Spiegel heizt Atom- und Kohlekraftwerke an

Deutschland braucht mehr Atomkraftwerke. Welche Aktien der Spiegel dabei im Spiel hat, weiß ich nicht, aber sein Credo klingt konstant überzeugt. “Mit Volldampf in den Notstand” ist ein neuer Artikel betitelt, der eindringlich davor warnt, dass in Deutschland bald das Licht ausgeht und es aller Erderwärmung zum Trotz kalt wird. Einzige Rettung: Ausstieg aus dem Atomausstieg und neue Kohlekraftwerke.

Dem Artikel widersprich Wissenschaftsjournalist Björn Lohmann heftig – wundert sich aber erst mal:

Warum gleich drei Journalisten an dem Text gearbeitet haben, ist angesichts der einseitigen Darstellung kaum zu verstehen; noch dazu, weshalb einer beim Spiegel die Außenpolitik macht, ein anderer sich sonst im FAZ-Feuilleton austoben darf.

Und stellt dann den recht einseitig vom Spiegel ausgewählten Statements andere Positionen und Daten entgegen.

Problematischer allerdings ist die Spiegel-Grundhaltung, nach Herzenslust immer wieder dieselben Themen durchzunudeln, ohne jemals selbst soviel Klarheit zu gewinnen, dass der Spiegel seinen Lesern ernsthaft Durchblick verschaffen könnte. Da schreiben die drei Autoren:

Denn ziemlich lange ist Energiepolitik in Deutschland gleichbedeutend mit Klimapolitik gewesen. Die dramatischen Erkenntnisse der Naturwissenschaftler einten alle Parteien in dem Ziel, erneuerbare Energiequellen auszubauen. Nun dämmert der Berliner Politik, dass darüber eine entscheidende Frage unbeantwortet geblieben ist: Woher genau 70 Prozent des Stroms stammen sollen, wenn das hehre grüne Ziel erreicht ist, 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen und die technische Effizienz zu maximieren.

Natürlich kann man bei einem Hausbrand Bedenken hinsichtlich der durch die Rettungs- und Löschtätigkeit in Mitleidenschaft geratende Vorgartenlandschaft hegen, für einen behutsameren Feuerwehreinsatz votieren oder auch ganz von der Brandbekämpfung abraten, der Primeln wegen. Doch alle Lokaljournalisten der Welt habe diese wichtige Dialektik bereits durch, und deshalb können sie sich und uns solchen Schmarrn ersparen.

Dass der Journalismus unterm Strich ein gutes Jahrhundert lang versagt hat, als er der Nutzung fossiler Brennstoffe eben nicht die hoch-investigative Recherchefrage entgegen schleuderte, welche Folgen es wohl haben wird, wenn Jahrmillionen währende Naturprozesse binnen eines erdgeschichtlichen Lidschlags rückgängig gemacht werden, – geschenkt (aber nicht, weil man hinterher immer schlauer ist, sondern weil das Nichtfagen ja auf allen Ebenen auch von uns praktiziert wird). Nun aber ist die Frage gestellt und hinreichend beantwortet worden, da wäre es eine vertrauenbildende Maßnahme, wenn’s auch Spiegel-Journalisten zur Kenntnis nähmen.

Der Beschluss, die Atommeiler vom Netz zu nehmen, war ein kurzer demokratischer Moment, der eine jahrzehntelange Politikeraristokratie unterbrach: nie gab es eine Mehrheit für Atomkraftwerke, immer dominierte die Angst vor dieser besonders perfiden Art des Geldverdienens. Wieviele Jahre lasse ich meine Haustür weiterhin offen stehen, wenn ich weiß, dass ich mich mit geschlossener Tür nachts sicherer fühle? Brauche ich Wahrscheinlichkeitsprognosen für den Besuch böser Menschen oder wissenschaftliche Aufklärung über die Vorzüge frischer Luft? Und wie viele Spiegel-Artikel wollte ich lesen, die den neuen Öko-Trend zur geschlossenen Haustür veralbern und als wahre Gefahrenquelle das gekippte Klofenster entlarven?

Es geht nicht darum, wie sich einzelne Spiegel-Redakteure oder Spiegel-Kritiker die Welt wünschen. Aber es wäre verdienstvoll, wenn der Spiegel uns nicht immer wieder abgefrühstückte Buffets anbieten würde. Sonst müssen wir uns demnächst vielleicht rechtfertigen, wieso wir den Standort Deutschland mit unserem Nein zur Sklaverei gefährden.

Mit bestem Dank an Lars.
PS: Ebenso die Kurzmeldung im Print-Spiegel 11/2008, Seite 19

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