Medienkritik zur Berichterstattung über Aiwangers Flugblatt aus Jugendtagen

Das Skandalthema dieses Wochenendes lautet, der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) habe als Schüler ein antisemitisches bzw. rechtsextremistisches Flugblatt verfasst. Dies hatte die Süddeutsche Zeitung anonyme Zeugen behaupten lassen und in ihrer Print-Ausgabe (26.08.2023) auch das Corpus Delicti präsentiert. In kurzen Zeitabständen folgten öffentliche Anschuldigungen, Dementis und weitere „Enthüllungen“ – die erwartbare Empörungswelle war losgetreten. Auch ungeachtet der weiteren Entwicklung hat die SZ-Berichterstattung zahlreiche handwerklich Mängel. Eine Medienkritik mit nachfolgender Materialsammlung. Eine kürzere Zusammenfassung wesentlicher Kritikpunkte gibt es in einem eigenen Beitrag hier im Blog. 

Flugblatt aus SZ vom 26.08.2023 Seite 3

Flugblatt aus SZ vom 26.08.2023 Seite 3

Sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl präsentierte die Süddeutsche Zeitung (SZ) am Freitag online und am Samstag  ausführlicher in Print auf Seite 3 eine Verdachtsberichterstattung über den Vize-Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Freien Wähler Hubert Aiwanger. Dieser stehe im Verdacht, „als 17-Jähriger“ „ein antisemitisches Flugblatt verfasst und im Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ausgelegt zu haben“. Der Artikel wirft zahlreiche Qualitätsfragen auf, die von grundlegender Bedeutung für zahlreiche journalistische Darstellungen sind.

Aus dem „Schriftstück mit dem rechtsextremistischen Inhalt, das im Schuljahr 1987/88 in der Schule auftauchte“, zitiert die SZ online nur Bruchstücke. Was andere Medien – wie zu erwarten – nicht davon abhält, die Geschichte nur auf dieser Basis nachzuerzählen. t-online etwa hat, obwohl mit einem Redakteurs-Kürzel versehen, nichts weiter beizusteuern und folgt sogar dem Aufbau des Originals und bleibt auch in der Wortwahl so nah dran, dass Plagiatsjäger ihre Freude hätten.

Doch was spricht nun aus Sicht der Medienkritik gegen den SZ-Online-Artikel? Vor allem eine Minderleistung bei den Qualitätskriterien Relevanz, Maßstabsgerechtigkeit, Vollständigkeit, Einordnung, Richtigkeit und Transparenz.

Relevanz

Journalismus ist dazu da, Dinge öffentlich zu machen – und nicht, sie zu verschwiegen. Doch Information um der Information willen ist gerade noch kein guter Journalismus. Die Aufgabe lautet schließlich, Orientierung anzubieten. Eine unsystematische Informationsflut kann dies nicht leisten, sie führt im Gegenteil zu Desorientierung (Ablenkung von Wesentlicherem, Verwirrung etc.). Es braucht daher zunächst schon bei den Themen und hernach bei den einzelnen Aspekten dazu eine Auswahl nach Relevanz (für das jeweilige Publikum, bei der SZ also vor allem Abonnenten und Zeitungskäufer in Bayern) sowie untrennbar damit verbunden Einordnung (nicht durch die Journalisten selbst, sondern durch Recherche).

Die Relevanz eines 35 Jahre alten Flugblatts begründet die SZ mit keinem Wort. Am Ende des Textes bemühen die Autoren Katja Auer, Sebastian Beck, Andreas Glas und Klaus Ott zwar einen gebräuchlichen Kniff, indem sie schreiben: „Dass er sich weit am rechten Rand bewegt und gelegentlich darüber hinaustritt, wird Aiwanger immer wieder vorgeworfen, seit er in der Landespolitik aktiv ist.“ Doch Antisemitismus oder Rechtsextremismus wird nicht behauptet. Als einzige reale Brücke bietet die SZ an, dass im Juni „Aiwanger bei einer Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding dazu aufrief, die ’schweigende Mehrheit‘ müsse sich ‚die Demokratie zurückholen‘.“

Maßstabsgerechtigkeit

Eine einzelfallspezifische Relevanz für Aiwanger lässt sich also nicht erkennen. Aber natürlich kann man jede antisemitische Äußerung, wann auch immer gefallen, für relevant halten. Hier kommt allerdings ein Qualitätskriterium ins Spiel, das sehr spröde „Maßstabsgerechtigkeit“ heißt und von vielen Journalisten als „Whataboutism“ zurückgewiesen wird. Dabei verlangt Maßstabsgerechtigkeit hier nicht mehr und nicht weniger, als darzulegen, welches Themenfeld zu erörtern man für relevant hält. Dies kann nicht „Aiwanger“ heißen, aber z.B. „alle Spitzenpolitiker der bayerischen Landtagswahl“ oder überhaupt „alle Politiker“ oder „alle Menschen mit öffentlicher Verantwortung“. Genau diese Maßstabsgerechtigkeit scheidet Journalismus von PR: Es darf nicht um eine Kampagne gehen, sondern allein um ein Orientierungsangebot.

Die Skandalisierung einer einzelnen, 35 Jahre alten Verfehlung eines heutigen Politikers als – laut SZ – 17-jähriger Schüler bietet aber gerade keine Orientierung. Im Gegenteil: Auf Interesse kann die SZ überhaupt nur setzen, weil Aiwanger hier als Ausreißer dargestellt wird, als inakzeptabler Sonderfall. Sie schreibt:

>Die Verweise auf den Holocaust sind unübersehbar und gehen weit über eine leichtsinnige Anspielung hinaus, selbst wenn man bedenkt, dass Aiwanger zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Vorfalls 17 Jahre alt war.<<

Nun wird nicht jeder (Politiker) in seiner Jugend mal Rechtsradikales geäußert haben – aber dummes Zeug, das ihm heute zum Verhängnis werden könnte, vermutlich schon. So schrieb Stefan Huster, Professor für Verfassungs- und Gesundheitsrecht an der Ruhr-Uni-Bochum und seinerzeit Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Evaluation der Pandemiemaßnahmen in einer ersten Reaktion zum SZ-Artikel auf X:

>Nicht schön, aber ehrlich gesagt: weiß nicht, ob ich an alles erinnert werden will, was ich als Jugendlicher mal verlautbart habe…<

Es ist davon auszugehen, dass die SZ-Autoren nicht sämtliche Jugendbiografien bayerischer Politiker durchforstet haben, sondern hier viel mehr ein Zufallsfund bzw. eine zugespielte Information ausgewalzt haben.

Verdachtsberichterstattung

Dabei steht selbst dieser Einzelfall schon auf wackeligen Füßen. Die SZ behauptet gar nicht, dass Aiwanger das Flugblatt tatsächlich verfasst hat. Er habe „in seiner Jugend offenbar rechtsextremes Gedankengut“ verbreitet. Er stehe „im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst“ zu haben.

>Das Flugblatt war offenbar die Reaktion auf den „Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten“, den nach eigenen Angaben größten historischen Forschungswettbewerb für junge Menschen in Deutschland.<

„Das Flugblatt soll an der Schule in Mallersdorf-Pfaffenberg weithin bekannt gewesen sein“. „Schilderungen weiterer Personen […] legen zudem nahe, dass Aiwanger als Schüler für eine rechtsextreme Gesinnung bekannt war.“

Der Text ist ein Beispiel für die derzeit ausufernde Verdachtsberichterstattung, die sich ihrer eigenen Grundlagen nicht sicher ist. Im Gegensatz zu Berichten etwa über Till Lindemann behauptet die SZ nicht einmal, es lägen ihr wenigstens eidesstattliche Versicherungen von Zeugen vor. Damit dürfte sich die Münchner Zeitung schon juristisch auf dünnem Eis bewegen.

Denn zu Aiwangers Urheberschaft des ominösen Flugblatts schreibt die SZ-Onlne:

>Ein Lehrer, der damals dem Disziplinarausschuss angehörte, sagte der SZ, dieser habe „Aiwanger als überführt betrachtet, da in seiner Schultasche Kopien des Flugblatts entdeckt worden waren“.<

Nicht nur der frühere BGH-Richter Thomas Fischer wird sich bei solcher Beweisführung schütteln (siehe beispielsweise zur Dieter-Wedel-Berichterstattung). Weil jemand Flugblätter in seinem Ranzen hat (von wem und warum auch immer durchsucht) ist er deren Urheber? Wenn die SZ nicht noch einen Trumpf im Ärmel hat, wird ihr diese Logik um die Ohren fliegen müssen. An Verdachtsberichterstattung werden juristisch zurecht hohe Anforderungen gestellt. Unter anderem ist „ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst ‚Öffentlichkeitswert‘ verleihen, erforderlich“ (BGH VI ZR 1241/20).

Richtigkeit

Unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit haben wir es hier jedenfalls mit einem schweren Qualitätsdefizit zu tun: denn die Richtigkeit der Behauptungen ist nicht bewiesen, die zentrale Behauptung Aiwangers Autorenschaft nicht einmal belegt – denn dafür genügt die zitierte Interpretation eines namenlosen Lehrers nicht. Lassen sich Quellen und Zeugenaussagen von den Journalisten nicht selbst auf ihre Richtigkeit prüfen – was hier angesichts der zitierten Distanzierungen anscheinend der Fall ist – dann ist neben dem deutlichen Zweifel die Nennung der Quellen unabdingbar, damit sich die Journalismus-Kunden selbst ein Bild von der Richtigkeit machen können. Doch die SZ benennt in ihrem Online-Text niemanden – außer Aiwanger.

>Keiner der Zeugen, mit denen die SZ gesprochen hat, wollte namentlich genannt werden – aus Sorge vor möglichen „dienstrechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen“.<

Wie kann das sein, wenn doch nur die Wahrheit gesagt wurde? Welche Konsequenzen sollte da jemand zu befürchten haben – und wäre das dann nicht das eigentliche Thema? Kann es sein, dass die SZ eine 35 Jahre alte Geschichte für so wichtig hält, dass sie diese gedruckt auf Seite 3 sowie in ihrer Online-Ausgabe ausbreitet, gleichzeitig aber niemand zur nun endlich enthüllten Wahrheit stehen mag, weil Dienstrecht und Gesellschaft sonst für nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen sorgen?

Anders gefragt: Wie soll die Richtigkeit einer Aussage vom mündigen Bürger überprüft werden, wenn die Aussagenden unbekannt bleiben? Wie soll ein solcher Beitrag für Orientierung, für das gesellschaftliche Gespräch sorgen, wenn nur einer am Pranger steht und alle anderen aus dem Dunkeln heraus agieren?

Ja, es gibt zurecht einen Informantenschutz. Aber es gibt keinen Faktenschutz. Wer nur ominöse Quellen bietet, um die Richtigkeit seiner Vorwürfe zu stützen, begibt sich auf dünnes Eis. Wer sich dann noch gleichzeitig von diesen Vorwürfen soweit distanziert, dass er sich keinen davon zueigen gemacht haben will, ist ins kalte Wasser eingebrochen.

Am Ende der Geschichte wissen wir also nicht einmal, was davon wahr ist. Unwahr ist jedenfalls folgende Behauptung der SZ:

>Es wird berichtet, Aiwanger habe damit geprahlt, er habe vor dem Spiegel Hitler-Reden einstudiert und dessen verbotenes Buch „Mein Kampf“ gelesen.<

„Mein Kampf“ zu besitzen und zu lesen war nie verboten, auch der Verkauf des alten Buches war es nie (BGH 3 StR 182/79). Wie immer gilt: Solche Märchenerzählungen ließen sich vermeiden, würden Journalisten all ihre Behauptungen belegen, wenigstens intern (ausführlich: „Wenn schon die Fakten nicht stimmen„). Und wer dabei war, als Aiwanger vorm Spiegel geübt hat, wüssten wir Leser auch gerne – es wird ja wohl nicht auf Hörensagen basieren wie in einem Klatsch-Blatt.

Zudem muss Aiwanger zum Tatzeitpunkt noch 16 Jahre alt gewesen sein, nicht 17, wie die SZ behauptet (soweit das Flugblatt vor dem darauf angegebenen „Terminschluss: 1.1.88“ verfasst wurde; Update: Auch Aiwanger selbst sagt „nach 36 Jahren„).

Einordnung

 Ungeachtet der wichtigen Fragen nach Richtigkeit und Relevanz der SZ-Aussagen fehlt es im Beitrag völlig an Einordnung. Wird den Lesern schon mit den vielen unbewiesenen Behauptungen keine Orientierung geboten, so fehlt selbst bei Annahme ihrer Richtigkeit alles, um mit diesen Informationen etwas anfangen zu können.

Dem SZ-Beitrag lässt sich nicht einmal das Bemühen um Orientierung entnehmen. So wird trotz der völlig vagen Ausgangssituation keinerlei entlastende Position referiert. Wie wäre denn ein solches Flugblatt eins 17-Jährigen zu bewerten? Was äußern 17-Jährige so allgemein, was einzelne (z.B. statistisch gesehen)? Was kann eine Äußerung in diesem Alter über jemanden sagen, der sich der Rente nähert? Wie besonders wäre ein solcher Ausfall? (Wer sich bspw. Schülerzeitungen anschaut – in alten Ausgaben ggf. inklusive eigener Beiträge – wird da eine Ahnung haben.) Und was sagt Hubert Aiwanger heute so zu Israel, zum Holocaust, zu Rechtsextremismus, zu rechter oder rechtsextremer Satire?

Die ‚Einordnung‘ der SZ besteht allein darin, über ihre nur im Subtext mitgelieferte Interpretation eines wiederum winzigen Ausschnitts aus einer Aiwanger-Rede nahezulegen, der bayerische Wirtschaftsminister sei wohl schon immer sehr rechts, und zwar zumindest immer wieder über das (rechtlich oder moralisch) zulässige Maß hinaus.

Transparenz

Die fehlenden Quellennennungen sind nicht nur ein Problem für die Einschätzung der Richtigkeit, sondern in jedem Fall ein Qualitätsdefizit bei der Transparenz. Dies wird besonders deutlich bei der Frage, die doch am Anfang von allem stehen muss und von der SZ nicht einmal gestreift wird: Wie kam man auf das Thema? Wie hat die SZ es gefunden? Wer hat welches Interesse daran, an genau der nun gewählten Darstellung? Das wäre auch rechtssicher unter Wahrung eines Informantenschutzes benennbar. Dass die Zeitung darüber schweigt, muss – wie so oft bei Verdachtsberichterstattung – besonders skeptisch machen.

Womit wir wieder bei der Maßstabsgerechtigkeit wären: Wird alles Gleiche gleich behandelt? Wird bei allen politischen Akteuren gleichermaßen kritisch auf die Jugendphase  geschaut? Sind diejenigen, die der SZ unter dem Siegel der Anonymität Behauptungen geliefert haben, im Hinblick auf den an Aiwanger angelegten Maßstab ’sauber‘?

Recht und Moral

Gerade im Zusammenhang mit Verdachtsberichterstattung wird immer wieder von Journalisten darauf gepocht, juristische Aufarbeitung sei nicht alles, es gebe auch moralische Verfehlungen, die nicht gerichtlich zu ahnden, gleichwohl von öffentlichem Interesse seien.

Das stimmt. Nicht nur, weil ja das Recht – wenn demokratisch alles richtig läuft – nichts anderes ist als eine vorübergehende Vereinbarung der Gesellschaft über Freiheit und ihre Grenzen, über Tolerables und Sanktionswürdiges. Deshalb können Gesetze jederzeit geändert werden – und davor sollte es sinnvollerweise öffentliche Debatten geben.

Allerdings kann und muss sich eine Gesellschaft nicht nur über Verbote verständigen, sondern auch über Gebote, über Empfehlungen dafür, möglichst wenige Menschen mit einem zwar nicht-justiziablem, aber doch gesellschaftlich belastenden Verhalten zu behelligen.

Gibt es bisher eine solche Verständigung, dass Jugendsünden bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in den Akten des Journalismus aufbewahrt und jederzeit herausgezogen werden können? Oder muss nun endlich diese Verständigung erfolgen, damit nicht nur Aiwanger, sondern auch zig andere Politiker, sicher aber auch Journalisten, NGO-Vertreter und sonstige Meinungsmacher und Verantwortungsträger an den Pranger kommen?

Pranger statt Justiz

Denn mehr als ein Pranger kann es ja nicht werden. Während Strafverhandlungen selbst bei Mittzwanzigern noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, wenn nach Jugendstrafrecht verhandelt wird, während jeder Strafeintrag im Bundeszentralregister nach bestimmten Fristen gelöscht werden muss, während selbst verurteilte Straftäter nicht jederzeit namentlich benannt werden dürfen soll also die moralische Instanz des Journalismus jederzeit Uraltes unter dem Teppich hervorholen dürfen oder – für die Orientierung der Gesellschaft – sollen? Das sollte dringend entschieden werden, wenn es da noch Entscheidungsbedarf gibt. Und dann sollten sich die Medien eine Zeit lang daran halten, bis die Notwendigkeit zur Neuverhandlung gegeben ist.

Denn juristisch wird so oder so im SZ-Fall nichts mehr passieren: Wer auch immer was vor 35  Jahren getan hat, es ist längst verjährt. Und diese Verjährung (§ 78 StGB) ist nicht etwa vor allem ein Zugeständnis an die Justiz, die ohnehin genug zu tun hat. Sondern sie ist ein Versuch, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herzustellen.

Man darf das alles infrage stellen. Aber dann muss man es – Maßstabsgerechtigkeit! – eben für das ganze betroffene Feld tun, nicht nur in einem Einzelfall.

Was die SZ gemacht hat, verdiente den eigentlichen Begriff des „Whataboutism“, des „Was-ist-eigentlich-mit?“: Reden wir nicht über Politik, reden wir nicht grundsätzlich über alle Jugendsünden (oder Jugendstraftaten?), stellen wir einfach mal einen Typen an den Pranger, um den sich ein schönes Publikumsgrüppchen versammeln wird – was immer die Leute dann mit ihm machen.

Die Print-Version

Der Text auf Seite 3 der heutigen SZ (26.08.2023) ist wesentlich umfangreicher als die Online-Version von Freitagabend, die Auslöser für die bundesweite Berichterstattung war. Er stellt vor allem diverse Bezüge zu Aiwanger-Reden und -Auftritten her. Das Framing darin wäre eine eigene Analyse wert (Update: u.a. von Stefan Niggemeier erledigt), die obige Medienkritik vermag er jedoch in keinem Punkt zu relativieren.

Die Beweislage laut Print-Artikel:

>Die SZ hat mit rund zwei Dutzend Personen gesprochen, die Hubert Aiwanger aus dessen Schulzeit kennen, mit früheren Lehrkräften, früheren Klassenkameraden. Mehrere dieser Personen sagen, Aiwanger sei als Urheber dieses antisemitischen Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden.<

Aber:

>Es gibt aber nicht wenige, die reden. Man kann das nicht alles wiedergeben, nicht alles überprüfen, jeder hat seine eigenen Erinnerungen. Und aus all den Erinnerungen ergibt sich ein Bild, das Hubert Aiwanger als einen jungen Mann zeigt, der mindestens eine Faszination haben soll für Hitler, für das „Dritte Reich“. Kann es sein, dass ein halbes Dutzend Leute das alles nur erzählt, um Aiwanger zu schaden?<

Sechs von ungefähr 24 Befragten stützen demnach die SZ-Argumentation bzw. Beweisführung. Was ist mit den übrigen 18?

(Timo Rieg)

Updates, Ergänzungen und Kommentare zur weiteren Berichterstattung

(Hervorhebungen in textlichen Zitaten stammen von uns)

Es folgen hier
1. Updates zur SZ-Berichterstattung
2. Inhaltliche Anmerkungen zur Berichterstattung
3. Hinweise zur Maßstabsgerechtigkeit
4. Medienkritik zur Berichterstattung in dieser Causa
5. Die öffentliche Debatte
6. Weitere Hinweise zur Medienkritik

1 Updates zur SZ-Berichterstattung

1.1 Hubert Aiwanger erklärt sich:

1. „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend. Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären. Weder damals noch heute war und ist es meine Art, andere Menschen zu verpfeifen.“

2. „Bei mir als damals minderjährigen Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden. Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre. Meine Eltern wurden in den Sachverhalt nicht eingebunden. Als Ausweg wurde mir angeboten, ein Referat zu halten. Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt. Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier.“

Die SZ beginnt ihre Berichterstattung dazu mit der Interpretation:

>In der Debatte um ein antisemitisches Flugblatt zu seiner Schulzeit hat Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erstmals zentrale Punkte der damaligen Abläufe eingeräumt.<<

Es folgt die sehr gewagte Formulierung:

>Die grundlegenden Abläufe der Identifizierung als mutmaßlicher Urheber und der Bestrafung bestätigt Aiwanger also – nur eben nicht, das Papier selbst verfasst zu haben.<

1.2 Die SZ legt mit einem Schriftgutachten nach: „Warum ein Gutachter zu dem Schluss kommt, dass das antisemitische Flugblatt mit ein und derselben Schreibmaschine getippt wurde wie die Facharbeit von Hubert Aiwanger.“ Von wem das Gutachten stammt und warum es nicht bereits im großen Artikel von heute Morgen erwähnt wurde, erwähnt die SZ nicht. (26.08.2023, 18:43 Uhr)

1.3 Helmut Aiwanger, Bruder des Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger, behauptet nun laut Passauer Neue Presse, Verfasser des Flugblatts gewesen zu sein.

>Nun hat sich der Verfasser des Papiers persönlich gegenüber der Mediengruppe Bayern erklärt: Hubert Aiwangers älterer Bruder Helmut (53) sagte in einem Telefonat, er sei der Urheber jenes 35 Jahre alten Schreibens. „Ich bin der Verfasser dieses in der Presse wiedergegebenen Flugblatts. Vom Inhalt distanziere ich mich in jeglicher Hinsicht. Ich bedaure die Folgen der Aktion“, sagte er.<

Auch die SZ hat das Bekenntnis von Helmut Aiwanger nun aufgegriffen, bleibt aber ansonsten bei allem, inkl. den bisher verlauteten Rücktrittsforderungen.

1.4 Dass man so oder so verloren hat, wenn Journalisten erstmal einen Verdacht in die Welt gebracht haben, zeigt sehr „schön“ der Kommentar von Kollege Jürgen Döschner:

>#Hubsi hat wohl ein bisschen gebraucht, bis er die Geschichte mit seinem Bruder zurechtgedrechselt hatte…<

Mit dieser Logik kommt Aiwanger natürlich nicht mehr aus der Nummer raus (wie oben schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung angedeutet).

1.5 Wertungen statt Tatsachenbeschreibungen: Es ist ein Dauerproblem im Journalismus, dass redaktionelle Bewertungen als Tatsachen dargestellt werden. Gerechtfertigt wird dies regelmäßig mit der Notwendigkeit von „Komplexitätsreduktion“. Abgesehen davon dass dies verlangt, als Journalist selbst zunächst die Komplexität vollständig durchdrungen zu haben (was gelegentlich bezweifelt werden darf) verdienen es mündige Rezipienten, zunächst die Grundlagen für eine journalistische Wertung zu erfahren. Denn Bewertungen bilden schnell die entscheidenden Schlagworte (man darf auch Framing sagen), und wenn sie erstmal in der Welt sind, ist es schwierig, dagegen zu argumentieren. Denn sie gelten ja als Tatsachen, nicht Meinungen.
In der SZ-Berichterstattung (und nachfolgend praktisch überall im Nacherzählungsjournalismus) finden wir bspw. in der Fassung von Samstagabend als Einleitung:

>In der Debatte um ein antisemitisches Flugblatt zu seiner Schulzeit hat Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erstmals zentrale Punkte der mutmaßlichen damaligen Abläufe eingeräumt.<

Doch wo sind die Belege für das Antisemitische? Das Schlagwort ist natürlich auch reichlich in den sozialen Medien zu finden, aber eine Darlegung, wie der winzige Text als antisemitisch gedeutet wird, fehlt (siehe dazu unten Punkt 5.5). „Rechtsextremistisches Pamphlet“ – auch davon schreibt die SZ – mag es eher treffen, immerhin richtet sich der „Bundeswettbewerb“ an „Vaterlandsverräter“. Jeder kann das Produkt als antisemitisch empfinden, wie etwa der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, am Sonntag (siehe unten Punkt 4.5).

Aber auch „rechtsextremistisch“ ist natürlich eine Wertung, für die kein Wertungsmaßstab angegeben wird. Auch wenn es umständlich erscheint, zunächst nur die Tatsachen aufzuschreiben: es kann helfen, die „Komplexität“ zu durchdringen. Vielleicht wäre dann nämlich die ehrliche Wertung der Redakteure gewesen: „in dem uns gänzlich unverständlichen Flugblatt“.

Definitiv jenseits der Richtigkeit ist es jedenfalls, wenn solche individuellen Wertungen anderen in den Mund gelegt werden. Genau das macht die SZ in der Überschrift: „Hubert Aiwangers Bruder sagt, er sei der Urheber des antisemitischen Flugblatts“. Das hat Helmut Aiwanger natürlich nicht gesagt. Laut Passauer Neue Presse stattdessen:

„Ich bin der Verfasser dieses in der Presse wiedergegebenen Flugblatts. Vom Inhalt distanziere ich mich in jeglicher Hinsicht. Ich bedaure die Folgen der Aktion“. Und ferner: „Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen bin und aus meinem Kameradenkreis herausgerissen wurde.“ Und „Damals war ich auch noch minderjährig. Das ist eigentlich alles, das ich dazu sagen kann.“<

Wollen wir hoffen, dass Juristen weniger schlampig arbeiten, wenn es um Zeugenaussagen geht. (Nebenbei wirft die Aussage von Helmut Aiwanger nochmal die Frage auf, wann genau das Flugblatt in Umlauf kam. Die SZ hatte es einem 17-jährigen Hubert Aiwanger zugeschrieben, das wäre ab dem 26.01.1988 möglich gewesen. Die Schrift gibt allerdings als „Terminschluss“ den 1.1.1988 an – da wäre es sinnvoll, das Flugblatt vorher erstellt zu haben. Im Dezember bleibt man allerdings auch in bayerischen Schulen eher selten sitzen, wenn das mit „durchgefallen“ und „aus meinem Kameradenkreis herausgerissen“ gemeint ist. Die vage SZ-Angabe „im Schuljahr 1987/88“ ist einer der vielen Schwachpunkte in der Darstellung der Recherchen.)

1.6 Fehler und Ungenauigkeiten in der SZ-Berichterstattung:
# Hubert Aiwanger war zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat(en) (also wenigstens ‚Besitz von Flugblättern im Ranzen‘) nicht 17, sondern 16 Jahre alt.
# Die SZ schreibt: „der demokratisch gewählte Wirtschaftsminister“. Man sollte wissen, dass auch in Bayern Minister nicht gewählt, sondern vom Ministerpräsidenten berufen werden – wenn auch mit Zustimmung des Parlaments, das aber eben keine eigenen Personalvorschläge machen kann, und das Wahlvolk schon gar nicht.
# Die SZ schreibt: „Hubert Aiwanger, der Elftklässler, strafmündig, bald volljährig“. Man ist mit 16 Jahren aber nicht automatisch „strafmündig“. Das Strafgesetzbuch (StGB) spricht von der „Schuldunfähigkeit des Kindes“ (§ 19 StGB). Das Jugendgerichtsgesetz definiert: „Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“ (§ 3 JGG) „Insofern handelt es sich um eine Schuldvoraussetzung, zu deren Klärung ggf. ein Sachverständiger herangezogen oder die Unterbringung des Jugendlichen zur Beobachtung in einer geeigneten Anstalt angeordnet werden kann (§ 73 JGG).“ (Klaus Weber: Rechtswörterbuch [Creifelds]; München: Beck, 23. neu bearb. Aufl., 2019) [Wer dies für eine Petitesse halten möchte, vgl. aus der Vielzahl vergleichbarer Medienkritik folgenden aktuellen, ausführlichen Beitrag im Bildblog.]

1.7 Zusammenfassend die wichtigsten Qualitätsmängel der SZ-Berichterstattung (gibt es auch als Tweet):
# Sie hat für eine reine Verdachtsberichterstattung keinen „Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst ‚Öffentlichkeitswert‘ verleihen“ präsentiert.
# Kein einziger Zeuge wurde namentlich benannt (so dass z.B. Recherchen anderer Medien daran anschließen könnten).
# Keiner der anonymen Zeugen wurde auf andere Weise glaubhaft gemacht.
# Unterschiede der Zeugenaussagen wurden nicht kenntlich gemacht, obwohl es sie ganz offenkundig gegeben haben muss.
# Die Interessenlagen der anonymen Informanten wurde nicht dargelegt (Intransparenz).
# Es wurde kein Tatzeitpunkt benannt (offenbar kennt die SZ ihn selbst nicht).
# Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine ergebnisoffene Recherche. Insbesondere der Langtext auf Seite 3 der Samstagsausgabe ist ein einziges Framing.
# Die erkennbaren Sachfehler (Richtigkeit) sprechen für einen unzureichenden Faktencheck (siehe Punkt 1.6).
# Meinungen wurden zu Tatsachen erklärt (und geistern seitdem durch alle Medien). Darauf baut vor allem die gesamte Behauptung der Relevanz (die ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von anderen Medien nicht mehr infrage gestellt wurde, denn: nun gab es ja ein echtes Ereignis, nämlich den SZ-Bericht).
# Selbst explizite Meinungen wurden keinen Meinungsträgern zugeordnet (Bsp.:“Schon nach Erding dachten manche, dass seine Welle bricht.“)
# Es erfolgte keinerlei Einordung durch Externe („Experten“).
# Es gibt zahlreiche Andeutungen (sonst gerne „Geraune“ genannt), zu denen keine Ausführungen folgen. Bsp.: „Manche reden von ‚Jugendsünden‘, manche sogar, noch bevor man das Flugblatt erwähnt hat.“ Welche „Jugendsünden“ waren das denn, an die sich die anonymen Zeugen bei Aiwanger erinnern? Die SZ benennt keine einzige.
# Die „Unschuldsvermutung“ des Pressekodex (Ziffer 13, die allerdings nicht zu den journalistischen Qualitätskriterien gehören kann) wird mannigfach verletzt (siehe nachfolgend Punkt 2.1). Bsp.: „Damals, am Gymnasium, soll Hubert Aiwanger eher glimpflich davongekommen sein.“ Wie kann jemand „eher glimpflich“ davonkommen, wenn er unschuldig (gewesen) sein sollte?
# Fehlende Unvoreingenommenheit spricht auch daraus, dass die SZ bei allem Distanz-Getue keinerlei Option eröffnet, was denn sein sollte, wenn sich ihre von anonymen Zeugen vorgetragenen Anschuldigungen als (teilweise) falsch bzw. unberechtigt herausstellen sollten. Der große Artikel endet: „Wenn das alles stimmt, kann man sich kaum mehr vorstellen, dass er in einer Gedenkstunde sitzen könnte für Auschwitz oder Dachau. Es gibt ja nicht nur das Bierzelt, nicht mal in Bayern.“ – Ja, wenn das alles stimmt – aber was, wenn nicht? Keine Antwort (siehe dazu unten Punkt 4.1).

1.8 Die SZ arbeitet unsauber in der Darstellung ihrer eigenen Artikel. Im zweiten „Seite 3“-Stück von Montag unter dem Titel „Söders Dilemma“ schreibt sie:

>Während der Ministerpräsident das Nürnberg-Gefühl zelebriert, verbreitet sich im Internet die Nachricht über das antisemitische Flugblatt mit dem Verdacht, dass Hubert Aiwanger, sein Stellvertreter von den Freien Wählern, dieses als junger Mann verbreitet haben soll. <

Das ist unwahr. Denn der Kernvorwurf war nicht die Verbreitung, sondern die Erstellung eben dieses Flugblatts. Und diesen Vorwurf brachte die SZ in der hier gemeinten Meldung von Freitagabend im ersten Satz:

>Der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger steht im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst und im Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ausgelegt zu haben.<

Die Überschrift hieß entsprechend, von der SZ im Abend-Newsletter promotet (Eingang hier: 18:16 Uhr):

>Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben<

Die SZ passt die Darstellung ihrer eigenen Berichterstattung dabei der neuen Faktenlage an. Das darf man mindestens als unseriös bezeichnen. Und am Faktencheck hapert es weiterhin:

>Oder ob sie sich, weil in sieben Wochen Wahl ist und an diesem Montag die Briefwahl beginnt, nicht aus pragmatischen Gründen hinter ihren Frontmann gestellt haben.<

Die Landtagswahl findet am 8. Oktober 2023 statt – vom Veröffentlichungszeitpunkt aus in sechs, nicht sieben Wochen.

Unsauber ist auch die Behauptung:

>Erst am Samstag, in höchster Erklärungsnot, präsentierte Aiwanger seinen Bruder, der sich angeblich freiwillig meldete, als Urheber.<

Aiwanger präsentierte eben nicht seinen Bruder, das hat dieser selbst getan. Auch hier macht die SZ ihre individuelle Tatsachenvermutung ohne jeden Beweis zur Tatsache. Unvoreingenommenheit bzw. Ergebnisoffenheit spricht daraus nicht. Die Unsauberkeit bei den Fakten kommentiert in der NZZ Alexander Kissler (28.08.2023) und schließt mit den Worten: „Die ‚Süddeutsche‘ muss sich fragen lassen, ob und wie sie ihre Reputation wieder herstellen kann. Ohne personelle Konsequenzen wird das kaum gelingen.“

1.9 Nun erst arbeitet die SZ heraus, dass Hubert Aiwanger ihr gegenüber gelogen habe. Im Beitrag „Das Auschwitz-Pamphlet“ (Samstag, Seite 3) hieß es:

>Ein schwerer Verdacht, den der Sprecher des Freie-Wähler-Vorsitzenden auf Nachfrage bestreitet. Er könne „weitergeben, dass Hubert Aiwanger so etwas nicht produziert hat“, teilt der Sprecher mit. Und sollte die SZ über das Flugblatt berichten, kündigt er an, dass sich Aiwanger juristisch „gegen diese Schmutzkampagne“ wehren werde.<

Am Montagabend (28.08.2023) heißt es im Text „Lügen, Schweigen, Abtauchen“:

Vor mehr als einer Woche, am Sonntagmittag, 20. August, schickte die SZ einen ausführlichen Fragenkatalog an Aiwanger mit Zeit für die Antwort bis zum Montagvormittag. Aiwanger wusste bereits von den Recherchen, schon zuvor hatte ihn die SZ dazu um Stellungnahme gebeten. Die Fragen kamen also nicht überraschend. Insgesamt gab es inzwischen fünf Anfragen in elf Tagen.
Am Montag, 21. August, antwortet der Sprecher Aiwangers am Morgen. Und zwar Folgendes: „Nach Rücksprache mit Hubert Aiwanger kann ich Ihnen als Sprecher weitergeben, dass Hubert Aiwanger so etwas nicht produziert hat, die Behauptungen zu seiner Schulzeit vor über 35 Jahren zurückweist und gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung juristische Schritte inklusive Schadenersatzforderungen ankündigt.“
Er habe „so etwas nicht produziert“, damit ist das Flugblatt gemeint. Dass er aber wisse, wer es stattdessen verfasst habe, teilte Aiwanger zu diesem Zeitpunkt nicht mit, von seinem Bruder war da noch keine Rede.
Und zu allen anderen Fragen ließ er mitteilen, dass er „die Behauptungen zu seiner Schulzeit vor über 35 Jahren zurückweist“. Stimmt alles nicht, heißt das. Dabei hatte die SZ etwa gefragt, ob er sich für das Flugblatt verantworten musste. Das räumte Aiwanger Tage später ein. Ebenso die Tatsache, dass er bestraft wurde. Auch das war Teil des Fragenkatalogs, auch das wurde in der Antwort vom 21. August noch zurückgewiesen. Ebenso die Tatsache, dass die Flugblätter in seinem Schulranzen gefunden wurden.<

Stefan Niggemeier hält dies für einen wichtigen Punkt und sagt: „‚#Aiwanger hat gelogen“

Spiegel-Redakteur Anton Reiner kommentiert treffend:

>Zweitens: Warum zur Hölle muss man sich die Enthüllungen der @SZ jetzt in Reportagen und Kommentaren zusammensuchen?<

1.10 Ronen Steinke erörtert: „Abstoßend, aber auch strafbar?

>Volksverhetzung oder auch Beleidigung – das sind Delikte, die man nicht im Geheimen begehen kann. Es braucht ein Publikum, damit daraus ein Fall für den Staatsanwalt wird. Das bloße Verfassen einer Hetzschrift ist keine Straftat. Das galt damals, und das gilt auch heute. Wer nur für sich selbst etwas niederschreibt, ohne sich anderen mitzuteilen, ist rechtlich nicht zu fassen. Auch der bloße Besitz einer Hetzschrift stellt noch kein Äußerungsdelikt dar. Womöglich, so stellt Aiwangers Bruder es jetzt dar, könnte er sie bloß eingesammelt haben, um zu deeskalieren.<

Denn § 130 StGB verlangt eine Handlung, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Für maximale Öffentlichkeit haben die Medien nun gesorgt.

1.11 SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach kommentiert am Montag („Wenn die Wahrheit zur Gefahr wird„):

>Hubert Aiwanger ist nicht mehr haltbar. Nicht für seine Partei, nicht für seinen Koalitionspartner CSU – und auch nicht für Bayern. […] Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug.<

1.12 Die Süddeutsche hat FAQ zu ihrer Recherche und Berichterstattung veröffentlicht. Eine Text-Autopsie (31.08.2023).

1.13 An Tag 10 der SZ-Aiwanger-Sage entscheidet Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Hubert Aiwanger nicht aus dem Amt zu entlassen. Dieser hatte zuvor 25 Fragen der Staatskanzlei beantwortet. Die SZ titelt: „Eine verhängnisvolle Affäre“ (03.09.2023) Wie intensiv die SZ selbst an diesem Tag noch berichtet, zeigt eine Artikelübersicht (ganz unten als Screenshot).

2 Inhaltliche Anmerkungen zur Berichterstattung

2.1 Zur Einschätzung der Rechtslage schreibt Rechtsanwalt Udo Vetter auf X:

Hubert Aiwanger hätte als Jugendlicher wohl besser einen besonders schweren Totschlag begangen. Der wäre längst verjährt oder im Falle einer Verurteilung seit Jahrzehnten aus den Registern getilgt […]<

Siehe auch seine weiteren Ausführungen zum Thema vom 26. August, 18:20 Uhr. Später weist RA Vetter darauf hin, dass der SZ-Informant als ehemaliger Lehrer an Aiwangers Schule gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstoßen haben dürfte.

2.2 Paul Ronzheimer (BILD) schreibt auf Twitter/X: „Hatte wohl Gründe, warum SPIEGEL an [der] Sache ebenfalls dran war, aber nicht gebracht hat.“ In einem SZ-Kommentar vom Sonntag schreibt Sebastian Beck sogar, dass „mehrere Medien“ recherchierten, und zwar schon „seit Wochen“.

2.3 Rechtsanwalt Carsten Brennecke weist darauf hin, dass die SZ in ihrer ersten Online-Veröffentlichung Aiwangers Dementi nicht im frei zugänglichen, sondern erst im kostenpflichten erwähnt habe. Dies sei „klar rechtswidrig“. Eine Änderung erfolgte wohl am Samstag um die Mittagszeit.

2.4 Auch an Tag sechs scheitern Medien daran, zwischen Tatsachen und Tatsachenvermutungen zu unterscheiden. So fasst t-online am Mittwoch (30.08.2023) zusammen:

>Bayerns Vize-Ministerpräsident soll als 17-Jähriger ein menschenfeindliches Flugblatt an seiner Schule in Mallersdorf-Pfaffenberg publiziert haben. Hubert Aiwanger bestritt dies zunächst zur Gänze, gab dann jedoch zu, im Besitz eines Exemplars gewesen zu sein. Verfasser sei sein Bruder, Helmut Aiwanger.<

Kann man auch teilweise bestreiten, etwas „publiziert zu haben“? Nein, es geht hier um die Unterscheidung von publizieren, verbreiten und besitzen.

2.6 Transparenz: Die SZ selbst hat nur nach und nach Details zur Entstehung ihrer Geschichte benannt. Focus veröffentlicht am 30.08.2023 Zitate eines ehemaligen Schülers. Ein pensionierter Lehrer, der bei der SPD aktiv sein soll und offenbar auch der SZ-Informant ist, habe versucht, ihn und andere als Zeugen für Hubert Aiwangers Urheberschaft des Flugblatts zu rekrutieren:

„Mein ehemaliger Deutschlehrer hat mich vor acht Wochen aufgesucht und mich gebeten, ihm einen Dreizeiler aufzuschreiben, in dem ich bestätige, dass Hubert Aiwanger der Verfasser des antisemitischen Flugblattes ist. Diese Aufforderung hat er mit folgenden Worten kommentiert: ‚Es wird Zeit, dass wir diese braune Socke jetzt stürzen’“, so der heute 52-Jährige gegenüber FOCUS online.<

Bei dem früheren Mitschüler handelt es sich um Roman Serlitzky, also just denjenigen,

>der im Schuljahr 1988/89 bei einem bundesweiten Geschichtswettbewerb, ausgelobt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, mit dem zweiten Preis ausgezeichnet worden war. Seine Arbeit beschäftigte sich mit dem Todesmarsch von 67 jüdischen KZ-Häftlingen, die in den letzten Kriegstagen 1945 durch Mallersdorf-Pfaffenberg getrieben und anschließend erschossen wurden.<

Im Focus-Bericht heißt es weiter:

>Der Ex-Lehrer selbst sei es gewesen, der ihm [Serlitzky] 1988 von dem antisemitischen Flugblatt erzählt und ihm vorgeschlagen habe, es in seine Geschichtsarbeit für den Bundeswettbewerb über die KZ-Häftlinge einzubauen. „Er war es, der gesagt hatte, dass es auf Schultoiletten gefunden worden war. Ich selbst hatte das Original nie zu Gesicht bekommen.“ Seit 1989 liegt Serlitzkys Arbeit samt Flugblatt im Museum des KZ in Dachau allerdings öffentlich aus. […]
Zwar kennt der 52-jährige sowohl Hubert Aiwanger als auch dessen älteren Bruder Helmut aus der Schulzeit persönlich. […] „Ich hatte damals aber weder etwas über das Flugblatt gehört, dessen Existenz nach Angaben meines damaligen Lehrers von der Schulleitung angeblich ‚klein gehalten werden sollte‘, noch war mir je zu Ohren gekommen, dass Hubert Aiwanger in irgendeiner Weise rechtsradikal aufgefallen sei“, so Serlitzky weiter. Davon, vermutet Serlitzky, hätte er sonst in irgendeiner Form irgendetwas mitbekommen.<

Obwohl dieser ehemalige Lehrer auf einem Absolvententreffen „regelrecht von Tisch zu Tisch ‚hausieren‘ gegangen“ sei, und „Zeugen gesucht [hat], die ihm bestätigen könnten, dass Hubert der Verfasser des Flugblattes gewesen ist“, habe er wohl niemanden gefunden.
Das ist nicht nur relevant, weil es die Motivation des Informanten für die SZ-Story zeigt, es könnte auch für Zeugenbeeinflussung sprechen. Und der Vorwurf der Volksverhetzung, der immer wieder für die heutige Relevanz der sehr alten Geschichte herangezogen wird, steht damit auf noch wackeligerem Fundament. Denn Volksverhetzung kann nur vorliegen, wenn etwas geeignet ist, „den öffentlichen Frieden zu stören“ (siehe oben Punkt 1.10). Wenn sich aber kein oder kaum ein Schüler überhaupt an die Existenz des Flugblatts erinnern kann, dürfte damals keine Gefahr für diesen öffentlichen Frieden bestanden haben – anders als heute durch die SZ-Veröffentlichungen und deren großen Medien-Chor.

2.7 Zulässige Verdachtsberichterstattung? Um die rechtliche Zulässigkeit müssen sich ggf. Gerichte kümmern. Aber ein paar Punkte aus verschiedenen Anmerkungen sind durchaus auch für die journalistische Qualitätsprüfung hilfreich. Stichpunkte in diesem Fall:
# Strafrechtlich war der Fall vermutlich nie relevant, auch wenn er seinerzeit angezeigt worden wäre.
# Inzwischen wäre er so oder so lange verjährt.
# Mutmaßlich(e) Täter war(en) Jugendliche. Diese Besonderheit gilt auch in der Retrospektive.
# Es gibt juristisch ein Recht auf Vergessen. Dem Rechtsfrieden dient es vermutlich nicht, wenn Journalisten dies völlig ignorieren.
# Ort des Geschehens war eine Schule, nicht zu unrecht als besonders geschützter Raum bezeichnet (in dem es schließlich auch um Erziehung geht). In diesem Raum galt der Fall als erledigt.
# Neue Tatsachen, die eine neuerliche Relevanz begründen könnten, hat die SZ nicht vorgetragen. (Der Versuch, eine Kontinuität aufzuzeigen, dürfte ungeeignet sein, denn damit ließe sich alles zu jederzeit aus der Versenkung hervorholen.)
Ferner die bereits unter 1.7 genannten Punkte:
# Der „Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst ‚Öffentlichkeitswert‘ verleihen“ war mit der ersten Veröffentlichung nicht erbracht. Nachgeschobenes und von anderen Recherchiertes kann diesen Mangel nicht ausgleichen.
# Entlastendes wurde nicht vorgetragen, nicht einmal die Prüfung wurde dargelegt.
Prof. Karl-Nikolaus Peifer meint übrigens (WDR, 29.08.2023), dass es sich bei der SZ-Geschichte gar nicht um eine Verdachtsberichterstattung handle, weil dies nur auf strafbares Verhalten zutreffe. (Etwas unangenehm an diesem Interview ist allerdings, dass beide Gesprächspartner nur darüber spekulieren, ob die SZ Aiwanger mit ihrem Verdacht konfrontiert habe.)

3 Hinweise zur Maßstabsgerechtigkeit

Einige Hinweise zu vergleichbaren Fällen, die zurecht derzeit angeführt werden:

3.1 Robert Habeck sprach in einem Video: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“ Das ist so anders als „die Demokratie zurückholen“ wohl nicht. Die Grünen hatten das Video nach einem „Shitstorm“ gelöscht mit der Begründung: „Wir haben Robert Habecks Aufruf vom Netz genommen, weil viele ihn falsch verstanden haben.“ Natürlich gab es auch damals den Kniff, eine Reihe von Verfehlungen zu konstruieren: „Es ist nicht das erste Mal, dass sich Habeck auf Twitter vergaloppiert.“

3.2 Sarah-Lee Heinrich, seit Oktober 2021 eine Bundessprecherin der Grünen Jugend, hatte in ihrer jüngeren Jugend u.a. getwittert: „Ich werde mir irgendwann einen Besen nehmen und alle weißen Menschen aus Afrika raus kehren.“ Und: „Ich werde dich finden, und anspucken, dann aufhängen mit einem Messer anstupsen und bluten lassen.“ Und: „Wörter, die ich zu oft benutze: – Same – Heil“, sowie Begriffe wie „Tunte“ und „Fotze“ verwendet (Berichte Spiegel, NZZ, taz, Interview dazu bei ZEIT). Sie erklärte dazu u.a.:

>Aber dass man mit 14 Jahren bisschen vulgäre Tweets in die Welt gesetzt hat oder noch nicht so viel über diskriminierungssensible Sprache verwendet, ist schon peinlich und unangenehm, aber kein Skandal.<

Und:

>Messt mich und kritisiert mich gern an meinen Positionen und meiner politischen Arbeit. Ich werde mich jetzt nicht zu allem erklären, was ich mal so mit 14 gedacht und gesagt habe, das verlange ich auch von niemandem<

Henryk Broder sprach sich damals übrigens gegen eine Amnestie aus. Im aktuellen Flugblatt sieht er zwar ein „von Judenhass triefendes Stück Papier“, Aiwanger abschießen will er aber offenbar nicht und sieht „mehr als nur einen ‚Anfangsverdacht‘, dass die SZ sich ab und zu einen antisemitischen Ausrutscher leistet […]“. Er verweist auf einen Text von sich aus dem Jahr 2013, in dem es heißt, „[…] die ‚Süddeutsche Zeitung‘ setzt dort an, wo der ‚Stürmer‘ 1945 aufhören musste.“ Nun schreibt  Broder (28.08.2023):

>Es geht in diesem Abgrund an Heuchelei auch nicht um Antisemitismus und Juden, es geht um politischen Geländegewinn mit Hilfe des Antisemitismus auf dem Rücken der Juden.<

Siehe dazu auch ein kurzes Video-Interview mit Broder bei Welt (01.09.2023) und seinen Kommentar „Eine Tat und kein Täter“ (05.09.2023) mit dem Einstieg:

>Die Deutschen brauchen von Zeit zu Zeit einen Sündenbock, den sie schlachten können, um sich ihre eigene immerwährende Rechtschaffenheit zu beweisen.<

In der Süddeutschen Zeitung hingegen kommentierten Laura Hertreiter und Cornelius Pollmer 2021 zum Stichwort „Jugendsünde“ (Tweet dazu):

>Mit dem Begriff „Jugendsünde“ ist, siehe oben, aus tausend Gründen sparsam umzugehen. Zum Weiteren aber ist es gerade einmal wieder angezeigt, daran zu erinnern, dass Kinder Kinder sind und keine Erwachsenen im Sinne der Zurechnungs- und Schuldfähigkeit – sie sind es glasklar nicht im juristischen Sinne, und sie sind es wohl auch nicht darüber hinaus, siehe Beispiel unten, betreffend die neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. Heinrich ist 20 Jahre alt und segelt gerade durch einen Shitstorm der Stärke 12 auf der Scharfrichterskala des Internets. Gegenstand des Abkotzens und Anmachens ist unter anderem ein Tweet Heinrichs aus dem Jahr 2015. Sie kommentierte damals ein bei Twitter eingetragenes Hakenkreuz ironisch mit „Heil“. Dafür hat sie nun um Entschuldigung gebeten und darauf hingewiesen, dass sie nicht zufällig Teil einer antifaschistischen Jugendorganisation sei. […] Neu und leider beunruhigend sind allerdings mehrere Dinge, vorneweg die Tatsache, dass die Zeit nicht mehr allen Stumpfsinn schleift und dass die Gnade der Amnestie nicht mehr allen zuteil wird, die mal jung und dumm waren. […] Kein Altlastenkataster der Welt könnte den wachsenden Bestand je fassen. Klar ist aber, dass Fässer noch viele Jahre später aufplatzen und Karrieren zerstören können, manchmal infolgedessen sogar Leben. Dafür Sorge tragen Millionen Schöffenrichter, die sich jeden Tag wieder selbst einberufen zum Schnellgericht und die ohne juristische Grundlage mit einem moralischen Rigorismus über diese und jene kleinen Neuigkeiten befinden, vor dem kein einziges gelebtes Leben je Bestand haben würde. < (Aus SZ „Früh trübt sich“ vom 11.10.2021)

Ein Abschnitt „Kontroverse“ findet sich zu dieser Causa bei Sarah-Lee Heinrich in der Wikipedia nicht mehr, die Online-Enzyklopädie hat also die Jugendsünde getilgt.

3.3 Die CDU-Politikerin Karin Prien fordert indirekt, dass alle Politiker nun auf ihr Verhalten als Jugendliche durchleuchtet werden – eine schöne Aufgabe für investigative Journalisten (die eben der Maßstabsgerechtigkeit verpflichtet sind):

>Hat Aiwanger dieses widerlich antisemitische und menschenverachtende Pamphlet mit erstellt und/oder verbreitet dann ist er politisch nur noch zu retten, wenn er unverzüglich und überzeugend sein damaliges Verhalten erklärt, heute ehrliche Einsicht und Reue zeigt und unmissverständlich, auch für junge Menschen heute, klarmacht, dass solche Äußerungen unter keinen Umständen, auch nicht als pubertäre „Jugendsünde“, akzeptabel sind.<

3.4 Die von Sawsan Chebli eingestandene antisemitische Haltung in ihrer Jugend sei nicht vergleichbar, kommentiert Claudia Wangerin („Warum Hubert Aiwanger kein Opfer ist„, TP 28.08.2023):

>Nun verweisen Aiwangers Unterstützer in „Sozialen Netzwerken“ gerne darauf, dass ja auch die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli in ihrer Jugend Antisemitin gewesen sei. Der Unterschied ist nur: Sie hat das vor wenigen Wochen von sich aus selbstkritisch thematisiert, ohne deshalb gerade in Erklärungsnot zu sein. Entsprechende Presseartikel über Chebli hätten gar nicht in den Kommentaren zum „Fall Aiwanger“ verlinkt werden können, wenn sie das nicht getan hätte.<

3.5 SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach legte sich bereits zwei Tage nach der ersten großen Story seiner Zeitung fest: Aiwanger muss weg. Damit erhält die Liste fehlender Mess- und Wertungsmaßstäbe einen weiteren Eintrag.
# Zunächst blieb schon die Relevanz der „Ausgrabung“ (die sich als ein umfangreiches und wohl langjähriges Hausieren des Informanten entpuppt) unklar. Wie wurde sie gemessen, wie bewertet?
# Ein wichtiger Unterpunkt dazu ist die Verortung des historischen Kontexts. Dass Deutschland 1987 ein etwas anderes war als heute (und dass sich Niederbayern von der Metropole München oder der Journalismushauptstadt Berlin unterscheidet), müsste berücksichtigt werden (siehe bspw. die neuen Warnhinweise bei älteren Fernsehsendungen).
# Eine öffentliche, nachvollziehbare Bewertungsskala für Fehlverhalten fehlte nicht nur zu beginn, sie wird seitdem mehrfach gewechselt. Lautete der Hauptvorwurf noch, Hubert Aiwanger habe das Flugblatt verfasst, soll es später genügen, dass er es bei sich hatte und den angeblichen Urheber nicht selbst öffentlich gemacht hat.
# Raunte die SZ zunächst nur über den ihr angemessen erscheinenden Strafkatalog („Wenn das alles stimmt, kann man sich kaum mehr vorstellen…“, dass Aiwanger weiterhin eine öffentliche Rolle spielt, sollte das wohl heißen), ist sie sich, vertreten durch den Chefredakteur, nun sicher: Besitz und mögliche Weitergabe des Flugblatts verdienen – anders als es seinerzeit der schulische Disziplinarausschuss entschieden hat – Verbannung.

Um es nochmal deutlich zu sagen: Wertungsmaßstäbe, die nicht wenigstens durch geübte Praxis von jedem unabhängig von persönlichen Positionen nachvollzogen werden können (etwa: regnerisches = „schlechtes“ Wetter), sind individuelle Wertungen und damit Ausdruck einer Meinung. Aber auch dann müssen die Maßstäbe erkennbar sein, weil die „Mess- und Bewertungsergebnisse“ andernfalls beliebig und damit wertlos sind.

4 Medienkritik zur weiteren Berichterstattung in dieser Causa

4.1 Im heute-journal sagte am Samstagabend (Mediathek, Ausschnitt auf X/Twitter) Stefan Leifert, Studioleiter Bayern:

>Auch wenn sich der Bruder jetzt zu erkennen gegeben hat als Verfasser dieses Dokuments bleiben doch eine ganze Reihe von Fragen, die Hubert Aiwanger begleiten werden, wie es zu solch einem antisemitischen Pamphlet im Hause Aiwanger kommen konnte. Der Tag heute zeigt sicher auch, wie schmutzig die nächsten Wochen jetzt werden könnten. Und er zeigt, was auf dem Spiel steht: Die Reputation eines bayerischen Vize-Ministerpräsidenten auf der einen Seite, auf der anderen Seite die von Bayerns wichtigster Zeitung. Da steht jetzt Aussage gegen Aussage, beide Seiten bleiben bei ihren Versionen. Hubert Aiwanger wird jetzt mit der Erzählung in den Wahlkampf gehen, dass hier eine Hetzkampagne gegen ihn laufe. Also das Ganze könnte auch nocht in einer juristischen Auseinandersetzung am Ende vor Gericht münden. Zumindest hat ein Sprecher Aiwangers das so angekündigt.<

Auch hier das Schlagwort „antisemitisch“ als Tatsachenbehauptung (siehe oben Punkt 1.5). Ferner eine nicht näher begründete Sippenhaft: Hubert Aiwanger muss nun erklären, wie es zu dem Flugblatt seines Bruders vor 35 Jahren kam? (Siehe dazu bspw. Aydan Özuguz) Und man hat für den sich gerade abzeichnenden Fall, dass das eigentlich alles eine Luftnummer war, schon den Sündenbock benannt: die Süddeutsche Zeitung („auf der anderen Seite die von Bayerns wichtigster Zeitung“). Dabei trägt natürlich jedes Medium, das die SZ-Berichte aufgegriffen hat, selbst die Verantwortung für seine Publikationen. Wenn es nicht um Reichweite ginge, um Klicks, Käufer, um schnell zu produzierende Beiträge, dann hätte schließlich keinerlei Eile bestanden. Selbst wenn man das Flugblatt für Wahl-relevant halten möchte: es sind noch sechs Wochen hin, da hätten alle anderen Medien problemlos abwarten bzw. selbst in Ruhe recherchieren können. Aber das gibt es ja nicht mehr. Stattdessen wird Self-fulfilling Prophecy betrieben: Ja, der Wahlkampf könnte noch schmutzig werden, womit wir Medien gar nichts zu tun haben, aber  dann werden wir Medien weiter darüber berichten müssen.

Und es bleibt die Frage, wie denn hier „Aussage gegen Aussage“ stehen kann und „beide Seiten“ bei „ihren Versionen“ bleiben können, wenn doch die SZ angeblich gerade keine Tatsachenbehauptungen über eine Verfehlung Aiwangers aufgestellt haben soll. (Bsp.)

>“Was für ein Bauerntheater.“ Ein sehr prominenter CSUler beschämt zum Fall #Aiwanger.<<

twitterte Stefan Leifert am Abend vor seinem heute-journal Auftritt. Zustimmung für den unbenannten CSU-ler (der natürlich nicht im Wahlkampf mit den Freien Wählern ficht). Nur: Drehbuch und Regie stammen ausschließlich vom Journalismus (und zwar insgesamt, nicht nur von der SZ, so wirkmächtig ist die nicht).

4.2 Das Recherche-Desinteresse bei den vielen Kolportagen merkt man deutlich an der Übernahme der sehr einfach zu bemerkenden Fehler der SZ. Beispiel, dass Hubert Aiwanger das Flugblatt als 17-Jähriger entworfen und verbreitet haben soll. Einige Beispiele:
# Tagesspiegel: „Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf sieht sich der Chef der Freien Wähler, Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger, Vorwürfen ausgesetzt, er habe als 17-jähriger Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst.“
# Deutschlandfunk: „Die ‚Süddeutsche Zeitung‘ hatte berichtet, dass der Vize-Regierungschef das Flugblatt nach Recherchen des Blattes als 17-jähriger Gymnasiast geschrieben haben soll.“
# Zeit: „Die Süddeutsche Zeitung hatte zuvor berichtet, Aiwanger habe das Flugblatt als 17-jähriger Schüler verfasst.“
# NZZ: „Hat der Chef der Freien Wähler als 17-Jähriger ein Flugblatt verfasst, das sich über den Holocaust lustig macht?“
# Nordbayern.de: „Hat Hubert Aiwanger das geschrieben, mit 17 Jahren, als Gymnasiast?“

4.3 Andreas Petzold (Ex-Chefredakteur stern) schreibt: „Bin ziemlich sicher, dass die SZ-Chefredaktion (Judith Wittwer + Wolfgang Krach) den Samstagabend im Krisenmodus verbringt. Jetzt geht es bei der erforderlichen Reaktion der SZ um Tempo, Transparenz, Verantwortlichkeit und Konsequenz.“ Das trifft aber mindestens ebenso sehr auf alle Kolportage-Medien zu, die sich zwar selbst nur als Nacherzähler der SZ-Story verstehen, aber letztlich überwiegend auf Recherche komplett verzichtet haben (während die SZ „nur“ an ihrer Recherche gescheitert ist).

4.4 Rechtsanwalt Ralf Höcker kritisiert zurecht die Formulierung des Spiegel „Nun hat sich sein älterer Bruder als mutmaßlicher Autor zu erkennen gegeben“ mit den Worten:

>Nein, der Bruder von @HubertAiwanger hat sich NICHT als „mutmaßlicher“ Autor des Flugblatts zu erkennen gegeben, @derspiegel . Er hat sich als der Autor des Flugblatts zu erkennen gegeben.<

Sprachliche Korrektheit zu fordern ist keine Korinthenkackerei. Wer den Unterschied beider Tatsachenbehauptungen nicht sieht, sollte nochmal ein Praxisseminar besuchen. Um auf ein Lehrbuchbeispiel zu verweisen: „Schmidt will nicht Bundeskanzler werden„.

4.5 Auch am Sonntagabend hat die SZ ihre Berichterstattung als Aufmacher auf ihrer Internetseite. Anlass für einen neue Beitrag am Mittag ist das Statement des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, das Pamphlet sei antisemitisch, „da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft“ würden.

4.6 In mehreren User-Kommentaren wird auf die Problematik der Bebilderung von Artikeln hingewiesen. Dieser Aspekt fehlte hier bislang – wurde aber bspw. im Zusammenhang mit der Corona-Berichterstattung mal angeschnitten (Kap. 6: Repräsentativität – Bebilderung). In der Tat ist das ein eigenes, sehr umfangreiches Thema (siehe zum nachfolgenden Punkt 5.3 Volker Beck, für den die FAZ ein Foto ausgewählt hat, das man als „Kokser-Bild“ sehen kann oder – es wird kein reiner Zufall sein – sollte).

4.7 Stefan Niggemeier schreibt auf Übermedien zum SZ-Auftakt-Artikel (Print), was Mohamed Amjahid in der taz eine „Stilkritik“ nennt:

>Vor allem die Seite-3-Geschichte, die sie am Samstag veröffentlichte, ist problematisch, weil sie nicht nüchtern über die Vorwürfe berichtet, sondern all jenen Munition gibt, die ihr unterstellen, eine Agenda zu haben: Aiwanger kurz vor der Wahl wegzuschreiben.Es ist ein Text, dem jede Distanz zu sich selbst fehlt […]<

Ferner (siehe dazu oben Punkt 1.9):

>Anscheinend war die Aussage des Sprechers noch ein bisschen länger. Inzwischen schreibt die SZ, Aiwanger habe „die Darstellung, er sei überhaupt in den Vorfall damals involviert gewesen und bestraft worden, bei Veröffentlichung der Recherche zunächst von einem Sprecher kategorisch zurückweisen lassen“. Das ist ein anderes Dementi als das, das man am Samstag in der SZ lesen konnte, und das ist nicht irrelevant. Diesem Dementi würde nämlich Aiwangers späterer Verteidigung widersprechen, er habe das Pamphlet zwar nicht geschrieben, aber bei ihm seien „ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden“ worden, er sei zum Direktor einbestellt und es sei mit der Polizei gedroht worden, er habe daraufhin ein Referat zur Strafe halten müssen.<

4.8 Jonas Schaible (Spiegel) schreibt:

>Der Journalismus braucht dringend konzeptionelles Nachdenken darüber, wie Unparteilichkeit als Standard in einem Umfeld bewahrt und kommuniziert werden kann, in dem zunehmend aktiv versucht wird, Politikberichterstattung als angeblich parteipolitisch zu delegitimieren.<

4.9 Interview im Overtone-Magazin: „Die Vorverurteilung quillt aus allen Textstellen“ (29.08.2023)

4.10 Einige weitere Kommentare zum Medienjournalismus hat das MDR-Altpapier gesammelt (29.08.2023)

4.11 Deutschlandfunk zitiert den Münchner Kommunikationswissenschaftler Prof. Carsten Reinemann:

>„Ganz abgesehen von einer juristischen Dimension stellt sich für mich die Frage, ob man als eines der wichtigsten, einflussreichsten und die Maßstäbe journalistischer Qualität mitbestimmendes Medium in Deutschland so eine Geschichte in dieser Weise hochziehen muss, um gewissermaßen eine Linie vom Jung-Nazi zum Alt-Populisten zu ziehen“, gibt der Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann gegenüber dem Deutschlandfunk zu bedenken.<

4.12 Timo Rieg kommentiert im Politischen Feuilleton des Deutschlandfunk Kultur (30.08.2023)

>Verbrechen verjähren, verurteilte Straftäter kehren nach Verbüßen ihrer Strafe in die Gesellschaft zurück. Aber wie sieht das bei jemandem aus, der nie für eine vorgeworfene Tat vor Gericht stehen wird? Wie kann sich so jemand rehabilitieren, welche Sühne muss er leisten? <

In diesem Zusammenhang wäre grundsätzlich – und nicht speziell am „Fall Aiwanger“ – zu klären, wie weit auch die (pädagogische) Selbstregulation einer Schule von der Öffentlichkeit zu akzeptieren ist. Denn mit dem Flugblatt beschäftigte sich seinerzeit ein Disziplinarausschuss, der Hubert Aiwanger auftrug, ein Referat zu halten. Denn die SZ hat nicht etwa ein im Einzugsgebiet von Aiwangers Gymnasium verbreitetes Unbehagen mit der Abhandlung des Falls publik gemacht, Ausgangspunkt war viel mehr ausweislich der vielen SZ-Texte der eigene moralische Maßstab (und vermutlich – aber das ist Spekulation – die Erwartung eines Skandalpotentials).

4.13 Marvin Schade (Medieninsider, 30.08.2023): „Die weitere Berichterstattung der SZ ist seither auch Krisen-PR in eigener Sache.“

4.14 Claudius Seidl („Der Wille zum Kitsch„, FAZ, 28.08.2023) rezensiert die Ausgangs-Geschichte der Samstags-SZ:

>Unter den Ambitionen, die deutsche Journalisten bewegen, ist diese hier vermutlich die wichtigste: Es ist der Drang, sich mit journalistischem Handwerk allein nicht zufriedenzugeben. Es ist der Glaube, dass ein Artikel, der ein paar Sachverhalte genau, anschaulich und seriös beschreibt, zwar verdienstvoll, aber noch nicht die hohe Schule ist. Es ist der Wille, nicht einen Bericht zu schreiben, sondern ein Drama, eine Kurzgeschichte, ein Werk der Literatur.
Das ist das Missverständnis, das den Reporter- und Kitsch-Preisen zugrunde liegt, das ist, was reporterpreisgekrönte Journalisten lehren und wovor die Journalistenschulen jedenfalls nicht warnen: Schreibt literarisch. Werdet euch, bevor ihr anfangt, klar darüber, wer Protagonist und wer Antagonist eurer Geschichte ist. Und denkt immer daran: Ein bisschen Selbstreflexion braucht jeder literarische Text.<

4.15 Speziellen Humor beweist der Bayerische Rundfunk (28.08.2023), der die Qualität der SZ-Berichterstattung einordnen lässt von „dem renommierten Journalisten und Juristen Heribert Prantl, gebürtiger Bayer“ – und, das blieb unerwähnt, langjährigem Mitglied der SZ-Chefredaktion und bis heute SZ-Kolumnist.
Prantl urteilt, es handele sich nicht um eine Jugendsünde wie Diebstähle, Rauschgiftereien, Drogen, es gehe vielmehr um eine Jugendtodsünde. Es sei ein zynisches, verhöhnendes, abscheuliches Papier, „das einem den Zorn ins Gesicht treibt“. Es sei auch nichts, das man einfach so dahinsagt, sei „ein sehr ausgearbeiteter Text, an dem die Verfasser wohl einige Stunden lang gesessen haben.“ Beweise für die lange Vorbereitung blieb der ehemalige Richter und Staatsanwalt Prantl in dem Gespräch schuldig.

4.16 Albrecht Müller, Herausgeber der Nachdenkseiten, hat in einer Vorbemerkung zu Leserbriefen seine zuvor vertretene Kritik an Aiwangers (mutmaßlichem oder unterstellten) Verhalten in Jugendjahren etwas relativiert. Zahlreiche Zuschriften gehen auf genau diesen Punkt ein, der auch hier oben bereits erwähnt wurde: Es wird mit heutigen Maßstäben ein Verhalten vor 35 Jahren gemessen, ohne den Zeitkontext zu würdigen (wie dies sowohl Juristen als etwa auch Historiker tun). „Leserbriefe zu ‚Nicht Aiwanger, die SZ ist der böse Bube. Verkehrte Welt!'“ (05.09.2023)

5 Die öffentliche Debatte

5.1 Politiker und Journalisten forderten wie üblich aufgrund der Verdachtsberichterstattung sofort Konsequenzen – ggf. mit der Einschränkung ‚wenn sich die Behauptungen als wahr herausstellen sollten‘. Was praktisch immer fehlt, ist eine Aussage für den gegenteiligen Fall: Was, wenn der von der SZ verbreitete Verdacht eben unzutreffend war? Beispiele: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach; SPD-Vorsitzende Saskia Esken;

5.2 Unter dem Gesichtspunkt der Aufmerksamkeits-Ökonomie beansprucht die von der SZ losgetretene Debatte erhebliche Lebenszeit – in Summe dürften es für Deutschland bereits mehrere hundert Jahre sein, selbst wenn sich Mediennutzer nur wenige Minuten mit der Sache beschäftigen, konfrontiert durch Nachrichtensendungen, Zeitungen, Social-Media-Posts etc. Da man solchen gesetzten Themen selbst als sog. „Nachrichtenvermeider“ (z.T. sogar „Nachrichtenverweigerer“ genannt) nicht vollständig entgehen kann, darf schon nach einer Kosten-Nutzen-Relation gefragt werden. Von der Verantwortung, dass eine Skandalisierung so oder so etwas mit den Medienkonsumenten macht (ob sie sich nun bspw. in ihrer Verachtung für Aiwanger oder ihrer Skepsis gegenüber dem Journalismus bestätigt sehen).

5.3 Volker Beck, von 1994 bis 2017 Abgeordneter im Bundestag für die Grünen und heute „Publizist und Lehrbeauftragter für Religionspolitik am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum“,  lässt über das „Tikvah-Institut„, dessen Mit-Gesellschafter er ist, verbreiten:

>“In den Erklärungen der Gebrüder #Aiwanger vermisst man die explizite Verurteilung der in dem Flugblatt enthaltenen Verhöhnung der Opfer der #Shoah und des #Antisemitismus,“ sagt @TikvahInstitut Geschäftsführer @Volker_Beck . „Die Distanzierungen wirken formelhaft und tönern.“<

Was Beck bisher nicht verraten hat (Anfrage ist raus): Wie sollte seiner Ansicht nach eine Distanzierung der Gebrüder Aiwanger aussehen, die nicht „formelhaft und tönern“ wirkt und vor seinem Gericht Akzeptanz findet. In einem eigenen Post fordert er zu erfahren:

>Wie war sein [Hubert Aiwangers] Verhältnis zu dem Flugblatt zum Zeitpunkt seiner Entstehung, als er es anscheinend weiterverbreitet hat? Und wann & warum hat sich seine Haltung dazu geändert?<

Wie sehr einem die öffentliche Debatte über eine „Verfehlung“ schaden kann (bei ihm war es allerdings ein von Politikern sanktioniertes Verhalten), weiß er aus eigener Erfahrung (zum Thema passend: Bericht im SZ-Magazin).

5.4 Wie schnell man auch als jemand, der keine Person des öffentlichen Lebens ist, ein Label bekommt, zeigt die stellvertretende Chefredakteurin des SZ-Magazins, Lara Fritzsche:

>Der Antisemit [Helmut Aiwanger] ist heute Waffenhändler. Der Politiker [Hubert Aiwanger] hat das Flugblatt nur verbreitet. Und das soll die Verteidigungslinie sein?!?<<

5.5 Der „deutsch-jüdische Historiker“ Michael Wolffsohn schreibt in einem Gastbeitrag für die BILD (siehe zum Axel-Springer-Verlag und seinen Leitlinien gegen Antisemitismus hier und hier):

>Antisemiten machen Juden als Juden verächtlich. Sie fordern die Benachteiligung und sogar Ermordung. Kein Wort davon in diesem dreckigen Text. Merke: Nicht jeder Dreck ist zugleich antisemitisch.< (siehe dazu Punkt 1.5 oben)

Im Video-Interview mit der Welt erläutert Wolffsohn, dass mit zweierlei Maß gemessen werde (29.08.2023).

5.6 Dass Hubert Aiwanger nicht bei der ersten Presseanfrage gesagt hat, wie es tatsächlich gewesen sein soll, sondern das Eingeständnis der Urheberschaft seinem Bruder überlassen hat, wird von vielen Kommentatoren – und der SZ selbst in einem späteren Beitrag – als vertane Chance oder gar als Schuldhinweis gedeutet. Z.B. von Rechtsanwalt Thomas Stadler:

>Da die SZ journalistisch sauber arbeitet, gehe ich davon aus, dass man #Aiwanger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Daraufhin hat er aber nicht diese Geschichte mit dem Bruder erzählt, sondern erst mal mit Unterlassung und Schadensersatz gedroht.<

Es gibt aber keine allgemeine Auskunftspflicht gegenüber der Presse. Es wäre auch absurd, wenn jede Anfrage eine inhaltliche Reaktion erfordern würde. Was gute PR ist/ gewesen wäre, steht hier nicht zur Debatte. Im SZ-Artikel „Das Auschwitz-Pamphlet“ steht:

>Ein schwerer Verdacht, den der Sprecher des Freie-Wähler-Vorsitzenden auf Nachfrage bestreitet. Er könne „weitergeben, dass Hubert Aiwanger so etwas nicht produziert hat“, teilt der Sprecher mit. Und sollte die SZ über das Flugblatt berichten, kündigt er an, dass sich Aiwanger juristisch „gegen diese Schmutzkampagne“ wehren werde.<

An dieser Darstellung hat Hubert Aiwanger bisher nichts geändert. Und rechtliche Schritte anzukündigen sollte niemand, insbesondere keine Juristen, als Drohung verstehen, sondern als selbstverständliches Mittel der Klärung in einem Rechtsstaat.

5.7 Bundeskanzler Olaf Scholz lässt über seinen Sprecher kundtun:

>Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dringt in dem Fall auf Aufklärung. In Berlin sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner: „Unabhängig davon, wer dieses Flugblatt verfasst und verbreitet hat: Es handelt sich da wirklich um ein furchtbares, menschenverachtendes Machwerk.“ Das müsse aus Sicht des Bundeskanzlers „alles umfassend und sofort aufgeklärt werden und müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben.“<

Das kann nun wirklich niemand glauben. Der Bundeskanzler würde sich in jedes irgendwo aufgefundene Flugblatt dieser Machart persönlich einschalten und Aufklärung verlangen (von wem eigentlich, die Justiz ist ja nicht mehr zuständig)?

5.8 Dominik Baur kommentiert in der taz („Die Unschuld längst verloren„, 27.08.2023):

>Nehmen wir es doch einfach mal an. Nehmen wir doch mal an, das widerliche Nazi-Flugblatt, das 1987 im Burkhart-Gymnasium die Runde machte, sei nicht von Hubert Aiwanger verfasst worden, sondern von seinem Bruder. Nehmen wir also weiter an, die Süddeutsche Zeitung sei bei ihren Recherchen übers Ziel hinausgeschossen, habe Zeugen zu viel geglaubt, voreilige Schlüsse gezogen oder sei gar einem Jagdeifer verfallen, der seriösen Journalistinnen und Journalisten schlecht ansteht. Wäre der Kas dann bissen? Sprich: Hätte sich die Sache erledigt? Mitnichten. […] Gern würde man auch Aiwangers Schultasche ein für allemal schließen. Doch der Fall ist anders gelagert. Zu viele Fragezeichen stehen noch im Raum. Hat Helmut Aiwanger das Pamphlet wirklich alleine verfasst und warum? Seine Äußerungen dazu sind dürr und wenig schlüssig. Eine Klasse wiederholen zu müssen, kann wütend machen – ist aber kein Motiv, Holocaust-Opfer zu verhöhnen. Und Hubert Aiwanger hat das Pamphlet mit sich rumgetragen, vielleicht verbreitet. Ein Bedauern darüber hat man nicht gehört.<

5.9 Am Mittwochmittag, also fünf Tage nach der ersten SZ-Veröffentlichung, bringt die Tagesschau die folgende Meldung: „Bundesregierung fordert Aufklärung im Fall Aiwanger„. Welchen Informationswert hat diese wenig überraschende politische Positionierung, zumal wenn Föderalismus mehr als eine leere Floskel sein soll? Die Bundesregierung ist nicht die Aufsichtsbehörde für bayerische Landespolitik.

5.10 Georg Restle (WDR, Monitor; siehe zum Stichwort „Jugendünde“ oben Punkt 3.2) auf X/Twitter:

>Mich kotzt diese „Jugendsünde“-Fraktion an, die weit ins bürgerliche Lager reicht.<

5.11 In seiner Kolumne („Pennälergeschichte“, 29.08.2023) „Ich ging in Bayern aufs Gymnasium. Und glaube Aiwanger kein Wort“ bearbeitet Stefan Kuzmany den „Fall Aiwanger“ mit dem journalistischen Werkzeug der anekdotischen Evidenz. Er selbst habe auch eine Flugblatt-Geschichte zu bieten:

>Bei uns ging es damals um einen vergleichsweise harmlosen Zettel, eine im Stil eines Erpressungsschreibens aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben zusammengeklebte und kopierte Schmähung eines bei uns unbeliebten Lehrers. Wir fanden das lustig.<

Dass Hubert Aiwanger sich nicht mehr erinnern kann, ob er selbst Flugblätter verteilt habe und ob „ein oder wenige Exemplare“ davon in seiner Schultasche gefunden wurden (was offenbar auch die umfänglichen Recherchen der SZ und nachfolgend der Kollegen anderer Medien trotz Befragung zahlreicher Zeugen nicht klären konnten), kann Kuzmany aufgrund seiner eigenen Erfahrungen nicht glauben:

>Ich persönlich bin sehr froh, dass ich mich nicht mehr genau erinnere, was ich als Elftklässler alles getan und gesagt habe, es wird wahrscheinlich viel Unsinn dabei gewesen sein. Aber diese Einbestellung beim Oberstudiendirektor, den Verlauf dieses hochnotpeinlichen und disziplinarisch gefährlichen Gesprächs werde ich mein Lebtag nicht vergessen.
Ich sehe die zu meinem Glück undurchsuchte Schultasche mit den Flugblättern noch genau vor mir: braunes Kunstleder mit verchromter Schnalle. Ich erinnere mich wie heute an die fiebrige Nervosität, mit der ich die Pamphlete entsorgte. Nun bin ich fast zwei Jahre jünger als Aiwanger, vielleicht sind das entscheidende Monate für den Verfall des Erinnerungsvermögens? Wer’s glaubt.<

Täter Kuzmany klassifiziert als Richter über sich selbst sein Drohbrief-Flugblatt als „vergleichsweise harmlosen Zettel“ (verglichen mit allen (Schüler-)Flugblättern oder nur dem aus dem Burkhart-Gymnasium?), ohne uns eine eigene Urteilsbildung zu ermöglichen. Dass Hubert Aiwanger seinerzeit nur eine Strafarbeit aufgebrummt bekam, beurteilt er im Einklang mit anderen Journalisten als „seltsam milde Sanktion“ – obwohl er selbst noch viel weniger Senge bekommen hatte:

>Der Direktor, ein strenger, aber fairer Herr, nahm das zur Kenntnis. Er trug uns unter Androhung schwerster Strafe auf, dafür zu sorgen, dass die Zettel verschwinden und nirgends wieder auftauchen sollten. Das taten wir. Meine Schultasche blieb ungeöffnet, meine Zettel unentdeckt [an anderer Stelle: „zu meinem Glück“, s.o.]. Ich warf sie in den Müll. Die Sache war erledigt.<

Kuzmany beschreibt Lehrer- und Schülerschaft seines Gymnasiums als „politisch divers“. Neben dem AKW-Fanboy gab es auch „die jüngeren, 68er-geprägten Lehrerinnen und Lehrer, die unsere kleinen Auflehnungen mit mehr oder weniger offenem Wohlwollen begleiteten.“ Dennoch konstatiert er:

>Glaubt man den Gebrüdern Aiwanger, sind diese in einer vollkommen anderen Realität aufgewachsen. […] Aber Helmut Aiwanger, der Bruder des Politikers, berichtet in der »Passauer Neuen Presse« von der Zeit am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg, als handelte es sich bei dieser niederbayerischen Lehranstalt seinerzeit um eine tiefrote oder zumindest grün-versiffte Indoktrinationshölle: Er sei dort »auf offen linksradikale Lehrer getroffen«, die gegen Bauern (»sind blöd«) und Tierhaltung (»ist Tierquälerei«) gehetzt und zu Demonstrationen gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf aufgerufen hätten. Da wollte er sich nur »irgendwie wehren«.<

Nach Kuzmanys eigener Mini-Beschreibung seines Gymnasiums (das er nur „auf dem Land“ in Bayern verortet) sollten einen dort Lehrer wie von Helmut Aiwanger beschrieben gerade nicht wundern.

Woran sich Stefan Kuzmany allerdings heute nicht mehr erinnern kann (wohlwollend unterstellt) und was vielleicht zu vermeiden gewesen wäre, hätte er ein Strafreferat über Bedrohungen und Schmähungen von Menschen erarbeiten müssen: dass die Parole „Alles für Deutschland“ von der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) verwendet wurde und schon zu seiner Schulzeit in § 86a StGB (zuvor seit 1960 als § 96a) hart pönalisiert war. Dann wäre ihm eine Peinlichkeit erspart geblieben, die nun aber seiner auf anekdotischer Evidenz beruhenden Beweisführung zur Jugendgesinnung der Aiwangers nicht zum Vorteil gereicht.

6 Weiterführendes zur Medienkritik

6.1 Ferdinand von Schirach hatte gerade im Interview mit dem Stern Strafgelder in Millionenhöhe für unzutreffende Berichterstattung gefordert. (via MDR-Altpapier)

6.2 Eine umfangreiche Sammlung an Fallbeispielen gibt es im Paper „Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus“ auf ResearchGate, von denen vieles keineswegs spezifisch für die Pandemiesituation war.

6.3 Zur Verdachtsberichterstattung gibt es zahlreiche kritische Fälle, am präsentesten in jüngerer Zeit ist sicherlich die über Till Lindemann.

6.4 Zur inzwischen nun öfter gezogenen Parallele „Christian Wulff“: „Skandalisierung ohne jedes Maß“ (Tagesschau, 27.02.2014)

Anmerkungen

27.08.2023, 15:40 Uhr: Titel und Vorspann wurden der unter dem eigentlichen Beitrag gewachsenen Materialsammlung angepasst. Der Haupttext ist auch bei Telepolis erschienen, siehe dazu auch den Leitartikel von Harald Neuber.)

Die Einträge nach „Updates und Ergänzungen“ wurden bis 30.08. fortlaufend aktualisiert. Späteres wird ggf. nachfolgend noch erwähnt. Derzeit letztes Update: 14.09.2023 (siehe unten).

Update 03.09.2023: Söder belässt Aiwanger im Amt (oben ergänzt als Punkt 1.13). Die an diesem Tag veröffentlichten Aiwanger-Beiträge auf Sueddeutsche.de (weitere Zahlen darunter):

Ausweislich der Pressedatenbank Library-Net erschienen in den ersten zehn Tagen ab Enthüllung (25.08.2023 bis 03.09.2023) insgesamt 152 Beiträge mit Stichwort „Aiwanger“, davon 31 in der gedruckten SZ ohne Landkreise (64 mit Landkreisen). In den zehn Tagen zuvor (15.08.2023 bis 24.08.2023) waren es insgesamt 35 Texte, davon 5 in der gedruckten SZ ohne Landkreise (16 mit Landkreisen).

Update 06.09.2023: Punkt 4.16 aufgenommen.

Update 14.09.2023: Punkt 5.11 aufgenommen.

Update 06.12.2023: Der Deutsche Presserat hat die SZ-Berichterstattung nicht beanstandet und 18 Beschwerden zurückgewiesen. In der Pressemitteilung heißt es unter anderem:

An dem veröffentlichten Verdacht, Aiwanger habe in seiner Jugend ein antisemitisches Flugblatt verfasst, bestand ein erhebliches öffentliches Interesse. Die Vorwürfe standen in eklatantem Widerspruch zu Aiwangers Ämtern als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Bayerns. Zwar lag der geschilderte Vorgang bereits 35 Jahre zurück, und Aiwanger war damals noch nicht volljährig. Jedoch waren die Vorwürfe so gravierend, dass darüber berichtet werden durfte, ohne seinen Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8 des Pressekodex zu verletzen.
Die Mitglieder des Presserats diskutierten, ob die nur schrittweise Offenlegung des Sachverhalts durch die Redaktion in aufeinanderfolgenden Artikeln die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verletzt haben könnte. Dieses Vorgehen war unter presseethischen Gesichtspunkten jedoch nicht zu beanstanden, weil der Redaktion von Anfang an hinreichende Anhaltspunkte für den geäußerten Verdacht vorlagen.

Update 13. Juni 2024: Die SZ hat für ihre Aiwanger-Berichterstattung den „Stern-Preis“ (ehemals Henri-Nannen) in der Kategorie „Geschichte des Jahres“ erhalten. Siehe SZ eigene Mitteilung, Fragezeichen bei Übermedien.  Medieninsider fragt: Wer soll das noch verstehen? Übersicht der Stern-Gewinner.

Ausblick: Hubert Aiwanger hatte zwar mehrfach rechtliche Schritte angekündigt oder sich zumindest „vorbehalten“ (was eine Selbstverständlichkeit ist) – es ist aber zu erwarten, dass er davon keinen Gebrauch macht. PR-ler würden ihm wohl auch zurecht davon abraten, denn die Medien würden ihm dies nur negativ auslegen („Opferrolle“, „Einschüchterungsversuche“), ganz gleich, zu welchem Ergebnis Gerichte kommen. Für die journalistische Qualität wäre der Verzicht auf eine juristische Klärung allerdings tragisch, weil dann weiterhin jeder die Rechtmäßigkeit der Verdachtsberichterstattung nach eigenem Gusto auslegen kann.

35 Gedanken zu „Medienkritik zur Berichterstattung über Aiwangers Flugblatt aus Jugendtagen

  1. Pingback: Schüsse ins Dunkel, unhygienisches Trinkwasser in Behörden und Berliner Föderalismus – Timo Rieg – Statements

  2. Andrew Mannerhouse

    Sie können noch 100 Seiten schreiben, das wird ihnen nichts nutzen.
    Ich habe das Flugblatt gesehen und ob Aiwanger der Autor oder Verbreiter des Nazi-Flugblatts ist,
    ist mir wurscht. Er hat sofort von allen Ämtern zurückzutreten.
    Und seine Aussagen zielten in der letzten Zeit ganz klar in Richtung AfD 2.0 .
    Also passt mal schön auf in Bayern , wo das hinführen kann.
    Den absolut negtativen Höhepunkt ist der Verweis auf Henryk Broder, die „dunkle Lichtgestalt“
    der Verschwörungskritiker, Corona- und Klimawandelleugner.
    Nein Danke!
    Ich glaube der SZ vor allen auch wegen der Kooperationen mit dem WDR und NDR in der Vergangenheit.
    Ich hoffe, daß noch vieles unter dem Teppich hervorgeholt wird von einigen braven Unternehmern und Politikern!

  3. Rob

    Joh 8.7: Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
    Joh 8.9: Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand!

    Ein Schlelm der mehr als journalistischen Ehrgeiz in so einer Enthüllung sieht!

    Ich erinnere an einen ehemals beliebten wetterfrosch des TVs – der letztlich juristisch erwiesen fälschlich beschuldigt, inhaftiert und von mehreren großen Medien und öffentlichen Personen moralisch und zeitweise finanziell, beruflich und menschlich zu Grunde gerichtet wurde! … Ohne große Reue meine ich….!

  4. Rob

    Jeder der hier Schadenfreude verspürt, ob man den Aiwanger nun mag oder nicht, ….. Sollte auch und vor allem moralisch – mindestens auch mal die eigene Jugend vor dem inneren Auge vorbeiziehen lassen! Wer ernsthaft behauptet keinen einzigen Fehler gemacht zu haben…. Der hat nie gelebt!

    Schuld ist juristisch in Deutschland erst nach einem Urteil rechtskräftig! Alles andere bleibt eine persönliche Meinung…. Die jedem privat erlaubt sei! Aber die gehört nicht als Fakt gefaked im Wahlkampfendspurt in eine Schlagzeile eine überregionalen Zeitung ….. Das hat mehr als ein Geschmäckle oder nicht? !

  5. Bernd

    Andrew Mannerheim schrieb folgenden Trollversuch:
    >Ich glaube der SZ vor allen auch wegen der Kooperationen mit dem WDR und NDR in der Vergangenheit.

  6. Leonhard R.

    Dass das Pamphlet, egal von wem verfasst, unter jeder Würde ist, steht ausser Zweifel.
    Aber der SZ Artikel ist keine Sternstunde für die deutsche Presse.
    Die Kritik ist angebracht. Der Artikel verstößt mehrfach gegen den Pressekodex. Wenn schon Licht ins Dunkel der politischen Jugendsünden gebracht werden soll, dann bitte bei allen Politikern. Da gäbe es viel zu Schreiben. Gleichheitsgrundsatz.
    Es ist m. E. Aufgabe der Justiz zu ermitteln., wenn es etwas zu ermitteln gibt. Dürfte verjährt sein.
    Wieso wenden sich die anonym bleiben wollenden Zeugen nicht dahin?
    Bei der Tragweite vermisse ich einen Hinweis zur Glaubwürdigkeit wie etwa „der Redaktion liegt eine eidesstattliche Erklärung der Zeugen vor“.
    So erscheint der schlecht recherchierte Artikel eher als schäbiger, unglaubwürdiger Eingriff in den Landtagswahlkampf. Er schadet allgemein dem Image der Presse und befeuert höchstens das inmer mehr zitierte Wort „Lügenpresse“.
    Gut, dass es noch einige Medien gebt, die etwas abwägender an das Thema herangehen und nicht sofort ungeprüft abkupfern, um im Kampf um die Klicks und Auflagenzahlen dabei zu sein.
    Nach 35 Jahren hat das mit Aktualität nichts mehr zu tun. Es käme auf ein paar Wochen nicht mehr an.
    Eine so billig aufgemachte Berichterstattung mit Unterstellungen erwarte ich eher in totalitären Staaten.

  7. Jürgen Winnikes

    Man kann schon den Eindruck haben, die SZ macht hier Wahlhilfe für die Grünen um den populären Aiwanger zu erledigen. Wenn man bedenkt dass er wohl erst 16 Jahre alt war zu dem Zeitpunkt, kann man wohl eher von dummen Jugendsünde sprechen. Zudem wohl der Verfasser dieses Pamphets sein älterer Bruder ist. So verfolgt die gute SZ den „Aiwangerclan“ was sie ansonsten sicherlich als unfair ansehen würde. Ich kann mich an diverse Jugendsünder von Grünen Herrschaften erinnern sei es das Thema Sex mit Kindern oder totalitären Maoismus. Da hatte die SZ gerne relativiert und Verständnis gezeigt.

  8. Markus Schmidt

    Es fehlen noch wesentliche Fragen zur Transparenz: Wann wurde die „Recherche“ durchgeführt (vor 3 Jahren oder 3 Monaten) und wann wurde sie der SZ zugetragen? Wurde die „Recherche“ von der SZ oder einer anderen „Interessengruppe“ durchgeführt? Wer hat die „Recherche“ bezahlt oder von wem wurden die „investigativen Journalisten“ bezahlt? (Wenn man den Aufwand grob abschätzt, kommt man locker auf einen 5-stelligen Betrag.) Wie wurden die „Zeugen“ ausfindig gemacht, ohne die heute gültigen Datenschutzgesetze zu verletzen? (24 Zeugen von vor 35 Jahren) Aus welcher Akte stammt das Flugblatt? Ist es ein Original oder ein Fake?
    Es besteht für mich aufgrund der nicht unerheblichen „Investitionen“ der Anfangsverdacht der Bestechlichkeit/Erpressung einzelner Mitglieder der Redaktion der SZ, diesen Artikel zu veröffentlichen. In einem Rechtsstaat würde eine Staatsanwaltschaft allein wegen des öffentlichen Interesses ermitteln.

  9. Heinz Berthold

    Heute hat Frau Esken Konsequenzen von Hubert Aiwanger für das Flugblatt seines Bruders gefordert. Als SPD-Wähler kann ich nur sagen, nie wieder SPD, wenn Parteispitzenmitglieder wieder für die Einführung der Sippenhaft sind.
    Der bayrische Wahlkampf interessiert mich als Sachsen gar nicht, aber was hier läuft ist „unterirdisch“. Vielleicht hat die AFD mit ihrer „Lügenpresse“ doch recht, obwohl ich das immer bestritten habe.

  10. Schad

    Ich bedanke mich ausdrücklich für diesen Artikel und die Bewertung durch Journalisten. Man muss als Ortskundiger Bayer darauf hinweisen, dass bei der Demo in Erding viele Menschen waren, die noch nie davor in ihrem Leben auf einer Demo gewesen sind, mein Vater eingeschlossen der heute über 70ig ist. Viele normale Menschen waren vor Ort. Herr Aiwanger hat eine sehr lange Rede gehalten, die von einer großen Mehrheit mit Jubel bestätigt wurde. Kritisiert wurde er, wegen einer Aussage. Auch damals hat die gleiche Journalistin, die jetzt im Dreck gewühlt hat, bereits unseren Politiker ins rechts Eck gestellt. Wir in Bayern dürfen froh sein, die freien Wähler zu haben, in Ostdeutschland wählen dafür heute viele die AFD. Man wird sich die Augen reiben, wenn dort die nächsten Wahlen stattfinden, der Bürgerprotest wird nicht aufhören, bis unsere Politiker sich mit den ersthaften Problemen beschäftigen, das Gendern und auch der Klimawandel alleine gehört nicht dazu.

  11. Klaus Hagen

    Eine Frage ist noch offen, ich würde mich da über eine juristische Bewertung freuen. Offenbar lag der SZ ja auch eine „Facharbeit“ Aiwangers vor, die mutmaßlich auf der gleichen Schreibmaschine geschrieben wurde. Meines Wissens werden selbst Abiturklausuren nach 10 Jahren vernichtet. Wie kam die SZ an die Facharbeit? Und ist das Herausgeben einer solchen an die Presse nicht eine Verletzung von Datenschutz bzw. Persönlichkeitsrecht?

  12. Admina

    Sehr lange Einordnung einer Causa und hitzigen Debatte, die mit einem „Ich war jung und blöde“ am gleichen Tag den Wind aus den Segeln genommen hätte. Nach mehr als 36 Stunden stürzt sich statt dessen der Bruder ins Schwert.
    Ich habe vor meinem geistigen Auge zwei Pubertiere, die kichernd vor besagter Schreibmaschine sitzen und sich in Formulierungen übertreffen.

    Eine Gesinnung heute davon abzulesen, ist tatsächlich schwierig. Aber Aiwanger als „Freier Wähler“ stand schon 2012 gegen den ESM zusammen mit Beatrix von Storch bei einer Kundgebung auf der Bühne. Rechte Gruppierungen hatten dafür Werbung gemacht.
    https://www.aida-archiv.de/2012/06/02/wenn-die-npd-nicht-weiter-auffaellt/

    Die Beispiele „So ging man mit anderen Skandalen um“, sind eben jener Whataboutism, der als Schlagwort weiter oben falsch angesetzt wurde. Bei Sarah-Lee Heinrichs aus einem Pro und Contra-Artikel Broder zu nennen und Posener zu unterschlagen, ist hier unzulässig falsch, wenn man „neutrale“ Medienkritik verfassen will.

    Dass es sich bei dem Pamphlet um antisemitisch konnotierten Müll handelt, sollte nicht abgestritten werden, von niemandem. Wolffsohn wundert mich nicht, Beck schon.

    Die SZ berichtet übrigens auch gestern, dass man an mehreren Tagen zwischen dem 17. und 24. August versucht hatte Aiwanger zu befragen zu der Angelegenheit, warum hat der nicht geantwortet? Wollte er es aussitzen?
    https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/aiwanger-auschwitz-soeder-mallersdorf-pfaffenberg-freie-waehler-csu-bayern-wirtschaftsminister-niederbayern-burkhart-gymnasium-kz-konzentrationslager-vernichtungslager-afd-e179725/?reduced=true

    Kleiner Zusatz für den Kommentator Schad:
    Ich bin bald 70, ich wäre niemals nach Erding zur Demo gegangen. Da waren keine „normalen“ Leute, da waren aufgeheizte Parolenschlucker.

  13. Christof Moos

    Ich melde mich aus der Schweiz, ich hoffe, das ist genehm.
    Meiner Meinung nach, ist es sonnenklar, dass die SZ mit ihrer Veröffentlichung
    eine Agenda verfolgt. Hoffentlich geht das Kalkül nicht auf.
    Der Plattform SpiegelKritik gebührt mein ganzer Respekt für die umfängliche und detaillierte
    Aufarbeitung dieser SZ/Aiwanger Affäre.

  14. Cornelia Schielein

    Eine kurze Antwort auf den Kommentar von #admina:
    Sie schreiben:
    „Kleiner Zusatz für den Kommentator Schad:
    Ich bin bald 70, ich wäre niemals nach Erding zur Demo gegangen. Da waren keine “normalen” Leute, da waren aufgeheizte Parolenschlucker“

    Das ist schon seltsam, so etwas zu schreiben, finde ich. Fällt Ihnen selber dabei nichts auf?
    Auch ich war mit über 60 erstmalig auf der einen oder anderen Demo in den letzten Jahren (übrigens habe ich mein Leben lang eher linksliberal gewählt, das muss man offensichtlich heute dazu sagen) und habe mir danach verwundert die Augen gerieben, auf welch „rechtsradikalen Demos“ ich, laut Mainstreammedien gewesen sein soll. Alles Bürger aus der Mitte der Gesellschaft. Alle Alters- und Bildungsschichten, friedliche Zusammenkünfte, die aber völlig anders geframt wurden.
    Sie waren nicht dabei in Erding, wissen aber, dass da keine „normalen“ Menschen, sondern aufgeheizte Parolenschlucker waren.
    Interessant. Und aufschlussreich.

  15. Angelos Batalakis

    Die Schlagzeile der SZ war: „Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben“.

    Das ist die totale Bankrotterklärung eines unter die Räder gekommenen Blatts, deren Gesinnungsjournalisten sich laufend beim Haidhausener Lifestylegrünenmilieu anbiedern müssen, um sich die Münchener Mieten gerade noch leisten zu können.

  16. Inge Geißler

    Hubert Aiwanger ist ein niederbayerisches Bauernkind, was man jetzt auch noch immer bei seiner Aussprache hört. Im niederbayerischen Dialekt gibt es keinen Genitiv. Niemand dort würde sagen „dieses Wettbewerbes“ sondern „von diesem Wettbewerb“. Auch „die zu gewinnenden Preise“ würde so niemand formulieren. Sein Bruder war im Jahr zuvor sitzengeblieben, woraus ich schließe, dass auch er grammatikalisch kein perfektes hochdeutsch beherrscht haben dürfte. Daraus schließe ich, dass der geistige Inhalt nicht von den Aiwanger Brüdern, die damals 16 und 17 Jahre alt waren, stammen kann. Desweiteren hat der Text keinen einzigen Tippfehler, der mit Tipp-Ex ausgebessert wurde. Das hat sicher damals ein Erwachsener mit viel Schreiberfahrung getippt. Warum der oder die nicht genannt wird, sollte hinterfragt werden.

  17. Herr Vorragend

    Die offensichtliche Symbolik bei 1.1.88 entgeht Ihnen vollkommen.
    Sie relativieren hier in unerträglicher Weise Antisemitismus. Und Ns Verharmlosung.
    Und das in einem so langen Text. Zum Whataboutism wurde bereits geschrieben…
    Die klare Agenda ist hier offensichtlich.

  18. Tg

    @Herr Vorragend, die Symbolik ist mir nicht entgangen, weil sie medial diskutiert wurde. Dabei wird nur wie so oft der Zeitkontext übersehen. In Ihren Augen von heute sieht halt manches anders aus als Sie selbst es damals gesehen hätten.
    Dazu gehört auch die SZ-Einordnung des Strafreferats mit den Worten: „Was viele heute für eine fast schon skandalös milde Strafe für dieses Pamphlet halten.“
    Es ist aber völlig irrelevant, wie angemessen oder unangemssen das HEUTE jemand findet, weil eben auch das Ereignis vor 35 Jahren stattfand. Es ist kein unzulässiger, sondern ein notwendiger Relativismus zu sagen: „das war eine andere Zeit“. Zahlreiche Leute haben in den Social-Media z.B. völlig zutreffend darauf hingewiesen, welche Art von Witzen damals üblich bzw. verbreitet war.

    Wenn Sie mir meine Agenda erläutern würden, wäre ich Ihnen dankbar. Und dann vielleicht zum Abgleich auch Ihre noch.

  19. Herta Flor

    Die Süddeutsche hat im Fall des Wissenschaftlers Niels Birbaumer durch eine vergleichbare Verdachtsberichterstattung auf der Basis anonymer Quellen dazu beigetragen, dass es zu einer ungerechtfertigten Verurteilung über angebliches wissenschaftliches Fehlverhalten kam und hat so wichtige Forschung zu Gehirn-Computer-Schnittstellen für schwer kranke Menschen behindert. Siehe https://www.communication4als.com/ Dieses Vorgehen der Süddeutschen hat Methode.

    [Red: siehe zur Einordnung Wikipedia:Niels Birbaumer]

  20. Herr Vorragend

    Es liest sich nunmal wie eine Verteidigung für das, jugendliche, Geschreibsel dieses Herrn, bzw was er verbreitet habe…
    Die Agenda, die ich herauszulesen glaubte, ist die Relativierung von verbalen Entgleisungen im konservativen und rechten Spektrum. Gerne mit dem Verweis auf „die anderen haben auch was falsch gemacht“. Ich habe das allerdings nur an diesem Text festgemacht, ohne weitere Recherche…

    Was mich aber am meisten stört ist der Mangel an Einsicht, Selbstreflexion bei vielen der genannten Politikern und innen. Einfach mal zugeben, ja, war echt nicht so richtig clever, … Aber gerade aktuell scheint es ja so, als würde Herr A. sich mit ähnlich grenznah sich äußernden Personen, Gruppierungen gemein machen. Und die Frage, wie fest ein stellvertretender Ministerpräsident auf dem Boden des Grundgesetzes steht, die halte ich tatsächlich für relevant und berichtenswert…

  21. Herr Vorragend

    Es ist kein unzulässiger, sondern ein notwendiger Relativismus zu sagen: “das war eine andere Zeit”.

    Das ist nach meinem Dafürhalten ein gefährlicher Relativismus. Er entbindet mich von moralischer Verantwortung. Fehlverhalten ließe sich dann immer mit „den Umständen“ entschuldigen… Es muss doch Dinge geben, die absolut, jenseits eines Zeitgeists, moralisch falsch sind. Und NS Verharmlosung war auch in den 80ern schon falsch, egal, wie viele Leute ähnliche „Witze“ gemacht haben.
    Ob und welche Konsequenzen das für Herrn A. heute haben sollte, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch und gerade wenn man ihn nach gegenwärtigem Tun und Rede beurteilen mag, findet sich sicherlich Angriffsfläche…

  22. Menschin

    35 Jahre alte geistige Ergüsse pubertierender Pennäler kann man kritisieren, muss man aber nicht. Ich bin keine Juristin und keine Journalistin, aber ist die unprofessionelle Berichterstattung der SZ Redaktion möglicherweise verfassungsrechtlich strafwürdig? Z.B. Verstoss gegen StGB Volksverhetzung wegen tausendfacher Verbreitung Holocaust-verharmlosender Schrift in Print und Internet? Hätte die SZ nicht nur Auszüge kommentieren dürfen? Das vor 35 Jahren nur in einem sehr kleinen Kreis verbreitete Flugblatt wurde erst durch die SZ zum Massenerzeugnis. Werden dadurch die Opfer des Holocaust nicht erst recht und aktuell verunglimpft? Oder möglicher Versuch der unzulässigen Beeinflussung einer demokratischen Wahl 6 Wochen vor der Wahl & 3 Tage vor Versand der Briefwahlunterlagen?

  23. Rudolf Dölling

    Eine zeitliche Einordnung der Vorgänge verlangt auch, dass man im Jahr 1980 noch wegen eines Buttons ‚Stoppt Strauss von einem bayerischen Gymnasiums geworfen wurde.

    Ja, die Berichterstattung der SZ kann man als tendenziös bezeichnen. Nur, bitte, lassen wir auch da die Kirche im Dorf. Herr A pöbelt auf Teufel komm raus und begründet das mit seinem ‚ mia san mia ‚ Verständnis von bayerischen Gepflogenheiten. Das sei ihm gegönnt. Dass er aber kneift, wenn es eng wird, gar jammert, das stellt einen Charakterzug heraus, der ihn als politische Führungspersönlichkeit disqualifiziert.

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  25. Margit Rosa

    Welch eine schmutzige Kampagne. Wir haben den FW in Bayern sehr viel zu verdanken. Die SZ hat nur Vermutungen. Wann recherchieren diese Journalisten im Kindergarten? Was man als Kind gesagt hat, wird dem Erwachsenen zum Verhängnis. Widerlich diese Berichterstattung, widerlich die Reaktion der Politiker obwohl nichts bewiesen ist. Den Oppositionellen ist jedes Mittel recht, den Konkurrenten auszuschalten. Herr Aiwanger ist einer der wenigen Politiker der ein Ohr und Verständnis für uns Bürger hat. Niemals ist Herr Aiwanger ein Rechtsradikaler Mensch oder Antisemitist.
    Irgendjemand hat ein Interesse daran ihn fertig zu machen.

  26. Asam

    Vom inhaltlichen Aspekt her spiegelt das Flugblatts m.E. auf sehr unappetitliche und dümmliche Weise die Protest-Gedankenwelt Heranwachsender wieder. Ich würde mal vermuten, dass es dem infantilen Verfasser hier hauptsächlich um die Einnahme einer möglichst krassen Gegenposition zur allgemein akzeptierten Linie der Schule gegangen ist. In diesem Alter ist das häufig so, dass Protest, Provokation und eine Schwarz-Weiss-Sicht im Vordergrund stehen, das gehört aber zum Erwachsenwerden dazu! Die Schule hat das damals offensichtlich auch so eingeschätzt und pädagogisch sinnvoll ein Referat als Sühnemaßnahme angesetzt. Wenn ich mich selbst zurückversetze in die Zeit Ende der 80er, als ich auch in dem Alter war, sehe ich durchaus Parallelen: Auch ich habe damals mit 16-18 mit extremen Positionen gearbeitet. Dabei war es mir im Allgemeinen weitgehend egal, welche politische oder soziale Richtung das war, ich habe immer das benutzt, was mir die größtmögliche Konfrontation ermöglicht hat. Und Trigger gab es auch auf meiner Schule jede Menge, ein Beispiel: Mein LK-Lehrer Geschichte war leider nicht in der Lage, Geschichte aus anderen Blickwinkeln als dem extem linken Standpunkt zu betrachten (vielleicht war er in seiner Schwarz-Weiss-Entwicklungsstufe hängengeblieben?). Alle meine Versuche, eine etwas differenziertere Herangehensweise an geschichtliche Ereignisse einzuschlagen, wurden abgeblockt und mit Stereotypen wie „das waren Kapitalisten,Faschisten oder Militaristen“ belegt. Das hat mich damals sehr erzürnt, denn mir war doch bewusst, dass man ohne ein möglchst unvoreingenommenes „audietur altera pars“ Geschichte niemals richtig verstehen und auch keine brauchbaren Lehren für die Zukunft daraus ableiten kann. Also habe ich es dann in meinem jugendlichen Leichtsinn für meine Bestimmung gehalten, diesen fehlenden Blickwinkel ergänzend einzubringen, musste dann aber schnell feststellen, dass ich damit meine Mitschüler wie auch meinen Lehrer komplett überfordert habe: Ich wurde von meinem Lehrer wahlweise als „Büttel des Kapitals“ (mein Aufsatz zur industriellen Revolution) und „faschistischer Agitator“ (mein Referat zur Reichstagswahl 1932) beschimpft und mit miesen Zensuren dafür abgestraft. Mein Ansehen an der Schule war dann auch dementsprechend („der ist ein Nazi“). Lerneffekt auf meiner Seite nach über einem Jahr zunehmend ermüdender Konfrontation war: Halt bis zum Abi einfach den Mund, steh die kurze Zeit durch,vermeide weitere Konflikte und vergiss vor allem eine berufliche Perspektive mit Geschichte – denn gerade auf der Uni wirst du mit solchen „Lehrkörpern“ massiv in Konflikt geraten. Das ich damals meine große Passion für Geschichte aufgegeben habe, bereue ich aber bis heute schmerzlich.
    Was mir deshalb in der aktuellen Diskussion um Herrn Aiwanger fehlt, ist ein klareres Bild für Kontext und die genauen Beweggründe für dieses Flugblatt (vielleicht ging es den Aiwangers auf der Schule ja ähnlich wie mir!). Als eher linksliberal orientierter Mensch teile ich Herrn Aiwangers generelle politische Richtung sowieso nicht, aber meine Wahlentscheidung hätte diese künstlich aufgebauschte und aus dem Zusammenhang gerissene sogenannte „Affäre“ definitiv nicht beeinflusst!

  27. Dr. Helmut Falser

    Ich finde Ihre Analyse sehr überzeugend. Die SZ hat keinerlei vom Bürger erteiltes Mandat, setzt aber ihre Reichweite und damit Medienmacht in einer Art und Weise ein, die einem kriminellen, massiven, gezielten Eingriff in das Wahlergebnis und damit letztendlich in die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Menschen in Bayern geich kommt. Das hat sie auch schon in Österreich betrieben, als sie die ÖVP/FPÖ Gegierung diskrikiniert und letzendlich zerstört hat, obwohl die messbaren wirtschaftlichen und gesetzgeberischen Massnahmen damals recht ordentlich waren. Die Frage ist, wie und wer hier einen wirksamen Gegenangriff durchführen kann. Er wäre dringend notwendig.

  28. Pingback: „Die Vorverurteilung quillt aus allen Textstellen“ – Hintergrund

  29. Marius Fuhrmann

    Ähm, für den Antisemitismus in dem Flugblatt ist kein Maßstab gegeben?
    Ich würde mal sagen, sechs Millionen ermordete Juden sind Maßstab genug und da in dem Flugblatt von Auschwitz die Rede ist…

    Hier nimmt sich die Analyse zu wichtig. Warum nicht gleich die SZ dafür kritisieren, wie sie die Satzzeichen gesetzt hat?

  30. Tg

    @Marius Fuhrmann: Das sehen aber selbst einige der prominentesten Vertreter des Antisemitismus-Vorwurfs differenzierter. Sie argumentieren mit einer Verharmlosung oder Verhöhnung der Opfer. Und da wird es dann eben schon schwieriger. Ich verzichte hier auf Beispiele, weil das immer schief geht (unter anderem, wenn „vergleichen“ und „gleichsetzen“ nicht unterschieden wird). Ein beispielloses Stichwort wäre, wer alles als „Nazi“ bezeichnet wird, ohne dass darin eine Verharmlosung der wahren Verbrecher bzw. Verbrechen gesehen wird. Ich lege ja auch selbst gar keinen Maßstab an, ich frage nur nach ihm, um damit dann andere (SZ-)Berichterstattungen prüfen zu können. Und dass nicht jeder in dem Flugblatt Antisemitismus sieht, belegt schlicht das Korpus.

  31. Pingback: Rechtfertigung der SZ verdeutlicht Qualitätsdefizite ihrer Berichterstattung | SpiegelKritik

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