Zur medialen Debatte um Silvester-Ausschreitungen

Anmerkungen zu einigen medienkritischen und journalistischen Darstellungen und Kommentierungen der Gewalt gegen Polizei und Rettungsdienst an Silvester vor zwei Wochen.
Mit Updates zu einer Fehlberichterstattung  von t-online über Silvesterkrawalle im sächsischen Borna und Ergänzungen zu zwei Beiträgen auf Übermedien.

+ Zur medienwissenschaftlichen Debatte um die Herkunftsnennung von Tätern und Tatverdächtigen ist kurz vor Silvester ein Beitrag in der “Publizistik” erschienen. Besprechung und Kommentierung dazu (leider in zwei Teilen veröffentlicht): “Welchen Pass hat der Täter? Herkunftsnennungen im Journalismus” (16.01.2023); Teil 2: “Schon der Begriff ‘Migrant’ ist eine Vernebelung” (18.01.2023).

+ Andrej Reisin hat auf Übermedien – wie so oft – einige kluge Anmerkungen zur Mediendebatte gemacht. Am 4. Januar 2023 verweist er u.a. darauf, dass viele Polizeistellen von einer normalen bzw. ruhigen Silvesternacht berichtet hatten, und erzählt anekdotisch, dass es in Berlin Neukölln “früher” schlimmer gewesen sei mit der Jugendgewalt (an Silvester).

Am 13. Januar legt er u.a. mit Präzisierungen bei den Zahlenangaben nach: die 145 in Berlin vorläufig Festgenommenen könnten nicht eindeutig Übergriffen auf Einsatzkräfte zugeordnet werden. Völlig zutreffend konstatiert er:

>Natürlich sind die entsprechenden Angriffe trotzdem geschehen und zu verurteilen. Sie sind aber in einem Land, in dem mittlerweile 84 Millionen Menschen leben, bei einem Fest wie Silvester, das kulturell in vielerlei Hinsicht auf einen Exzess ausgelegt ist (oder warum ist an diesem einen Tag im Jahr allen Bürger:innen das Böllern erlaubt?) in einer gewissen Größenordnung auch keine Überraschung.< (Reisin: “Auch Ausländer unter den Tätern“)

+ Ein Großteil der publizierten (bzw. korrekter: der von uns z.K. genommenen) Medienkritik bezieht sich nicht auf das journalistische Kerngeschäft, nämlich die Orientierung gebende Information aufgrund vielfältiger Recherchen, sondern auf die Haltung der Publizisten und die mögliche Rezeption in Teilen der Bevölkerung. Wie im TP-Artikel (Teil 2) dargelegt, sind das zwei verschiedene Anforderungen, die dabei an den Journalismus gestellt werden, von denen nur die eine unstrittig ist, während die zweite auszuhandelnde Einschränkungen des Journalismus sind. Es ist wichtig, dies zu trennen.

+ Demokratisch problematisch, ja gefährlich ist es, wenn journalistische Medienkritiker ihre ethischen Forderungen an alle Medien gleichermaßen stellen. Dass einzelne Häuser bestimmte politische Richtungen vertreten (“Tendenzbetriebe”), ist an sich schon nicht ideal (weil regelmäßig davon auszugehen und in vielen Fällen zu belegen ist, dass dies nicht nur die Kommentierung, sondern schon Themenauswahl und -aufbereitung betrifft und somit der Orientierung hinderlich ist, siehe dazu das Qualitätskriterium “Vollständigkeit” beispielhaft im “Corona-Journalismus”). Die eigene politische Haltung dann allerdings von allen zu fordern, ist schlicht undemokratisch. Denn gefordert wird, bestimmte Debatten erst gar nicht zu führen, und bestimmte Aufklärungsinteressen werden per se als “rassistisch” und damit indiskutabel diskreditiert, anstatt alle Tatsachen und Meinungen darüber für die gesellschaftliche Debatte zuzulassen (ja zu fordern und zu fördern).

Deutlich bringt dies Reisin z.B. hier auf den Punkt:

> Ansonsten ist das Ganze mal wieder ein deutsches Trauerspiel: Noch bevor wir überhaupt gesichertes Wissen über die Täter haben, geht es um des weißen Deutschen Lieblingsangst: die Fremden mit der anderen Haar- und Hautfarbe.<<(Reisin: “I predict a riot“)

Wenn “der Fremde mit der anderen Haar- und Hautfarbe” tatsächlich “des weißen Deutschen Lieblingsangst” sein sollte (der Beleg fehlt), dann spräche noch viel weniger gegen genau diese Thematisierung in den Medien.

+ So führt beispielsweise Reisins unter dem Gesichtspunkt der Richtigkeit völlig richtiges und notwendiges Pochen auf Korrektheit bei der Faktendarstellung weg von dem offenkundigen Problem: dass nämlich überwiegend Ausländer von der Berliner Polizei festgenommen worden sind. Wenn sich dies als Ergebnis von ” racial profiling” herausstellen sollte, muss man es genau so diskutieren. Bei einem Ausländeranteil von etwa 23,5% in Berlin (und 15,2% der Deutschen mit Migrationsgeschichte, insgesamt 38,6% der Berliner Bevölkerung mit den Spitzenwerten Bezirk Mitte 56,3% und Neukölln 50,6%) ist dieser mit 69% bei den Festgenommenen deutlich erhöht (unabhängig davon, um welche Tatvorwürfe es im Einzelnen ging) (Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, pdf). Zu dieser simplen Verhältniszahl (auf kleiner Basis) gibt es viel zu sagen, aber genau das alles muss eben auch gesagt werden.
Anstatt den Blick auf Tatsachen bereits als rassistisch (und AfD-Geschäft etc.) zu diskreditieren, sollten die verschiedenen Erwartungshaltungen klar gemacht werden (die sicherlich immer verschieden bleiben werden), u.a.: erwartet man persönlich einen genau der Wohn- bzw. besser Aufenthaltsbevölkerung entsprechende Gewaltrate bei Deutschen und Ausländern, oder gibt es hier verschiedene Ansprüche (ggf. auch unterschieden nach aufenthaltsrechtlichem Status)? Eine Verständigung über die Bewertung der Polizeidaten ist unmöglich, wenn nicht die verschiedenen Standpunkte deutlich gemacht werden. Und gerade hier muss der demokratische Diskurs verschiedene Standpunkte aushalten, etwa die konträren, bei Flüchtlingen sei aufgrund ihrer Biografie eine gegenüber behütet in Deutschland Aufgewachsenen höhere Gewalttätigkeit zu erwarten bzw. es sei gerade aufgrund ihrer Geschichte und Hoffnung auf Hilfe in Deutschland eine geringere zu verlangen. Auch für solche grundlegende Standpunkte gibt es viele Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, aber es wird ein großer Beurteilungsspielraum bleiben.

+ Für die Debatte sind deshalb mehr und nicht weniger “Herkunftsmerkmale” notwendig. Wegen der  verschiedenen Erwartungshaltungen ist die Zusammenfassung “mit Migrationshintergrund” zu wenig differenziert und damit geeignet, je nach Sichtweise Probleme zu verschleiern oder sie auf soziale Gruppen zu beziehen, auf die sie nicht bezogen werden können. Es kann eben relevant sein, ob Gewalttäter überproportional erst seit kurzem in Deutschland leben oder schon lange.

+ Ein wichtiger medienkritischer Punkt ist natürlich die Thematisierung an sich (“Agenda Setting“). Die Aufgeregtheit der Medien ist mit Aufklärung nicht zu begründen, aber das Problem durchzieht ja leider alle Berichterstattung: Medien berichten eben grundsätzlich nicht nach einer irgendwie ausgehandelten objektiven Relevanz, sondern nach ihren Verwertungsinteressen und –möglichkeiten. Deshalb werden auch immer wieder die gleichen Themen hochgekocht und nichts kann jemals als geklärt gelten (bis tatsächlich neue Tatsachen in einem eine Neubewertung erforderndem Ausmaß vorliegen). Ein Beispiel ist der alljährliche Zauber um ein “Böllerverbot”.

+ Wer ernsthaft eine neuerliche Diskussion um ein grundsätzliches Verbot privaten Silvesterfeuerwerk mit den Ausschreitungen am 31.12. und 01.01. in Berlin begründet, kann jederzeit alles infrage stellen. Denn es ist nichts passiert, was nicht in anderen Jahren auch passiert und was für mögliche extreme Einzelfälle zumindest stets im Bereich des Möglichen war. Der Skandalisierungstrick besteht darin, niemals anzugegeben, was eigentlich der Normallfall ist (empirisch) und/ oder was ein realistischer Optimalzustand künftig sein sollte. Auch dies kennen wir zur genüge aus der Corona-Berichterstattung: Nirgends wird man eine nüchterne Aushandlung darüber finden, was als gesellschaftlicher Normalfall anzusehen ist. Denn nein: es ist nicht jeder Kranke ein Kranker zu viel und nicht jeder Toter ein Toter zu viel. Aber mit einem “so ist die Welt eben” können weder Journalisten noch Politiker noch auf Öffentlichkeit angewiesene Lobbyisten leben. Es ist weit mehr als ein netter Aphorismus, dass immer genau so viel passiert, wie in die Zeitung passt. Es zeigt viel mehr ein ernsthaftes Problem: dass da nämlich viele Kräfte sind, die aus purem Eigeninteresse keinen “es ist jetzt mal gut soweit”-Zustand haben wollen, die immer Probleme vermarkten müssen und dazu den Skandal brauchen, jedenfalls viel Emotion.
Das Ansinnen  eines generellen “Böllerverbots” könnte  man einmal ausführlich diskutieren. Dabei würde eine freiheitliche Gesellschaft wohl (nämlich nach allem, was bisher so vorgetragen wurde) zu dem Schluss kommen, dass die Begrenzung auf das eine Ereignis im Jahr bereits einen sehr guten Ausgleich der Interessen darstellt. Und dass natürlich Menschen, die Feuerwerk in für andere gefährlicher Weise missbraucht haben, für Schäden aufkommen müssen und von solchem Verhalten künftig im Rahmen des rechtsstaatlich Möglichen abgehalten werden sollten. Damit wäre es dann aber auch gut. Wir bräuchten nicht jedes Jahr erneut die Litaneien von Feinstaub, Geldverschwendung, verängstigten Haustieren und Welthunger.

+ Als Beispiel für das medienwirtschaftliche Eigeninteresse sei noch auf einen t-online-Artikel und die Reaktionen darauf verwiesen, auch weil sich daran ebenfalls viele grundsätzliche Medienprobleme zeigen. Titel und Teaser lauteten am 7. Januar 2023 ursprünglich:

>Silvester-Randale in Sachsen: Mit Böllern und ‘Sieg Heil’ gegen Rathaus und Polizei
Etwa 200 Personen wüteten an Silvester auf dem Bornaer Marktplatz in Sachsen. Anwohner berichten von Sieg-Heil-Rufen und Männern mit Skimasken.< (via Archive.org)

Der Artikel ließ Recherche vermissen, obwohl hier Geschehnisse aus einer sonst überregional unbekannten 20.000-Einwohner-Stadt als relevant erklärt wurden und mutmaßlich ein Gegenpol zu Ausländer- und Migrantenkriminalität gesetzt werden sollte.
Dabei wurde bis auf die “Sieg-Heil-Rufe” nichts berichtet, was man nicht in jedem Ort zu Silvester erleben könnte. Der t-online-Beitrag wurde von anderen Medien aufgegriffen (nach Ansicht engagierter Journalisten viel zu langsam/ wenig*).
Der Beitrag scheitert bereits am richtigen Verstehen einfacher  Informationen. So lautete die Pressemitteilung der Polizei vom Mittag nach Silvester:

>In der vergangenen Nacht wurde durch Zeugenhinweise bekannt, dass mehrere Personen versuchen sollen, den Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz in Borna anzuzünden. Als Einsatzkräfte am Ort eintrafen, befanden sich knapp 200 Personen am Ort. In der weiteren Folge kam es aus der Gruppierung heraus zum Abfeuern von pyrotechnischen Erzeugnissen in Richtung der Beamten. Dabei wurde auch ein Funkstreifenwagen beschädigt. In Tatortnähe konnten wenig später zwei Tatverdächtige (beide 19, deutsch) gestellt werden. Verletzt wurde niemand. Der entstandene Sachschaden ist aktuell nicht bezifferbar. Die Polizei hat die Ermittlungen wegen des Verdachts eines Landfriedensbruchs aufgenommen.< (PM)

Davon, dass “etwa 200 Personen wüteten” ist nicht die Rede. Aber Leseverständnisschwäche* ist im Journalismus weit verbreitet, die Süddeutsche Zeitung etwa hatte dasselbe Problem.
Die “Sieg-Heil-Rufe” hatte eine Anwohnerin auf Facebook beklagt, eine Rückfrage vor der  Berichterstattung gab es nach ihrer Darstellung laut ZEIT nicht. Die Hamburger Wochenzeitung hatte nämlich eine Reporterin nach Borna geschickt. Zwischenfazit:

>> ‘Es gibt die unschöne Entwicklung, in Borna an Silvester die Sau rauszulassen’ [sagt der Oberbürgermeister von Borna]. Das habe man bereits vor Jahren erlebt. Trotzdem haben sich die Dinge, so wie er, wie Anwohner und die Polizei sie beschreiben, eher anders zugetragen als bisher berichtet.<< (Anne Hähnig: Rohes Neues, integrierter Link von uns)

Am Tag, als die ZEIT mit ihrer Gegenrecherche erschien, publizierte t-online “Was wir über die Geschehnisse in Borna wissen” und bezeichnete darin die Ursprungsgeschichte als “in Teilen ungenau” (während auf Twitter von Fehlern gesprochen wird). Der Autor des ursprünglichen t-online-Artikels reagierte auf Twitter zunächst mit “Oja, Anne. Was soll das?” Am nächsten Tag räumte er ein:

>Ich merke es mir: 200 Anwesende sind nicht gleich 200 Randalierer. Wir haben die Borna-Geschichte nochmal aufgearbeitet und präzisiert. (Andreas Raabe am 12.01.2023 auf Twitter)

Inzwischen hatte aber längst die Rede vom rechten Mob in Borna die Runde gemacht, Kommentierungen von Politikern und anderen Lobbyisten hallten durchs Land (siehe Berliner Zeitung).
Die interessengeleitete Informationswahrnehmung und -wiedergabe zeigt sich selbst an Kleinigkeiten. Schon im Ursprungsartikel von t-online hieß es, die Ermittler hätten “eigens ein Hinweisportal im Internet eingerichtet, um nach den Tätern zu suchen.” Das hatte die Polizei zwar ähnlich tatsächlich behauptet (nur ohne das “eigens”), falsch ist es trotzdem und jedem Rechercheur (allen voran bei dpa) hätte die Formulierung zu denken geben müssen: eine Polizeibehörde baut wegen einer eher lapidaren  Ermittlung ratzfatz ein eigenes Hinweisportal  auf? Nein, natürlich nicht.  Sie hat nur seit langem mal wieder ein “Ereignis” in das schon lange existierende Hinweisportal eingetragen.

* Erläuterungen zum Befund “Leseverständnisprobleme” erfolgen demnächst mal als eigener Punkt. 

Weitere Hinweise, Updates und Diskussions-Ergänzungen:

# Zur regelmäßigen Fehlinterpretationen  polizeilicher Kriminalitätsstatistiken (SpKr)

# Weiteres zu t-online und Borna:
Borna, Hildburghausen, Görlitz – was ist an Silvester wirklich geschehen?” (Welt, 12.01.2023; darin auch eine Korrektur zum MDR-Bericht “Attacke auf Feuerwehrleute in Hildburghausen in der Silvesternacht“)

# Inhaltlich zum “Böllerverbot” (womit meistens nicht nur Böller, sondern auch Raketen gemeint sind): Praktisch alle Verletzungen entstehen durch unsachgemäßen Gebrauch des Feuerwerks und alle schweren Verletzungen durch illegale Sprengstoffe (einschließlich selbstgebastelter). Dies erläuterte vor zwei Jahren Angela Kijewski vom Unfallkrankenhaus Berlin, in dem alle entsprechenden schweren Verletzungen landen und das deshalb auch alljährlich intensive Pressearbeit dazu macht. (Weshalb auch der Zusammenhang zwischen möglichen Silvesterverletzungen und den angeblich von Corna bereits ausgelasteten Notaufnahmekapazitäten populistisch erfolgreich konstruiert war.)

# Zu einigen der grundlegenden Bewertungsprobleme sei auf einen Vierteiler verwiesen, der von selektiver Wahrnehmung bis Verzerrung durch willkürliche Vergleichswahlen einiges anspricht, das auch rund um die Herkunftsnennung von Tätern relevant ist: “Hürden der Aufklärung“.

# Peter Nowak beginnt seinen Beitrag “Rassistische Folgen der Böllerdebatte: Im Zweifel waren es Flüchtlinge” vom 17. Januar 2023 auf TP:

>Spätestens nach der Debatte um die Böller-Krawalle vom Neujahr 2022/23 wird in der Union wieder unbefangen gegen missliebige Migranten Stimmung gemacht. Antirassistische Organisationen wie die Opferberatungsstelle Reach Out warnen vor den gesellschaftlichen Folgen und fordern ein Ende der Debatte. Es wird daran erinnert, dass es sehr unterschiedlichen Städten zu Silvester 2022/23 Böller-Krawalle gegeben hat. Diskutiert werde in der Regel aber nur über migrantische Gewalt.<

Eine Instrumentalisierung von Themen geschieht leider immer, wenn es sich für irgendwen anbietet. Da gibt es keinen Rechts-Links-Unterschied. Aus den vielfältigen Glanzleistungen des Corona-Journalismus sei auf eine bundesweite Debatte über Kinder missbrauchende Querdenker erinnert, nachdem ein Kind auf einer Demonstration durch Reizgas der Polizei verletzt worden war. Ein Einzelfall, noch mit einer sehr pareiischen Interpretation vermittelt, wurde als Gruppenmarkierung genutzt. Dass dies im Meinungsstreit geschieht, ist traurig aber wohl nicht zu ändern, dass Medien dies aus wirtschaftlichen und ggf. auch ideologischen Gründen regelmäßig befeuern, ist ein Versagen des Journalismus.
Die Argumentation, in anderen Städten habe es (möglicherweise) andere Tätergruppen gegeben, kann die Forderung nach einem Ende der Diskussion jedoch nicht stützen. Es ist völlig in Ordnung, dass Berlin über Berliner Probleme und Bochum über Bochumer Probleme spricht. Wenn sich irgendwann am Ende herausstellt, dass die Haupttätergruppen zwar irgendwie phänotypisch unterscheidbar waren, könnte das gerade hilfreich sein bei der Ursachensuche, die sicherlich nicht in der Genetik, möglicherweise aber in Kultur, Erziehung, sozialem Umfeld, Bildung, Einkommen, Beziehungsvielfalt etc. liegt. Und ja, dazu schaut man nicht auf den Einzelfall, sondern bei Silvester auf eine Zeitreihe. Da zeichnet sich allerdings für Berlin ein sehr konsistentes Bild ab.
Was Nowaks inhaltliche Kritik an der Polizei Bad Schwalbach betrifft: Natürlich ist zu klären, wie es zu der Falschmeldung kam (so die derzeitige Darstellung dann den Tatsachen entspricht); aber dass Pressemitteilungen der Polizei fehlerhaft sind, ist nicht ungewöhnlich, weshalb sie stets durch journalistische Recherchen überprüft werden müssen (ausführlich hier). Korrektheit vorausgesetzt ist eine Falldarstellung wie hier jedoch richtig und notwendig. “Reach Out” und andere Organisationen hätten sich sicherlich nciht beschwert, wenn schon in der ersten Polizeidarstellung Anwohner und nicht Flüchtlinge die Lösch- und Ermittlungsarbeiten behindert hätten.

# Auf “Übermedien” kritisiert jemand den hiesigen Beitrag u.a. mit folgender Passage:

Sie schreiben bspw., dass ein “Ausländeranteil” von etwa 69% der Verhafteten bei etwa 23,5% Ausländeranteil in Berlin zu hoch sei und diskutiert werden müsse.
Das ist so weit entfernt von ernstzunehmender Auseinandersetzung, dass sich für mich der Beitrag eigentlich da schon erledigt hat.
Es ist Silvester, es ist die Hauptstadt Berlin, es geht um junge Männer ( fast ausschliesslich ) im Alter von 15-40 die nachts auf den Straßen unterwegs sind und Sie wollen die Zahlen mit der WOHNBEVÖLKERUNG Berlins, männlich/weiblich von 0-100 Jahre alt, vergleichen? Touristen in Berlin? Kommt ja so gut wie nie vor.
Sogar das BKA weist in seinen Statistiken übrigens darauf hin, dass ein solcher Vergleich mit der Wohnbevölkerung untauglich ist.

Ein schönes Beispiel für Schlonzigkeit (wenn auch nicht im Journalismus, sondern nur in dessen Kommentierung).
– Hier ist nicht von “Verhafteten” die Rede, weil es sich um Festgenommene handelt. Das sind juristisch zwei sehr unterschiedliche Fälle. Niemand muss den Unterschied kennen, aber korrektes Zitieren ist immer hilfreich.
– Hier steht nicht, der Ausländeranteil unter den Festgenommenen sei “zu hoch”, sondern gegenüber dem Anteil in der Wohnbevölkerung “deutlich erhöht” (also überproportional). “Deutlich erhöht” ist eine Tatsachenfeststellung, “zu hoch” wäre eine Wertung. Für eine solche Wertung müsste aber zunächst gesagt werden, was ein “normaler”, zu erwartender Anteil wäre. Eine solche Aussage ist im Text aber nicht enthalten, im vorausgesetzten, weil diesen hier nur ergänzenden und deshalb als erstes angeführten Artikel bei Telepolis steht viel mehr, dass “Unterschiede in der Kriminalität” zu erwarten sind, weil Möglichkeiten und Erfolgsaussichten auch von der  Herkunft abhängen.
– Der Hinweis auf den Unterschied zwischen Wohnbevölkerung und örtlich Anwesenden ist richtig, er steht aber schon im kritisierten Text hier oben (” Wohn- bzw. besser Aufenthaltsbevölkerung ).
– Was die notwendige statistische Korrektur angeht (die mangels Daten niemand verlässlich vornehmen kann, die aber selbstverständlich als Unsicherheitsfaktor zu benennen  wäre, allerdings immer, insbesondere bei Demonstrationen, zu denen eben jeder von irgendwo unter irgendeinem Mäntelchen kommen kann) sei angemerkt: auch Berliner verreisen gelegentlich. Und vor allem kommen auch Deutsche als Touristen nach Berlin, gerade an Silvester. Wer hier also auch eine deutliche Verschiebung hinweisen möchte, die unmittelbar als Erklärung dienen kannn (hier ja wohl: es sind Ausländer angereist, haben in Berlin Krawall gemacht und somit die Quote der Nicht-Deutschen gegenüber der Wohnbevölkerung deutlich nach oben getrieben) sollte dann schon ein paar Indizien benennen.
So oder so spricht dieses Argument jedenfalls nicht gegen die Herkunftsnennung. Sollten sich ausländische Touristen (oder in Deutschland lebende Ausländer als Touristen in Berlin) als überproportional gewalttätig zu Silvester in Berlin  herausstellen, wäre dies ja eine wichtige Erkenntnis, die gerade die Berliner Bevölkerung ohne deutschen Personalausweis vor ungerechtfertigten Vorwürfen schützen könnte.  Es wäre geradezu ein Argument für eben noch genauere Herkunftsnennung (rein statistisch, das berührt den individuellen Datenschutz noch gar nicht). Oder etwas weniger kompliziert: der Journalismus sollte sich recherchierenderweise für all solche möglichen Auffälligkeiten interessieren. Dafür muss er sie aber zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, anstatt sie sogleich als rassistischen Kackscheiß auszublenden.

Ein Gedanke zu „Zur medialen Debatte um Silvester-Ausschreitungen

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