Medienorgie der Gewalt

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Das schöne Fremdwort “Kampagnenjournalismus” wird gerne pc in “BILD-Zeitung” eingedeutscht. Das mag nicht falsch sein, aber es tut den anderen engagierten Kampagneros unrecht.

Denn derzeit beteiligen sich wieder alle sog. Qualitätsmedien an einer Kampagne: zur Jugendgewalt (von Migranten). Sie beginnt natürlich nicht mit dem Disclaimer, sich gerade ohne jede Notwendigkeit, vor allem ohne jede nachrichtliche Legitimation, auf ein alles andere als blutleeres, spannendes weil wunderbar ambivalentes und damit im doppelten Wortsinn mediengemachtes Hauptthema zu verlegen. Sie beginnt mit der agendasettenden Präsentation einer Lokalgeschichte.
Auf diese Einladung des Qualitätsjournalismus’ hin bewerben sich brav und zügig die üblichen PR-Kanoniere aus Politik und Lobby mit ihren Statements, aus denen sich der Qualitätsjournalist nach Herzenslust bedienen kann. Geboten wird eine Inszenierung, verkauft wird sie als dramatische Entwicklung, von der man quasi live berichte.

Dabei kann man natürlich das, was jetzt als bundesweiter Aufreger durchgekocht wird, täglich finden: in Lokal- und Regionalzeitungen. Wie auch viele andere Themen, von denen die großen, agenturlesenden Journalisten nichts wissen. Thema ist, was man selbst zum Thema macht.
Warum macht Spiegel-Online eine neuerliche Prügelei in München zum Aufmacher, zum Web-Weit-Thema? Hat mir das Magazin irgendwas über die 17 im ersten Halbjahr 2007 getöteten Menschen im Straßenverkehr Münchens (mit Landkreis) berichtet? Von den jährlich 600 Schwerverletzten (das ist gut und gerne ein ganzes bayerisches Dorf), von den vielen auf dem Schulweg verletzten Kindern und Jugendlichen?
Natürlich nicht. Denn ein bundesweites Thema wären eben nicht diese Einzelschicksale, sondern ausschließlich die Verkehrspolitik und -regelung insgesamt, der vierrädrige wie der schwerlastige Wahnsinn auf der Straße, die absurde Prioritätensetzung, die jedem Reibachmacher freie Durchfahrt gewährt und damit Haus um Haus am Fahrbandrand entwertet und so weiter und so fort.

Freilich gibt es zur Gewalt von (ausländischen) Jugendlichen viel zu sagen, fast so viel wie zum Verkehr. Aber dazu müsste man sich als Journalist eben in das Thema einarbeiten, sehr, sehr viel lesen – darunter auch viele konstruktive Vorschläge von Menschen, die Ahnung haben – und dann Fragen entwickeln (=recherchieren). Stattdessen werden Klicks herbeigehurt: mit einzelnen, völlig wahllos exponierten Gewaltakten und dem Potpourri des Politikermeinens, -forderns, -drohens.

Und genau wegen dieses Arrangements ist es nicht egal, wo ein überregionales Nachrichtenmagazin seine Themen aufliest. Denn erst die so angebotene Medienbühne macht Politiker handeln, wie auf ewig mit “Florida-Rolf” zu belegen ist. Für eine Meinungsbildung des demokratischen Souveräns ist keine Zeit, sie ist den großen Aufklärern auch egal, ja es braucht sie nach massenmedialem Selbstverständnis gar nicht, denn die Rolle des Bürgers wird in der sog. “Mediendemokratie” von den Medien selbst übernommen. Deshalb definieren sie sich selbst gerne als vierte Macht im Staate, dem der Bürger abozahlend, werbungblätternd und top-news-klickend untertan ist.

“Dies ist bereits der dritte Fall von gefährlicher Körperverletzung in der Münchner U-Bahn während der letzten beiden Wochen. Am vergangenen Freitag erst hatten…”

Wie gut, dass Spiegel.de diese unglaubliche Entwicklung entdeckt hat. Wo nur würde das alles ohne ihn enden.

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