Die Wertmaßstäbe deutscher Journalisten bleiben rätselhaft. Ein Interesse, sie offenzulegen, gibt es meist nicht. Entsprechend wenig nachvollziehbar sind dann ihre Kommentare.
Stefan Kuzmany findet das Musikvideo “Gloria” von Joachim Witt ekig, hält es für Schund. Schön. Nur was interessiert uns das? Genauso gut könnte er in einem Spiegel-Online-Artikel offenbaren, dass er Erdbeereis mag und Spinat schon immer doof fand – oder wie auch immer seine Geschmackgefühlslage da sein mag.
Hilfreich wäre daher zu erfahren, wie Kuzmany zu seinem Urteil kommt.
“Das Video zum neuen Song “Gloria” von Joachim Witt wäre eigentlich keiner Erwähnung wert, würde es nicht neben schwarz beflügelten Engeln, einem seltsamen Fantasy-Typen mit drei Augen und einer katholischen Prozession in einer Berglandschaft auch Bundeswehrsoldaten zeigen.”
Musik und Filmästhetik sind also nicht Gegenstand seiner journalistischen Betrachtung. Relevant wird das Video, weil es in zwei Szenen Soldatenschauspieler zeigt, – die, und das ist wohl das alleinige Thema, deutsche “Hohheitszeichens auf den Uniformen” tragen, wie Witt selbst sagt. Diese Soldaten vergewaltigen eine Frau und filmen das ganze.
Nun wäre es gut zu erfahren, warum dies nicht nur einer Erwähnung, sondern großer Aufregung wert ist. Vergewaltigung wird in jedem zweiten Krimi gespielt, sie gehört zu jedem Krieg, sie ist Standardrepertoire gewalttätiger Dominanz – in jedem Knast, in jedem Lager, potenziel überall, wo Männer für längere Zeit zusammengefercht werden.
Warum soll das nicht in einem Musikvideo vorkommen dürfen – zumal die Vergewaltigungszene ohne jeden Voyeurismus gedreht ist, sie sich vielmehr auf gut funktionierenden Andeutungen beschränkt?
Wo die Grenzverletzung liegen soll, legt Kuzmany selbst dann nicht dar, wenn es um eine anstehende Zensur geht. Dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) das Video nun auf Antrag des Bundesfamilienministeriums auf den Index setzen soll, sieht der Journalist nur als mögliche weitere Werbung. Was an diesem Video verbotswürdig sein soll – kein Wort. Eine Nachfrage beim Deutschen Journalistenverband, ob er schon die Alarmglocken läuten lässt gegen einen solchen Eingriff in die Kunstfreiheit – für das wohl zweifelsohne weit anspruchslosere Titanic-Cover hatte er sich ja gerade stark gemacht – Fehlanzeige.
Stattdessen die Prognose, eine Indizierung (bedeutet u.a.: Zugang nur für Erwachsene, keine öffentliche Werbung, Mehrwertsteuer 19 statt 7 Prozent) würde Witt freuen:
“Sein Schund würde damit auch noch ein amtliches Gütesiegel bekommen.”
Update zur Geschichte: BILD besser als SPIEGEL. Das video wurde – selbstverständlich – nicht indiziert.