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Demokratisierung der Rundfunkräte

Die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sogenannten „Rundfunkräte“ (beim ZDF: Fernsehrat; beim Deutschlandfunk: Hörfunkrat), sind alles andere als divers besetzt. Sie sollen zwar die Zivilgesellschaft vertreten, spiegeln die Gesellschaft jedoch nicht wider (siehe die Auszählung „Repräsentativität in Rundfunk- und Fernsehrat – Eine vergleichende Analyse der Diskrepanz von Besetzung und Demografie„, von Jasmin Koch, Sabine Schiffer, Fabian Schöpp und Ronja Tabrizi, journalistik 1/2023).

In einem Essay für epd Medien (Heft 9/2023) habe ich daher erneut vorgeschlagen, die Rundfunkräte per Los zu besetzen: Bürger in die Räte (via Turi2). Wie immer bei solchen aleatorischen Auswahlverfahren muss dann zugleich die Amtsdauer radikal auf eine Sitzungswoche begrenzt werden.

Bereits in epd Medien 39/2014 hatte ich das Modell skizziert, kurz nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts und noch vor der Neuaufstellung des ZDF-Fernsehrats (der später zwar pflichtgemäß die Zahl der Politker-Plätze reduziert, sonst aber nichts für mehr Vielfalt getan hat): „Stellvertreter für alle„. Heute dürfte die Auslosung angesichts der in Mode gekommenen Bürgerräte weniger befremdlich wirken als damals.

Zu demokratischen Losverfahren sei auch auf meinen Podcast ?Macht:Los! verwiesen.

Leberwurst-Journalismus und andere Journalismen

Nachdem es einige Leberwurst-Journalisten mit ihrer Erregung über Til Schweiger mal wieder (via dpa) bis in meine Provinzzeitung gebracht haben, sollten wir doch mal kurz über die Aufgabe von Kunst- und Medienkritik nachdenken.

Das Grundproblem der Schweiger-Kritiker dürfte sein, was etwa Spiegel-Online in einem Nachrichtenversuch so beschreibt:

„Das Verhältnis zwischen Til Schweiger und Film- und Fernsehkritikern ist angespannt. Der Regisseur und Schauspieler verzichtet oft darauf, seine Filme zu regulären Pressevorführungen vor dem Start zugänglich zu machen.“

Das klingt, als gäbe es einen Anspruch der Presse, Filme für Besprechungen sehen zu dürfen. Dem ist natürlich nicht so, und Schweigers Umgang mit der Presse dürfte bei professionellen Autoren keinerlei Auswirkungen auf die Werkkritik haben. Davon sind allerdings viele, viele Artikel über Til Schweiger weit entfernt.

Was die beiden aktuellen Tatort-Folgen „Der große Schmerz“ und „Fegefeuer“ sowie die Rezeption eines Facebook-Postings von Schweiger dazu anbelangt, machen die Leberwurst-Journalisten mal wieder keine gute Figur:

– Die beiden Folgen waren ohne Zweifel sehr gut inszeniert. Das Ergebnis muss niemandem gefallen (so wie auch niemand sehr guten Brokkoli mögen muss), aber was Schweiger an die Adresse des Regisseurs Christian Alvart schreibt, wird man cineastisch nicht beanstanden können.

– Dass eine „schlechte“ Fernseh-Quote von rund 20% (7,69 Millionen Zuschauer) Beleg für eine schlechte Sendung sein soll („kein Erfolg„), kann kein Kritiker ernst meinen. Sonst ist eben doch „BILD“ die beste Tageszeitung der Republik. Wenn sich für einen Münster-Tatort mehr Zuschauer finden, sagt das doch nicht das Mindeste über die Qualität des Hamburg-Tatorts. Muss man daran erinnern, was die meistverkaufte deutsche Fernsehserie ist? Soll das der Benchmark sein? (Ergänzung 2022, weil der Corona-Journalismus so viele grundlegende Bildungslücken gezeigt hat: Es lassen sich absolute Zuschauerzahlen wie auch die relativen Fernsehquoten von verschiedenen Tagen/ Zeiten nicht unmittelbar vergleichen, weil es sich um unterschiedliche Situationen handelt – u.a. ist die Grundgesamtheit der Fernsehzuschauer jeweils anders. Unmittelbare auf den Zuspruch schließen lassen nur Filme, die zur selben Zeit beginnen, gleiche Länge haben, von allen potenziellen Zuschauern empfangen und gleich gut bzw. gleich wahrscheinlich (nach Belegung der Fernbedienung) aufgerufen werden können.)

– Eine völlige Unsitte ist es, angeblich journalistische Produkte mit Beschreibungen von anderen Webseiten zu füllen (siehe Kritik 2011), insbesondere mit dem Wiederkäuen von Facebook und Twitter. Die Beiträge werden für die dortige Leserschaft geschrieben („Community“), und sie sind öffentlich für jeden Interessierten. Dort kann man sie auch diskutieren oder sich gegenseitig mit Schmähungen bewerfen – es ist vollkommen überflüssig, das als „Nachricht“ verkleidet auf Papier zu bringen.

– Aber wenn man dann schon als Leberwurst-Journalist+#_*in berichten will, was alle auf Facebook lesen können, sollte man es wenigstens verstehen, weil sonst jede Umformung (mehr Eigenleistung ist ja nicht zu erbringen) zu neuer Dichtung wird. (Und wer das schafft, wird im Schweiger-Posting nicht mehr viel Echauffierstoff finden – er ist medial belanglos.)

Wer die journalistische Leistung der deutschen Fernsehkritik bewerten will, solle sich ihren Umgang mit Til Schweiger anschauen (2), nicht nur im aktuellen Tatort-Fall. Das dürfte aufschlussreich sein.

PS: Weitere Journalismen
Irgendwo muss man mal die vielen sonstigen „Journalismen“ sammeln (ob nun mit Bindestrich oder ohne; die Quellenangaben behaupten nicht, es handele sich dabei um die jeweils erste Erwähnung). Z.B.:
Abschreibejournalismus (Nils Jacobsen, Meedia)
Behauptungsjournalismus (Thomas Knüwer u.a. über Gabor Steingart)
Borderlinejournalismus (Wikipedia; SPIEGEL wirft diesen Stil BILD-Chef Reichelt vor)
Erziehungsjournalismus (Jan Fleischhauer)
Eifersuchtsjournalismus (Profi-Journalisten vs. YouTuber…“)
—Fallschirmjournalismus (Parachute Journalism)
Fliegenschissjournalismus
Forderungsjournalismus
Gagajournalismus (SpKr)
Gonzo-Journalismus
— Hassjournalismus (Ingo von Münch: Die Krise der Medien, 2020: 35ff)
Kikeriki-Journalismus (Heribert Prantl über die Angst vor Bloggern)
—Konzernjournalismus (Wolf Stettler)
—Leberwurstjournalismus (SpKr, siehe oben)
Mülljournalismus (Stefan Niggemeier, Übermedien)
Phantasiejournalismus (SpKr)
Popeljournalismus (SpKr)
—Rudeljournalismus (Pack Journalism; Timothy Crouse)
—Sanso-Journalismus (schäfchenweich)“ (Heribert Prantl zu Konstruktivem Journalismus, 26. Januar 2017 bei NDR, nicht mehr online; Quelle)
—Schnappatmungsjournalismus (Marc Brost/ Bernhard Pörksen)
Seitennfülljournalismus (SpKr)
Shitposting-Journalismus
Skalpell-Journalismus (Samira El Ouassil, Übermedien)
Stichflammen-Journalismus (Fritz  Wolf, Der Freitag)
Troll-Journalismus (vom Experten „siegstyle“, der in unseren Anfangsmonaten hier unter jedem Beitrag rumgetrollt hat…)
Zirkusjournalismus (SpKr)
Zurufjournalismus (Felix Zimmermann, Übermedien)

PS2: Seriösere Journalismen
Neben den ganzen Ressort-Journalismen (Geschichtsjournalismus, Sportjournalismus etc.) gibt es noch ein paar Journalismen, die nicht gut in die obige Liste passen

Instagramjournalismus
Sensorjournalismus (1)

Anmerkungen/ Fußnoten:
(1) >>SUPERKÜHE ist die erste Auskopplung der Sensorstory […], die die Reporter Björn Erichsen, Jakob Vicari und Bertram Weiß zusammen mit Chapter One und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) entwickelt haben. Ein völlig neues journalistisches Format: Sensordaten füttern einen Textroboter, der vernetzten Tieren und Dingen um uns herum zu uns sprechen lässt.<< re:publica

(2) Siehe zu Berichterstattung über Schweiger auch 2023: „Sturz des Imperators“ und die kurze Anmerkung zur medialen Skandalisierung seines angeblichen Alkoholkonsums (wozu er sich ausführlich bei Matze Hielscher geäußert hat).

Ergänzung:

22.10.2019: Ob ich nun für die Zukunft in Sachen Schweiger bestochen bin? Er kommentierte heute bei mir an anderer Stelle:

hey hab durch zufall deinen kommentar zu meinem fb post gelesen 2016…????ich feier dich!!!!!!❤️Til

Letztes Update: 10. Juli 2024 

Ampelmännchen vom Hörensagen

Journalisten schreiben gerne von einander ab. Manche (Internet-)Magazine füllen sich gar überwiegend mit Wiedergaben dessen, was andere irgendwo geschrieben haben. Dass dabei wirklich jede eigene Recherche vermieden wird, ist oft genug penibel korrekt dokumentiert. So etwa beim Deutschlandfunk in der Causa „WDR-Zensur“*:

Nach Angaben der „Bild“ machte sich Plasberg in der Sendung zum Beispiel darüber lustig, dass es in Deutschland 190 Professoren für Geschlechterforschung gebe, 180 davon weiblich. Zudem habe er sich darüber mokiert, dass die Umbenennung eines „Studentenwerks“ in „Studierenden-Werk“ eine Million Euro gekostet habe.

Als Informationsquelle für Zitate aus einer Sendung dient nicht etwa die Sendung (die ja bisher u.a. auf Youtube gut zu finden ist und einem ÖRR-Journalisten auch sonst zugänglich sein sollte), sondern die BILD-Zeitung.

Eine Sendung, über die ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung nun ein Bohei gemacht wird, selbst anzuschauen, bevor man darüber berichtet, ist offenbar nicht selbstverständlich. Einfacher als in drei Minuten die Stellen (1 und 2) im Video zu suchen, an der sich Plasberg laut BILD über die Geschlechterforschung lustig gemacht haben soll, ist es natürlich, die BILD abzuschreiben.

*): Um was geht es? Gegen die „Hart aber fair“-Sendung „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“ am 2. März 2015 hatte u.a. die „Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungbeauftragten in NRW“ Programmbeschwerde beim WDR eingereicht. „Die Auswahl der Gäste** (war nicht dazu geeignet, eine faire Diskussion über Geschlechterforschung zu führen“, heißt es darin. Moderator Frank Plasberg habe manipulative Fragen gestellt. „Es handelt sich um einen ungeheuerlichen Machtmissbrauch des ‚Moderators‘, die neutrale Position zu verlassen und auf diese Art und Weise ZuschauerInnen manipulieren zu wollen. Es schien so, als solle der ‚gesunde Menschenverstand‘ beschworen und bedient werden, der sich seit Monaten montags auf der Straße zeigt.“
Auf Vorschlag des WDR-Rundfunkrat Programmrats war laut WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn kurz vor der Sitzung des Rundfunkrats am 18. August die Sendung aus der Mediathek genommen worden. Damit wurde die alte Sendung nun nochmal zu einem viel diskutierten Thema. Laut Meedia kündigte der WDR an, in Kürze eine neue Hart-aber-Fair-Sendung „zum Gender-Thema“ auszustrahlen.

**): Gäste der Sendung waren Anton Hofreiter (B’90/Grüne, Fraktionsvorsitzender) Birgit Kelle (Publizistin), Wolfgang Kubicki (FDP, stellv. Bundesvorsitzender), Sophia Thomalla (Schauspielerin), Anne Wizorek (feministische Bloggerin, #Aufschrei).

 

Aufregung im Herzen – Ein Pfarrer, Ehe für alle und journalistische Relevanz

sz-pfarrer-homoehe

„Pfarrer vergleicht Homosexuelle mit Sodomiten“ betitelt die Süddeutsche ein Stück aus Oberfranken – und der Medienkritiker geht in Habachtstellung: schließlich hatten wir gerade erst die Behauptung, Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer vergleiche „Homo-Ehe mit Inzest und Polygamie“, was man leider guten oder schlechten Gewissens als journalistische Fehlleistung bezeichnen musste.

Im Lead fasst Olaf Przybilla, Leiter des SZ-Büros Franken in Nürnberg und Wächterpreisträger, den Eklat so zusammen:

>>In einem Schreiben hat ein evangelischer Pfarrer in Oberfranken gleichgeschlechtliche Ehen mit Beziehungen zwischen Mensch und Tier in Verbindung gebracht.<<

Bei dem Schreiben handelt es sich um den „Kirchenboten“ der Evangelischen Kirchengemeinde Nemmersdorf (Goldkronach), in der Ortspfarrer Günter Weigel einleitend ein „geistliches Wort“ geschrieben hat, wie es in fast allen Gemeindebriefen üblich ist – hier „Andacht“ genannt. Die Zusammenfassung in der Süddeutschen Zeitung:

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Investigative Ahnungslosigkeit

Investigativer Journalismus ist, wenn Journalisten jede Frage in der gewünschten Weise beantwortet wird. Investigativ ist ansonsten auch noch, wenn man beklagen muss, dass Fragen nicht in der gewünschten Weise beantwortet wurden („investigativer Schmoll“). Als wenigstens noch behelfs-investigativ gilt, als Ersatz für die verwehrten Wunschantworten einen Darsteller des Vertrauens ins Fernsehbild zu setzen und ihn spekulieren zu lassen („investigative Flipchart“).
Was man sich jedoch nach Genuss der beiden investigativen Kirchenfinanz-Reportagen „Vergelt’s Gott – Der verborgene Reichtum der katholischen Kirche“ (ARD) und „Glaube, Liebe, Kapital – Die katholische Kirche und ihre Finanzen“ (ZDF) als Zuschauer fragen darf: Was wollen Journalisten eigentlich mit Haushaltszahlen der Kirchen, wenn sie nicht im geringsten in der Lage sind, diese Zahlen einzuordnen? Wo beginnt beispielsweise „Prunk“, wenn einem egal ist, ob etwas einen Euro oder eintausend Euro kostet?
Natürlich kann es jedem passieren, dass er eine Tabelle beim schnellen Überfliegen falsch liest, weil dabei die Legende ignoriert wurde. Aber was soll man von einem Film halten, in den es trotz einer – vor allem aus dem Blickwinkel freie Print-Journalisten – oppulenten Mitarbeiterschar (Autoren: Nina Behlendorf, Nicolai Piechota; redaktionelle Mitarbeit: Stella Könemann, Redaktion: Annette Uhlenhut, Beate Höbermann; Produktion: Denise Bischoff, Delia Gruber; Leitung der Sendung: Claudia Ruete) folgende Behauptung schafft:

„Im bislang geheimen Bischöflichen Stuhl stecken 92 Millionen Euro. Das ist 500-mal mehr, als Limburg an Kirchensteuern kassiert.“

Wie wenig Ahnung von Kirche und Finanzen muss man haben, um an dieser Stelle nicht aus dem Halbschlaf geschreckt zu rufen: Das kann doch wohl nicht sein! Nämlich sowohl, dass das 500-Fache der jährlichen Mitgliedereinnahmen auf der hohen Kante liegt (woher soll das Geld kommen?) als auch, dass ein ganzes katholisches Bistum nur ein Fünfhundertstel von 92 Millionen Euro jährlich an Mitgliedsbeiträgen bekommt? Wo doch schon der gescholtene „Protzbau“ zu Limburg über 30 Millionen Euro gekostet hat?

Leider musste man noch nicht einmal so investigativ sein, die Haushaltszahlen des Bistums selbst zu erfragen. Es reicht, die Reportage von ZDF-Zoom eine Minute zurückzuspulen, um den Fehler zu finden:

ZDF-Zoom-Fehler-Kirchensteuer

Wie üblich wurden in den Tabellen aus Gründen der Übersichtlichkeit ein paar Nuller weggelassen. Drei jeweils, wie der Legende zu entnehmen ist: „Angaben in T€“. Denn natürlich erhält das Bistum Limburg nicht nur 180.257 Euro Kirchensteuer pro Jahr, sondern 180 Millionen – und damit umfasst das ausgewiesene Vermögen des Bischöflichen Stuhls nicht mehr das 500-Fache, sondern nur noch die Hälfte der jährlichen Kirchensteuer.
Und jedes Kirchenmitglied zahlt im Schnitt nicht nur 28 Cent pro Jahr für seinen Verband, sondern – Achtung, komplizierte Verschiebung des Kommas um drei Stellen nach rechts – 280 Euro.

Update 16. Oktober:
Auf eine Anfrage von uns teilt die Redaktion mit: „Der von Ihnen angesprochenen Zahlenpatzer ist von uns ärgerlicherweise erst nach Ausstrahlung entdeckt worden – inzwischen haben wir die Korrektur-Version gefertigt.“
Zur eigenen Transparenz verweist ZDFzoom auf eine entsprechende Veröffentlichung. Danach kostet eine ZDFzoom-Produktion je nach Länge (30 oder 45 Minuten) zwischen 90.000 Euro und 130.000 Euro pro Ausgabe.

Ins Leere gelinkt – 5 Jahre Drei-Stufen-Test

Vor fünf Jahren wurden mit den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RÄStV) die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF deutlich begrenzt. Unzählige Angeboten wurden aus dem Netz genommen, neue oder veränderte müssen einen sogenannten Drei-Stufen-Test durchlaufen. Wie erfolgreich ist dieses deutsche Modell? Timo Rieg ist verschiedenen Links gefolgt.

Die Rundfunkgebühr als Subvention
Wer sich mit der Internetpräsenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland beschäftigt, muss sich zunächst klar werden, warum es die entsprechenden Regelungen seit 1. Juni 2009 überhaupt gibt. Auslöser waren nämlich u.a. eine Beschwerde des „Verbands Privater Rundfunk und Telemedien“ (VPRT) im Jahr 2003, dass bestimmte Web-Angebote nicht unter den öffentlichrechtlichen Auftrag fielen und damit zu Wettbewerbsverzerrungen führten. Daraufhin stufte die EU-Kommission die deutsche Rundfunkgebühr als staatliche Beihilfe (=Subvention) ein – obwohl man sich viel Mühe gegeben hatte, mit GEZ, KEF, Rundfunkräten und anderem mehr genügend Staatsferne zu schaffen. Insbesondere in den Online-Aktivitäten der Sendeanstalten sah die EU eine Benachteiligung des privaten Rundfunks und der – immer schon privatwirtschaftlich organisierten – Presse, wobei sie das duale Rundfunksystem nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern weiterhin „ein vielfältiges und ausgewogenes Medienangebot öffentlicher und privater Rundfunkveranstalter“ wünscht.
Nach einigem Hin und Her versprach die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission Veränderungen, die mit dem 12. RÄStV eingeführt wurden. Der Drei-Stufen-Test und die damit verbundene deutliche Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Onlineangebote steht im Zentrum dieser Änderungen.
„Es ging nicht um die Zuschauer, es ging nicht um Journalismus, sondern es ging ausschließlich um marktwirtschaftlichen Wettbewerb“, konstatiert Benno H. Pöppelmann, Justitiar beim Deutschen Journalistenverband (DJV). Weiterlesen

Anstaltsmedienkompetenz

„Die WAZ entlässt die Redaktion der ‚Westfälischen Rundschau‘, Lokalsender wie center.tv müssen ihr Programm an manchen Standorten reduzieren. ‚Lokal‘ refinanziert sich nur schlecht. Aber es geht auch anders: 3.000 Kilometer von Nordrhein-Westfalen entfernt, in Nordskandinavien, wird zur gleichen Zeit darüber beraten, wie das Rundfunkprogramm für die indigene Gruppe der Sami ausgebaut werden kann. Das funkfenster mit einem Porträt eines ungewöhnlichen TV-Formats.“

So bewirbt die „Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen“ (LfM) einen Artikel. Dass Westfälische Rundschau und center.tv vom Verkauf ihrer Produkte leben müssen, das „ungewöhnliche TV-Format“ für die Sami jedoch öffentlich-rechtlich finanziert wird, scheint der NRW-Anstalt, die sich überwiegend aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, schnuppe.

Medienpolitik der Länder ohne jede Idee

Der Seidl hätte es bringen können. Große Bühne – die größte in diesem Konferenzzentrum, und das mitten im gegnerischen Feld. Die Programmankündigung lässt großes ahnen: Seidl will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen. Der Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird sich ganz weit aus dem Fenster hängen, und sein Kontrahent, Duzfreund Jakob Augstein, wird lachen und weinen und den Kopf schütteln über soviel kulturellen Unverstand. Das Publikum wird toben und zwischenrufen – viele NDR-Mitarbeiter sind darunter -, aber dieses öffentliche Streitgespräch wird eine Diskussion in Gang setzen, die endlich einmal wegkommt vom “Das ist halt so” und “Das hat das Bundesverfassungsgericht eben so vorgegeben”. Eine Diskussion wird beginnen, in der die Bürger vorkommen, in der sie sagen, was sie wollen und wie sie es wollen. Und dann könnte sich tatsächlich einmal etwas bewegen – in welche Richtung auch immer.

Doch der Seidl bringt es nicht. [weiter bei Tg]