Alles Migranten?

Früher hießen mal alle ohne die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie sich aufhalten: Ausländer. Das passte auf alle – sogar Touris – galt aber irgendwann zunehmend als diskriminierend. Wollte man das spezifizieren, gab es genügend Begriffe, die allesamt auch Metamorphosen zur diskriminierungsfreien Sprache erleben (wie: Asylanten wurden Asylsuchende, dann Flüchtlinge, Geflüchtete, Schutzsuchende…). Inzwischen heißen alle Ausländer “Migranten”. Das ist auf alle Fälle diskriminierungsfrei – und zwar im wissenschaftlichen, negativen Sinne. Denn damit wird auf sehr hilfreiche Unterscheidungen verzichtet. Ein Migrant ist jemand, der nicht nur auf Stippvisite kommt, sondern “in eine andere Gegend, an einen anderen Ort abwandert” (Duden).

Die natürlich vor allem medial geprägte Unterschiedslosigkeit erschwert nicht nur die Kommunikation, sie sorgt auch dafür, dass ein jeder in die so bezeichnete Gesamtgruppe hineininterpretiert, was beliebt. Konkret dürfte z.B. die Bereitschaft zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen in Deutschland deutlich größer sein als der Wunsch nach dauerhafter Zuwanderung. Wer keine (große) Zuwanderung möchte, ist aber noch lange kein “Menschenfeind”.

Gerade sprach Jens Spahn von einer ungesteuerten “Asyl-Migration“. Vielleicht hat er tatsächlich gemeint, was “Migration” hier bedeutet, der Debatte um Asyl würde es jedenfalls nicht gerecht. Politisch Verfolgten Schutz zu gewähren ist etwas völlig anderes, als Einwanderer willkommen zu heißen. Ersteres darf man als humanistische Pflicht ansehen, zweiteres ist eine Frage persönlicher Interessen. Asyl ist eine vorübergehende Angelegenheit (ob sich daran nach entsprechender Zeit die Frage einer dauerhaften Bleibe, also tatsächlicher Migration anschließt, steht auf einem ganz anderen Blatt und dürfte wie immer bei korrekt verstandener Migration allein vom Einzelfall abhängen).

In der Süddeutschen Zeitung ist nun folgendes zu Waldbränden in Griechenland zu lesen:

>Die Toten waren nicht vermisst worden. So erklärte der Sprecher der griechischen Feuerwehr am Dienstag seine Vermutung, es könnte sich bei ihnen um Menschen gehandelt haben, “die illegal über die Grenze kamen”. In anderen Worten: wahrscheinlich Migranten.<

Nur der unachtsame Leser wird darin alle Migranten zu Illegalen gemacht sehen. Aber dass alle illegalen Grenzübertritte damit zum Teil der Migration erklärt werden, ist unbestreitbar. Und die negative Konnotation gibt es damit doch, weil mit dem Begriff “Migranten” eben auch diejenigen erfasst sind, denen in Deutschland für die entsprechende Tat bis zu einem Jahr Haft, im Wiederholungsfall bzw. nach Ausweisung sogar bis zu drei Jahre Haft drohen – und die damit dann Kriminelle wären.

Diese sprachliche Unschärfe führt zu Desorientierung, weil sie verhindert, nur Gleiches gleich zu bezeichnen – und Ungleiches eben davon zu scheiden. Wie soll eine Gesellschaft sinnvoll miteinander ins Gespräch kommen, wenn ihr schon die Worte dafür fehlen?

Ein Gedanke zu „Alles Migranten?

  1. Harald Klein

    Was wir nach außen hin kommunizieren, ist Ergebnis unserer Gedanken. Gleichzeitig denken wir im Regelfall in unserer Muttersprache, wenn wir nicht gerade eine andere Sprache benutzen. In beiden Fällen sind unsere Gedanken inhaltlich auf jenen Wortschatz beschränkt, den die zugrundeliegende Sprache besitzt.
    Um einen Gedanken buchstäblich »undenkbar« zu machen, genügt es, die Worte, mit deren Hilfe er gedacht werden kann, aus der Sprache zu entfernen.
    Wenn ich keine Worte habe, um einen Gedanken zu beschreiben, dann kann ich ihn nicht mehr fassen und in der Folge auch nicht mehr kommunizieren.
    Diese Strategie stellt Orwell eindrucksvoll in seiner Dystopie »1984« dar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.