Archiv der Kategorie: kurz kommentiert

“Messerattacke” kein relevantes Thema

Dass die Medien sich wild auf die “Messerattacke” in Brokstedt stürzen würden war klar. Das Ereignis erfüllt alles, was über die Jahre empirisch als “Nachrichtenfaktoren” herausgefiltert wurde und schlicht beschreibt, womit sich Ab- und Umsatz machen lässt. Der Aufklärung, der Orientierung dienen Nachrichtenfaktoren noch lange nicht (weshalb sie auch keine Qualitätskriterien sind). Weiterlesen

Die Suche nach der Suche

Ein zentrales Problem der Gegenwart ist die mit der Digitalisierung einhergehende Macht der Programmierer (oder Entwickler). Wir können keine Spülmaschine starten, keine Steuererklärung abgeben, keinen GKV-versicherten Arztbesuch machen, ohne von Launen, Hybris und Spieltrieb der Programmierer abhängig zu sein. Am simplen Beispiel Spülmaschine verdeutlicht: so ein Ding ist an Primitivität kaum zu überbieten. Es propellert Wasser durch den Spülraum, das dabei mehrmals gewechselt, erhitzt und mit Geschirrreiniger versehen werden kann. Am Ende können die für die Wassererwärmung vorgesehenen Heizstäbe noch für die Trocknung genutzt werden. Was also will der Spülmaschinenbesitzer steuern? Genau diese Parameter: Länge des Reinigungsvorgangs, Anzahl der Wasserwechsel und Temperatur des Spülwassers. Dafür kann man drei oder vier Schalter anbieten, und es ist jede Kombination möglich. Sobald aber ein Programmierer seine Finger anlegt, ist es damit vorbei. Nun werden Programme ersonnen, die bestimmte Einstellungen festgelegt und unabänderlich kombinieren. Darin besteht nun absolut kein Vorteil, es ist ausschließlich eine Reduktion von Möglichkeiten. Auf eine Frage nach solch speziellen Kombinationsmöglichkeiten bei der Heizung sagte der Heizungsfachmann wörtlich: “Das geht nicht, Sie sollen da auch gar nichts dran machen, das ist eine intelligente Heizungsanlage, die macht das schon alles optimal.” Wer noch einen Rest Würde besitzt verbittet sich natürlich, eine Heizung “intelligent” zu nennen. Weiterlesen

Der Staat im Stuhlkreis

Die journalistischen W-Fragen lauten Was, Wer, Wo, Wann, Wie, Warum und Woher (stammen die Aussagen). Die demokratischen W-Fragen lauten: Wer will was von wem wozu warum.

Wenn es in einem Artikel mal wieder um 200 Milliarden Euro geht, darf man erwarten, dass diese Fragen zumindest gestellt und die Antwortsuche dokumentiert wird. Aber Pustekuchen bei der Süddeutschen Zeitung. Sie titelt: Weiterlesen

Eine Razzia am Morgen vertreibt …

Was ist die wesentliche Nachricht, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft das Wohnhaus eines Prominenten durchsucht haben? Dass einfach irgendwas beim Promi los ist und man mit dem Namen Neugierde wecken kann? Dass die vorangegangene mediale Skandalisierung medial erntebare Früchte trägt und sich die bisherige Verdachtsberichterstattung bewährt? Oder dass die Unverletzlichkeit der Wohnung stets nur so lange gilt, bis von Social- oder Nachrichtenmedien etwas beanstandet wird? Weiterlesen

Affenpocken-Simsalabim

Der Berliner Tagesspiegel verlängert seine tägliche Todesangst professionell von Corona zu den  Affenpocken, die zweieinhalb Jahre erprobten Echauffageroutinen können 1:1 übernommen werden. In der kleinen Meldung aus dem heutigen Newsletter “Checkpoint” steckt schon viel Verheißungsvolles.

1. Die Guten sind schon ausgemacht. Aus denen, die nach einer Affenpocken-Impfung fragen, die also aus welch rationalen oder irrationalen Gründen Angst um ihre Gesundheit haben, werden vorausschauend die “Impfwilligen“, die ihre solidarische “Bereitschaft” zur Spritze erklären. Nicht sie wollen etwas von der Allgemeinheit, sondern sie tun etwas für diese (die den Arsch noch nicht hoch kriegt, sondern ihn offenbar besonders fest auf irgendwelche Unterlagen drückt). Die Pockenleugner schlummern zwar noch im Redaktionssystem, aber sie sind tastaturklar. Weiterlesen

Helikopterjournalisten

“Skandaläs oder bloß ungeschickt?” fragen die Blätter des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags (shz) heute für eine ausführliche “Analyse” der Nachricht, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf einem dienstlichen Hubschrauberflug ihren erwachsenen Sohn mitgenommen hatte. Illegal war daran offenbar nichts, gegen Kostenerstattung können Familienmitglieder mitreisen. (So wie übrigens auch Journalisten bei Politikern mitfahren und -fliegen dürfen, und da wird es wesentlich heikler! Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums teilt uns auf Anfrage mit: “Die Nutzung von Luftfahrzeugen der Bundeswehr erfolgt im Sinne Ihrer Fragestellung grundsätzlich entgeltlich. Die Höhe des zu entrichtenden Betrages für einen Mitflug hängt maßgeblich davon ab, ob die Begleitung im Bundesinteresse erfolgt.” Was nichts anderes bedeutet, als dass bei “Bundesinteresse” eine geringere Kostenbeteiligung verlangt wird, als wenn dieses vom Ministerium vertretene Interesse nicht vorliegt. Damit erfolgt so oder so eine Einflussnahme auf die Berichterstattung, entweder durch Entgelte, die über den tatsächlichen Kosten liegen – was der Ausgrenzung für nicht hilfreich erarchteter Journalisten dient -, oder durch eine Kostenunterdeckung, womit die Politik bestimmte Berichterstattung subventionieren würde. Ein altes Thema, an dessen Klärung der Journalismus offenbar weniger Interesse hat als an der Skandalisierung einer einzelnen Politikerin.)

Auf die selbst gestellte Frage “Warum tobt dann nun der Proteststurm?” antwortet Autor Tobias Schmidt: “Lambrecht wird wegen ihrer Amtsführung immer wieder kritisiert. Zu viel Ellebogen,  zu wenig Ahnung, und zu zögerlich bei Waffenlieferungen an die Ukraine. […]” Dann folgt das ganze bekannte Skandalisierungszeug (Kritik aus der Opposition, Twitter-Erregungen, Moralweisheiten von Journalisten-Kollegen).

Die einzig richtige Antwort auf die Frage lautet jedoch: Weil Skandalisierungen das Geschäft der Medien sind. Berichterstattung bläst Belanglosigkeiten zu Ereignissen auf. Orientierungsleistung? Null.

Dieses Skandalisierungsprogramm offenbart der Beitrag auch sehr ehrlich in der Überschrift: “Skandalös oder bloß ungeschickt?”. Ein ganz offene Recherche, in deren Verlauf es mehr oder weniger zu holen gibt, die aber auf gar keinen Fall zum Ergebnis kommen kann: Bullshit, lassen wir den Klamauk und  behelligen nicht ein ganzes Land (und darüber hinaus) mit so einer Billigproduktion.

PS: Eine sehr schöne Polemik zum Thema hat Hendrik Wieduwilt bei Übermedien geschrieben: “Lambrecht, ihr Sohn und der scheißlegale Hubschrauberflug

Aktenzeichen Covid-19 ungelöst: Wann ist das Gesundheitssystem am Limit?

Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie schreibt die Süddeutsche Zeitung über eine Konferenz der Landesgesundheitsminister mit dem Bundesgesundheitsminister:

“Dass gerade jetzt, wo viele Bundesländer Rekord-Inzidenzwerte verzeichnen, wo wieder mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen liegen, alle Beschränkungen wegfallen sollen, stößt bei vielen Landesregierungen auf Unverständnis. Auch die Hotspot-Regelung, die jedes Bundesland selbstständig umsetzen soll, halten einige Ministerpräsidenten für nicht durchdacht. Denn viele Fragen blieben bisher offen: Wann wird ein Ort zum Hotspot? Wann ist das Gesundheitssystem am Limit? Und kann ein ganzes Bundesland zum Hotspot erklärt werden oder nur einzelne Regionen?”

Es mag sein, dass Minister als Leiter sehr großer Behörden diese drei Fragen gestellt haben. Aber ist es zu viel verlangt, dass eine Berichterstattung das einordnet? Die erste und zweite Frage beantworten sich aus dem Text des Infektionsschutzgesetzes. Was da nicht steht, existiert auch nicht (auch wenn es etwas später im Text heißt, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe vier Kriterien benannt, die “den Landesregierungen demnach dabei helfen, einen Hotspot zu bestimmen”). Die journalistische Unverschämtheit ist aber die zweite Frage: Wann ist das Gesundheitssystem am Limit? Weiterlesen

Kaputtgespart

Fakten und Meinungen gibt es wie Sand am Meer – erst ihre Einordnung im jeweiligen Kontext kann daraus journalistische Informationen machen. Mit Einordnung ist dabei – entgegen weit verbreiteter Auffassung – nicht die Kommentierung durch berichterstattende Journalisten gemeint, sondern ein Orientierung gebendes In-Beziehung-Setzen.

In der Corona-Epidemie ist in Deutschland immer wieder vom kaputtgesparten Gesundheitssystem die Rede – was faktisch schlicht falsch ist. Wie immer man seine Leistung bewerten will – die Ausgaben für das deutsche Gesundheitssystem steigen fortlaufend und liegen inzwischen bei deutlich über einer Milliarde Euro pro Tag. Auch der pflichtversicherte Steuerzahler wird nicht von Ersparnissen in der eigenen Schatuell berichten können: von 1975 bis 2009 sind die Beiträge von 10,5% auf 15,5% gestiegen. 2015 wurde der Satz zwar auf 14,6% gedeckelt (bereits seit 2009 dürfen die Krankenkassen ihre Beiträge nicht mehr selbst festlegen), doch mit den seitdem ebenfalls gestatteten Zusatzbeiträgen liegen zahlreiche Kassen aktuell sogar bei über 16%, die BKK 24 wird sogar auf 17,1% taxiert. Von “kaputtsparen” also keine Spur. Weiterlesen

Pandemische Aufklärung

Norddeutsche Rundschau, 16. November 2021:

Norddeutsche Rundschau, 17. November 2021:

Hintergrund: Christian Drosten sagte im Interview mit der ZEIT

Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie. Und wir haben Menschen, die noch sehr gefährdet sind, die älteren Ungeimpften. Bei den über 60-Jährigen haben wir nur eine Impfquote von 86 Prozent vollständig Geimpfter, das ist irrsinnig, das ist wirklich gefährlich.