Dass der-„ARD-Faktenfinder“ auf tagesschau.de einen gewissen politischen Drall haben könnte, wurde schon vielfach medial angedeutet (zuletzt mit größerer Resonanz durch das Buch „inside Tagesschau“* von Alexander Teske, siehe Interview).
Dabei geht es meist um die Frage der Relevanz: Zu welcher Berichterstattung wird überhaupt ein Faktencheck bemüht – und bei welcher werden mögliche oder tatsächliche Faktenfehler ignoriert?**
Ein zentrales handwerkliches Problem ist beim ARD-Faktenfinder wie vielen anderen Fakten-Checks stets, dass zwischen Tatsachen, Tatsachenbehauptungen und Tatsachenvermutungen auf der einen Seite und Meinungen (Bewertungen von Tatsachen, ggf. auch Tatsachenbehauptungen und -vermutungen) nicht unterschieden wird – obwohl davon jede Richtigkeitsprüfung abhängt.
Schauen wir also mal rein werkimmanent auf drei Faktenprüfungen im Beitrag: „Welche Behauptungen von Trump falsch sind“ (11.03.2025).
1. Faktenprüfung:
Trump behauptet, „dass die USA bislang 350 Milliarden US-Dollar an US-Hilfe für die Ukraine geleistet hätten, europäische Staaten hingegen nur 100 Milliarden US-Dollar.“
Diese Behauptung halten die Faktenfinder-Autoren Carla Reveland und Pascal Siggelkow für falsch, weil:
Laut dem Center for Strategic & International Studies hat der US-Kongress seit der russischen Invasion fünf Gesetzesentwürfe verabschiedet, die sich auf insgesamt 174,2 Milliarden US-Dollar belaufen. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) wiederum kommt auf eine Summe von etwa 119 Milliarden US-Dollar.Laut einem Bericht des Sondergeneralinspektors, der die US-Unterstützung für die Ukraine überwacht, hat der US-Kongress 182,75 Milliarden Dollar zur Unterstützung des Amtes für Hilfe und Wiederaufbau und der breiteren US-Reaktion auf die Ukraine bewilligt oder anderweitig zur Verfügung gestellt. All diese Zahlen sind weit von den 350 Milliarden US-Dollar entfernt, die Trump genannt hat.<
(Faktenfinder)
Wir halten an dieser Stelle fest: Die „verschiedenen Instituten“ (Faktenfinder) sind sich in ihrer Zählung uneins. Das spricht entweder für Zählfehler bei wenigstens zwei der angeführten drei Gewährsleute oder für verschiedene Zählungs-Modi. Wie und was gezählt wurde, verrät der Faktenfinder gar nicht, obwohl es natürlich die Grundlage für alles Folgende bildet.
Schon den Unterschied zwischen den drei Summen zu erläutern, wäre Pflicht, nicht Kür des Faktenfinders, wenn er damit weiter operieren möchte. Wie wir nicht zuletzt aus aktuellen Diskussionen in Deutschland wissen, ist selbst Parlamentariern, die qua Verfassung für die Genehmigung von Staatsausgaben zuständig sind, nicht immer klar, wohin eigentliche welche Geldsummen fließen. Jedes Land hat nicht nur zig Ministerien, sondern auch unzählige nachgeordnete Behörden, beauftragte Dienstleister etc., die Geld verteilen können, das letztlich aus dem Staatsaufkommen stammt, was im hiesigen Falle also bedeuten könnte: von den USA (deren Gesamtbeitrag es zu zählen gilt).
Doch der Faktenfinder frühstückt diese Divergenzen schnell ab. Bevor er sich festzustellen genötigt sehen könnte, wie hoch denn nun die US-Hilfen tatsächlich bislang waren, geht er über zur Prüfung des von Trump angestellten Vergleichs:
>Hinzu kommt, dass europäische Staaten den Berechnungen des IfW Kiel zufolge insgesamt mehr Hilfen für die Ukraine bereitgestellt haben als die USA. Den 119 Milliarden US-Dollar der Vereinigten Staaten stehen demnach etwa 138 Milliarden gegenüber, die von europäischen Ländern kommen. Die EU gibt an, dass allein die EU-Mitgliedsstaaten seit Beginn des großangelegten russischen Angriffskriegs 145 Milliarden US-Dollar an Hilfen zur Verfügung gestellt haben.<
Wem das zu schnell ging:
119 Mrd. Dollar (US-Ausgaben für Ukrainie laut IfW Kiel) < 350 Mrd. Dollar (US-Ausgaben laut Trump)
und zugleich
174,2 Mrd. Dollar (Center for Strategic & International Studies) < 138 Mrd. (IfW Kiel – oder 145 Mrd. Dollar laut EU-Angaben).
Die EU-Ausgaben sind also laut Faktenfinder (werkimmanent betrachtet, ohne eigene Zahlenversuche) auf alle Fälle nicht geringer als die US-Ausgaben (wie es Trump behauptet hat), wenn sich die Faktenfinder die passende amerikanischen Vergleichszahl herauspicken, – nicht aber, wenn man eine andere, ebenfalls referierte Zahl nähme.
2. Faktenprüfung:
Als nächstes Prüft der ARD-Faktenfinder folgende von ihm referierte Behauptung:
„[…] Europa hat es in Form eines Kredits gegeben, sie bekommen ihr Geld zurück“, so Trump. Die USA hingegen würden nichts zurückbekommen.<
Hierzu stellt der Faktenfinder fest:
>Dass die europäischen Staaten ihre Hilfen in Form von Krediten an die Ukraine gegeben haben, stimmt nur zum Teil. Nach Angaben der EU haben die Mitgliedsstaaten 65 Prozent der Hilfeleistungen in Form von finanzieller, militärischer, humanitärer und Flüchtlingshilfe durch Zuschüsse oder Sachleistungen zur Verfügung gestellt. Lediglich 35 Prozent der Hilfen seien in Form von Darlehen „zu Vorzugsbedingungen“ geleistet worden. Somit bekommen auch die EU-Mitgliedsstaaten einen Großteil der Hilfeleistungen nicht zurück – anders als von Trump behauptet.<
Auch hier gibt der Faktenfinder leider keine Faktenquelle an – „nach Angaben der EU“ ist da etwas sehr vage. Es sollte zumindest geklärt werden, woher „die EU“ wissen kann, welchen Euro welches Mitgliedsland zu welchen Konditionen wie an wen gezahlt hat. Wie wird z.B. die militärische Informations-Unterstützung gewertet (sie wird vermutlich gar nicht in die Rechnungen einbezogen)?
>Hinzu kommt, dass Experten zum Beispiel vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) davon ausgehen, dass die hohen Schulden für die Ukraine ohnehin nicht tragbar sein werden und „ein erheblicher Schuldenerlass“ ausgehandelt werden müsse.<
(Faktenfinder)
Nun wird es besonders faktenfrei. Denn wie soll man mutmaßliche Nicht-Rückzahlungen mit vereinbarten Krediten verrechnen?
Spätestens an dieser Stelle wäre auch zu erklären gewesen, wieso denn Trump dann mit Selenskyj einen Deal über Rohstoff-Verwertungen in der Ukranine abschließén will, wenn es hier gar nichts zurückzuzahlen gäbe? Ging es dabei nur um zukünftige Leistungen („Sicherheitsgarantien“), oder auch um bisherige?
Der Faktenfinder verrechnet nachfolgend noch Militärhilfen mit Umsätzen im gebenden Land – aber nur einseitig bei den USA:
>Wie eine Mitarbeiterin des Center for European Policy Analysis (CEPA) gegenüber FactCheck.org sagt, bleiben jedoch vor allem die Mittel für die Militärhilfe in Höhe von etwa 66 Milliarden US-Dollar in den USA und werden in die US-Militärproduktion investiert. Etwa die Hälfte dieses Betrags gehe demnach an US-Unternehmen, um die Waffen aufzufüllen, die aus den vorhandenen Beständen in die Ukraine geliefert werden. Die andere Hälfte gehe an Unternehmen in den USA, die Waffen für die Ukraine herstellen.<
Wenn man dieses Fass aufmacht, müsste man wohl auch EU-Interessen beleuchten. Wieviel verdient die europäische Rüstungsindustrie (Stichwort: „Sondervermögen“ allein in Deutschland), wer wird vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren (eher US-Firmen oder eher die räumlich näheren europäischen?).
3. Faktenprüfung:
Trump sagte zudem über den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, dass dieser ein „Diktator ohne Wahlen“ sei. Auch das ist zumindest irreführend und bedient ein weiteres prorussisches Narrativ.<
(Faktenfinder)
Angesichts dessen, was alles als Diktatur und wer alles als Diktator (oder wenigstens Autokrat) bezeichnet wird, dürfte man diese Bezeichnung als individuelle Wertung sehen müssen, im Sinne von „ich halte X für einen Diktator“.
Dass es in der Ukraine wegen des russischen Krieges keine Wahlen zum eigentlich notwendigen Zeitpunkt gab, ist zwar verfassungsrechtlich okay (wobei der vom Faktenfinder angefügte Verweis auf Deutschland inhaltllich, aber nicht formal trifft, denn ‚unsere‘ Regelung steht nicht in Art. 115a GG, sondern in Art. 115 h GG), ändert aber nichts an der Möglichkeit, einen nicht mehr regulär gewählten Präsidenten irgendwie zu bezeichnen. Denn es wäre zumindest hinzuzufügen, dass auch derzeit die Mehrheit der Wahlberechtigten bzw. im Ereignisfalle Wählenden („Sonntagsfrage“) den Amtierenden bestätigen würden (was mindestens unsicher ist). Denn die Wähler konnten ja eine vom Kriegsrecht bedingt verlängerte Amtszeit nicht vorhersehen und entsprechend nicht in ihre demokratische Entscheidung einbeziehen. Auch verfassungsrechtlich vorgesehene Notstandsregierungen wird man im konkreten Fall als zu diesem Zeitpunkt nicht gewählt kritisieren dürfen – jedenfalls in einer Demokratie.
Zudem ist Kritik an A noch lange keine Äußerung pro B, oder anders: Nur weil B etwas über A sagt („prorussisches Narrativ“), macht sich noch niemand mit B gemein, nur weil er in diesem Punkt eine ähnliche Sicht vertritt. Eine Meinung sollte grundsätzlich nicht allein dadurch diskreditiert werden können, dass eine andere, unliebsame Partei sie ebenfalls vertritt (Sprecher und Argument sind zu trennen).
Fazit zu diesen drei Faktencheck-Punkten: Der Faktenfinder verwechselt Tatsachen (=unbestritten bzw. derzeit nicht begründet bestreitbar), Tatsachenbehauptungen (=unbewiesen) und Tatsachenvermutungen (=Prognosen, Schätzungen, Modellierungen etc.).
* Zu Teskes Buch findet sich übrigens bisher nichts auf tagesschau.de
** Zu selektiven Faktenchecks im Corona-Kontext siehe S. 163ff im Paper Qualitätsdefizite.
Siehe zum Faktenfinder auch die Beiträge:
Faktenfinder zum Sturm auf den Reichstag vom Gesetzgeber offline genommen (06.09.2022)
Tagesschau Faktencheck checkt’s nicht (Autopsie, 27.05.2020)