Archiv der Kategorie: Medienrecht

Rechtliche Absicherung von Verdachtsberichterstattung durch Eidesstattliche Versicherungen

Zugegeben, auch wir waren lange Zeit der Ansicht, die in investigativen Pressestücken oft zu findende Aussage, es lägen Eidesstattliche Versicherungen der (anonymen) Zeugen vor, seien rechtlich wertlos. Schließlich steht im Gesetz explizit:

>Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 156 StGB)<

Selbst der bekannte und vielschreibende Bundesrichter a.D. Thomas Fischer äußerte sich entsprechend zur Verdachtsberichterstattung über Regisseur Dieter Wedel 2018: Weiterlesen

Autorennamen sind auch bei Presseschauen zu nennen

Bei vielen Presseschauen* werden  die Autorennamen der zitierten Kommentare unterschlagen. Beispielhaft sei auf den Deutschlandfunk verwiesen, der täglich zahlreiche solcher Übersichten sendet (z.B.“Aus deutschen Zeitungen„, „Internationale Presseschau„, „Wirtschaftspresseschau„).

Dies ist aus zwei Gründen zu kritisieren: Weiterlesen

Profi-Tamtam um nichts

Man muss es wohl für folgerichtig halten, dass die Medien in ihrem Böhmermann-Zirkus jetzt nochmal Sondervorstellungen geben, bevor der Gaul dann doch totgeritten ist.

Die Staatsanwaltschaft Mainz stellt also die Ermittlungen gegen Jan Böhmermann ein, es wird keine Anklage geben.* Welche Sensation! Also für Journalisten, die ihren Kunden zuvor ausgemalt haben, der kindsköpfige Comedian könne bald für Jahre im Gefängnis verschwinden.

focus.de

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bild.de

Den deutschen Journalismus kennzeichnet derzeit, dass er Recherche durch Gefühl ersetzt hat. Es sollte uns also nicht wundern, dass Journalisten, die es  im April für gut möglich hielten, Jan Böhmermann werde für seinen Scherz (oder seine Satire) mit Freiheitsentzug büßen müssen, die Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit Unverständnis vermelden. Beispielhaft Chefchecker Lorenz Maroldt vom Tagesspiegel, der sich heute Morgen ob der staatsanwaltschaftlichen Einschätzung,

ein „ernstlicher Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch“ Erdogans sei nicht zu belegen, die „absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen“ bleibe ohne Bezug zu den Tatsachen,

oral bepisst haben muss vor Lachen, was er denn auch seinem Publikum anriet:

(Regieanweisung: Publikum dreht sich prustend zur Seite und schaut sich auf dem Smartphone das vom ZDF aus der Mediathek genommene Original an.)

Was wissen diese Paragraphenreiter schon von der Welt? Haben die überhaupt gefühlte Meinungen, die sich tapfer gegen jeden Fakt behaupten können?

(Fred Steinhauer)

* Für die Hype-Verweigerer: Böhmermann hatte in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ am 31. März 2016 als Performance zum Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik ein Gedicht namens „Schmähkritik“ über den türkischen Präsidenten Erdogan vorgetragen.Anlass war Erdogans Empörung über eine Satire der NDR-Sendung Extra3. Böhmermanns Sender ZDF hatte die Sendung aus der Mediathek gelöscht und damit wohl wesentlich zu deren Verbreitung beigetragen. Der Medienhype machte die kurze Nummer zu einer Staatsaffäre, in der sich selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Wort meldete – und diese bis heute vorgeworfen bekommt. Und das alles, weil kein Journalist fähige war kurz und bündig zu recherchieren, dass dies alles gar kein Thema ist, sondern nur Kerzennebel.

Checkpoint hat den Durchblick

Checkpoint hat den Durchblick

Updates und Ergänzungen zum Thema:

+ Jan Böhmermanns Statement vom 5. Oktober 2016 (Video)
+ Jan Böhmermann spricht darin selbst von einem Witz, nicht von Satire. Das war zu befürchten.

+ Michael Hanfeld, FAZ, gibt natürlich auch keine Ruhe. Schließlich hatte er  bereits am 1. April 2016 unter der Überschrift „Dümmer als das Presserecht erlaubt“ Böhmermann als „Deppen“ bezeichnet, der mit seinem Arsch irgendwie gute Satire kaputt macht, und geschlaumeiert: „Wer jemanden auf das Übelste verunglimpft, jemandem perverse Neigungen nachsagt, gar Verbrechen unterstellt, muss damit rechnen, dass er damit spätestens vor Gericht nicht mehr durchkommt.“
Nun konnte man mit etwas Medienrechtskenntnis erwarten, dass das Hamburger Landgericht zivilrechtlich einige Passagen verbieten würde (weil dort die Benimmkammer Deutschlands ansässig ist), strafrechtlich die Sache aber vollkommen irrelevant ist (andernfalls die Sorge um dieses Land wirklich groß werden müsste). Als nun Hanfeld und andere Feuilletonhygieniker mit ihren wohl recherchierten Fakten von der Justiz eine lange Nase gezeigt bekamen, fragt Hanfeld seine Leser, ob sich Jan Böhmermann „mit seinem Gedicht immer noch für den King of Kotelett der deutschen Satireszene“ halte und bäbäbät: „Die strafrechtliche Würdigung des Schmähgedichts hätte übrigens auch ganz anders ausfallen können.“ Was man so lesen darf: „Die Staatsanwaltschaft Mainz hat einfach keine Ahnung, warum lesen die nicht wenigstens Hanfelds komprimierte Weisheiten?“

+ Verständnisprobleme lässt schon erkennen, wer – gar wiederholt – von „Böhmermanns Schmähkritik“ oder „dem Schmähgedicht“ spricht. Es ist in diesem Fall keine Korinte gekackt, wenn mandie korrekte Bezeichnungen verlangt: die vorgetragenev Verse trugen den Titel „Schmähkritik“, eine solche liegt aber in der Gesamtperformance (und nur um die kann es gehen) gerade nicht vor. Wie schon einmal erläutert: Wenn ein Schauspieler auf der Bühne oder im Fernsehen sagt: „Fick dich, du Hurensohn“, dann ist das auch keine Beleidigung. (Tatort-Tote sind übrigens meist auch nicht wirklich tot.)

 

Rundfunkräte auslosen

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist nur mit der Auslosung von Bürgern zu gewährleisten, erklärt der Medienjournalist Timo Rieg in einem Essay der aktuellen Ausgabe von „epd Medien“.

Wo immer eine Menschengruppe zu groß ist, um in ihrer Gesamtheit etwas zu beraten, ist die Auslosung von einzelnen Stellvertretern das demokratischste Verfahren. Denn das Los ist unbestechlich, gerecht und blind wie Justitia. Das Los gibt jedem die gleiche Chance, es diskriminiert und privilegiert niemanden. Deshalb haben es schon die Erfinder der Demokratie vor 2.500 Jahren genutzt: sie haben Bürger ausgelost, die stellvertretend für alle miteinander Politik diskutiert haben. Sogar die meisten einzelnen Ämter wurden verlost. Um die Gefahr zufälliger Verzerrungen zu minimieren, muss die ausgeloste Gruppe nur groß genug sein. In der attischen Demokratie kamen in einer „Bule“ genannten Versammlung 500 ausgeloste Bürger zusammen. Für einen repräsentativen Rundfunkrat dürfte ein Fünftel davon genügen.

Die Mitglieder des ZDF-Fernsehrats haben angekündigt, ab nächstem Jahr überwiegend öffentlich zu tagen. Damit will das Aufsichtsgremium dem Transparenzgebot des Bundesverfassungsgericht nachkommen. Die für die Zusammensetzung des Fernsehrats zuständigen Ministerpräsidenten hatten zurvor schon erklärt, den Anteil von Politikern und „staatsnahen“ Funktionären etwas reduzieren zu wollen (das BVerfG hält maximal ein Drittel für vertretbar).

Das alles wird aber nicht dem gerecht werden, was das Karlsruher Gericht am 25. März 2014 gefordert hat, meint Rieg: nämlich die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Derzeit bildeten die Mitglieder der Aufsichtsgremien in ARD und ZDF eine sehr homogene Gruppe: überwiegend männlich, im mittleren bis fortgeschrittenen Alter, formal gebildete, gut verdienend, überwiegend vom Steuerzahler finanziert oder zumindest bezuschusst.

Da sich die Ministerpräsidenten als Verantwortliche für den rechtlichen Rahmen derzeit wohl nicht auf eine strikte Beschneidung der Lobbygruppen einlassen, schlägt Timo Rieg vor, unabhängig von den etablierten Gremien ausgeloste Bürgergruppen über dieselben Themen beraten zu lassen. Die Ergebnisse der „Bürger-Jurys“ wären zwar unverbindlich, aber immerhin öffentlich diskutierbar.

Updates:

Eine Kurzvorstellung des Vorschlags ist bei Telepolis erschienen

Der vollständige Text ist inzwischen hier nachzulesen: Stellvertreter für alle – Rundfunk- und Medienräte auslosen.

Kurzer Hinweis auf Englisch in „Whoever has no lobby is out„:

Journalist and mini public expert Timo Rieg criticises the dominance of organised interests in broadcasting councils and television councils: „Associations have good chances of participation. However, if you don’t have an organised lobby, you’re out.“ Moreover, representatives of those associations that do get a say are by no means representative of their members. „If you look at the compositions, academics dominate, above-average earners dominate. This is justified by the need for expertise: „You have to know your subject area very well and be able to communicate this,“ says Rieg, explaining the current situation. [Read more here]

Politiker und Lobbyisten blieben dem Bürgergespräch fern

Am 19. April 2013 (16 Uhr) ist die Online-Konsultation zu einem neuen Landesmediengesetz in NRW zuende gegangen. Vier Wochen lang waren Bürger und Verbänd/ Organisationen eingeladen, den ersten Entwurf zu kommentieren. Timo Rieg sprach mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien Angelica Schwall-Düren – und hat sich die Beteiligung von Politikern und Interessenverbänden angeschaut.

Spiegelkritik: Frau Dr. Schwall-Düren, Sie haben den Entwurf für ein neues Landesmediengesetz in Form einer Online-Konsultation offen kommentieren lassen – von Bürgern, von Medienschaffenden, von Lobbygruppen. Auf diese Form der Partizipation haben Sie schon früher gesetzt, etwa beim Medienpass oder der Eine-Welt-Strategie. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit diesem Instrument?

Schwall-Düren: Unsere Erfahrungen sind ausgesprochen positiv. Ganz entscheidend ist, dass die Online-Konsultation nutzerfreundlich ist. So sind die Zugriffe, die Kommentare und Bewertungen überraschend zahlreich ausgefallen, obwohl das Landesmediengesetz eher eine Fachöffentlichkeit interessiert. Bis zum Abschluss der Konsultation gab es mehr als 2.600 Besucher, mehr als 900 Bewertungen und über 500 Kommentare. Das ist eine hervorragende Beteiligung.

Spiegelkritik: Wie ist es mit der Beteiligung von Lobbyisten, Programmbeirats-Mitgliedern und anderen Experten und Akteuren? Die scheinen sich aus der Online-Debatte überwiegend herausgehalten zu haben. Hätten Sie sich hier mehr Transparenz gewünscht?

Schwall-Düren: Der erste Arbeitsentwurf, den wir ins Netz gestellt haben, ist nicht aus dem Nichts entstanden, sondern auf der Grundlage vieler Gespräche und Beratungen mit Expertinnen und Experten. Deshalb ist die Frage, ob hier noch ein Bedarf bestand, sich erneut einzubringen – die Möglichkeit gab es auf jeden Fall auch für diese Gruppen.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens wird es eine politische Debatte geben, in die auch die Rückmeldungen aus der Online-Konsultation ausdrücklich miteinbezogen werden sollen. Uns ist sehr wichtig, dass der Gesetzgebungsprozess transparent gestaltet wird. Bis zum Ende des Jahres sind die Kommentare und Anregungen aus der Online-Konsultation weiterhin verfügbar und auf der Webseite nachzulesen.

Spiegelkritik: Die Programmbeiräte wie auch eine neu zu schaffende „Medienversammlung“ sollen sich nach bewährter Methode aus gesellschaftlich relevanten Gruppen speisen, also Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden. Hat Ihr Ministerium dazu Alternativen geprüft?

Schwall-Düren: Die Politik sollte nicht in die Entsendung von Personen durch gesellschaftlich relevante Gruppen eingreifen. So wird das auch bei der Anhörung im Landtag sein: Gruppen werden eingeladen, kompetente Vertreter zu entsenden, aber wer das dann ist, bestimmen diese Gruppen selbständig. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, dass nicht nur in den Medien Staatsferne gegeben ist, sondern auch in den Beratungsgremien.

Spiegelkritik: Wie sich die Medienversammlung zusammensetzen soll, ist im Gesetzentwurf nicht festgelegt – das soll in einer Satzung der Landesanstalt für Medien geschehen. Ein Wagnis, oder?

Schwall-Düren: Wir wollen den Kreis so groß wie möglich halten. Alle zu berücksichtigen wird aber allein schon zahlenmäßig schwierig. Da erhoffen wir uns im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses natürlich auch Anregungen von den gesellschaftlich relevanten Gruppen.

Spiegelkritik: Wäre da nicht mal eine Versammlung durch Losentscheid denkbar? Das Verfahren ist doch in NRW entwickelt worden, an der Uni Wuppertal von Professor Peter Dienel, damals unter dem Namen „Planungszelle“. Zufällig ausgeloste Bürger kommen als Experten in eigener Sache zusammen und erarbeiten Empfehlungen.

Schwall-Düren: Ich lade Sie ein, diese Anregung noch in die Konsultation einzubringen.

Resonanz

Von den in den Programmbeiräten und der Medienkommission (quasi Vorstand der Landesmedienanstalt NRW, LfM) vertretenen „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ hatte sich in den vier Wochen Konsultationsphase kaum einer beteiligt. Die Journalistengewerkschaft dju in Ver.di sagte auf Anfrage, sie habe sich nicht angesprochen gefühlt, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) war zum Zeitpunkt der Anfrage gestern noch damit beschäftigt, seine Positionen auf der Internet-Plattform einzustellen, die Evangelische Kirche in Westfalen (EKvW) hat eine entsprechende Anfrage nicht beantwortet – wie üblich, muss man aus Erfahrung sagen.
Von den befragten vier Politiker – Sprecher des Ausschusses für Medien – antworteten zwei: Daniel Schwerd (Piraten, stellv. Vorsitzender des Ausschuss‘) begrüßte das Verfahren ebenso wie Oliver Keymis (Die Grünen), beide haben sich aber auf der Plattform nicht zu Wort gemeldet. Karl Schultheis (SPD, Vorsitzender) und Thomas Nückel (FDP) haben die Presseanfrage in den vergangenen 30 Stunden nicht beantwortet.

Organisationsvertreter und Politiker verwiesen in Gesprächen auf den „parlamentarischen Weg“, der für sie an geeigneter Stelle eine Beteiligung vorsehe. Zum Beispiel in einer Anhörung. Nur: Mit dem von der Ministerin gewählten Konsultationsprozess gab es ein Angebot, transparent seine Positionen vorzutragen – und natürlich auch direkt auf Vorschläge von Bürgern, Bürgerfunkern, Rundfunkveranstaltern und anderen zu reagieren.

Leistungsschutzrecht: „Kampagneros hatten die Oberhand“

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger kommt nun also doch, der Bundesrat hat es heute durchgewunken. Im „journalist“ April 2013 gibt es dazu eine Schnipsel-Sammlung an Fakten, Meinungen und letzten offenen Fragen. Dabei auch ein Kurzporträt eines der wichtigsten Aktivisten für ein LSR, Christoph Keese vom Axel-Springer-Verlag. Hier das vollständige Kurzinterview, das Timo Rieg mit ihm geführt hat.

Frage: Wieso heißt Ihr Blog „Presseschauder“, Herr Keese? Wen schaudert es da vor was?

Keese: Niemanden schaudert es. Der Blog ist entstanden als eine Reaktion auf Daniel Schultz‚ Blog „Presseschauer“. Meine Seite sollte ursprünglich einen einzigen Text enthalten – ein Interview von und mit Daniel Schultz, über das wir lange diskutiert hatten. Wegen des großen Interesses an dem Text habe ich danach einfach weiter gemacht und mehr geschrieben. Daraus ist der Blog entstanden.
Den Namen „Presseschauder“ mag ich eigentlich nicht. Ich suche eine besseren, habe aber noch keinen passenden gefunden, bei dem die URL frei ist.

Frage: Wer waren Ihre wichtigsten öffentlichen Diskussionspartner zum Leistungsschutzrecht?

Keese: In der Debatte gab es wenige Diskutanten, die sich auf die juristischen Details eingelassen haben und bereit waren, sich mit intellektueller Neugier in die schwierige Materie einzulesen, sofern sie selber keine Juristen sind. Kampagneros hatten die Oberhand. Inhaltlich am meisten gebracht haben mir persönlich die Debatten im Bundestag und in den Jura-Fakultäten. Am meisten aneinander gerieben habe ich mich wohl an Till Kreutzer. Ich schätze seine inhaltliche Leidenschaft, auch wenn er leider zu den falschen Schlüssen kommt.

Frage:
Wieviel Zeit haben Sie wohl in den letzten Jahren mit der Debatte um das LSR verbracht? Täglich eine Stunde, in der Summe 2 Monate, ….?

Keese: Ich habe nicht mitgezählt. Aber es war sehr viel Zeit. Sie is es aber wert gewesen.
Wir stehen durch das Internet an einer epochalen Wende in der Wirtschaftsgeschichte. Da muss die Frage debattiert werden, wem was gehört. Fortschritt gibt es nur, wenn wenn Eigentumsfragen geklärt sind. So war es zu Beginn jeder neuen Technik-Epoche. Eine solche Findungsphase mitgestalten zu können, ist ein Privileg.

Frage: Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetz, wie es Bundestag und Bundesrat nun verabschiedet haben?

Keese: Es ist eine vernünftige, praktikable Lösung, die weltweit Maßstäbe setzen wird. Deutschland emanzipiert sich hiermit ein Stück weit von den USA und findet die Kraft, „fair use“ anders zu definieren als die Amerikaner. In den USA schauen jetzt viele mit großer Anerkennung auf Deutschland. Ich erlebe das hier im Silicon Valley ganz direkt. Jeder Profi in den USA weiß, dass das amerikanische Urheberrecht den wild übertriebenen Interpretationen von „fair use“ endlich etwas entgegen setzen müsste. Doch die Google-Lobby verhindert das. Deutschland setzt hier ein klares Zeichen, wie der Souverän die Gestaltungskraft zurück gewinnen kann.

Frage: Es kommt darin ja z.B. nicht mehr die gewerbliche Nutzung von Online-Inhalten am Arbeitsplatz vor (wie ursprünglich mal vorgesehen). Ist das Thema durch oder wird das in einem anderen Zusammenhang nochmal kommen können?

Keese: Lesen am Bildschirm sollte ja nie erfasst werden. Mit der jetzigen Lösung ist gewerbliche Aggregation erfasst und damit der Hauptteil der Nutzung von Journalismus in Firmen. Damit wird man weit kommen. Wir starten mit Zuversicht in die neue Phase.

Frage: Was wird das nächste größere Urheberrechtsthema sein?

Keese: Die Bundesregierung hat den größten Teil der Vorschläge zum dritten Korb nicht
umgesetzt. Sie betreffen weniger die Presse, sind aber trotzdem wichtig. Die Kollegen in den anderen Kreativbranchen kritisieren das zu Recht. In der nächsten Legislaturperiode wird man die Versäumnisse der vergangenen vier Jahre aufholen müssen.

Der Verpixelungs-Wahn: Kommune 1

aus dem SPIEGEL 25/2010Zum Trend der Nicht-Berichterstattung durch Anonymisierung im Allgemeinen und Fotoverpixelungen im Besonderen haben wir uns hier auf Spiegelkritik schon mehrfach geäußert. In der letzten Woche machte uns der SPIEGEL (25/2010) allerdings mit einer neuen Variante stutzig: da wurde zum tausendsten Mal das Nackerten-Foto der Kommune 1 veröffentlicht – doch anders als bislang immer – etwa noch in Heft 8/2008 oder 5/2007 (html-Version hier) – wurde nun der 1967 noch sehr kleine Junge Nessim verpixelt – und zwar an Kopf und Po.
Im Text geht es um die „Missbrauchsgeschichte“ der „Linken“, Headline: „Kuck mal, meine Vagina“. (pdf)

(Dieser Alt-Eintrag vom 4. Juli 2010 hatte sich in den „Entwürfen“ versteckt und erscheint daher mit nur gut  zwei Jahren Verspätung – ohne weiteren Ausbau…)

Schuld und Unschuld haben Gesichter

Einzelfälle können in Gesetzen kaum geregelt werden, und Sinn von Gerichtsverfahren ist auch abzuwägen zwischen den verschiedenen Interessen. Aber deutsche Richter haben in vielen Bereichen einen unglaublich großen, einen undemokratischen Ermessens- und Entscheidungsspielraum. Das inzwischen vollständig justizkapitalisierte „Allgemeine Persönlichkeitsrecht“ ist das Paradebeispiel dafür. Aus einer völlig abstrakten, alten und inhaltsarmen Formulierung leiten Gerichte landauf landab alles mögliche her. Beim Standardkonflikt „Pressebild“ kommt noch das recht irrsinnige „Recht am eigenen Bild“ hinzu, eine Regelung, völlig unpassend vor 100 Jahren in ein „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ gepackt.
Auf dieser Grundlage und verstärkt durch seine „Sitzungspolizei“-Kompetenz hat der Vorsitzende Richter am Landgericht Potsdam nun ein komplettes Fotografierverbot in einem Prozess verhängt.

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Auch Medien verdienen eine kritische Presse

Dass Medienjournalisten etwas von Medien wissen wollen, kommt vor. Dass die befragten Medien mit diesen Anliegen  machen, was sie wollen, ist eine traurig bekannte Tatsache. Dass die ARD aber kritische Journalistenanfragen routinemäßig an ihre Medienredaktion(en) weiterleitet, ist doch befremdlich.

Das Ignorieren von Journalistenanfragen nervt bei Medien ganz immens, denn es ist weit verbreitet. Ich bin schon lange dafür, den Auskunftsanspruch der Presse nach den Landespressegesetzen auch auf die juristischen Personen auszudehnen, die keine Behörden sind. Gekoppelt mit einer bindenden Frist für die Beantwortung könnte die Interpretation, was unter den Auskunftsanspruch fällt und was nicht, ruhig weich verlaufen: Wenn Unternehmen wenigstens irgendwie antworten müssen (anstatt sich nur privat auf die durch die Anfrage offenbar gewordene anstehende Berichterstattung vorzubereiten) ginge vieles einfacher und schneller.  (Tg)

Telefonmitschnitte erlauben

Die Durchsuchung der Redaktionsräume des Freien Sender Kombinats Hamburg (FSK) vor sieben Jahren, welche das Bundesverfassungsgericht nun als verfassungswidrig eingestuft hat, hatte mich schon damals aufgeregt, allerdings weniger wegen des „Polizeiübergriffs“ an sich, sondern wegen seiner vermeintlichen Rechtsgrundlage: Ermittelt wurde nämlich die Straftat, dass ein Mitarbeiter des privaten Radiosenders zwei Telefonate mit der Polizeipressestelle ungenehmigt aufgenommen und Teile für einen Radiobeitrag verwendet hatte.
Denn in Deutschland, wo zwar hunderttausende Telefonate ganz Stasi-frei abgehört werden, kann der Mitschnitt eines nicht-öffentlich geführten Gesprächs mit bis zu drei Jahre Gefängnis geahndet werden (§ 201 StGB).

Und darin liegt das viel größere Problem – das bisher kein Gericht mit einer einfachen, logischen Interpretation von Öffentlichkeit ausgeräumt hat: Auskunftspflichtige Behörden geben Journalisten (notgedrungen) Informationen, gestatten aber nicht deren wörtliche Verwendung (ob als Telefonmitschnitt oder Print-Zitat). Das ist ein herrlicher Taschenspieler-Trick: Informationen mündlich geben, die Dokumentation verbieten – und so jederzeit dementieren können, dies und das so oder so gesagt zu haben.

Dabei ist das Gespräch zwischen einem Pressesprecher und einem Journalisten per se für die Öffentlichkeit bestimmt, wenn nicht aus nachvollziehbarem Grund Vertraulichkeit vereinbart wird, das ganze also zu einem Hintergrundgespräch wird. Ansonsten äußert sich eine Pressestelle immer öffentlich – das konstituiert sie ja gerade, nur deshalb wird sie angefragt.

Allein um Journalisten vor den vielen gelogenen Dementis zu schützen, muss die Aufzeichnung von Telefonaten für die eigene Dokumentation erlaubt sein – ohne Einwilligung. Und in vielen Fällen dürfte auch die Veröffentlichung nicht von der Zustimmung der Beteiligten abhängig sein (natürlich gilt dies für beide Seiten!). Wenn sich eine Pressestelle in einer Weise äußert, die von öffentlichem Interesse ist, dann darf sie sich nicht auf eine völlig irrsinnige „Vertraulichkeit des Wortes“ berufen können. Pressesprecher von Behörden werden nicht dafür bezahlt, dass sie Privatgespräche mit Journalisten führen, sondern dass sie via Journalisten der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen.
Timo Rieg