Eine Razzia am Morgen vertreibt …

Was ist die wesentliche Nachricht, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft das Wohnhaus eines Prominenten durchsucht haben? Dass einfach irgendwas beim Promi los ist und man mit dem Namen Neugierde wecken kann? Dass die vorangegangene mediale Skandalisierung medial erntebare Früchte trägt und sich die bisherige Verdachtsberichterstattung bewährt? Oder dass die Unverletzlichkeit der Wohnung stets nur so lange gilt, bis von Social- oder Nachrichtenmedien etwas beanstandet wird?

Die eifrig voneinander und von älteren Werken abgeschriebenen Berichte lassen das offen. Sie recherchieren nichts, sondern geben quasi amtlich wider, was die Behörden verlautbaren – und versuchen sich ansonsten in kriminalistischer Bildbeschreibung. Die auf selbsterhobene Wahrheiten spezialisierte BILD-Zeitung hat dabei mit Adleraugen gesehen, dass “die Ballermann-Sängerin dem Mob vor der Bühne den Hitlergruß zeigt – mehrfach und eindeutig!” Denn darum geht es seit zwei Wochen: Melanie Müller soll bei einem Konzert in Leipzig mehrfach der rechte Arm in die Höhe geschnellt sein, wie es der Spiegel formuliert. Einen rechtsradikalen Kontext belgt dabei zwar niemand, aber bei emporschnellenden Armen sind deutsche Medien besonders wachsam. Wobei gelegentlich die Journalismuskunden etwas aus dem Blick geraten.

So schreibt Spiegel.de:

>Im September war zunächst ein Video aufgetaucht, das zeigt, dass mehrere Fans bei einem Auftritt Müllers »Sieg Heil« riefen. Die Sängerin hörte sich das Gebrüll kurz an und reagierte darauf mit dem Ausruf »Zickezacke, zickezacke, zickezacke«. Die Besucherinnen und Besucher antworteten »heil, heil, heil«.<

Wer schon mal in einem Festzelt war, kennt diesen Zicke-Zacke-Schlachtruf sicherlich. Wer ihn nicht kennt, wird mit der Spiegel-Beschreibung wenig anfangen können. Denn natürlich wird nur zweimal “zicke zacke” gerufen, anders ergibt es rhythmisch keinen Sinn. Und die korrekte Antwort “hoi hoi hoi” ist sehr nah am vom Spiegel erlauschten “Heil, Heil, Heil”. Und man könnte erwähnen, dass auch ein tatsächlicher “Heil”-Ruf wohl nicht unter das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) fällt.

Den dazugehörigen Videoclip hat die BILD gleich mehrfach in ihren Videobeitrag eingebaut, so dass es wirken kann, als wäre die Szene dreimal länger, als sie tatsächlich dokumentiert ist. Dass dabei Müller ihre Ohren an anderer Stelle im Raum hat als der Video-Zuschauer, ist vielleicht keine Petitesse.

Wenn jemand gegen uns wetten möchte: bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wird nichts Strafwürdiges herauskommen. Und dann darf man sich wieder fragen, warum das den Journalisten nicht klar war bzw. warum sie entgegen  ihrer Klarsicht auf die Skandaltube gedrückt haben. Und man darf fragen, wo die kritische Betrachtung der Ermittlungsarbeit bleibt. Im vorliegenden Fall wurde wegen eines bekannten und gebräuchlichen Anfeuerrufs eine Privatwohnung aufgebrochen und durchsucht, morgens um Fünf. Lapidarer kann es kaum noch werden, um Grundrechte unter den Vorbehalt staatlicher Laune zu stellen.

 

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