Schuldfrage

Auch wenn es – wie üblich – die Polizeipressestelle bereits so vermeldet hat und die Agenturen es übernommen haben: für die Klärung der Schuldfrage ist in Deutschland derzeit noch die Judikative zuständig, nicht die Exekutive. Von daher ist es sicherlich zu früh, direkt nach einem Verkehrsunfall den Schuldigen zu präsentieren, wie Spiegel Online unter der Überschrift „Fahrradfahrer macht Fehler – 20 Verletzte“:

Bei einem schweren Verkehrsunfall mit zwei Linienbussen sind in der Bonner Innenstadt 20 Personen verletzt worden. Ein Busfahrer und ein Fahrgast erlitten schwere Verletzungen. Es kam zu einem Verkehrschaos. Schuld war ein Fahrradfahrer.

Die Bonner Polizei schränkt immerhin milde mit dem Hinweis „nach bisherigen Ermittlungen“ ein. Vor allem der Kausalkette fehlt die Grundlage.

Ausgelöst wurde der Unfall nach Angaben der Polizei durch einen 64-jähriger Fahrradfahrer, der verbotenerweise die Straße überquert hatte. Um den Mann nicht zu überfahren, habe der Fahrer eines der beiden Linienbusse eine Vollbremsung machen müssen. Ein nachfolgender zweiter Bus konnte nicht mehr rechtzeitig abgebremst werden und prallte mit voller Wucht auf das vordere Fahrzeug.

Denn dass ein Fahrzeug im Stadtverkehr plötzlich bremsen muss, kommt vor. Ein Auffahrunfall sollte dann nicht zwingend sein.

5 Gedanken zu „Schuldfrage

  1. Tobias

    Leider nützt es nichts, sich mit den Fehlern von Spiegel Online an den Presserat zu wenden, der den Pressekodex überwacht: Der Kodex gilt nur für gedruckte Produkte und nicht für Online-Medien. Auch die Argumentation, dass auf der Spiegel-Online-Seite eine „drucken“-Funktion dargeboten wird, hilft nicht weiter…

  2. Tobias

    In Absatz 1 des von Dir zitierten Paragrafen steht: „Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ Später folgt dann die Unschuldsvermutung. Dies macht im Zusammenhang deutlich, dass es an dieser Stelle um Gerichtsverfahren geht. Ein Verbot von vorverurteilender Berichterstattung auf Spiegel Online kann man meines Erachtens nicht aus Art 6 MRK ableiten.

  3. HV

    Ein Kommentator im lawblog meint dazu: „die unschuldsvermutung ist ausfluss des rechtsstaatsprinzips aus art. 20GG und art. 6 II MRK. Zu dem spiegellink: Ausdrücklich ist die unschuldsvermutung nirgendwo genannt. wird aber aus oben genanntem abgeleitet.“
    http://www.lawblog.de

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