Schlagwort-Archive: Richtigkeit

Rechtliche Absicherung von Verdachtsberichterstattung durch Eidesstattliche Versicherungen

Zugegeben, auch wir waren lange Zeit der Ansicht, die in investigativen Pressestücken oft zu findende Aussage, es lägen Eidesstattliche Versicherungen der (anonymen) Zeugen vor, seien rechtlich wertlos. Schließlich steht im Gesetz explizit:

>Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 156 StGB)<

Selbst der bekannte und vielschreibende Bundesrichter a.D. Thomas Fischer äußerte sich entsprechend zur Verdachtsberichterstattung über Regisseur Dieter Wedel 2018: Weiterlesen

Medienkritik zur Berichterstattung über Aiwangers Flugblatt aus Jugendtagen

Das Skandalthema dieses Wochenendes lautet, der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) habe als Schüler ein antisemitisches bzw. rechtsextremistisches Flugblatt verfasst. Dies hatte die Süddeutsche Zeitung anonyme Zeugen behaupten lassen und in ihrer Print-Ausgabe (26.08.2023) auch das Corpus Delicti präsentiert. In kurzen Zeitabständen folgten öffentliche Anschuldigungen, Dementis und weitere “Enthüllungen” – die erwartbare Empörungswelle war losgetreten. Auch ungeachtet der weiteren Entwicklung hat die SZ-Berichterstattung zahlreiche handwerklich Mängel. Eine Medienkritik mit nachfolgender Materialsammlung. Eine kürzere Zusammenfassung wesentlicher Kritikpunkte gibt es in einem eigenen Beitrag hier im Blog. 

Flugblatt aus SZ vom 26.08.2023 Seite 3

Flugblatt aus SZ vom 26.08.2023 Seite 3

Sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl präsentierte die Süddeutsche Zeitung (SZ) am Freitag online und am Samstag  ausführlicher in Print auf Seite 3 eine Verdachtsberichterstattung über den Vize-Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Freien Wähler Hubert Aiwanger. Dieser stehe im Verdacht, “als 17-Jähriger” “ein antisemitisches Flugblatt verfasst und im Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ausgelegt zu haben”. Der Artikel wirft zahlreiche Qualitätsfragen auf, die von grundlegender Bedeutung für zahlreiche journalistische Darstellungen sind.

Aus dem “Schriftstück mit dem rechtsextremistischen Inhalt, das im Schuljahr 1987/88 in der Schule auftauchte”, zitiert die SZ online nur Bruchstücke. Was andere Medien – wie zu erwarten – nicht davon abhält, die Geschichte nur auf dieser Basis nachzuerzählen. t-online etwa hat, obwohl mit einem Redakteurs-Kürzel versehen, nichts weiter beizusteuern und folgt sogar dem Aufbau des Originals und bleibt auch in der Wortwahl so nah dran, dass Plagiatsjäger ihre Freude hätten.

Doch was spricht nun aus Sicht der Medienkritik gegen den SZ-Online-Artikel? Vor allem eine Minderleistung bei den Qualitätskriterien Relevanz, Maßstabsgerechtigkeit, Vollständigkeit, Einordnung, Richtigkeit und Transparenz. Weiterlesen

An Corona gestorben

Tim Röhn (Welt-Reporter und Leiter des Investigativ-Teams) schreibt auf Twitter:

“Habe die neue #Hirschhausen-Covid-Doku bis Minute 3 gesehen. Dann behauptet der Autor: „Zur Einordnung: In Deutschland sind 173.000 Menschen AN Corona gestorben.“ Das ist eine so offensichtliche Falschinformation, dass man fast von Absicht ausgehen muss, @DasErste” (10. Juni 2023; 23:39 Uhr)

Weiter hat Röhn dann nach eigenen Angaben nicht geschaut. Und als jemand, der sich intensiv mit dem Corona-Journalismus beschäftigt hat, kann ich es ihm sehr gut nachfühlen. Denn ja, solche Falschaussagen sind Absicht, sie sind kein Versehen, sie werden nicht korrigiert, wenn man den Kollegen darauf hinweist. Aber es sind nach meiner Einschätzung auch keine vorsätzlichen Lügen, kein bewusstes Biegen der Wahrheit wie in der klassischen Public Relations. Sondern es ist die Überzeugung dieser Journalisten, mit ihrer Hemdsärmeligkeit richtig zu liegen. Es ist ihr Erkenntnisdesinteresse, das zu all solchen Falschmeldungen führt – und die natürlich einen Bestätigungskosmos ergeben, einen Resonanzraum für weiteren Quark. Weiterlesen

“Der Westen” reichlich verpeilt im Norden

Erst interessiert tagelang nicht, dass die eigene Redaktion Quatsch als Nachricht verkauft. Als dann eine Frage dazu von uns eintrifft – bei der inhaltlich nicht wirklich etwas erwartet wird, die aber mindestens zum guten Ton gehört – wird der Quatschbeitrag etwas überarbeitet. Doch es fehlt sowohl ein Hinweis auf die Veränderung der Grundaussage, es fehlt eine Entschuldigung für die Fahrlässigkeit, die zu der vorherigen Quatschmeldung geführt hat – und es fehlt eine Antwort auf unsere Frage, oder wenigstens ein kurzer Dank für den in Frageform verpackten Hinweis auf Quark. Aber vielleicht ist “Der Westen” ja wirklich nur ein “Klickportal“, wie Übermedien-Gründer Stefan Niggemeier vor drei Jahren schrieb. Weiterlesen

ZDF-Weizenbiene

Insekten bestäuben Getreide? Diese neue “Erkenntnis” verbreitet die aktuelle ZDF-Sendung “Plan b“, in der es  um Lichtverschmutzung geht, unter der u.a. Insekten zu leiden haben.


In der zugehörigen Grafik wird diese artenreiche Tierklasse durch eine Biene vertreten. Der zugehörige Text passt leider nicht zur Honigbienen und zu Bienen allgemein auch nur marginal, eine zentrale Aussage ist in jedem Fall falsch.

>Insekten übernehmen lebenswichtige Aufgaben. Sie bestäuben Pflanzen, darunter die meisten Getreidesorten. Sie lockern den Ackerboden, versorgen ihn mit Nährstoffen und fressen Schädlinge, bevor sie selbst gefressen werden.<
(Plan b, Folge “Licht aus! Sterne an!”)

Weiterlesen

Eine Behauptung ist keine Frage


Eine nachrichtliche Einordnung des vom ZDF selbst ausgelösten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Fynn Kliemann ist dem ZDF misslungen. Denn die folgende Behauptung ist falsch:

>Im Kern des Beitrags wurde die Frage aufgeworfen, ob bei Geschäften der Textilfirma mit einem Großhändler im Jahr 2020 ganz bewusst das Produktionsland verschwiegen wurde – Die Masken zum Schutz gegen Corona kamen aus Asien statt aus Europa.<

Jan Böhmermann hat in seiner Sendung ZDF Magazin Royale am 6. Mai 2022 nicht nur eine “Frage aufgeworfen”, sondern sehr konkret u.a. einen Betrug vorgeworfen, bis heute noch in der Überschrift der vielsagenden Sendungsseite “Leck mich am Arsch, Fynn Kliemann” (so wir das Akronym richtig übersetzen) zu lesen: “Fynn Kliemanns Maskenbetrug”. Alles Folgende gründete auf dieser – nach derzeitigem Stand juristisch falschen – Tatsachenbehauptung.

 

Leseverständnisprobleme

Eine Vielzahl von Fehlern in journalistischen Texten gründet in Rezeptionsschwäche. Oft scheitert schon die Wiedergabe einfacher Fakten. Betrüblich daran ist, dass viele Journalisten ihre Fehler gar nicht einsehen und ihre Darstellung für korrekt, wenigstens nicht beanstandenswert halten. Hier dazu einige Impressionen. Ausführliche Beispiele finden sich auch im zweiten Teil der Serie zum Corona-Journalismus, weiteres wird hier am Ende verlinkt. Weiterlesen

Zur medialen Debatte um Silvester-Ausschreitungen

Anmerkungen zu einigen medienkritischen und journalistischen Darstellungen und Kommentierungen der Gewalt gegen Polizei und Rettungsdienst an Silvester vor zwei Wochen.
Mit Updates zu einer Fehlberichterstattung  von t-online über Silvesterkrawalle im sächsischen Borna und Ergänzungen zu zwei Beiträgen auf Übermedien.

+ Zur medienwissenschaftlichen Debatte um die Herkunftsnennung von Tätern und Tatverdächtigen ist kurz vor Silvester ein Beitrag in der “Publizistik” erschienen. Besprechung und Kommentierung dazu (leider in zwei Teilen veröffentlicht): “Welchen Pass hat der Täter? Herkunftsnennungen im Journalismus” (16.01.2023); Teil 2: “Schon der Begriff ‘Migrant’ ist eine Vernebelung” (18.01.2023).

+ Andrej Reisin hat auf Übermedien – wie so oft – einige kluge Anmerkungen zur Mediendebatte gemacht. Am 4. Januar 2023 verweist er u.a. darauf, dass viele Polizeistellen von einer normalen bzw. ruhigen Silvesternacht berichtet hatten, und erzählt anekdotisch, dass es in Berlin Neukölln “früher” schlimmer gewesen sei mit der Jugendgewalt (an Silvester). Weiterlesen

ZDF-Intendant räumt Fehler ein, korrigiert aber nicht transparent

Auch wenn es satirischer Journalismus war: der erste Beitrag der Reihe “Till to go” vom ZDF hatte massive Qualitätsmängel. Denn er führte die Zuschauer auf vielfältige Weise in die falsche Richtung. Wir haben darüber Anfang August ausführlich berichtet, mit mehreren Updates: “Absurde Verdrehungen in der heute-Show“. Auf einen konkreten Fehler haben wir das ZDF drei Mal hingewiesen, der Sender blieb jedoch bei seinen Falschbehauptungen. Erst eine formale Programmbeschwerde hat dazu geführt, dass das ZDF, vertreten durch seinen Intendanten, zwei Fehler eingeräumt hat – allerdings nur in einem Schreiben an den Beschwerdeführer, nicht öffentlich. Die Falschbehauptung im Filmbeitrag bleibt bestehen, die Zuschauer werden nicht aktiv darauf hingewiesen, dass ihnen nicht nur Quatsch, sondern schlicht die Unwahrheit erzählt wurde. Denn ein zweiter Fehler erwies sich als vorsätzlich begangen – man kann also auch von einer Lüge sprechen. Warum die ZDF-Pressestelle auf Fragen und Hinweise so lange nicht reagiert hat, bleibt auch ungeklärt.

Eine Eintrag auf der eigenen Korrekturen-Seite des ZDF erfolgte trotzt erneuten Hinweises nicht (jedenfalls bisher 20 Tage lang).

Siehe zur Programmbeschwerde:Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit” (Telepolis).
Siehe zum konkreten Fall mit allen Updates: “Absurde Verdrehungen in der heute-Show” (SpKr)

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023

Autopsie: Lauterbach fürchtet Winterwelle – und rügt Länder für »populistische« Lockerungen

Der folgende Beitrag von Marc Röhlig, Spiegel-Online kann stellvertretend für tausende solcher Artikel es Corona-Journalismus stehen. Wir stellen in erster Linie Fragen zur Argumentation. Dass sich der Beitrag auf Äußerungen des Bundesgesundheitsministers im Bayerischen Rundfunk stützt, steht dem nicht im Wege. Denn den BR-Beitrag gibt es ja bereits, journalistisch neu kann daher gerade nur die Beantwortung von relevanten Fragen sein. Zudem gibt es wieder Unrichtigkeiten (mindestens drei). Weiterlesen