Archiv der Kategorie: Qualitätsdebatte

Framing statt Berichterstattung

DJV-Blog korrigiert intransparent

Die journalistische, also kollegiale Reaktion auf einen Reformaufruf für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), “Meinungsvielfalt jetzt“,  fiel vor allem kommentierend auf – und wenig berichtend. Dass ausgerechnet bei einem solchen Medienthema Journalisten selbst wieder meinen, den Diskussionston angeben zu müssen, anstatt zunächst einmal nach sachlicher Berichterstattung die Reaktionen des (also: ihres) Publikums abzuwarten, zeigt wohl schon einen wesentlichen Teil des Problems. Weiterlesen

Bauern-Protest und demokratische Kultur in der Tagesschau

Die Tagesschau präsentiert zum heutigen Beginn der “Bauernproteste” online als erste Meldung:

>Forscher, Verfassungsschützer und Politiker warnen: Extremisten unterwandern zunehmend Demos. Von den Landwirten fordern sie eine klare Abgrenzung. Wenn an Traktoren Galgen hängen, sei eine Grenze überschritten, so Minister Habeck.<

Entgegen der Ankündigung im Teaser kommen jedoch nur ein Forscher und ein Verfassungsschützer im Beitrag zu Wort. Nach welchem Kriterium die beiden ausgewählt wurden, wird nicht dargelegt. Damit ist u.a. völig unklar, ob ihre Positionen als repräsentativ für ihr Metier gelten können – was bei dem Allgemeinbegriff “Forscher” schon an sich unmöglich wäre. Eine Vielfalt an Perspektiven kann so keinesfalls aufgezeigt werden, womit das Qualitätskriterium der Vollständigkeit tangiert ist.

Denn was der zitierte Forscher Matthias Quent (Institut für demokratische Kultur, Hochschule Magdeburg-Stendal) vorträgt, sind vor allem Bewertungen, ja konkrete Handlungsempfehlungen: Weiterlesen

Die SZ-Berichterstattung über das “Auschwitz-Pamphlet” ist mindestens handwerklich defizitär

>Der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger steht im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst und im Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ausgelegt zu haben.<

Mit diesem Satz eröffnete die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Freitag eine vermeintliche Top-Story, die sofort von Medien im ganzen Land aufgegriffen wurde.

Doch die Berichterstattung der SZ hat schwerwiegende Qualitätsmängel, von denen ich vier skizzieren möchte.

Der erste Schwachpunkt ist, dass die SZ die Relevanz ihres Themas nicht nachvollziehbar begründet hat. Von heute aus betrachtet scheint sie klar: schließlich berichten alle intensiv, die Emotionen kochen hoch. Doch das wäre unlauter. Zu prüfen ist, ob wir es mit einer Orientierung bietenden Aufklärung zu tun haben oder mit einer Skandalisierung, die von Eigeninteressen der Medien und möglicherweise auch von einigen der in ihr vorkommenden Protagonisten getrieben wird. Weiterlesen

Autopsie: Lauterbach fürchtet Winterwelle – und rügt Länder für »populistische« Lockerungen

Der folgende Beitrag von Marc Röhlig, Spiegel-Online kann stellvertretend für tausende solcher Artikel es Corona-Journalismus stehen. Wir stellen in erster Linie Fragen zur Argumentation. Dass sich der Beitrag auf Äußerungen des Bundesgesundheitsministers im Bayerischen Rundfunk stützt, steht dem nicht im Wege. Denn den BR-Beitrag gibt es ja bereits, journalistisch neu kann daher gerade nur die Beantwortung von relevanten Fragen sein. Zudem gibt es wieder Unrichtigkeiten (mindestens drei). Weiterlesen

Autopsie: Das Ende der Maskenpflicht naht

Als Beispiel für die anhaltenden Probleme des Corona-Journalismus wird nachfolgend eine längere, ungekürzte Artikel-Passage auf Qualitätsdefizite hin untersucht. Die Passage entstammt dem Artikel “Das Ende der Maskenpflicht naht” von Deniz Aykanat, Thomas Balbierer, Johann Osel und Lisa Schnell in der Süddeutschen Zeitung (Print vom 23.11.2022, online seit 22.11.2022, jedoch datiert auf 23.11.). Diskussion bzw. Hinweise zu den Befunden sind wie immer willkommen. Weiterlesen

Wozu Recherche, wenn man von Verschwörung schwurbeln kann?

Nein, “die Medien” machen in der Berichterstattung über Fynn Kliemann und den “Masken-Skandal” nichts falsch. Wie sie auch sonst stets akkurat arbeiten (von der Bild abgesehen), weshalb man nichts so schwer in den Medien findet wie Medienkritik. Als Attest für die journalistische Akkuratesse darf u.a. gelten, dass die Kollegen von Übermedien nichts an den Medien, aber viel an Fynn Kliemann zu beanstanden haben. So wie auch unser Lieblingsmedium Spiegel, das gerade nochmal für seinen Podcast “Stimmenfang” recherchiert hat:

“Das Ehrlichste, was sich Fynn Kliemann eingestehen müsste, ist, dass er selbst sein größter Feind ist, nicht die Medien, nicht die woke linke Szene, nicht irgendwelche wild gewordenen Reporter. Es ist Fynn Kliemann selbst, der sich immer wieder in irgendwelche Schwierigkeiten bringt, weil er eine fast schon verzerrte Wahrnehmung von sich selbst und dem, das er da tut, hat.”

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Beherzt aber faktenfrei gegen Bürgerräte

Journalistische Medienkritik zielt vor allem auf die Aspekte Richtigkeit und Ethik. (Wir haben das mal in einer Stichprobe fürs Bildblog ausgezählt, da war es überdeutlich, und wer sich die etwas über den Insiderkreis hinausreichenden Qualitätsdebatten in Erinnerung ruft, wird das bestätigt sehen: entweder schreibt die BILD-zeitung Quatsch (“lügt”), oder sie betreibt Hetze – das sind die Standardvorwürfe.) Gerade hatten wir wieder eine unerquickliche Diskussion um “False Balance“, die von viel Gefühl und wenig Fakten gespeist wurde und in dem ganzen Durcheinander letztlich wieder auf ethische Fragen hinauslief.

Womit wir uns in der Medienkritik nur selten beschäftigen, ist u.a. die Argumentation von Beiträgen (in der  Literatur noch sperriger “Argumentativität” genannt). Falsche Behauptungen kann man greifen. Aber unlogische Schlüsse, unpassende Vergleiche, rhetorische Tricks der Irreführung und vieles mehr verlangen eine sehr ausgefeilte Diskursanalyse.

An einem Beispiel soll die Problematik gezeigt werden. Es geht um einen Artikel, der die Dachzeile “Hintergrund & Analyse” trägt, aber nur kopfschüttelnd zurücklassen kann, wer ein wenig Ahnung vom analysierten Thema hat. Aber wie greift man das? Was ist eindeutig falsch, was abwegig, was eine – wie zu bewertende – Meinung?Es geht um den (inzwischen überwiegend beendeten) Hungerstreik in Berlin, mit dem ursprünglich sieben junge Leute ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten zur Klimapolitik erzwingen wollten. Weiterlesen

False Balance

Zu den Fehlinterpretationen von Jan Böhmermann, Dirk Steffens und Georg Restle

Zu den Lieblingsthemen der Medienjournalisten zählen Fake-News, Verschwörungtheorien und “False Balance”, die der Einfachheit halber um dieselbe Diskussion kreisen: Was darf oder muss in die Nachrichten, was gehört gategekeept? Die Argumentationen, die letztlich natürlich immer die Bedeutung des Journalismus herausstellen sollen, stolpern bei diesen drei verwandten Themen  über dieselbe Herausforderung: nämlich Fakten und Meinungen zu unterscheiden, sowohl beim Input (Recherche) als auch beim Output (Vermittlung).

Das Vermengen von Fakten und Meinungen über diese Fakten ist im Journalismus allgegenwärtig. Wie hoch dabei die Anteile von Schludrigkeit, Unvermögen und Propaganda sind, wäre eine der vielen Forschungsaufgaben für die Journalistik; für die reine Problembenennung ist dies egal, relevant ist es allerdings für Aus- und Fortbildung. Im “Corona-Journalismus” ist die falsche Einordnung von Fakten und Ansichten wohl der zentrale Grund für seine Dysfunktion. Weiterlesen

“3G-Pläne für Bahn- und Flugverkehr” und der Kolportagejournalismus

Eine vielleicht auf den ersten Blick völlig unspektakuläre Meldung der Tagesschau eignet sich gut, um die anhaltenden Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus aufzuzeigen. Abgesehen von Gegenreden zu einzelnen Punkten wird es einen generellen Einwand geben: Die hier geforderten journalistischen Recherchen ließen sich nicht für eine simple Meldung rechtfertigen.
Doch. Denn unvollständige Informationen sind in vielen Fällen Desinformation, und das lässt sich im vorliegenden Fall gut zeigen. Hätte die Tagesschau solide recherchiert (bzw. einfach die ihr ohnehin vorliegenden Informationen verarbeitet), wäre etwas ganz anderes dabei herausgekommen als eine Verlautbarung von Regierungs- und Gewerkschaftsstatements. Dies Leser bekämen ein völlig anderes Bild, wenn ihnen all das angeboten würde, was zur Beurteilung der politischen Idee notwendig ist.

Unter der Überschrift “3G-Pläne für Bahn- und Flugverkehr” schreibt die Tagesschau am 27. August 2021 (linke Spalte; rechts die Anmerkungen): Weiterlesen