„Auf schmalem Grat“ ist im aktuellen Spiegel (16/08) der Artikel zur Energiepolitik überschrieben: Die Autoren haben auf immerhin 5 Seiten die Stromlücke als Thema ausgemacht und bangen, „dass Deutschland schon bald zeitweise der Strom ausgehen könnte.“
Deswegen aber habe ich den Artikel gar nicht angefangen zu lesen, sondern weil zugleich im Untertitel versprochen wird: „Eine provokante Idee könnte helfen.“ Dumm nur, dass es viereinhalb Seiten braucht, bis endlich die zweifelhafte Idee benannt wird. Dumm auch, dass bis dahin die inhaltliche Gratwanderung einen mehrfach auf den Kopf fallen lässt. Aber vom Ende zum Anfang.
Das nämlich ist die Pointe des Artikels: Die Spiegel-Autoren haben das vermeintliche Mekka der Energieforschung aufgesucht, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das hört sich dann, unfreiwillig komisch, so an: „Auf dem Campus des KIT erproben Ingenieure etwa eine Testanlage, die aus Stroh Treibstoff macht (…) In ihren Hallen entwickeln Physiker riesige Magnete für den Fusionsreaktor Iter. Überall wird hier an Lösungen gearbeitet, wie nicht nur Deutschland, sondern die Welt die großen Energieprobleme meistern können.“ Das einzige, was fehlt, um aus Stroh Gold zu machen, ist, welch Wunder: das öffentliche Fördergeld. Schließlich müssen ja auch die genannten Magnete für den Fusionsreaktor Iter, „das teuerste wissenschaftliche Experiment der Welt“ bezahlt werden. Und hier schließt sich dann der atomare Stromkreis, wenn der Forschungsvorstand des KIT endlich dem Spiegel die „provokante Idee“ nennen darf: „Der Staat sollte längere Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke versteigern und die Erlöse in die Forschung investieren.“
Ist diese blinde (?) Begeisterung für die Kernenergieforscher aus Karlsruhe schon ärgerlich genug, wird natürlich der weitere Artikel in bewährter Spiegel-Manier genutzt, mal wieder, wenn auch diesmal halbherzig, gegen die Windräder zu reiten: „Umweltgruppen, Grüne, weite Teile der SPD und auch führende Unionspolitiker wollen Deutschland am liebsten auf erneuerbare Energien und auf Erdgas verpflichten“, heißt es, doch „erneuerbare Energien können die Lücken auf absehbare Zeit nicht füllen“, auch wenn sie „angetrieben von einem der großzügigsten Vergütungssysteme der Welt“ immerhin ein Zehntel des deutschen Stroms produzierten.
Womit wir beim schwerwiegendsten Problem des Artikels sind: dass der Strom nämlich in der Tat nicht aus der Steckdose kommt, sondern Energieträger, Kohle, Gas, Wind etc., in Strom umgewandelt werden und zwar durch entsprechende Kraftwerke. Und da setzt die aufgeregte Diskussion um die Stromlücke an, die sich, wie der Spiegel-Artikel, auf ein Gutachten der Deutschen Energie-Agentur (dena) bezieht. Dort heißt es: „Bei der 2020 zu erwartenden Stromnachfrage wird die Jahreshöchstlast mit Kraftwerkskapazitäten am Standort Deutschland nicht mehr vollständig gedeckt“, sprich: an einem kalten Wintertag können die Kraftwerke möglicherweise nicht ausreichend Gas und Kohle in Strom umwandeln. Es geht also nicht um die Energie als solche, sondern darum, dass Kraftwerke und Stromnetz es nicht schaffen, diese schnell genug in Strom aus der Steckdose zu verwandeln.
Ärgerlich nur, dass diese einfache Unterscheidung in dem Spiegel-Artikel nie klar zum Ausdruck gebracht wird. Stattdessen wird munter mit der Energieproblematik überhaupt vermengt, und über „Bayern als russische Energieprovinz“, „launigen Ökostrom“ und „Atomkraftwerke als Geldfabriken für die Solarzellen“ von morgen“ philosophiert.
Nicht, dass es hier nicht spannend würde: mit der wichtigste „Energieträger“ der Zukunft ist nämlich der eingesparte. Dazu findet sich freilich in dem ganzen langen Spiegel-Artikel zur Energiepolitik kaum ein Halbsatz. Stattdessen Forscher, die Stroh zu Treibstoff machen wollen. Dabei geht es auch anders: „Nur eine Energiequelle existiert noch, die bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Ihr Potential scheint beinahe grenzenlos: Konsequentes Sparen ist die sicherste und sauberste aller Energien (…) Ohne große Anstrengungen könnten die fast 500 Millionen EU-Bürger ihren Energieverbrauch um ein Fünftel reduzieren (…) Dies entspräche 60 Milliarden Euro, pro Jahr.“
So steht es in einem schönen Spiegel-Titel (Verheizte Energie, 2/2007). Aber den haben die Autoren des aktuellen Artikels zur Energie wohl nicht gelesen.
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