Falschinformation im Fall Edathy

Der Strafprozess gegen Sebastian Edathy ist eingestellt worden, und viele Kommentatoren schäumen – die meisten über Edathy selbst („mieses Schwein„, „erbärmlicher Sack„, Dreckschwein, Ratte, Kinderficker, „möge ihm der Dödel abfaulen„…), einige aber auch über die Edathy-Kommentierer („Volksseele kocht“ und mit welchem Recht etwa Til Schweiger eine Meinung zu dem Thema habe). Natürlich sind da jetzt auch die mahend-staatstragenden Journalisten: alles habe seine rechtmäßige Ordnung, die Einstellung nach § 153a StPO sei nichts Besonders, kein „Promi-Bonus“. Doch das Gros der Leute schäumt eben.

Und warum? Weil die journalistische Berichterstattung von Anfang an Edathy verurteilt hat, indem sie – ohne weitere Erklärungen, ohne Belege – von „Kinderpornografie“ spricht. Das regt die Fantasie an und – um im Tenor der Facebook-Community zu sprechen – vor dem Ergebnis muss sich ekeln, wer nicht als strafbar pervers gelten will. Da ist es natürlich ein Schock, wenn ein Gericht einfach das Verfahren einstellt, sagt: alles nicht sehr bedeutsam.

Die derzeitige öffentliche Empörung über die Einstellung des Strafverfahrens gegen Edathy liegt schlicht und ergreifend in der über ein Jahr lang praktizierten Desinformation. Mit zwei simplen, stets zu fordernden Maßnahmen wäre dem jederzeit zu begegnen gewesen:
a) Ersetze willkürlich definierte Schlagworte durch klare, möglichst wertungsfreie Beschreibungen. Schreibe statt „Kinderpornographie“, was zu sehen ist auf den Fotos und Videos, die so pervers sein sollen, dass sich sogar der sonst analytisch scharfe Volker Pispers völlig vergaloppiert und von „seltsamen Neigungen“ und „abscheulichen“ Taten spricht.
b) Zeige, worüber du dir als Journalist eine Meinung gebildet hast, damit sie nachvollziehbar und der eigenen Meinunbsbildung nützlich wird.
Das ist nicht geschehen. Derzeit dürfte jede Abbildung eines nackten Minderjährigen als „Kinderpornografie“ (§ 184c StGB) gelten, weil als „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ vielen alles gilt, was die primären Geschlechtsmerkmale überhaupt sichtbar werden lässt – und da sind wir längst nicht mehr beim Schutz von Minderhährigen vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch, sondern in einer geisteskranken Welt, die spielerischen Mord und Totschlag schon zum Frühstück für Ausdruck von Liberalität hält, mit dem Erscheinungsbild unverletzter Menschen aber sehr schnell an ihre nervlichen Grenzen stößt – und in der sexuelle Handlungen zwischen Jugendlichen nicht einmal mehr in einem Roman beschrieben werden dürfen. (Die neue Pönalisierung von „Jugendpornografie“ hatte die Medien seinerzeit äußerst wenig interessiert, wie wohl es gut begründete Warnungen gab.)

Es sollte den mit der Edathy-Berichterstattung befassten Journalisten peinlich sein, dass ihnen nun, hernach, Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof (2. Strafsenat), erklären muss, was sie seit einem Jahr nicht verstanden haben*) – und das auch noch in selten zu lesender Positionierungsfreude („Vielleicht sollten diejenigen, die ihn [Sebastian Edath] gar nicht schnell genug in die Hölle schicken wollen, vorerst einmal die eigenen Wichsvorlagen zur Begutachtung an die Presse übersenden.“]

*)= „Er hat, nach allem, was wir wissen, nichts Verbotenes getan.“ (Zeit.de)

Siehe zum Thema auch: „Edathy soll brennen“ (Heinrich Schmitz, Strafverteidiger, in The European)
Siehe auch unseren nächsten Eintrag zur LKW-Werbung mit Kritik am Edathy-Prozess.
10. März: Fischer hat sich erneut geäußert. Der letzte Absatz seiner unnötig lang geratenen Kritik ist etwas bizarr:

Wäre ich Inquisitor auf der Suche nach dem nächsten vom Teufel der Wollust Besessenen – ich wüsste, bei wem ich mit der Folter anfinge: bei denen, die am lautesten über Edathys „Buben“ und die süßen 14-Jährigen wehklagen.

Aber ansonsten begründet er nochmal deutlich, dass die Einstellung des Verfahrens gegen Edathy mit einer Geldauflage völlig normal ist – und derzeit nichts die Annahme rechtfertig, hier sei Recht gebeugt worden und ein Verbrecher habe sich von seiner gerechten Strafe freikaufen können. Der medienkritische Aspekt kommt bei Fischer aber etwas kurz. Schließlich wird gebetsmühlenartig behauptet, eine freie Presse sei unverzichtbar für eine Demokratie. Doch was folgt daraus, wenn eine freie Presse es offenbar nicht schafft, halbwegs vernünftig über ein Strafverfahren zu berichten, wenn sich also offenbar hunderttausende oder gar Millionen über eine korrpute, unfähige Justiz erregen – obwohl im konkreten Fall dafür jeder Anhaltspunkt fehlt?

Nachtrag 15. März:

„Nimmt man die Unschuldsvermutung als Recht »für« einen Menschen Ernst, muss dies bedeuten, dass eine wegen einer Straftat angeklagte Person zwar während des Strafverfahrens mit einem Tatverdacht belastet werden kann, soll dieser doch gerade in jenem Verfahren aufgeklärt werden. Nach Ende des Strafverfahrens endet für ihn aber jene Möglichkeit der Verdachtsaufklärung, so dass aus dem »ehemals Verdächtigen« nicht – und zwar auch nicht in Einstellungs- und Kostenentscheidungen mehr oder weniger versteckt – ein »weiterhin Verdächtiger« gemacht werden darf, sondern dieser vielmehr von der Last eines Zweifel an seiner Unschuld durchscheinenden Tatverdachts zu befreien ist.“ (Prof. Dr. Daniela Demko (LLM), Luzern: Zur Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK bei Einstellung des Strafverfahrens und damit verknüpften Nebenfolgen)

 

Ein Gedanke zu „Falschinformation im Fall Edathy

  1. Mistrov

    Pervers ist am Edathy doch wohl vor allem, dass er denjenigen ans Messer liefert, der ihn vor polizeidurchsuchungen gewarnt hat. ist das nicht ein Zeichen absoluter Charakterschwäche?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.