“Messerattacke” kein relevantes Thema

Dass die Medien sich wild auf die “Messerattacke” in Brokstedt stürzen würden war klar. Das Ereignis erfüllt alles, was über die Jahre empirisch als “Nachrichtenfaktoren” herausgefiltert wurde und schlicht beschreibt, womit sich Ab- und Umsatz machen lässt. Der Aufklärung, der Orientierung dienen Nachrichtenfaktoren noch lange nicht (weshalb sie auch keine Qualitätskriterien sind).

Dass ein Bekloppter im Regionalzug von Kiel nach Hamburg beim Halt im Bahnhof Brokstedt am 25. Januar 2023 wild auf Passagiere eingestochen und dabei zwei getötet hat, ist nur unter dem Gesichtspunkt Klatsch & Tratsch ein bundesweites Thema. Unter journalistischem Blickwinkel wäre es ansonsten nur eine Meldung in den betroffenen Regionalteilen, so wie Autounfälle und Hausbrände, über die natürlich gesprochen wird und über die ein Lokalmedium daher auch kurz und sachlich berichten soll.

Für mehr taugt es aus einem ganz einfachen Grund nicht: So ein Messerattentat ist nichts Unerwartbares und nichts, was nach grundlegenden Veränderungen ruft. Es ist schlicht keine neue Erkenntnis, dass in unserer Welt auch Bekloppte rumlaufen, die wahllos auf Menschen einstechen. Nüchtern muss man feststellen: so wie einem ein Ast oder Dachziegel oder Blumentopf auf den Kopf fallen kann, wie man von Auto oder Fahrrad totgefahren werden kann und wie sich permanent irgendwo Schlägereien entwickeln, in die man auch per Zufall verwickelt werden kann, so kann man eben auch Opfer eines Geisteskranken mit Messer  werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber zum Glück so gering, dass es nicht lohnt, darüber auch nur einige Sekunden nachzudenken.

Natürlich kann man meistens noch irgendetwas verbessern, man kann vor allem aber bei der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit letzterem immer noch mehr Vorrang geben. An Vorschlägen fehlt es auch hier wieder nicht. Aber genau das ist anti-journalistisch: Es wird ein Skandal inszeniert und damit ein Problem erschaffen, das nach einer Lösung verlangt. Es muss sich etwas tun. Also überbieten sich alle auf Öffentlichkeit Angewiesenen mit Forderungen und Empfehlungen, und am Ende wird die Politik irgendetwas tun, und wenn sie nur Geld für Präventionsprogramme ausgibt. Eine Kosten-Nutzen-Analyse wird dabei niemals erstellt, es wird Gefühlen nachgegeben (die gefühlte Sicherheit ist ja lange schon völlig salonfähig geworden), Politiker, Lobbyisten und Journalisten machen ihr Geschäft.

Sicherlich mögen sich an einem Fall wie dem von Brokstedt auch tatsächlich systemische Probleme zeigen. Aber die treten dann nicht dort erstmals zutage. Psychiatrische Begutachtungen und was nun alles wieder durchgenudelt wird – alles kann man auf den Prüfstand stellen. Aber dafür braucht es diesen Anlass nicht. Man  kann sich das z.B. jeden Tag bei Sexualstraftaten von Vorbestraften fragen.

Die öffentliche Skandal-Debatte macht da nichts besser. Mit einem Schlag äußern sich lauter Menschen, die weder vom Thema irgendeine Ahnung haben noch wegen eingegebene Geistesblitze Auditorium bekommen sollten. Aber wenn das Publikum in Erregung ist, schlägt die Stunde der politischen Marktschreier (die auch in den Medien gut vertreten sind).

Der Vorfall ist irrelevant, nicht weil es sich um einen ausländischen Täter handelt (von manchen Medien noch “mutmaßlich” genannt – nur ein wenig von dieser großen Rechercheoffenheit wünschte man sich in anderen Fällen) oder weil der Täter offensichtlich psychisch gestört ist, sondern weil erwartbare Einzelfälle schlicht keiner Diskussion bedürfen. Die Diskussionen sind stattdessen vorher zu führen, unabhängig von einem Fall: mit welcher Wahrscheinlichkeit wird was eintreten und sind wir gewillt damit zu leben? Ja, Häuser können in Brand geraten, solange darin noch jemand mit einem Streichholz hantieren darf u.s.w. Wenn es dann passiert, ist es für die Betroffenen eine Katastrophe, für die Gesellschaft aber einfach der Lauf der Dinge.

Doch welcher Journalist schreibt schon: Mord und Totschlag gehören zu Deutschland. So empirisch richtig es auch ist und so utopisch die Vorstellung, es könnte mal anders sein.

PS. Constantin van Lijnden macht es bei der Welt nicht unter “Zerfallserscheinungen eines Staates“.

“[Ibrahims] Tat war keineswegs unvermeidlich, sondern die tragische, vorhersehbare Konsequenz einer Politik, deren moralisches Wollen ihr praktisches Können in gefährlicher Weise überschreitet.”

Und dann lässt er sich über die Hürden von Abschiebungen aus (wie übrigens auch die SPD-Faeser). Die es zweifelsohne geben mag, die hier allerdings allenfalls für den Ort des Problems, nicht das Problem selbst verantwortlich sind. Gemeingefährlliche Menschen müssen eben weggesperrt werden, das war schon dem verehrten, linken Kurt Tucholsky klar.

 

2 Gedanken zu „“Messerattacke” kein relevantes Thema

  1. Glückstädter

    Auch dpa recherchiert nicht mehr, wie? Steht bei der Sz:
    https://www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-brokstedt-faeser-stellt-umgang-mit-tatverdaechtigem-infrage-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230126-99-371208

    Nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Umgang der Behörden mit dem zuvor bereits straffällig gewordenen Verdächtigen infrage gestellt. Es müsse aufgeklärt werden, “wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war”, sagte sie am Donnerstag bei einem Besuch in Brokstedt. “Wie konnte das passieren, dass er trotz so vieler Vorstrafen nicht länger in einer Justizvollzugsanstalt war. Wie konnte es passieren, dass er so früh aus der Untersuchungshaft wieder entlassen wurde.”

    Die Norddeutsche Rundschau schreibt dazu “Richtige Geste aber Rede im Blindflug”, ua:

    “Diese drei Fragen hatte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) kurz zuvor so gut wie in diesem Moment möglich beantwortet. Doch Faeser redete im Blindflug. Wie konnte Ibrahim A. so früh aus der U-Haft entlassen werden? Nun, er saß ein Jahr. Warum er trotz Vorstrafen nicht länger im Gefängnis war? Weil ein Gericht ein Strafmaß festgelegt hatte. Und die Schwierigkeiten, Staatenlose abzuschieben, sollte Faeser bekannt sein.”

  2. NN

    Es sind auch immer die selben Floskeln. Die Zeitung fragt “Warum?” und sagt “kaum zu ertragen” oä. Prien, die Schulministerin, lobt die Trauerarbeit an der Schule, Innenminister:in dankt den Rettungskräften

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