Archiv der Kategorie: Außenspiegel

“Hürden der Aufklärung”

Journalismus und gesellschaftliche Verständigung –
Vierteiliger Essay zur demokratischen Aushandlungspraxis.

Teil 1: Was ist und soll eigentlich (unsere) Demokratie?
Teil 2: Tatsachen als Problem der Verständigung
Teil 3: Wenn Diskussionsgrundlagen unklar sind
Teil 4: Debatte: Meinungen aufs Geratewohl

Der Essay enthält einige für die Medienkritik relevante Fälle, vor allem zur Verwechslung von Tatsachen und Meinungen (Stichworte: Buch “Gekränkte Freiheit” von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey; “Führer der freien Welt”; “Zeitenwende”; “Die Wissenschaft irrt sich empor”; “Die Covid-Impfung schützt Sie zuverlässig”; Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit von Covid-19 und Grippe; “BILD ist deutscher Rügen-Meister”; falsche Annahme einer einheitlichen Grundgesamtheit bei statistischen Vergleichen; Armin Wolffs “die Ukraine habe einen ‘Krieg gegen Russland’ begonnen”; Fremdschutz durch Corona-Impfung; Bereicherung durch Zuwanderung; Sozialtourismus; “Ärzte und Pfleger arbeiten am Limit”; Sexismus; Meinungen aufs Geratewohl; Grenzen des Sagbaren; toxische Weiblichkeit).

Demokratisierung der Rundfunkräte

Die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sogenannten “Rundfunkräte” (beim ZDF: Fernsehrat; beim Deutschlandfunk: Hörfunkrat), sind alles andere als divers besetzt. Sie sollen zwar die Zivilgesellschaft vertreten, spiegeln die Gesellschaft jedoch nicht wider (siehe die Auszählung “Repräsentativität in Rundfunk- und Fernsehrat – Eine vergleichende Analyse der Diskrepanz von Besetzung und Demografie“, von Jasmin Koch, Sabine Schiffer, Fabian Schöpp und Ronja Tabrizi, journalistik 1/2023).

In einem Essay für epd Medien (Heft 9/2023) habe ich daher erneut vorgeschlagen, die Rundfunkräte per Los zu besetzen: Bürger in die Räte (via Turi2). Wie immer bei solchen aleatorischen Auswahlverfahren muss dann zugleich die Amtsdauer radikal auf eine Sitzungswoche begrenzt werden.

Bereits in epd Medien 39/2014 hatte ich das Modell skizziert, kurz nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts und noch vor der Neuaufstellung des ZDF-Fernsehrats (der später zwar pflichtgemäß die Zahl der Politker-Plätze reduziert, sonst aber nichts für mehr Vielfalt getan hat): “Stellvertreter für alle“. Heute dürfte die Auslosung angesichts der in Mode gekommenen Bürgerräte weniger befremdlich wirken als damals.

Zu demokratischen Losverfahren sei auch auf meinen Podcast ?Macht:Los! verwiesen.

Tagesspiegel outet Community-User

Der Berliner Tagesspiegel hat die Identität eines Foren-Kommentators öffentlich gemacht. Der Lokalpolitiker schrieb in der Tagesspiegel-Community, wie von den Richtlinien empfohlen, unter Pseudonym. Da die Redaktion Zugriff auf die Anmeldedaten hat, kannte sie u.a. die hinterlegte E-Mail-Adresse – und machte sie zusammen mit dem Namen öffentlich. Der Vorwurf: Ein Politiker müsse mit Klarnamen kommentieren. Die Berliner Datenschutzbeauftragte prüft den Fall auf Anfrage noch, ein Justiziar und Mitglied des Presserats sieht einen Rechtsverstoß.
#Zum Bericht.
#Zur Pressemitteilung des Heise Verlags.

Reklame für den Rundfunkbeitrag bei der Tagesschau

Tagesschau.de berichtet in eigener Sache – nämlich über den angemeldeten Finanzbedarf der ARD, aus dem sich die Rundfunkgebühr ab dem Jahr 2025 ergeben soll (zusammen mit ZDF, Deutschlandradio und Arte). Doch statt eines journalistischen Stücks präsentiert die führende öffentlich-rechtliche Nachrichtenmarke Public Relations für das eigene Haus. Eine Medienkritik bei Telepolis.

ZDF-Intendant räumt Fehler ein, korrigiert aber nicht transparent

Auch wenn es satirischer Journalismus war: der erste Beitrag der Reihe “Till to go” vom ZDF hatte massive Qualitätsmängel. Denn er führte die Zuschauer auf vielfältige Weise in die falsche Richtung. Wir haben darüber Anfang August ausführlich berichtet, mit mehreren Updates: “Absurde Verdrehungen in der heute-Show“. Auf einen konkreten Fehler haben wir das ZDF drei Mal hingewiesen, der Sender blieb jedoch bei seinen Falschbehauptungen. Erst eine formale Programmbeschwerde hat dazu geführt, dass das ZDF, vertreten durch seinen Intendanten, zwei Fehler eingeräumt hat – allerdings nur in einem Schreiben an den Beschwerdeführer, nicht öffentlich. Die Falschbehauptung im Filmbeitrag bleibt bestehen, die Zuschauer werden nicht aktiv darauf hingewiesen, dass ihnen nicht nur Quatsch, sondern schlicht die Unwahrheit erzählt wurde. Denn ein zweiter Fehler erwies sich als vorsätzlich begangen – man kann also auch von einer Lüge sprechen. Warum die ZDF-Pressestelle auf Fragen und Hinweise so lange nicht reagiert hat, bleibt auch ungeklärt.

Eine Eintrag auf der eigenen Korrekturen-Seite des ZDF erfolgte trotzt erneuten Hinweises nicht (jedenfalls bisher 20 Tage lang).

Siehe zur Programmbeschwerde:Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit” (Telepolis).
Siehe zum konkreten Fall mit allen Updates: “Absurde Verdrehungen in der heute-Show” (SpKr)

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023

Reichelt bei Krömer bei der SZ

Titel: Schlechtes Kunststück.
Untertitel: „Chez Krömer“ und das öffentlich-rechtliche Fernsehen lehren in einer Art Schaustück: Wie man Ex-„Bild“-Boss Julian Reichelt nicht interviewen sollte
Autoren: Laura Hertreiter/ Nele Pollatschek
Medium: Süddeutsche Zeitung, 15.11.2022, S. 19
(Online-Fassung: Wie man Julian Reichelt besser nicht interviewt)
Genre: Rezension (Fernsehsendung)

Unsere Medienkritik: Erkenntnisdesinteresse

Zusammenfassung: Die Autorinnen Laura Hertreiter und Nele Pollatschek werfen der Figur Kurt Krömer vor, Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt in seiner Sendung “Chez Krömer” eine Bühne geboten zu haben, was Aufmerksamkeit generiere und so dafür sorgen könnte, dass Reichelt “bald wieder ganz gut ins Geschäft einsteigen”wird. Weiterlesen

Einäugige Medienkritik

Aus den vielen, vielen Ungleichbehandlungen im Corona-Journalismus (siehe  laufende Serie bei Telepolis) hier ein Beispiel: Die Süddeutsche Zeitung schneidet eine statistische Darstellung so, dass der echte Maßstab nicht mehr optisch zu erkennen  ist, sondern abgelesen und ‘vor dem geistigen Auge’ angepasst werden muss, Twitter-Post:

Soweit, so normal-desorientierend. Wir warten jetzt aber darauf, dass die professionelle Medienkritik dies ebenso anprangert wie in Fällen, da ihr das Ergebnis der Manipulation mutmaßlich weniger gefällt, wie etwa BILD-Blog.


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Mehr Reflexion und Forschung zur Corona-Berichterstattung

War die zurückhaltende, kritiklose Berichterstattung über die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie journalismusethisch gerechtfertigt? Welche Nebenwirkungen hat die starke Fokussierung auf das eine Thema in allen Medien? Wie gut macht die journalistische Medienkritik derzeit ihren Job? Ein Gespräch mit dem Medienethiker Prof. Dr. Christian Schicha:
“Kritik ist immer erlaubt und wichtig”

Medienbereinigung: Seehofer raus aus den News

Journalismus soll seinen Kunden durch Informationsangebote bei der Orientierung helfen – eine Binsenweisheit. Dass dies unterschiedlich gut gelingt, ist auch selbstverständlich.

Leider gibt es immer wieder auch flächendeckendes Versagen beim journalistischen Auftrag – und die Medienkritik hat u.a. auf solches über den Einzelfall hinausgehende Misslingen zu fokussieren.Nicht selten kann man die Desinformationsgeschwader schon lange Zeit ihres Anflugs vernehmen, weit bevor sie ihre Nebelbomben werfen. Vielleicht sollte die Medienkritik stärker vorwarnend tätig werden – und wenn sie den Medienkurs nicht beeinflussen kann wenigstens die Rezipienten in die Bunker schicken.

Eine solche Vorwarnung muss man in Punkto Bundesinnenminister Horst Seehofer spätestens heute aussprechen. Was immer in den nächsten Wochen und Monaten, die er noch Chef einer riesigen und sehr bedeutsamen Behörde ist, an Forderungen erhebt, an Vorschlägen verlautbart, eben Politik-PR veranstaltet: es ist es nicht wert, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Jede Meldung, jeder Kommentar zu Äußerungen Horst Seehofers sind eine intellektuelle Beleidigung, eine zeitraubende Desinformation.

Denn ein Bundespolitiker, der 100 schiffbrüchige Flüchtlinge zu einem europäischen Problem erhebt, für das es eine “europäisch-solidarische Lösung” brauche, der dieses Kaspertheater nicht exklusiv für den erlauchten Kreis seiner Berufsgenossen aufführt, sondern damit in die Medienöffentlichkeit drängt, wer also nicht in der Lage ist, eine Banalität zu regeln, von dem kann, soll und darf man keine öffentliche Debatten sinnvoll bereichernde Geistesblitze erwarten. Es entspricht dem journalistischen Auftrag der Orientierung, künftig nur noch relevante Tätigkeiten des Bundesinnenministeriums zu vermelden, dessen austauschbaren Chef jedoch komplett zu ignorieren.

Man muss nicht in den Chor der sich moralisch überlegen gebenden “Refugees welcome”-Sänger einsteigen, um Seehofers Verhalten gegenüber den Menschen auf zwei kleinen Rettungsschiffen im Mittelmeer erbärmlich zu finden. Es ist katastrophal genug, dass die EU überhaupt vor einem “Problem” stehen kann, wenn 100 Schiffbrüchige irgendwo aufgenommen werden müssen. In jedem Fall aber ist es die Aufgabe von Politikern bzw. Beamten und Angestellten der Exekutive, solche “Probleme” schnell und souverän zu lösen, ohne damit den Souverän zu behelligen. Wenn diese gigantische Ministerialbürokratie schon überfordert ist, weil 100 Migranten nicht planmäßig entweder von Küstenwachen zurückgeholt worden oder im Mittelmeer abgesoffen sind, um nicht an den Außengrenzen der EU zum Problem zu werden, dann möchte man als Bürger den ganzen Popanz auflösen, in die Wüste schicken oder auf den Mond schießen. Als Journalist jedenfalls hat man zu erkennen, dass Horst Seehofer nicht ernsthaft eine Person sein kann, deren politische Ideen dem Rest der Bevölkerung mitzuteilen sind. Jede weitere Meldung, was Seehofer will oder nicht will, fordert, oder anbietet, ist eine gewaltige Despektierlichkeit gegenüber den Rezipienten.

Wenn Seehofer sich dennoch weiter mitteilen möchte, gibt es dafür reichlich Wege. Journalistische Medien dürfen dafür nicht mehr zur Verfügung stehen.