Entsorgte Objektivität

Schon wieder eine AfD-Skandal-Inszenierung. Schon wieder die deutschen Leitmedien im Gleichschritt. Schon wieder Empörung statt Journalismus. Dabei hatte es doch kleine Hoffnungszeichen gegeben, zumindest in einzelnen Redaktionen wolle man zurückkommen zur Recherche, wolle einen Informationsauftrag erfüllen, Geschehnisse sinnvoll einordnen (und nicht wie Twitter bringen, was gerade auf Zustimmung stößt).

Die Causa: Alexander Gauland soll bei einer Wahlkampfveranstaltung gesagt haben

„Ladet sie [Aydan Özoğuz (SPD), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung] mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei dank, in Anatolien entsorgen können.“

Das Journalismus-Versagen dabei:
* Gaulands Aussage wird ohne ihren Zusammenhang kolportiert.
* Ein einzelnes Wort wird zum Eklat: „entsorgen“. Ohne jede Einordnung (dabei haben schon weit prominentere Politiker Konkurrenten „entsorgen“ wollen).
* Der von den Medien inszenierte Skandal wird von ihnen zu einer Medienpropaganda der AfD erklärt.
* Am Ende wird niemand auch nur einen Funken schlauer sein, aber alle Gruppen wurden in ihrer Identifikation (= Abgrenzung von allem anderen) gestärkt.

Die öffentliche Erregung über einzelne Sätze oder gar einzelne Wörter ist vermutlich geübte Praxis, seitdem es öffentliche Debatten gibt, denn der Nutzen liegt klar auf der Hand. Seit Jahren machen dabei allerdings auch die journalistischen Medien mit, die damit ihre Aufgabe, Orientierung im Durcheinander zu bieten, völlig aufgeben. Es ist schwer vorstellbar, dass so viele Journalisten unfähig sein sollten, das Spiel zu erkennen – vielmehr erkennen sie es wohl gut und spielen es deshalb zu ihrem eigenen Nutzen mit. Mit jeder Skandalisierung kann man sich selbst positionieren, schnell und ohne jede Anstrengung Statements in die Welt setzen, Beifall bei seinen Fans heischen. Dazu wird vor allem die wichtige Selektionsregel „News is what’s different“ ignoriert, denn mit ihr funktioniert Skandalisierung meist nicht. Dass sich CDU-Politiker über eine AfD-Aussage echauffieren ist das Normalste der Welt, zumal im Wahlkampf. Die entsprechenden „Distanzierungen“ und „Verurteilungen“ sollte jeder Volontär selbst schreiben können, ohne auf die Pressemitteilung der politischen Wettbewerber zu warten.

Wenn das alles nur etwas unterhaltend wäre – man könnte darüber hinwegsehen. Doch da jede Skandalisierung Aufmerksamkeit absorbiert sorgt sie natürlich für Wahrnehmungsverzerrungen. Ob seinerzeit Gaulands Boateng-Satz oder Böhmermanns Erdogan-Gedicht, – über Tage, manchmal Wochen und Monate kann eine Nichtigkeit wichtigste Themen verdrängen (geht übrigens auch mit guten Nachrichten).

Geradezu drollig wird es, wenn sich Journalisten quasi als Opfer der AfD sehen, die nach einem geheimen Plan mit den Medien spiele: es seien gezielte Provokationen, mit denen sie Aufregung schaffe, um dann später zurückzurudern oder sich missverstanden zu zeigen. Dabei haben es doch wir Journalisten in der Hand, was wir thematisieren, welche Sau wir durchs Dorf treiben, was unsere professionelle Aufmerksamkeit erregt. Das Verb „entsorgen“ war es im konkreten Fall jedenfalls nicht, denn das wird jeder auch in seiner eigenen Alltagssprache schon für alles Mögliche benutzt haben, und in der politischen Auseinandersetzung ist selbst das Entsorgen von Menschen nichts Neues (wenn es auch immer zumindest sprachlich blöde ist): Ausgerechnet der SPD-Bundestagshocker, der strotzend vor Menschlichkeit nun Gauland ein „Arschloch“ nennt, das niemand braucht (das also wohin gehen/ verbracht werden soll?) fand sich vor vier Jahren auf Twitter witzig mit der Behauptung, „wir wollen ja alle die merkel entsorgen“ (verweise auf diesen alten Post quittiert der Sozialdemokrat übrigens mit Blockieren).

Ähnliches wird man zig-fach vernommen haben, insbesondere auch vom Kabarett – ohne jede Skandalisierung. Selbst die Zuspitzung, man wolle Bundeskanzlerin Merkel „rückstandsfrei entsorgen“ führte zu keinerlei Eklat – und auch der heutige Verweis auf dieses Zitat, das immerhin vom amtierenden Vizekanzler Sigmar Gabriel stammt, interessiert praktisch niemanden.

Es hängt nämlich allein von der persönlichen Haltung ab, ob man so einen Spruch nun lustig, provokativ oder menschenverachtend findet. Allerdings: Journalisten sollten im Job nicht ihre persönliche Haltung zur Messlatte machen. Oder welche Objektivität soll man von Journalisten erwarten, die bei ihrer Zeitung für die Berichterstattung über die AfD zuständig sind und sich dann öffentlich bedanken, wenn jemand Gauland einen „senilen Fascho“ nennt?

 

Die Skandalisierung liegt allein in den Händen der Journalisten (Twitter oder Facebook allein haben noch nie zu einem Skandal geführt, erst die Berichterstattung darüber in redaktionellen Medien macht den Drive). Dazu gehört, seit gestern die Strafanzeige von Thomas Fischer groß zu bringen – dabei sind Strafanzeigen nie ein Thema, auch nicht, wenn sie von einem vielgeachteten Strafrechts-Kommentator stammt. Aber es ist routinierter Teil der Skandalisierung – und damit auch der self-fulfilling prophecy.

Der „journalistische Aktionismus“ wird derzeit gerne als „Haltung“ verklärt. Haltung ist unbestreitbar gut und wichtig – und leider viel seltener vorhanden als angenommen. Doch die Art der Skandalisierung durch fragmentierte, willkürlich selektierte Berichterstattung ist nicht Haltung, sondern allenfalls Meinung und eher Kampagne. Die Haltung wäre u.a. gefragt bei der Bewertung der zuvor nach den Regeln der Kunst recherchierten Fakten. Doch die Reihenfolge ist stets eine andere: Journalisten regen sich auf (weil sie damit ein einfaches Thema haben) und berichten dann die folgenden Tage über ihre Erregung und wer sie teilt.

Dass es in Wahrheit um die Frage von „deutscher Kultur“ und das Zusammenleben der Menschen verschiedenster Herkunft geht, spielt wie üblich keine Rolle, die Unfähigkeit, Fragen zu stellen und Antworten darauf zu suchen, setzt sich fort. Nichts wird geklärt, widerstreitende Positionen werden nicht erläutert, über Nichts wird Verständigung erzielt. Und das soll die große Leistung des Journalismus sein, ohne den Demokratie nicht denkbar ist?

Ein Gedanke zu „Entsorgte Objektivität

  1. Pingback: Strafanzeigen haben keine journalistische Relevanz – SpiegelKritik

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