhem Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD) nach deren Zwangsvereinigung.
Text:“Alles für Deutschland, alles für das neue Deutschlsnd…“
Alles Nazis oder was???
Das Bundesamt für Staatssicherhrit wird jetzt sicher gegen Pieck. Grotewohl und die nd-Redaktion posthum ermitteln…
Somit können sich Regierung und Bundesamtes und ihre Leiter freiwillig und „allzeit bereit“ der yLächerlichkeit preisgeben und sich als stets wacker Anitifaschisten feiernlasse.
Lieber Gott, schütteln Gehirnsubstanz über Berlin und Köln.aus!!@