Kolumnen spitzen zu, sie kommentieren, ironisieren, phantasieren gerne mit den aus der Satire bekannten Stilmitteln*. Kolumnen wollen unterhalten, zumal wenn sie wie der „Checkpoint“ des Berliner Tagesspiegels in aller Herrgotts Frühe auf der Matte stehen und ins Oberstübchen gebeten werden wollen.
Ein denkbar ungeeignetes, weil unjournalistisches Stilmittel ist hingegen die Weglassung relevanter Informationen, zumal wenn sie dann eben durch eigene Geisteskapriolen ersetzt werden.
Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt teilt uns heute in seinem Checkpoint mit:
Die Linken-MdA Katalin Gennburg und Kristian Ronneburg kümmern sich rührend um Ihr Wohlbefinden (ja, Sie sind gemeint) – sie fragen den Senat: „Werden die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auf negative Meinungs- und Informationsfreiheit (Schutz vor unzumutbarer Konfrontation mit fremden Meinung und Informationen) bei der Genehmigung von Werbeanlagen im öffentlichen Verkehrsraum berücksichtigt?“
Ja, Schutz vor fremden Meinungen ist in der Tat eines der letzten ungelösten Probleme der Demokratie, da sind Diktaturen eindeutig im Vorteil. Besonders im Wahlkampf werden ja auch Ihnen schon die aufdringlichen Parteiwerber aufgefallen sein, die harmlose Passanten und TV-Zuschauer mit fremden Meinungen konfrontieren. Dank r2g dürfte damit also bald Schluss sein.
Was Maroldt weglässt, ist die Antwort des von den beiden Landtagsabgeordneten befragten Senats. Schon die präsentische Erzählung erweckt ja den Eindruck, Maroldt hätte hier eine ganz frische Anfrage abgefangen, doch sie ist etwas über einen Monat alt, vom 29. Mai 2018. Sogar die Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ist nicht frisch, sie datiert auf den 8. Juni, und das alleine wäre gerade im Checkpoint ja dann doch einer Bemerkung wert gewesen, wird die Berliner Verwaltung doch quasi in jeder Ausgabe für ihre Langsamkeit gescholten.
Der Senat jedenfalls teilt nichts mit, was Maroldts Prognose stützen kann. Die entsprechende Passage aus der Anfrage mit Antwort wörtlich:
Frage:
Werden die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auf negative Meinungs- und Informationsfreiheit (Schutz vor unzumutbarer Konfrontation mit fremden Meinungen und Informationen) bei der Genehmigung von Werbeanlagen im öffentlichen Verkehrsraum berücksichtigt?
a. Wenn ja: Wie?
b. Wenn nein: Warum nicht?Antwort:
a. Nein.
b. Inwieweit das aus dem Grundrecht des Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) ableitbare Recht auf negative Meinungs- und Informationsfreiheit auch ein Recht beinhaltet, vor (optischer) Werbung über Werbeanlagen im öffentlichen Raum verschont zu bleiben, ist im Einzelnen noch weitgehend ungeklärt. Allein die bloße Konfrontation mit einer fremden
Meinung ist für sich genommen noch nicht vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 GG erfasst. Im öffentlichen Raum, in dem der Einzelne der Werbung in zumutbarer Weise
ausweichen kann und im Übrigen auch mit ortsüblicher Werbung rechnen muss, tritt das Recht, von den Einwirkungen durch Werbung verschont zu bleiben, hinter das (positive) Recht anderer Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Raums zurück, ihre Meinung oder Informationen kund zu tun (etwa auch durch politische Parteien im Vorfeld zu allgemeinen Wahlen). Soweit im Einzelfall die Zumutbarkeitsschwelle für einen Betroffenen überschritten sein sollte, ist dem insbesondere im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.
* Nach der Definition: „Satire ist eine künstlerische Darstellung von Tatsachen und Meinungen mittels unwahrer Aussagen.„
Ich verstehe die Kritik des obigen Artikels nicht so ganz.
Soweit ich es verstehe, wird in der Kolumne das Ansinnen der Linken-MdA Katalin Gennburg und Kristian Ronneburg kritisiert.
Diese Kritik der Kolumne kann man doch jetzt nicht dadurch entkräften, daß man darauf hinweist, daß der Senat bereits die-und-die Antwort auf die dargestellte Anfrage der Linken erteilt hat.
Bestenfalls kann man den letzten zitierten Satz der Kolumne kritisieren: „Dank r2g dürfte damit also bald Schluss sein.“ Denn hiermit wird der Eindruck erweckt, das Ansinnen der Linken habe Aussicht auf Erfolg – wogegen doch die oben zitierte Antwort des Senats nahelegt, daß dieses Ansinnen erfolglos bleiben wird.